Fabian Nicolay / 12.12.2021 / 16:00 / Foto: Pixabay / 6 / Seite ausdrucken

Wiederkäuer allerorten

Lieblingsthemen aufgeheizter Gesellschaften münden meist in eine von Überheblichkeit und Rechthaberei geprägte Diskursstarre, die großspurig als Erfolg der eigenen Moral zelebriert wird. Das Wiederkäuen von Weltrettungsplänen als großer Wurf einer von sich selbst besoffenen Politik einerseits und ihre verbissene Negation durch die außerparlamentarische Opposition andererseits kann die Defizite einer angeblich konsensorientierten Gesellschaft als Hallkörper der Willensbildung nicht mehr verbergen. Man redet nicht miteinander, sondern nur noch über einander, und das in Tönen höchster Erregung. Coolness war gestern.

So ein Lieblingsthema, oder „Narrativ“, besagt zum Beispiel, dass die jeweils andere Seite böse sei und einen Vernichtungsfeldzug gegen Andersdenkende plane. Es scheint unbequem: Ich halte diese Narrative auf beiden Seiten für krass überzogen. Im Grunde hängen beide Kontrahenten der gleichen Verschwörungstheorie an. Nach wie vor kann sich jeder in Deutschland frei äußern, wenn er sich an geltende Gesetze hält und den Gegenwind vertragen kann. Nach wie vor kann man sich auf die normative Kraft des Faktischen verlassen, auch wenn es Zwischenzeiten gibt, in denen das Irrationale zur Ultima ratio erklärt wird. Dafür gibt es genügend historische Belege. Also ist die Melange aus Überdrehtem und Autoritärem keine singuläre Spezialität unserer Gegenwart.

Jedoch muss man seit einiger Zeit mitunter massive Nachteile in Kauf nehmen, wenn man auf der falschen Seite das Wort erhebt und die Wirksamkeit von exponentieller Öffentlichkeit im Internet unterschätzt. Es ist bemerkenswert, wie viele Promis plötzlich als Querulanten gelten, weil sie kollektiv gepflegte Heilsversprechen in Zweifel ziehen. Die Abtrünnigen eint, dass sie sich eines Vergehens schuldig machen, das noch vor wenigen Jahren als normal, schick und salonfähig galt: Man hinterfragte, parodierte, zog ins Lächerliche oder sagte einfach „Nein“. Im Club der Jasager von heute ist ein Nein aber schlimmer als ein Affront. Es ist die definitive Kündigung. Denn der Jasager ist ein pedantischer Konformist.

Impfbereitschaft für ideologische DNA

Neben den legislativen Grenzen der Meinungsfreiheit gibt es eine Unmenge ungeschriebener „Gesetze“, die den politischen Raum längst verlassen haben und sich nun als mediale Serviervorschläge des betreuten Denkens ins Private ausrollen. Diese „Framing“ genannte Variante der gebührenfinanzierten Manipulation ist nichts anderes als Propaganda. Sie soll in Schach halten, was mitläuft, und abstoßen, was nicht willfährig ist. Die einen sollen belehrt und eingehegt, die anderen bezichtigt und vergrämt werden. Das ist auf jeden Fall ein lästiges Unterfangen für selbstdenkende Zuhörer und Zuseher, denen nichts anderes bleibt, als abzuschalten.

Ihr entgegen steht eine phrasendreschende Empörung im Netz, der man zunehmend mit gesetzgeberischer Autorität auf die Pelle rückt. Es gibt eine Unmenge staatlich geförderter, privat organisierter Behinderung von freier Meinungsäußerung, ja, auch Zensur, gegen die man sich aber mit juristischen Mitteln wehren kann. Man muss es „nur“ tun. Das ist allerdings ermüdend und im Nachteil sind diejenigen, denen das Geld dafür fehlt.

Die Impfbereitschaft für ideologische DNA war schon lange nicht mehr so groß wie heute. Wer sich diesen eingeimpften Haltungsnormen offen widersetzt, und deren Inhalte ablehnt, verstößt zumindest gegen die geltende Moral, aber nicht automatisch gegen geltende Gesetze. Dass heute Menschen wegen ihrer unbotmäßigen Meinung – oder der überzogenen Meinung anderer – benachteiligt werden, ist, so glaube ich, anerkannt. Jede Seite leidet auf ihre Weise darunter: Die Pöbelnden unter den Einschränkungen, Zurechtweisungen und Verfolgungen; die Bepöbelten unter den Beleidigungen, den Hasstiraden und dem dumpfen Klang alter Ressentiments. Vice versa.

