Wie von einem anderen Stern

Manchmal kann es sehr interessant sein, alte Zeitungen zu wälzen und Kommentare zu lesen, die heute wirken wie von einem anderen – nein: wie von einem unerreichbar erscheinenden – Stern, fast so wie einst der Ku'damm für die Ostberliner (schluck!):

Mit einem sensationellen, erdrutschartigen Erfolg für die Union endete die Wahl. Helmut Kohl hat sich als der starke Magnet erwiesen, noch stärker als 1976, als er CDU und CSU gegen Schmidt und Genscher an die Schwelle der Regierungsmehrheit führte.

Das Ergebnis von Bonn und von Mainz ist eine Entscheidung gegen die Vision, eine rot-grüne Mehrheit werde das Land in die Unberechenbarkeit und Handlungsunfähigkeit führen. Aus dieser Möglichkeit, zu der die Angst in Deutschland gewandert ist, wurde nichts. Eine klare bürgerliche Mehrheit wird das Land regieren. Die Republik wird nicht „anders“. Sie bleibt die Republik, wie sie Konrad Adenauer an ihrem Anbeginn aufbaute. Die Entscheidung für die Kräfte der sozialen und freien Marktwirtschaft und für den Platz der Bundesrepublik Deutschland im westlichen Bündnis ist trotz massiver Versuche Moskaus, das Ergebnis zu beeinflussen, gefallen. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein freies Land.

Wer hätte das vor 37 Jahren gedacht ...

Helmut Kohl ist der strahlende Sieger mit der Auszeichnung, tatsächlich der „Enkel Konrad Adenauers“ zu sein. Die Sozialdemokraten haben verloren. Sie mußten den Preis für eine Politik der Überforderung der deutschen Wirtschaftskraft und der außenpolitschen Möglichkeiten dieses Landes zahlen. Die Bürger entschieden sich für den Realismus, für unsere tatsächlichen Möglichkeiten, für die größere Kompetenz, für den Mut zum Aufschwung und gegen die Angst, gegen die Raketenangst und gegen die Angst, diese Deutschen hätten nicht mehr die Kraft, sich aus Leistung und Investition zu sanieren.

am Ende stand ein klares Bild: Die Union erhielt die absolute Mehrheit nicht, sie blieb vor dieser Grenze stehen in einer Distanz, welche die Liberalen unverzichtbar macht für Jahre des stabilen Regierens ... Die Liberalen sind da und sie sind notwendig ...

Diese Zeilen schrieb der begnadete Herbert Kremp in der WELT vom 7. März 1983 auf Seite 1 unter „Der Enkel Adenauers“. Anlass war die Bundestagswahl vom 6. März 1983. Natürlich war dieser Kommentar nur eine Momentaufnahme, und natürlich kann man dem Gespann Kohl/Genscher Fehler anlasten. Doch das gilt für ausnahmslos jede Regierung. Aber darum geht es hier nicht, und auch nicht darum, ob man Kohl mochte oder nicht. Sondern: doch, wir konnten es schon einmal, sogar lange und erfolgreich: „Mitte“  und „liberal“. Oder liberal-konservativ, als dieser Ausdruck noch kein Schimpfwort war. Sondern ein Markenzeichen der Bundesrepublik Deutschland, und es war nicht das schlechteste. 

Heute ist es vergeben und vergessen, am allermeisten von den Unionsparteien selbst, und die verbliebenen Protagonisten einer Union Adenauer'scher, Erhard'scher und Kohl'scher Prägung müssen sich warm anziehen. Wer hätte das vor 37 Jahren gedacht.

Foto: Bundesarchiv/Arne Schambeck CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Leserpost

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W.Mayer / 03.03.2020

Der Wertekanon war ein anderer. “Das gehört sich nicht, das ist unehrenhaft” waren noch Eckpfeiler einer Gesellschaft die dann über ihre eigenen Schnürsenkel gestolpert ist. Ich bin auch kein Dr.  nur ein Handwerker aber ich hab Karl Kraus gelesen. Was unterscheideten denn die Protagonisten von damals von den Fädenziehern von heute… nix. Nach der Kathastrophe gibt es immer die Gewinnler und die Verlierer. Obwohl .. die Gewinner würden heute auch nur ein paar Tage länger leben .... und die Toten beneiden. Die haben´s hinter sich.

Ferenc v.Szita - Dámosy / 03.03.2020

...wie hieß es doch so schön im „Reich des Indra” von Paul Linke: Wenn auch die Jahre enteilen, /bleibt die Erinnerung noch, /selige Träume verweilen /ewig im Herzen dir doch. /Schwindet auch trüg’risch von hinnen /was heut’ noch dein Ideal, /denke: die Märchen beginnen /alle „Es war einmal!“ —-  ;-)

Margit Broetz / 03.03.2020

Die von Kohl beschworene “geistig-moralische Wende” bestand darin: Korruption (“wg. FJS” schrieb Brauchitsch ins Notizbuch) wurde nun offiziell Teil der Politik, dazu begann der Kampf gegen das eigene Volk, den die Größte Kanzlerin aller Zeiten nur fortsetzt. Die versprochene Senkung der Arbeitslosigkeit blieb aus, die “Gastarbeiter” dagegen da. Genscher und sein Nachfolger Kinkel ergänzten das um den ersten - und auch noch völkerrechtswidrigen - Angriffskrieg der Bundesrepublik, mußten aber auf Kohls Abdankung warten. Belgrad wurde so die einzige Hauptstadt, die in drei Kriegen des 20. Jahrhunderts von deutschen Flugzeugen bombardiert wurde. Immerhin hieß “liberal” damals a u c h Bürgerrechte, nicht nur neoliberaler Marktfundamentalismus.

