Henryk M. Broder / 23.05.2017 / 06:05 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 15 / Seite ausdrucken

Willkommen, Bienvenue, Welcome! Im Cabaret an der Spree geht die Post ab

Aus dem Vorwort für das Buch „Mal eben kurz die Welt retten“ von Markus Vahlefeld

Man könnte den Inhalt dieses Buches in einem Satz des bayerischen Schriftstellers, Religionskritikers und Nervenarztes Oskar Panizza (1853-1921) zusammenfassen: „Der Wahnsinn, wenn er epidemisch wird, heißt Vernunft.“ Oder noch knapper: „Willkommen im Irrenhaus Deutschland!“ Willkommen in einem Land, dessen kinderlose Kanzlerin von ihrem Volk „Mutti“ gerufen wird. Willkommen in einem Land, in dem „Willkommenskultur“ als Abschaffung der nationalen Souveränität praktiziert wird. Willkommen in einem Land, dessen Außenminister sich in Israel mit „Regierungskritikern“ und „Vertretern der Zivilgesellschaft“ trifft, der aber als Wirtschaftsminister nichts Vergleichbares unternommen hat, als er den Iran besuchte. Willkommen in einem Land, dessen Einwohner keine Deutschen, sondern nur noch „Europäer“ sein wollen.

Willkommen in einem Land, das der ganzen Welt ein Vorbild sein will: bei der Müllentsorgung, beim Klimaschutz, bei der Energiewende, die bis 2050 vollendet sein soll, zeitgleich mit der Reform der gymnasialen Oberstufe. In dem eine Zwangsgebühr als „Demokratie-Abgabe“, als „ein Beitrag für die Funktionsfähigkeit unseres Staatswesens und unserer Gesellschaft“ deklariert wird.  In dem allen Ernstes darüber debattiert wird, ob sich die Gesellschaft den Zuwanderern „öffnen“ soll, oder die Zuwanderer die Regeln der Gesellschaft annehmen sollen. Willkommen! Herzlich willkommen! Und nochmal Willkommen, Bienvenue, Welcome! Im Cabaret an der Spree geht die Post ab.

Es gibt einige gute und sehr gute Texte über die geistig-moralische Wende, die von der Kanzlerin zum politischen Programm erhoben wurde. Dieser hier – ich meine das Buch von Markus Vahlefeld – ist der beste. Ich sage das mit einem leichten Anflug von Neid, denn ich habe mich ebenfalls mit dem Thema ausgiebig beschäftigt, wenn auch nicht so gründlich und so radikal wie Vahlefeld. Ich habe Phänomene beschrieben, um sie festzuhalten, damit sie nicht im Abgrund der Geschichte verschwinden, Vahlefeld nimmt sie auseinander, bis nur kleine Häufchen von Anmaßung, Elend und Ratlosigkeit übrig bleiben. Ich bin ein Chronist, Vahlefeld ist der Analytiker einer übersättigten, wohlstandsverwahrlosten Gesellschaft, die ihren eigenen Untergang herbeisehnt.

Ein „Lummerland“, wie in einem Märchen von Michael Ende

Er setzt damit die Arbeit von Eike Geisel (1945-1997) fort, der bereits kurz nach dem Fall der Mauer vor der „Wiedergutwerdung der Deutschen“ bzw. Deutschlands gewarnt hat. Inzwischen ist Deutschland „ökologischer, weiblicher, offener, föderaler“ und „weniger militärisch“ geworden (Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der ZEIT), als es je ein Land, eine Gesellschaft in der Geschichte der Menschheit war. Wir sind, sagt Ulrich, „ein besseres Volk“ geworden, und das „ist doch etwas Großartiges“. Ein „Lummerland“, wie in einem Märchen von Michael Ende, das sich aber nur dem erschließt, der das „Tal der Dämmerung“ unter Schmerzen durchquert hat.

Und der „Scheinriese“, der mit zunehmender Entfernung immer größer und mächtiger wird, ist die Vergangenheit. Es handelt sich nicht nur um ein seltsames Phänomen, das allen Regeln der Optik und der Physik widerspricht, sondern um eine Wahrnehmungsstörung, die so weit verbreitet ist, dass sie nicht mehr als Störung empfunden wird. In einer Gesellschaft von Hysterikern würden nur die Nicht-Hysteriker aus der Reihe fallen. Um es mit Johannes Gross (1932-1999) zu sagen: „Je länger das Dritte Reich tot ist, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen.“ Aber auch das Interesse für den Führer, seine Frauen, seine Generäle, seine Krankheiten, seine Hobbies, seine Tierliebe, seine Unterhosen samt Inhalt, seine Ess- und Schlafgewohnheiten, seine Homo- oder überhaupt Sexualität, seine Postkarten und seine Kammerdiener.

