Thilo Sarrazin / 09.01.2022 / 14:00 / Foto: Achgut.com / 51 / Seite ausdrucken

Willkommen in Habecks Utopia

Die Logik der in Deutschland betriebenen Energie- und Klimawende besteht darin,

• den Energieverbrauch insgesamt stark abzusenken,

• innerhalb des abgesenkten Energieverbrauchs den Umfang und den Anteil des Stroms deutlich zu erhöhen,

• innerhalb der deutlich zu erhöhenden Nettostromerzeugung die Erzeugung aus Kernkraft, Kohle und Öl möglichst schnell zu beenden und die Erzeugung aus Erdgas nur noch übergangsweise zu dulden.

Ein starkes Anwachsen der Nettostromerzeugung wird für die Energiewende benötigt,

• weil der Autoverkehr weitgehend auf batteriebetriebene Fahrzeuge umgestellt werden soll,

• weil die Gebäudeheizung weitgehend auf elektrische Wärmepumpen umgestellt werden soll,

• weil energieintensive industrielle Prozesse in der Chemie oder in der Stahl- und Aluminiumproduktion ebenfalls auf Strom umgestellt werden sollen.

Die große Hoffnung ist dabei der blaue Wasserstoff. Er könnte in Gaskraftwerken verfeuert werden. Seine Erzeugung soll durch gewaltige Mengen an Wind- und Solarenergie ermöglicht werden.

Wie realistisch kann das sein?

Das aber ist ferne Zukunftsmusik. Die deutsche Energiewirklichkeit sah 2021 ganz anders aus: In den ersten drei Quartalen trug die Windenergie 20,1 Prozent und die Solarenergie 11,0 Prozent zur deutschen Stromerzeugung bei, zusammen waren das 31,1 Prozent. Der Beitrag von Kernenergie und Kohle lag demgegenüber bei 45%. Die Kapazitäten von Wind und Sonne müssten in nur wenigen Jahren auf das Drei- bis Vierfache steigen, um den angekündigten bzw. bereits vollzogenen Fortfall und die geplante Erhöhung der Stromerzeugung auszugleichen.

Wie realistisch kann das sein? Im Januar 2021 wurden in Deutschland 31.115 Windkrafträder betrieben, Im September waren es 30.617, ihre gesamte Nennleistung stieg in dieser Zeit um 3 Prozent. Die Nennleistung der Photovoltaik stieg um 7 Prozent. Damit für die Stromproduktion die Ziele der Energiewende bis 2030 erreicht werden, müsste bei Solar die jährliche Zubaurate verdreifacht und bei Windenergie vervierfacht werden – und zwar aus dem Stand ab sofort. Das wäre selbst dann unmöglich, wenn alle Beteiligten den besten Willen hätten und das deutsche Planungsrecht in wenigen Monaten umfassend geändert würde. Beides ist nicht der Fall.

Der frischgebackene grüne Energieminister Robert Habeck hat in den wenigen Tagen seit seiner Amtsübernahme offenbar erkannt, in welche Falle er hier rennt. Er rudert bereits zurück und hat eingestanden, dass der Zielpfad der Energiewende in den nächsten beiden Jahren nicht eingehalten wird. Er möchte offenbar Zeit kaufen. Seine Situation wird nicht einfacher durch die Ankündigung der Europäischen Kommission, die Kernenergie als nachhaltige Energiequelle anzusehen und ihren Ausbau entsprechend zu unterstützen. Die Abschaltung der sechs verbliebenen Kernkraftwerke wirft Deutschland bei seinen Klimawandelzielen noch weiter zurück. Die dadurch bis Anfang 2023 entstehende Kapazitätslücke ist größer als die gesamte deutsche Solarstromerzeugung. 

Wir kaufen dazu

In den deutschen Medien werden die logischen Brüche und offensichtlichen Inkonsistenzen der deutschen Energie- und Klimawende nach wie vor mit großer Milde behandelt, falls sie überhaupt zum Thema werden. Es ist ja auch nicht zu befürchten, dass in Deutschland unmittelbar die Lichter ausgehen.

