Seit George Orwells Farm der Tiere wissen wir, dass in basisdemokratischen Systemen gern am Schluss die Schweine die Kontrolle übernehmen. So wie bei Wikipedia. Dieses von zehntausenden fleißiger Arbeitsbienen zusammengetragene Online-Lexikon gibt es seit 2001; jeder kann mitmachen, alle sind gleich.
Aber einige sind gleicher. Unter den fast 20.000 freiwilligen Helfern der deutschen Wikipedia – und nur um die geht es hier – haben rund 200 sogenannte “Administratoren“ die Zügel in der Hand; sie löschen, ändern, manipulieren, verfälschen Fakten wo es ihnen ins Weltbild passt und bestimmen in einer atemberaubenden Selbstherrlichkeit, was die Allgemeinheit wissen und glauben soll und was nicht.
Wie in jedem Politbüro ist man sich natürlich untereinander nicht immer einig; wie Trotzky und Stalin geht man zuweilen mit Messern (oder sollte ich besser sagen: Eispickeln) aufeinander los, die sogenannten „edit wars“. Aber alles im Rahmen der unantastbaren rot-grünen Einheitsideologie. Das ist die Basisbotschaft des soeben erschienenen, von Andreas Mäckler herausgegebenen Schwarzbuch Wikipedia (Zeitgeist-Verlag, 364 Seiten, Euro 19,90, ISBN 978-3-943007-27-5).
In insgesamt 28 Beiträgen von durchaus gemischter Qualität tragen 25 Wikipedia-Geschädigte, der Schreiber dieser Zeilen eingeschlossen, ihre Erfahrungen mit diesem modernen Desinformations- und Manipulierungsmonster zusammen. Unter dem Titel „Im grünen Bereich ist jeder Einspruch zwecklos“, zeichnet etwa der Schweizer Journalist Alex Baur am Beispiel des Administrators Andol nach, wie zu den Themen Umweltpolitik und Klimawandel nur eine einzige Sicht der Dinge geduldet wird. Baur hat Andol, der sich wie die meisten Administratoren hinter einem Pseudonym verschanzt, als den grünen Lokalpolitiker Andreas Lieb aus Unterfranken identifiziert. „Sein Dauerengagement bei Wikipedia kommt einem Vollzeitjob gleich. Seitdem er 2011 aktiv wurde, hat er mehr als 180 eigene Artikel verfasst und über 20.000 Bearbeitungen an bestehenden Einträgen vorgenommen.“
Nach dem Blickwinkel, aus dem heraus hier die Welt betrachtet wird, muss man nicht lange suchen: „Andol … hat auch 90,8 Prozent der Einträge zum Stichwort Energiewende und 73 Prozent zu Einspeisevergütung verfasst. Ein kritisches Wort zu den Nachteilen alternativer Energieträger sucht man vergeblich. Und hier wird es nun definitiv gespenstisch: Wie ist es möglich, dass eine anonyme Einzelmaske bei einem derart folgenschweren Unterfangen das vielleicht wichtigste Medium im deutschen Sprachraum praktisch solo kontrolliert“ (S. 32). Denn sollte jemand sich zu einer Andol nicht genehmen Meinung erdreisten, ist die am nächsten Tag gelöscht.
Wie von einem Drittklässler geschrieben
Gelöscht wurde auch der Wikipedia-Eintrag des bekannten Paläontologen Günter Bechly, bis 2016 Kurator für Bernstein und fossile Insekten am Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart; einige fossile Insekten, etwa die Kleinlibellenart „Bechlya ericrobinsoni“ aus dem Erdaltertum, sind nach ihm benannt. Aber Bechly hatte das Pech, als gläubiger Mensch bei der streng atheistisch gepolten Wikipedia-Administratorenmehrheit anzuecken.
„Der Umstand, dass ein Evolutionsbiologe, dem kaum Unkenntnis der Argumente für die Evolutionstheorie vorgeworfen werden kann, aufgrund rationaler Überlegungen zu einer kritischen Sicht kommt und die wissenschaftliche Nachweisbarkeit intelligenter Planung in Naturphänomenen vertritt, führte in bestimmten Kreisen, die glauben, eine mechanistische Sicht der Geschichte des Lebens aus weltanschaulichen Gründen vehement verteidigen zu müssen, zu scharfen Reaktionen“ (S. 39).
So Bechly in einem Interview, als dritter Text des Sammelwerkes abgedruckt, mit dem Herausgeber Andreas Mäckler.
