Stellen Sie sich – sofern Sie es nicht sowieso sind – einmal kurz vor, Sie seien Bürger von Hintermondhausen, irgendwo im Nirgendwo in Bayern. Ihr kleines gemütliches Dorf, gepflegt und gediegen, hat einen Bäcker, einen Metzger, eine Bundesstraße, eine Kirche und einen Sportplatz. Ihr Örtchen zählt ca. 3.000 Köpfe, die Busse in die nächste Kreisstadt mit ihren 20.000 Einwohnern gehen stündlich, wenngleich nie voll ausgelastet. In Ihrem Örtchen gibt es auch eine freiwillige Feuerwehr und eine Mehrzweckhalle, die, völlig unspektakulär, „Mehrzweckhalle“ heißt. Ohne Namen. Im Ort dominieren zwei bis drei Nachnamen, nennen wir sie der Einfachheit halber, Sonnig, Mond und Sterner. In den Gemeinderatssitzungen geht es um die Genehmigung von Garagenanbauten und die Pflege der Streuobstwiesen, und es werden noch freiwillige Helfer für das Pfarrfest nächsten Monat gesucht. Im Ort gibt es vier Parteien, eine starke CSU, eine geduldete SPD, den Quotengrünen und zwei Parteilose, die allerdings am 50. Geburtstag die Mehrzweckhalle mit ihren nahen und fernen Verwandten locker füllen können.
Sie haben im Ort die obligatorische Dönerbude („Zahle Zwei, iss Eine“), die übliche Pizzeria (Auswahl zwischen Pizza Salami, Pizza Funghi und Pizza Margherita) und den „Deutschen Kaiser“ (seit 1463 in Familienbesitz). Es gibt daneben noch einen Versicherungsvertreter, eine Raiffeisenbank und eine Sparkasse und noch zwei, drei kleinere Mittelständler sowie einen Gemischtwarenladen, in dem neben Comics und Schulheften auch Schnürsenkel und Sauerkraut vom Fass erhältlich sind. Hier ist die Welt noch in Ordnung.
Sie haben das Bild? Prima. Jetzt stellen Sie sich vor, der Ortsverband der CSU schlägt einen Bürgermeisterkandidaten vor. Der Kandidat ist im Dorf nebenan geboren, selbst zwar parteilos, aber politisch interessiert, hat in Hintermondhausen einen kleinen Betrieb, eine christliche Frau, zwei Kinder und einen Schönheitsfehler: Er ist Atheist und hat amerikanische Wurzeln. Deswegen, aus diesem Grund, lehnen die Mitglieder des Ortsverbandes Jack Daniels als Kandidaten ab. In einer christlichen Partei sollte kein Atheist niemals nicht Kandidat sein. So die Argumentation. Witzig, oder? Sehr provinziell. Kann jemand Atheist sein und trotzdem christliche Werte wie Toleranz, Nächstenliebe und Friedfertigkeit leben? Geht so etwas? Oder muss er sich dazu erst taufen lassen? Auch, wenn sein Schwiegervater Katholik ist? Oder gilt das nicht, wer der Schwiegervater ist? Nein? Es gilt aber, wer der Vater ist!
Wir sind ja hier nicht bei den Grünen
Genau dieses Bild haben wir in Wallerstein, im Kreis Nördlingen. Der Ortsvorstand der CSU hat dort Sener Sahin als Bürgermeisterkandidaten vorgeschlagen. Herr Sahin ist im Nachbarort geboren, hat eine christliche Frau, zwei Kinder und betreibt vor Ort einen Werkzeug- und Maschinenhandel. Er trainiert die örtliche Fußballmannschaft und sieht auch nicht wie einer der aufgepimpten fusselbärtigen Terrorfürsten aus, man kann also auch ohne Recherche davon ausgehen, dass Sener Sahin so ansatzweise wenigstens ein klein wenig integriert ist. Allerdings – und da hört für die Christlich Soziale Union Wallerstein der Spaß auf – klingt zum einen Sener Sahin jetzt nicht so richtig urbayerisch und außerdem ist er, man traut es sich fast nicht zu sagen, ja isses denn zu glauben, Moslem. Sie wissen schon. So ein Nichtchrist. Es ist völlig egal, wer Sener Sahin ist, was er tut und wie er handelt, ob er ein guter und netter Mensch ist, ob er freundlich und zuvorkommend alten Straßen über die Damen und umgekehrt hilft, es nutzt alles nichts: Ungetauft ist ungetauft und des Satans und hat in der – hallo? – Christlich sehr Sozialen Union als Bürgermeisterkandidat nichts verloren. Wir sind ja hier nicht bei den Grünen, da darf bekanntlich jeder. Bei der CSU hat man da noch Werte. Die von vor dem Jahr 1517, also bevor die teuflischen Lutheraner aufkamen.
