Klaus Leciejewski, Gastautor / 05.08.2018 / 06:19 / Foto: Pixabay / 56 / Seite ausdrucken

Willkommen im Ohne-Land

Deutschland ist auf dem Weg in ein „Ohne“-Land, und das selbstverständlich in gutem Glauben. In diesem Jahrhundert beglückt Deutschland die Welt nicht „Mit-Etwas“, also nicht mit Dichtern und Denkern und Künstlern, sondern „Mit-Ohne-Etwas“. Das „Ohne“ beherrscht Deutschland.

Ohne Atomkraft, ohne Gentechnik, ohne Kohle, ohne Diesel. Seit neustem kommen unsere Ohne-Politiker sogar ohne Grenzen aus. Ein Land ohne Grenzen ist nach offizieller Lesart moralischer als ein Land mit Grenzen, weshalb die Regierung auch ohne den Vollzug der geltenden Gesetze weitermacht. Dabei kommt es schon lange nicht mehr auf rationale Einsichten, sondern auf Glaubengrundsätzen an. Die Frage ist allerdings, inwieweit uns der Rest der Welt in diesem Glauben folgen wird.Für die Deutschen bleibt die charmante Alternative entweder ohne Land oder ohne die herrschende Nomenklatura weiterzumachen.

Aber das "ohne" fängt im kleinen an, hier eine unvollständige Übersicht:

  • Ohne Zucker (Limonade)
  • Ohne Alkohol (Bier)
  • Ohne Fett (Yoghurt)
  • Ohne Salz (Wurst)
  • Ohne Genmanipulation (Mais)
  • Ohne Gluten (Brot)
  • Ohne Kerne (Weintrauben)
  • Ohne Laktose (Milch)
  • Ohne Fleisch (Vegetarier)
  • Ohne Milch (Veganer)
  • Ohne Plastiktüte (REWE)
  • Ohne Plastik (Stoffe)
  • Ohne Parabene (Reinigungsemulsionen) 
  • Ohne Leder (vegane Stoffschuhe)
  • Ohne Konservierungsstoffe (Mayonnaise-Salate)
  • Ohne Koffein (Kaffee)
  • Ohne Chemie (Bio)
  • Ohne Soja (Teriyaki)
  • Ohne Seife (seifenfreies Waschstück)
  • Ohne Sex (Kühe)

Im Zeitalter der Minusprodukte

Etliche Lebensmittelprodukte mit „Ohne“ wachsen rasant, vor allem „Bio“ ("ohne Chemie") andere gehören inzwischen zum Standard (Ohne Zucker bei Erfrischungsgetränken), verschiedene sind zwar bekannt, führen jedoch noch ein Nischendasein (Bier und Wein ohne Alkohol).

"Wir leben gewissermaßen im Zeitalter der Minusprodukte", schrieben Maxeiner und Miersch vor einigen Jahren schonmal auf Achgut.com, "das nicht Vorhandene wird kommerzialisiert". Seitdem greift das "ohne" immer mehr um sich. Sanftes Mineralwasser mit besonders wenig Kohlensäure verdrängt das alte Sprudelwasser, auf dem die Bläschen fröhlich bitzelten.

Den Anfang machten Light-Produkte. Man ersetzt Fett durch Wasser oder schäumt die verbliebene Restsubstanz des ursprünglichen Inhalts so auf, dass sie größtenteils aus Luft besteht. Der Kunde isst dann meist doppelt soviel und hofft davon dünner zu werden. Der Traum aller Kapitalisten ist in Erfüllung gegangen: Endlich ungeniert mehr Geld für weniger verlangen. In der Werbung für das (teure) Miniauto Smart hieß der einprägsame Slogan „Reduce to the max“.

Einst warben Bäcker damit, dass ihr  Kuchen eine ordentliche Portion gute Butter enthielt und viele Eier. Zucker und Schmalz waren wertvolle Lebensmittel und wo es ging kam Sahne drauf. Heute wissen wir, dass das alles ganz schlecht ist, Verfettung, Diabetes, Herzkrankheiten und frühen Tod nach sich zeiht. Aber Essen wollen wir dennoch. Und da Obst und Gemüse allein auf Dauer irgendwie unbefriedigend sind, greifen wir dankbar zu den Speisen, die Sünde ohne Reue versprechen: Nimm mich, ich bin fast nichts. Askese ist beschwerlich, aber an Light-Käse kann man sich gewöhnen.