Die soliden deutschen Exportüberschüsse reichen noch auf lange Zeit aus, um polnischen Kohlestrom, französischen Kernenergiestrom und russisches Erdgas in beliebigen Mengen dazuzukaufen. In wenigen Jahren wird sich aber zeigen, dass Deutschland die Energiewende weitaus schlechter bewältigt als jene Länder, die weiter auf Kernkraft setzten und diese, wie Großbritannien und Finnland, sogar ausbauen.

Die öffentliche Meinung ist wie ein launisches Kind. Man darf ihr nicht zur Unzeit widersprechen, sonst gibt es Wutanfälle. Grüne Politiker müssen jetzt die Initiative ergreifen, um im Planungsrecht Einspruchsrechte von Bürgern und Verbänden weitgehend auszuhebeln, und sie müssen die planungsberechtigen Gebietskörperschaften zu maximaler Beschleunigung anhalten. Da können öffentliche Stimmungen schnell kippen.

Was passiert, wenn es demnächst bei geplanten Windanlagen ähnliche Demonstrationen gibt wie bei Impfgegnern: Wird man dann den Verfassungsschutz losschicken, um querdenkende Windkraftgegner zu beobachten? Das Regieren in Deutschland wird jedenfalls nicht einfacher werden.

Foto: Achgut.com

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R. Gremli / 09.01.2022

Herr Sarrazin “Die soliden deutschen Exportüberschüsse” kann man nicht einfach auf den Energieeinkauf umleiten. Falls Sie die Exportüberschüsse in der Energiebranche anspielen wollten, geht das noch schlechter, denn wenn DE überschüssigen Strom verkaufen will/muss, dann gibt es keine Interessenten. Die Folge sind niedrigste Preise bis zu einer Bonusmitgabe. Wenn DE Strom braucht, brauchen den alle Nachbarn auch, egal welche Energiestrategie sie fahren. Die Folge: extrem hohe Preise. Was wiederum heisst, dass die Gewinne aus den allgemeinen Exportüberschüssen dahinschmelzen wie Schnee in der Sonne. Wie man es dreht und wendet, Deutschland verliert.

Reinhold R. Schmidt / 09.01.2022

Es ist ja gar nicht so sehr das Problem, dass die Produktion von Strom aus Wind und Sonne für den künftigen Bedarf nicht ausreichend schnell gesteigert werden kann. Natürlich kann man theoretisch mit riesigen Subventionen auf jeden verfügbaren Quadratkilometer in DEU ein Windrad hinstellen und alle Dächer mit Photovoltaik vollpflastern. Das ergäbe rein rechnerisch eine enorme Produktionskapazität an Flatterstrom. Leider wäre selbst dieser Wahnsinn völlig nutzlos. Strom muss genau in dem Augenblick produziert werden, wenn er gebraucht wird (ist Physik, dafür kann ich nichts - wenn ich abends meinen Backofen für meine Pizza einschalte, muss genau zu diesem Zeitpunkt eine abrufbare Stromproduktion dahinter stehen). Nun schaut einfach mal dieser Tage aus dem Fenster, oder aus eurem grünen Elfenbeinturm. Nachts scheint grundsätzlich keine Sonne und derzeit tagsüber bei Wolken und Nebel oft auch nicht. Wind weht oft in dieser Jahreszeit mit dem höchsten Stromverbrauch, auch kaum. Das kann jeder z.B. auch daran sehen, dass der Nebel in ganz DEU oft tagelang hängen bleibt. Ausreichend große Stromspeicher sind technisch weder in Sicht noch wären sie bezahlbar (informiert euch mal, was so ein popliger Batteriespeicher für ein E-mobil für gerade mal 40 KWh mit allem Drum und Dran kostet, der für ein schlichtes Einfamilienhaus dann gerade mal für 2 Tage ausreichend Strom liefern könnte - an Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Straßenbeleuchtung, Geschäfte und Industrie will ich gar nicht erst denken).  Woher soll also jetzt der Strom kommen? Die einzig vernünftige Antwort - wir brauchen eine grundlastfähige, stabile Stromerzeugung durch verbrauchsnahe Kernenergie und übergangsweise weiter durch Kohle und Gas. Das erspart uns nebenbei auch den völlig unsinnigen, sündhaft teuren Netzausbau, der ja vor allem zeitweilig überflüssigen Windstrom von der Nordsee nach Österreich und Italien durchleiten soll.