C. Döring / 03.03.2020

Wie bereits einige Kommentare verlauten lassen: Die Diagnose ist vielfältig und umfasst bestimmt auch mehrere F-Nummern aus dem Reigen der ICD 10 Codierung. Am plausibelsten ist mir jedoch die Theorie, dass es heutzutage und insbesondere in Deutschland am deutlichsten an der Fachkompetenz der handelnden / entscheidenden Personen mangelt. Dies kann daran liegen, dass die Motivation des Einzelnen, sich politisch zu engagieren, nicht mehr auf Beweggründen beruht, die wir heute in der Rückschau Persönlichkeiten wie Adenauer, Schmidt, Kohl oder selbst sogar Brandt und Schröder zusprechen . Gewiss ist vielen Personen in Führungsverantwortung ein gewisses Maß an Machtbesessenheit oder gar Narzissmus nachzusagen. Leider paaren sich diese auch heute noch zweifelsohne vorherrschenden Charaktereigenschaften aber nicht mehr mit grundlegenden Fachkenntnissen, der Verantwortung für und dem Wissen über Menschen außerhalb des eigenen Café-Bezirks oder mit der Bereitschaft, für bestimmte Überzeugungen auch mal Tiefschläge in Kauf zu nehmen. Diese “Skills” spielen bei der Berufswahl eines angehenden Berufspolitikers heute eher nicht die entscheidende Rolle. Vielmehr sind es die machtbesessenen Einäugigen unter den narzisstischen Blinden, die in der Abwägung von Aufwand und Nutzen (ob mit oder ohne realistische Einschätzung des eigenen fachlichen Unvermögens - das gleicht der Narzissmus so oder so aus) eine politische Karriere wählen. Für den Facharbeiter ungeeignet, aber die notwendige charakterliche Schwäche und zugleich Schläue, aus dem eigenen Unvermögen den größten Profit zu schlagen. Und das ohne Einstellungstest. Aus diesem Grund herrscht zunehmend Fachkräftemangel, insbesondere in den Reihen der politischen “Eliten”. Aber wie sagte immer Bohlen bei DSDS: “Junge, hat dir noch keiner deiner Kumpels gesagt, dass du nicht singen kannst?!” - “Nee?!” (denn die können es ja auch nicht und wenn er sich selbst zuhört, klingt es toll)

Rolf Mainz / 03.03.2020

Seinerzeit wurde “rot-grün” meist spontan mit “Chaos” assoziiert. Wie wahr. Nur, dass die CDU inzwischen selbst zum rot-grünen Abklatsch mutierte.

Karsten Dörre / 03.03.2020

“...trotz massiver Versuche Moskaus, das Ergebnis zu beeinflussen…” Selbst dieses Zitat geht bei Analyse und Vergleich zu heute wortlos unter. Heutzutage wandeln wir in der Corona-Paranoia und merken vom wirklichen Virus absolut nichts mehr. Moskau hat links wie rechts ein Interesse, Deutschland zu destabilisieren. Beide deutsch-extreme Strömungen sind gern gesehene Gäste in Moskau.

A.Lisboa / 03.03.2020

Die Deutschen suchen nun halt mal wieder für die nächsten 50-70 Jahre (danach sind die Immobilien alle kurz davor, nicht mehr bewohnbar zu sein) ihr Heil im Sozialismus gepaart mit Multikulti und professionalisiertem Nichtwissen in allen Disziplinen. Na und, lasst sie doch, die Erde dreht sich weiter!

sybille eden / 03.03.2020

Die “verbliebenen Protagonisten” sind leider bald verblichen, liebe Frau Drewes. Es ist ja eine neue Generation am Start, eine die mit der Adenauerschen u, Kohlschen Republik nichts mehr am Hut hat. Diese Generation ist das Ergebniss der linken,kollektivistischen Bildungspolitik, die mit Weinbrand - Willy seinen Anfang nahm. Die Grünen Marxisten haben mit der “Zurichtung” der Jugend einen vollen Erfolg gehabt und nun ernten sie die Früchte ihrer sehr vorausschauenden Einflussnahme, b.z.w. Gehirnwäsche. Nein, es wird niemals eine Widerkehr echter bürgerliche Verhältnisse geben, schon garnicht mit einem so opportunistischen und feigen politischem “Bürgertum” wie wir es leider haben. Traurig, aber nicht zu ändern.

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