Auch ein schon etwa älteres Interview mit dem Scheiber dieser Zeilen ist hier als vierter Beitrag nochmals abgedruckt. Da ging es einmal um die erbärmliche Qualität von Stichwortartikeln zu Themen, in denen ich mich selber auskenne, Empirische Wirtschaftsforschung und Statistik. Viele davon lesen sich, als hätte man einem Drittklässler ein Lehrbuchkapitel zu Lesen gegeben und eine Stunde später gebeten, das ganze aus dem Gedächtnis nochmal aufzuschreiben. Ich hatte das seinerzeit an einem zufällig herausgegriffenen Artikel zum Thema „Korrelation“ exemplifiziert und beim kursorischen Durchlesen gleich vier Fehler gefunden:
1. eine Korrelation zwischen Ereignissen gibt es nicht; 2. die Kullback-Leibler-Divergenz ist kein Maß für Korrelation; 3. eine Kausalbeziehung impliziert nicht notwendig Korrelation; 4. bei einer idealen Diversifikation ist die Korrelation der Renditen negativ (nicht Null, wie behauptet). Davon sind zwei immer noch drin. Insbesondere wird weiter behauptet, eine optimale Diversifikation eines riskanten Portfolios werde erreicht, wenn die Renditen nicht miteinander korrelieren. Dabei sieht man auch ohne jede Kenntnis von Wahrscheinlichkeit sofort, dass eine optimale Diversifikation bei einer Korrelation von -1 entsteht: Die Aktien von A und B steigen im Mittel jedes Jahr um fünf Prozent. Davon weicht A genauso viel nach oben ab wie B nach unten (Korrelation = -1). Kaufe ich beide zu gleichen Teilen, erziele ich eine sichere Rendite von fünf Prozent.
„Wikipedia als Tummelplatz des geistigen Lumpenproletariats“
Diese inhaltlichen Qualitätsdefizite vieler Wikipedia-Artikel sind auch Gegenstand des Beitrags von Volkmar Weiss: „Wikipedia als Tummelplatz des geistigen Lumpenproletariats“. Weiss war von 1990 bis 2007 Leiter der Deutschen Zentralstelle für Genealogie in Leipzig und hatte selbst einst wissenschaftlich fundierte Artikel zu Grundbegriffen und Methoden der Genealogie beigetragen, bis er entnervt ob andauernder amateurhafter Eingriffe in seine Texte das Handtuch warf. „Schreiben vor allem Randexistenzen und Arbeitslose die deutschsprachige Wikipedia“ fragt er sich (S. 219) und liefert auch gleich ein Beispiel mit:
„Seit Jahren arbeite ich jede Woche mindestens einen vollen Tag in einer der großen wissenschaftlichen Bibliotheken in Leipzig. In einer sehe ich an jedem beliebigen Wochentag immer dieselbe Person an ein und demselben Computer mit Internetanschluss sitzen. Der Mann, etwa 40 Jahre alt und äußerlich unauffällig, kommt früh stets als einer der ersten Leser in die Bibliothek und verlässt sie am späten Nachmittag. Den ganzen Tag liest er im Internet oder schreibt selbst Texte, hat neben sich auch einige ausgeliehene Bücher liegen, auf die er sich stützt und aus denen er zitiert. Woran arbeitet ihr? Wer bezahlt ihn? Ein Blick über die Schulter zeigt, es handelt sich um politische Bücher und Foren, in denen er liest und schreibt. Als ich mich beim Bibliothekspersonal nach ihm erkundigen, weiß man sofort Bescheid: er sei arbeitslos und etwas verhaltensgestört, hätte auch schon Hausverbot gehabt, aber man wird ihn nicht los“ (S. 234).
Damit will ich den Einsatz vieler ehrlicher Artikelschreiber (und einer leider nicht durchsetzungsfähigen Minderheit von Administratoren) nicht herabwürdigen; einige kenne ich selbst, Freude und Kollegen, die ihr gesammeltes Wissen, oft nach Eintritt in das Rentenalter, nun kostenlos der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Denen gegenüber steht laut Weiss aber eine mehr oder weniger große
„besondere Gruppe von Nerds, die da herangezüchtet wurde: Schüler, die für Wikipedia mehr Zeit aufbringen als in und für die Schule. Einige davon können das Thema Numerus Clausus also schon mal vergessen. Studierende, bei denen das BAFÖG-Amt wohl irgendwann den Schlussstrich ziehen wird. Mit dem Engagement, dass sie in der Wikipedia zeigen, hätten sie auch das Studium schaffen können. Erfolglose Selbstständige, insbesondere Rechtsanwälte, Ingenieure Versicherungsberater. Es mangelt reichlich an Mandanten. Eben auch eine typische Gruppe mit prekärer Zukunft. Beschäftigungslose Akademiker, die ein paar Wikipedia Artikel vorweisen können, dafür aber keine eigenen Publikationen. Ein Konzept für die Zeit nach dem Studium kam nicht zustande. Das Wort arbeitslos sollte man nicht verwenden, weil sie noch nie eine Arbeit hatten“ (S. 221).
Wikipedia wirft Unterlassungserklärungen in den Papierkorb
in meinem eigenen Beitrag zum Buch geht es um die verzerrte Wikipedia-Darstellung von Personen der Zeitgeschichte, inklusive meiner selbst. Wie bei allen aus dem konservativen oder wirtschaftsliberalen Spektrum wird da mit großem Aufwand eine Verbindung ins rechte oder gar rechtsradikale Milieu konstruiert, zum Beispiel, ich sei sei ein AfD-Professor.