Stanley Milgram / 09.01.2022

100 Tausende Börliner bekommen heute einen Vorgeschmack auf das, was die Grünen angerichtet haben… und das ist gut so!

Michael Hinz / 09.01.2022

@giesemann - “Die Grünen und Habeck müssen erst einmal die minderjährigen Mädchen vor Früh- und Vielschwängerei retten-..” Warum sollten sie das tun? - Der “Youth Bulge” der sogenannten Dritten Welt ist die Bedinungsmöglichkeit der Massenmigration, die Europa/Dummland zerstört. Das ist doch das Ziel. .....

Hans Kloss / 09.01.2022

Also damals bei Kommunisten ging es und jetzt geht es auch wie man zB in NK oder Venezuela beobachten konnte : die Obrigkeit verlangt und die Untertanen liefern oder lügen so dass wir gewünscht aussieht. Am Ende machen alle als ob und bei den “König nackt” Fraktion setzt man Vollzugsbeamten an. Alles schon ausprobiert - es funzt, man muss nur wollen.

Thomas Leske / 09.01.2022

Wer sagt, dass die Windkraftgegner sich mit Demonstrationen begnügen? Sie könnten auch Windkraftanlagen sabotieren, um Investoren abzuschrecken.

R. Reiger / 09.01.2022

2021 hatten die teuren EE nur 18 % Anteil am Primärenergieverbrauch. Der Rest finanziert den Staat über CO2-​Zertifikate. Das alles zusammen verteuert die Energie. Die teuerste Energieform bestimmt die Preise für alle, auch für diejenigen die billiger sein könnten aber so eben nicht müssen. Die Gaspreise, genauer der Preis der Energie, die aus Gas gewonnen werden kann, passt sich den deutschen Strompreisen an, aus dem alleinigen Grund, weil das geht. Nur teurer können sie nicht werden. Das heißt, die Erzeuger tun das, weil sie das können. Alles hängt zusammen. Nachdem weltweit alles zusammenhängt gibt es keinen Grund, warum das nicht überall so sein sollte. Das nennt sich die komparative Ökonomie von David Ricardo. Das trifft dann auch die ärmeren Länder. Kasachstan kann zum Flächenbrand werden !!!!!!!!! Frankreich, sprich die Gelbwesten, wissen das.

Peter Baars / 09.01.2022

Zu A. Maul und Hagen Müller. Sie haben zur Technik ENERGIE Wesentliches gesagt, was sonst kaum angesprochen und bei der grünen Fraktion offenbar völlig unbekannt zu sein scheint. In einem 50 Hz-Verbundnetz muß der Leistungsbedarf (der Volkswirtschaft) sekundengenau der Leistungsbereitstellung (durch die Kraftwerke) entsprechen (Toleranz der Frequenz ist sehr gering). Die grandios hohen medial vermittelten installierten Leistungen der „regenerativen Energien“ berücksichtigen jedoch nicht die Realität: Dazu gibt es eine simple Kennziffer den „KapazitätsFaktor“. Dieser gibt in Prozent an, wie viel durchschnittliche Leistung praktisch zu Verfügung steht. Das ist für den Wind ca 20 % und für Solar ca 10 % (für die KKW ist dieser Wert ca 90 %). Das Kapital für die WKA liegt also 80 % brach, ein Goldesel für Kapitalanleger. Der gewollte Nebeneffekt dabei: Ohne gesicherte Leistung kein stabiles Netz – da sind wir jetzt. Seit Jahrzehnten wird daran „gearbeitet“ und nur wenige haben es bemerkt. Leistungsgrüße von Peter Baars

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