Wenigstens drei der 15 Kommunalwahlkandidaten der CSU Wallerstein haben mit ihrem Rückzug gedroht, wenn so ein da hierher geborener Moslem zum Bürgermeisterkandidaten gewählt wird. Außerdem hagelte es sowohl beim Ortsverband als auch bei dem zuständigen Bundestagsabgeordneten deswegen Beschwerden. Wo kommen wir schließlich hin, wenn so ein Moslem für die CSU als Bürgermeisterkandidat vorgeschlagen wird? Am Ende landen wir vielleicht noch in der Moderne, in der der Glaube keine Rolle mehr spielt und auch nicht, wer wessen Vater ist, sonder nur, wer Du bist. Und als bösartigste Pointe macht so ein Antichristsozialer auch noch das Rennen und regiert über Wallerstein. Nicht auszudenken, wenn der Mann gut wäre. Da gehen ja komplette Weltenbilder kaputt.
Sicher, laut Sahin kam die Ablehnung vor allem von den „Über 50-Jährigen“, allerdings, Wallerstein hin oder her, haben sicher auch gute alte Wallersteiner schon einmal in ihrem langen Leben Kontakt mit Türkischstämmigen und/oder Muslimen gehabt, ohne dumm angequatscht oder niedergestochen worden zu sein. Und Terroranschläge sind jetzt in Wallerstein auch nicht zu befürchten. Es könnte durchaus Sinn machen, dass sich die Wallersteiner Unionszurücktreter mal mit dem Grundgesetz beschäftigen – oder wenigstens, wenn schon nicht mit dem ganzen ausländischen Preußen-Zeugs, wenigstens mit der eigenen bayerischen Verfassung. Da heißt es ziemlich deutlich im Artikel 107:
(1) Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet.
(2) Die ungestörte Religionsausübung steht unter staatlichem Schutz.
(3) 1. Durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. 2. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf es keinen Abbruch tun.
(4) Die Zulassung zu den öffentlichen Ämtern ist von dem religiösen Bekenntnis unabhängig.
(5) 1. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. 2. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
- Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder Feierlichkeiten oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden.
Am Ende vielleicht sogar ein evangelischer Kandidat?
Und sollte den Wallersteiner CSU-Granden München zu weit weg sein, dann empfehle ich doch einen Blick in die Satzung der CSU, gleich in den Paragraphen 1: Hier steht kein Amen in der Kirche davon, dass jemand dringend Christ sein muss, um „eine staatliche Ordnung in demokratischer Freiheit und sozialer Verantwortung auf Grundlage des christlichen Welt- und Menschenbilds“ zu erstreben.
Wallerstein verliert möglicherweise einen hervorragenden Bürgermeister, so Sener Sahin, den alten Vollchristen zum Trotz, gewählt worden wäre – ganz sicher aber sollte gerade die CSU nicht mehr über Chancengleichheit und demokratische Freiheit schwätzen. Sie sind einfach noch nicht so weit. Die ganz Konserva-Tiefen in der CSU. In Wallerstein. Im Landkreis Donau-Ries. Wo die Welt noch in der Ordnung von 1516 ist. Sagt auch die Dorfhexe, das alte Luder. Man muss jetzt Integration auch nicht übertreiben. Was kommt schließlich als Nächstes? Am Ende vielleicht sogar ein evangelischer Kandidat?
Wer so spät dran ist, den bestraft der Herr Sahin. Der hat nämlich aufgrund der Anfeindungen aus den eigenen fest geschlossenen Reihen seine Kandidatur zurückgezogen. „Und so wartet die CSU Wallerstein jetzt auf eine göttliche Eingebung.“ Bürgermeisterkandidaten hat sie nämlich keinen mehr. Es wäre hübsch und eine schöne Revanche, wenn es jetzt einer von den Sozen würde. Oder, noch schlimmer, der Quotengrüne. #Zäfixhallojulia
(Mehr Unchristliches vom Autoren unter www.politticker.de )