Konflikte wurden früher in kommunizierenden Röhren ausgetragen, sie waren ebenbürtige Konkurrenten, weil Meinungsverschiedenheiten in einer demokratischen Gesellschaft nun mal zu diametralen Standpunkten führen können. Man überwand den Dissens, indem man zunächst die Ähnlichkeiten der Bedürfnisse entdeckte. Wo das nicht ging, entschied die Mehrheit – oder das Faktische. An diesem Punkt sind wir auch heute, auch wenn es den Konfliktparteien oft gar nicht mehr um Einigung geht und das Aufeinander-Zugehen strikt abgelehnt wird: Die Mehrheit oder das Faktische werden entscheiden. Heute fürchten sich beide Konfliktseiten: die eine vor der Mehrheit, die andere vor dem Faktischen, so scheint es.

Nervenzermürbendes Warten

Die Politik und ihre Gegner kämpfen gegenwärtig nicht um das bessere Argument, sondern um die wirksamste Zuweisung stigmatisierender Attribute. Aber da kaum jemand bereit ist, einzulenken und wieder zuzuhören, verhärten sich die Fronten immer mehr, und der Drang zur Nötigung wird immer größer. Was soll das für eine Politik sein, die nicht mehr argumentieren möchte und nun zu den Mitteln der Verpflichtung, des Zwangs und der ordnungsstaatlichen Verfolgung von Zuwiderhandelnden übergeht? Es ist schön, dass diese Politik sich vor dem Hintergrund des Faktischen selbst ein Zeugnis ausstellen wird. Leider ist das Warten darauf nervenzermürbend.

Es ist ja eine nahezu romantische Vorstellung, dass demokratische Auseinandersetzungen gepflegtem Stil folgen. Sie müssen nicht höflich, nicht mal gesittet sein, das waren Sie noch nie. Neu ist allerdings das „Mimimi“, das sich selbst als Opfer der Entgleisung Anderer Bezeichnen und das gegenseitige Absprechen von Legitimität aufgrund tief empfundenen Angewidert-Seins. Wer in einer Demokratie auf Andere zeigt und offen sagt „Du bist der Feind für alle Zeit“, hat mit der Demokratie abgeschlossen. Auch viele Politiker neigen leider zu solchen Reflexen, weil sie glauben, dass das Äußern tief empfundener Abscheu Kompetenz suggeriert. Das Gegenteil ist der Fall. Solche Menschen sind nur Wiederkäuer eigener Ressentiments. Gerade die Menschen, die politischen Rückenwind zu verspüren glauben, sollten also bedächtiger vorgehen.

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Leserpost

netiquette:

Florian Teubert / 12.12.2021

Das mit der Freiheit der Meinungsäußerung ist so eine Sache.  Ganz ähnlich wie bei dem nur graduellen Unterschied zwischen Impfpflicht und Impfzwang verhält es sich auch mit der Freiheit, Positionen zu vertreten, die aus der Sicht der herrschenden Eliten in Medien und Politik nicht opportun sind. Natürlich kann ich in unserem Land meine Meinung im Rahmen der Gesetze äußern, ohne dass ich eingesperrt werde. Aber die Tatsache, dass berechtigte und zugleich moderate Meinungen abseits des Mainstreams nicht mehr gehört und sanktioniert werden, ist in Ansätzen bereits totalitär. Denn was anderes ist es, wenn ich bei Nichtimpfung aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt werden und nicht einmal mehr einen Laden betreten kann? Und was anderes ist es, wenn ich aufgrund eigenständiger Gedanken beispielsweise in meiner beruflichen Entwicklung ausgebremst oder gar aus beruflichen Positionen entfernt werde? Diese Fälle gibt es ja. Man denke nur an Maaßen, Professor Wagener vom BND und den bayerischen Gesundheitsamtleiter Pürner. Und das sind nur die prominenten Fälle. Systematische Ausgrenzung ist etwas anderes als “Gegenwind”, den man zu ertragen hat.