Nun habe ich, obwohl seit 1969 Mitglied der FDP, tatsächlich zu Bernd Luckes Zeiten einmal AfD gewählt, weil das damals die einzige Partei war, die ihre Wähler in Sachen Euro nicht schamlos belogen hat. Mit dem gleichen Recht hätte man mich auch SPD-Professor nennen können, denn auch diese Partei habe ich aus Verzweiflung an meiner eigenen früher ab und zu gewählt.
Auch ein Großteil der übrigen Buchkapitel hat diese extrem verzerrte Personenportraitierung zum Gegenstand. So erläutert ein Fachanwalt für Urheber-und Medienrecht, wie man gegen dergleichen Verleumdungen rechtlich vorgehen kann. Beziehungsweise nicht vorgehen kann. Denn der Adressat derartiger Klagen ist die amerikanische Wikipedia Foundation. Die erhält dann von einem deutschen Gericht eine Unterlassungserklärung zugestellt. Und wirft die in den Papierkorb.
So toben sich dann in der rot-grün beherrschten deutschen Wikipedia ungehemmt und ungestraft recht seltsame Gestalten aus: „Stalkern gleich, beanspruchen solche Wikipedia-Aktivisten die Deutungshoheit über den Text, löschen Wort- und Satzbeiträge anderer Autoren und stellen die eigene Version wieder her“ (Andres Mäckler in dem Beitrag „Problemfeld Personenartikel“, S. 262). „Nach dem Motto: Wer am lautesten schreit und die meiste Zeit am Rechner sitzt, hat recht“
Wie etwa der Administrator Feliks, der sich wie sein vermutetes Vorbild Feliks Dzierzynski, erster Tscheka-Chef nach der Oktoberevolution, an der – heute nur medialen – Hinrichtung seiner Mitmenschen aufrichtet. Feliks wohnt in München und war lange Jahre Funktionär der Linkspartei, seine Identität und sein richtiger Name ist inzwischen bekannt.
Auch andere dieser Zeitgenossen sind inzwischen entlarvt, wie ein dem linksextremen Milieu entstammende Musiklehrer aus Niedersachsen, der unter dem Tarnnamen Kopilot sein Unwesen treibt, oder die „Schwarze Feder“ aus der linken Feministenszene. Alle arbeiten nach dem gleichen Prinzip: "Manipulative Auswahl von Fakten, Verbreitung von Gerüchten, Scheinobjektivität durch Zitieren von zum Teil selbsterzeugten Quellen." (S. 241)
Immer das gleiche System: „Nach außen wird eine neutrale, wissenschaftliche Quelle aus der Soziologie vorgegaukelt. Es ist für nicht eingeweihte Leser nicht erkennbar, dass der Autor des Buches auch im Hintergrund für Wikipedia agiert.“
„Seine Quellen hat Andol zu einem guten Teil selber auf Wikipedia eingebracht,“ schreibt Alex Baur auch zu dem eingangs vorgestellten Wikipedia Vielschreiber und im wahren Leben Funktionär der Grünen Andreas Lieb. „Wenn Andol etwa über das angebliche Rosinenpicken der Klimaleugner schreibt, verweist er auf einen dreiseitigen Beitrag zum Thema Rosinenpicken, den er selber zur dreiviertel verfasst hat und der das Phänomen am Beispiel des Klimaleugners erklärt – der perfekte Selbstläufer: Andol zitiert Andol. Nur merkt der ahnungslose Leser kaum etwas davon“ (S. 32).
Nicht alle Buchkapitel sind derart informativ, gut recherchiert und gut geschrieben wie das von Alex Baur. Einige hätte ich als Herausgeber außen vor gelassen. Denn ein gerechter Zorn auf Wikipedia ist vielleicht eine notwendige, aber keinesfalls eine hinreichende Bedingung für die Aufnahme in ein derartiges Sammelwerk. Für meinen Geschmack gibt es auch etwas viel Homöopathie und Anthroposophie. Wenn ich etwa die Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung der Parawissenschaften (GWUP), der ich selbst seit mehr als 20 Jahren angehöre und in derem wissenschaftlichen Beirat ich lange tätig war, etwas despektierlich als „scientistische Gruppierung“ angesprochen finde (S. 79), dann fasse ich mir an den Kopf.
Leider nur am Rand gehen einige Beiträge auch auf den Missbrauch von Wikipedia als billige PR-Plattform durch bezahlte Mietschreiber ein, der z. B. das Thema der sehr empfehlenswerten Studie Verdeckte PR in Wikipedia von Marvin Oppong (Frankfurt 2014) oder eines kürzlichen umfangreichen Artikels in der Welt am Sonntag gewesen ist („Lügen mit System“, 19, Januar 2020). Diese Defizite sollten aber niemanden abhalten, die von Andreas Mäckler gesammelten Stimmen zumindest einmal zur Kenntnis zu nehmen. Möge sein Buch viele Leser finden.
„Schwarzbuch Wikipedia. Mobbing, Diffamierung und Falschinformation in der Online-Enzyklopädie und was jetzt dagegen getan werden muss“ von Andreas Mäckler (Hrsg.), 2020, Zeitgeist-Verlag, 364 Seiten, Euro 19,90, ISBN 978-3-943007-27-5, hier bestellbar.