Während das Langzeitgedächtnis der Deutschen immer besser funktioniert und die Enkel sich an Ereignisse erinnern können, die den Großeltern entfallen waren, lässt das Kurzzeitgedächtnis immer weiter nach. Ich staune immer wieder, was die „hart arbeitenden Menschen“, an die sich die Politiker aller Parteien wenden, den Politikern so alles durchgehen lassen, als gäbe es kein Internet und kein Google.

Ein Land von Menschen, die ständig „Gesicht zeigen“

Ende August 2015 verkündete die Kanzlerin, die „Bewältigung des Flüchtlingsproblems“ sei „eine nationale Aufgabe, die jeden angeht“, bzw. „eine große, nationale Herausforderung“, an der „jeder seinen Anteil“ übernehmen müsse. Ende April 2017 beriet die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder, wie die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber effizienter gestaltet werden könnte, u.a. durch den Einsatz von freiwilligen Helfern. Dafür sei eine „nationale Kraftanstrengung“ vonnöten. Wie schnell sich doch die nationalen Prioritäten ändern. Früher war es die „Endlösung“, der die „Wiedergutmachung“ folgte. Gestern hieß es „Refugees welcome!“, heute „Refugees go home!“ Ich finde, statt Beamte des mittleren und des gehobenen Dienstes zu requirieren, könnte man die vielen Jubler dienstverpflichten, die die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft begrüßt haben.

Angela Merkel, schreibt Vahlefeld, habe „die Entpolitisierung der Politik“ vorangetrieben, mit dem Ergebnis, dass sich „Politik in salbungsvollen Kitsch“ verwandelt habe. Das ist noch vornehm ausgedrückt. Sie hat die Politik infantilisiert, mit Sätzen wie: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

Ein freundliches Gesicht zu zeigen ist alles, das man leisten muss, um in der Gemeinschaft der Guten einen Platz zugewiesen zu bekommen. Oder einfach nur „Gesicht zeigen“.

Deutschland, ein Land von Menschen, die ständig „Gesicht zeigen“ und mehrmals am Tag mal eben kurz die Welt retten müssen.  Von diesen Menschen und dem Unheil, das sie anrichten, handelt dieses Buch.

Markus Vahlefeld: Mal eben kurz die Welt retten - Die Deutschen zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung, Mai 2017. Erhältlich im Buchhandel, auf amazon oder direkt auf markus-vahlefeld.de

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Wolfgang Richter / 23.05.2017

Der Analyse nach leben wir also in einer Art Demenz-Republik. Stellt sich die Frage, welche Pflegestufe zugebilligt wird, wer diese aufbringen soll. Allerdings steht bei der Diagnose auch fest, daß keine Besserung, bestenfalls eine aufschiebende Abmilderung der Symptome zu erwarten ist,bis das unausweichliche Finale eintritt.  Schland hat sich abgeschafft - und keiner will es wahrnehmen.

Dietrich Herrmann / 23.05.2017

Sehr geehrter Herr Broder - was für ein hervorragender Artikel! Ja, es ist auch krass, wie wendehälsisch die Merkel die Argumentationen der AfD übernommen hat. Diese Frau ist skrupellos in allem was sie tut. Und was geschieht im Volke? Das Schweigen der Lämmer. Und das ist genauso krass. Unbegreiflich. Aber gut, dass es (noch) Menschen gibt, die gegen diesen Niedergang anschreiben.

Horst Jungsbluth / 23.05.2017

Nach dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus ist unser Land eben vom “Infantilismus” befallen, der nur als Vorstufe zum Islamismus gedacht ist, wobei auffällt, dass all diese perversen Ausformungen unter jeweils anderen Verhältnissen von den gleichen Gruppierungen getragen werden. Auch die “schweigende Mehrheit” ist wohl immer die gleiche!

Elmar Schlürscheid / 23.05.2017

Guten Morgen Herr Broder, wenn es nicht so ernst wäre hätte ich einen Lachanfall bekommen. Doch freuen wir uns einfach darüber dass wir Deutschen jetzt echt ach gut geworden sind. Ich habe mir auch schon eine Brille mit Weißfilter gekauft, da fühle ich mich wie im Rosamunde Pilcher Roman. Das ist schön und lässt die unerwünschten Kontraste weg. Herrlich!

Rainer Küper / 23.05.2017

Mit dem Kabinett Merkel XII anno domina 45 im Jahre des Herrn 2050 wird die Welt gerettet sein. Gelobet sei IHR Wirken.

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