Wenn der Staat sich um die Gesundheit seiner Bürger sorgt, dauert es nicht lange, bis der Verdacht des Paternalismus im Raum steht. Gerade in Demokratien, wo herrschaftliche Maßnahmen besonderer Begründungen bedürfen, hilft dieser wohlwollende Autoritarismus, den Zwang, den er zwangsläufig mit sich bringt, erträglicher zu machen. Politiker sehen sich gerne als zentrale Intelligenz, als letzte Instanz der Weisheit, die genau wissen, was die Menschen zu wollen haben. Die ehrlichste und wenig charmante Begründung für meinen Liberalismus ist dagegen die Erkenntnis, dass ich schlicht nicht weiß, welche Bedürfnisse der andere hat. Ich weiß es einfach nicht. Diese Tatsache kann in einer Partnerschaft bereits zu einer Herausforderung werden. Bei fremden Menschen ist die Behauptung, von deren Bedürfnissen genau Bescheid zu wissen, pure Anmaßung. Doch genau das versucht der Staat immer wieder.
Das Bazillus des Paternalismus infizierte auch längst unseren Gesundheitsminister Jens Spahn. Zu einfach, zu greifbar und zu machbar kommt das gut gemeinte Diktat an Verboten und Erlässen daher. Er will doch nichts Böses, der Jens. Aber Sie wissen ja, wie es ist, mit dem „gut meinen“ und „gut machen“. Das sind häufig ganz schön unterschiedliche Dinge. Doch Spahn wollte es erzwingen, den edlen Paternalismus. Am Ende scheiterte er, das bitte ich Sie, wörtlich zu nehmen nehmen, kläglich. Doch eins nach dem anderen.
Alles begann im November des vergangenen Jahres. Die Menschen bereiteten sich auf die neuen Maßnahmen der Politik, um Covid zu besiegen, vor. Wellenbrecherlockdown, Dauerwelle. Viel Welle, viel Angst. Angst vor dem Virus und wahrscheinlich bei den meisten noch mehr Angst vor den Maßnahmen. Ich kann es nur mit der Überforderung und Überlagerung von Themen rund um Covid erklären, dass der Deal von Spahn mit Google nicht ausreichend besprochen wurde.
Ich mache den Bürgern hier wirklich keinen Vorwurf. Jeder verfügt über einen mentalen und emotionalen Haushalt, der hilft, Schreckensnachrichten zu verarbeiten. Und bei der täglichen Litanei an Infektions- und Todeszahlen, Horrorbilder, Triage-Ängsten und der Grausamkeiten mehr, kann ich es verstehen, dass andere, ebenfalls wichtige Themen weniger Gehör finden. Doch die Verabredung mit der größten Suchmaschine der Welt und dem Gesundheitsminister ist es wert, genauer beleuchtet zu werden. Zeigt es ein höchst problematisches Bild von Spahn zur Eigenverantwortung des Menschen einerseits und zur Pressefreiheit andererseits.
Was Wahrheit ist, bestimme immer noch ich
„Wer Gesundheit googelt, soll zukünftig auf dem Nationalen Gesundheitsportal landen“, verkündete der CDU-Politiker im November 2020. Google verpflichtete sich, dass Menschen, die zum Beispiel „Fieber“ oder „Corona“ eingeben, zuerst auf das Gesundheitsportal des Ministeriums verwiesen werden. Heißt konkret: Nutzer werden eher auf die gewünschte Seite klicken, da sie vor anderen Angeboten platziert sind.
Diese Absprache bewertete die Firma Netdoktor GmbH, die die bekannte sowie gleichnamige Homepage betreibt, klagewürdig und zog vor das Landgericht München. Die private Gesundheitsseite fühlte sich benachteiligt und bekam Recht. Im Eilverfahren sah der richterliche Vorsitz den Deal als einen Kartellverstoß. Gegen den Deal hatte der Betreiber des Onlineportals NetDoktor.de wegen Verstößen gegen das Wettbewerbs- und Kartellrecht geklagt. Es bestehe die Gefahr, dass private Anbieter verdrängt werden und somit eine „Reduzierung der Medien- und Meinungsvielfalt“ stattfindet. „Don‘t be evil“? Naja.
Einen zentralen Kritikpunkt beschrieb die Richterin in der Subvention der Vermarktung von Google als Monopolist. Da neun von zehn Deutschen die Websuche von Alphabet nutzen, setze die Kooperation „den freien Wettbewerb außer Kraft“. Dieser juristische Nieranschlag dürfte auch noch im Kanzleramt zu spüren gewesen sein.
Spahns Vorhaben muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Das Gesundheitsministerium bezahlt einen de facto Suchmaschinen-Monopolisten, dass dieser behördlich auserkorene Inhalte des staatlich kontrollierten Gesundheitsportals vornehmlich anzeigt. Der Staat setzt seine Inhalte durch. Frei nach dem Motto: „Was wahr ist und was nicht, entscheide immer noch ich.“ Und die Partei, die hat immer recht.
Freie Justiz muss sich durchsetzen
Die zentrale Intelligenz, das allwissende Amt, nimmt Maß und wird zu einer maßlosen Krake mit Tentakeln voll von gut gemeinten Absichten. Doch welchen Weg diese pflastern, ist bekannt. Zu Ende gedacht bedeutet diese staatliche Maßgabe das Ende der Pressefreiheit. Amtliche Portale bestimmen dann die Relevanz und Gewichtung von Informationen.
Ebenfalls zu Ende gedacht, hätte dieser Deal bedeutet, dass Merkels Expertenrat, der vor Lockdown-Befürwortern nur so strotzt, noch sichtbarer gewesen wäre. Würde der gemeine Nutzer zum Beispiel „Maßnahmen“ oder „Covid Experten“ googlen, wäre es nicht unwahrscheinlich, dass als erste Drosten, Wieler oder Brinkmann über das staatliche Gesundheitsportal angezeigt worden wäre. Man kann der Richterin für ihren klaren Blick nur gratulieren und hoffen, dass sich in diesem Jahr möglichst viele Richter an ihre unbestechliche Unabhängigkeit halten. Denn das Unbehagen in der Justiz nimmt zu. Viele sehen statt Verhältnismäßigkeit Maßlosigkeit in den politischen Entscheidungen. Ich habe das Vertrauen in unsere Gerichte nicht verloren. Solche Urteile bestärken mich dabei.
Im Jahr 2020 von Corona hat der Staat nicht nur seine herrschaftliche, sondern auch seine perfide Fratze gezeigt. Das Innenministerium spannte Wissenschaftler mit in ihre PR-Strategie ein. So sollten die Professoren für schlechte Zahlen sorgen, um den „hohen Handlungsdruck aufzuzeigen, so Staatssekretär Markus Kerber. Die Chance auf Selbsteinschätzung objektiver Zahlen und Fakten wird dem Bürger nicht zugetraut. Da muss der Staat als Vormund dem Mündel den Weg aufweisen, wie er zu handeln oder hier konkreter, zu denken hat. Paternalismus ist in der Demokratie die buckelige Verwandtschaft der Diktatur. Doch es ist wie überall: Es braucht ein Volk, das sich diese Politik gefallen lässt.
Und, wie im Falle des Spahn-Google-Komplex, um eben das zu verhindern, benötigt es eine freie Justiz.
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