Die öffentliche Ohne-Diskussion nimmt immer mehr zu, vor allem, weil sie von Interessengruppen mit dem Hinweis auf „Gesundheit“ vorangetrieben wird. Dabei geht es jedoch schon lange nicht mehr um einen detaillierten Nachweis des gesundheitlichen Vorteils, denn wären „Mit“-Produkte naschweisbar gefährlich, müssten sie sofort aus dem Verkehr gezogen werden.

Davon ausgenommen sind allergische Krankheiten, die jedoch einen sehr kleinen Teil der deutschen Bevölkerung betreffen. Lebensmittel-Unverträglichkeiten sind inzwischen zwar weit verbreitet, bei der Mehrheit derjenigen Menschen, die eine solche Unverträglichkeit für sich reklamieren, sind diese jedoch nicht organisch sondern psychosomatisch bedingt, sie sind gesellschaftlich verursacht. Mittlerweile hat die gesellschaftliche Diskussion über „Ohne“ die Form von Glaubenssätzen angenommen, und über Glauben ist rational nicht zu diskutieren.

Ohne mögen vor allem die, die alles haben

Am Schärfsten auf "ohne" scheinen diejenigen zu sein, die schon alles haben und das sind nicht besonders viele. Die sogenannten urbanen Eliten prägen das öffentliche Bild und gelten als zahlungskräftige Kunden. Vegane Produkte nehmen in den Supermärkten inzwischen im Durchschnitt etwa drei Regalmeter ein. Nach unabhängigen Schätzungen leben in Deutschland ca. 400.000 Menschen vegan, nach Angaben des Vegetarierbundes 800.000, nach denen der Veganen Gesellschaft 1,3 Millionen. 

Glutenfreie Produkte nehmen in den Supermärkten ungefähr zwischen einem und drei Regalmetern ein. Nach medizinischen Statistiken leiden unter Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) weltweit ca. 1 Prozent der Menschen, in Deutschland sollen es von 0,1 bis 1 Prozent sein, nach Angaben von Interessenverbänden 3 Prozent.

Fertig-Salate ohne Konservierungsstoffe weisen eine kürzere Haltbarkeit auf als solche mit, geschmackliche Unterschiede sind nicht belegbar, aber mit ihrem höheren Preis steigt auch ihr gesellschaftlicher Stellenwert. 

Biologisch angebaute Produkte weisen einen 30 bis 50 Prozent geringeren Ertrag auf und sind deutlich teurer. Damit scheiden sie als Ernährungsgrundlage für einkommensschwache Schichten aus, zudem würde eine vollständige Umstellung auf „Bio“ Nahrungsmittelknappheit hervorrufen und als Folge weitere Preissteigerungen, einschließlich sozialer Auseinandersetzungen. Gesundheitliche und geschmackliche Vorteile von „Bio“ sind individuell, aber in der Breite nicht nachweisbar. 

„Seife ohne Seife“ ist der Werbeslogan für Waschgels und Waschstücke ohne PHB-Ester (Parabene). Die Hautreizung durch Parabene betrifft nur eine kleine Anzahl von Verbrauchern, wird aber in der Werbung als allgemein geltender Vorteil herausgestellt und deshalb mit einem höheren Preis verbunden. 

Der Tierschutz hat in Deutschland Verfassungsrang. Zum Wohlbefinden von Tieren gehört zweifelsohne auch die natürliche Zeugung. Kaum eine Kuh hat jemals den Verkehr mit einem Bullen genossen. Gemäß den weitverbreiteten Vorstellungen über leidende Tiere müssten Tiere ohne lebenslangen Sex auch leiden. Ist die künstliche Befruchtung nicht eine Art der Tierquälerei, die demzufolge verboten werden müsste?

Foto: Pixabay

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Bernhard Freiling / 05.08.2018

Bitte, bitte weitermachen! Irgendwann müßten wir dann doch bei “ohne Özil”, “ohne Islam”, “ohne Vergewaltigung”, und “ohne Messerstecherei”, vielleicht sogar “ohne Prantl”?  ankommen. Dafür nähme ich sogar noch eine Halbfettbutter, oder auch zwei, mehr in Kauf.

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