Hans-Peter Dollhopf / 12.12.2021

no time to repent

Sabine Schönfelder / 12.12.2021

Der @Herausgeber behauptet: „So ein Lieblingsthema, oder „Narrativ“, besagt zum Beispiel, dass die jeweils andere Seite böse sei und einen Vernichtungsfeldzug gegen Andersdenkende plane“. Das hört sich wirklich zutraulich demokratisch an, Herr Nicolay. Sie vergessen nur eine ´wönzige ˋ Kleinigkeit. Wenn Lindner, Scholz und Habeck Restriktionen und Erziehungsmaßnahmen fordern, evident- wissenschaftlich völlig unbegründet, die bereits letzten Winter NACHWEISLICH erfolglos waren, dann haben Sie eine gleichgeschaltete Medienmacht, irrsinnig riesige Geldbeträge, die Exekutive, Legislative und die JUDIKATIVE ideologisch und machtstrukturell zur Verfügung stehen. Während sich auf der anderen Seite, ein kritischer Blog, mit wenig Geld, einem engagierten Herrn Maxeiner und Herrn Steinhöfel, gegen diese Phalanx positionieren muß. Sie schreiben, „Nach wie vor kann man sich auf die normative Kraft des Faktischen verlassen,..“. Sie sind ein Mann mit Humor. Ebenso: „Die Mehrheit oder das Faktische werden entscheiden. Heute fürchten sich beide Konfliktseiten: die eine vor der Mehrheit, die andere vor dem Faktischen, so scheint es.“ Mit Verlaub, ein Satz der völlig an der Realität vorbeizieht. Die „Impfmehrheit“ wurde mit Non-Stop-Propaganda, ENORMEM DRUCK, Erpressung, ANGST, Ausgrenzung und einer Milliarden- schweren wirtschaftlichen Restriktionspolitik herbei genötigt, ökonomischer Niedergang inbegriffen oder sogar beabsichtigt. WIEDERHOLT. Das ist eine sch@iß Mehrheit. „Das Faktische“ ist die Folge dessen, was mit Gewalt erzwungen wurde! Sie beschwichtigen. Ein sich ständig änderndes Infektionschutzgesetz, gilt mittlerweile auch OHNE INFEKTION. Das übersteigt den „schlechtesten Stil einer demokratischen Auseinandersetzung“ BEI WEITEM. Das ist längst diktatorisch. Was versprechen Sie sich mit Ihrer Relativierung. Wenn kritische Blogs ausgelöscht werden, wird Achgut dabei sein. Da hilft auch kein „bürgerliches Entgegenkommen“. Wetten?

R. Reiger / 12.12.2021

Duden: “Das Ressentiment ist eine auf Vorurteilen, einem Gefühl der Unterlegenheit, Neid oder Ähnlichem beruhende gefühlsmäßige, oft unbewusste Abneigung.” Es gibt Politiker, die pflegen die Leute des Ressentiments und holen sich dort ihre Stimmen.

Wolf Hagen / 12.12.2021

Leider sehen Sie, Herr Nicolay, da das eine oder andere falsch. Sie schreiben, man könne noch immer sagen, was man wolle und müsse sich bei Behinderung der Meinungsäußerung “nur” dagegen wehren. Einschränkend erwähnen Sie, wenn man dafür das nötige “Kleingeld” hat. In einer echten Demokratie ist allerdings Meinungsfreiheit keine Sache des Geldbeutels, sondern garantiertes Grundrecht. In der bundesdeutschen Realität sieht es aber so aus, dass der freien Meinungsäußerung nicht nur die absurden Moralvorstellungen linker Ideologen und woker Schneeflöckchen entgegen stehen, die dann einen “Gegenwind” erzeugen, den man eben aushalten muss. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von Normen, einige sinnvoll, etwa wenn sie objektive Beleidigungen, oder Bedrohungen betreffen, einige fragwürdig, wie etwa bei Volksverhetzung, da diese Norm eher kaugummiartig ist und in der Realität ausschließlich gegen rechte Äußerungen angewandt wird und einige völlig blödsinnig, wie etwa das NetzDG. Nun waren Gerichte, sofern man sich deren Anrufung leisten kann, noch nie besonders objektiv, es heißt ja nicht umsonst vor Gericht und auf hoher See sei man allein in Gottes Hand, aber mittlerweile ist die deutsche Rechtsprechung eindeutig ideologisch und politisch geprägt, man denke nur an die Entscheidungen des BVG zur Zwangsfinanzierung des ÖR und zur Klimarettung. Aber selbst wenn ein Gericht positiv für einen selbst entscheidet, rettet das noch lange nicht vor sozialer Ächtung und noch schlimmer vor der wirtschaftlichen Vernichtung, etwa durch Jobverlust. Und da schreiben Sie ernsthaft noch von Meinungsfreiheit, Herr Nicolay?! Offenbar leben Sie in einem anderen Deutschland, als ich und die meisten hier. Ich sage Ihnen, solange es keine echte Meinungsfreiheit gibt, solange gibt es auch keinen Frieden, keine Annährung, keine sachliche Debatte und es wird böse enden.

Hjalmar Kreutzer / 12.12.2021

Die Auseinandersetzung ist leider etwas asymmetrisch, Herr Nicolay, Die Machthaber bestimmen mit Politik, Medien, Gesetzen und Verordnungen und notfalls mit Justiz und Polizei, welche Meinungen als richtig zu gelten haben, die Gegner der Regierungspolitik haben nur ihre Friedfertigkeit und ihre Argumente, die leider nur in alternativen Medien überhaupt wahrzunehmen sind und dort häufig wegzensiert oder als Hass und Hetze, rechtsradikal, antisemitisch oder sonstwie blödsinnig diffamiert werden. Die vielbeschworene „Radikalisierung“ nehme ich auch eher auf Seiten der Machthaber in Worten und Taten wahr.

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