Ein deutscher Putinkritiker – und darum Kaltduscher – ist ernüchtert: Die Deutschen sind Warmduscher. Obwohl doch Krieg ist, und wir alle verzichten müssen.
In einem Artikel mit der Überschrift „Die Angst der Deutschen vor der kalten Dusche“ erhebt ein Benjamin Bidder bittere Anklage. Dabei beweist das Volk im Allgemeinen doch Solidarität und Verantwortungsgefühl. Hunderttausende Leben haben die Deutschen gerettet, indem sie brav in der Stube hockten, anstatt mordend ins Restaurant zu gehen – über Monate hinweg. Und selbst jetzt, nachdem die Maskenpflicht im Supermarkt aufgehoben wurde, werden sie nicht müde, vor dem Joghurt-Regal und bei der Entscheidung zwischen Dany Sahne und Monte anderswo Erstickungstode zu verhindern. Denn bei den meisten bleibt auch nach Wegfall der Vorschriften die Maske auf. Warum also so wenig Disziplin in Kriegszeiten?
Individuelle Verhaltensänderungen für die Lösung der großen Probleme gehören also inzwischen zum Stammrepertoire des ideellen Gesamtanständigen. Und dennoch:
„Nur knapp die Hälfte der Bürger wäre bereit, persönliche Einbußen hinzunehmen, um ein Energieembargo gegen Russland zu ermöglichen.“
Zu diesem Ergebnis kam eine repräsentative Umfrage im Auftrag des „Spiegel“, für die etwa 5.000 Bürger befragt wurden. „Für Befürworter eines Energieembargos sind die Ergebnisse ernüchternd.“ Der Artikel enthält über die Zusammenfassung der Umfrage-Ergebnisse hinaus zwar keine Argumente, doch Journalismus mit Haltung wäre eben keiner, wenn er die Deutung der Fakten einfach so dem dusseligen Leser überlassen würde. Denn der könnte ja noch auf den ukraineverräterischen Gedanken kommen, dass nicht „nur“, sondern „sogar“ zehn Prozent der Ansicht sind, sich bei winterlichen Minusgraden morgendliche Kälteschocks zu verpassen, könnte anderswo das Kriegsblatt wenden.
Französische Dusche
Doch wie sieht’s im Lager der Anständigen aus?
„Unter den Befürwortern eines Lieferstopps für Öl und Gas aus Russland besonders populär: mehr Disziplin auf Deutschlands Autobahnen. 70 Prozent der Embargo-Befürworter würden nach eigenen Angaben ein Tempo 100 unterstützen. 68 Prozent würden weniger baden und mehr duschen, 76 Prozent deutlich weniger heizen. 42 Prozent würden das Auto öfter stehen lassen und dafür das Fahrrad benutzen.“ Und: „Immerhin 17 Prozent würden erwägen, auf ein kleineres Auto umzusteigen.“
Immerhin. Aber geht das weit genug? Schließlich behauptet der Artikel mit seinem Titelbild, dass in der Ukraine derzeit kein brutaler Krieg, sondern ein Genozid stattfindet. Also könnte man doch nicht nur das Baden einstellen, sondern gleich zur Französischen Dusche übergehen. Soweit ich weiß, verdient Russland nicht an Axe-Deodorants…
Aber halt! Verträgt sich das überhaupt mit den Hygieneregeln zur Überwindung der Corona-Pandemie? Konfligieren die noch allenthalben hängenden Anweisungen zum mindestens 20-sekundenlangen Händewaschen womöglich mit den Kriegszielen der Bundesregierung? Würde es nicht reichen, sich die Hände vor und nach dem Schlafengehen zu waschen? Das Händeschütteln ist ja eh schon halbwegs überwunden, und wenn man die Maske einfach den ganzen Tag auflässt, macht man sie mit den verkeimten Fingerchen auch nicht mehr schmutzig.
Ich jedenfalls bin dank „Spiegel“ nun für die Etablierung von Warmdusch-Inzidenzen, anhand derer man die Temperaturen dann bundesweit regulieren könnte – freiwillig verzichten wollen ja zu wenige. Bestimmt könnten wir mit denen auch den Kriegsverlauf modellieren. Wissenschaftsleugner und Querputinist, wer dagegen ist.