Vera Lengsfeld / 17.03.2019 / 15:30 / 11 / Seite ausdrucken

Wie Sachsen die Welt sehen

Antje Hermenau, Ex-Grüne, Ex-Politikerin und Unternehmerin, hat Anfang März das Buch „Ansichten aus der Mitte Europas – Wie Sachsen die Welt sehen" vorgestellt. Es ist eine scharfe Analyse des gegenwärtigen Versagens der Politik und der meinungsmachenden Klasse. Hermenau tut es mit Gelassenheit und vor allem Humor. Das ist wohltuend in einer Zeit, in der allzu Vielen das Lachen vergeht, ob der wachsenden Infantilisierung des Zeitgeistes. Ihr Buch, sagt sie, sei eine „Liebeserklärug an Sachsen, Deutschland und Europa. Exakt in dieser Reihenfolge.“ Warum es so und nicht umgekehrt sein muss, legt Hermenau in aller Deutlichkeit dar. 

Hermenaus Ausführungen kann man auch als Anwendung der Analyse Paul Colliers in seinem kürzlich erschienenen Buch „Sozialer Kapitalismus“ auf Deutschland lesen. Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Gedankengänge ähneln. Wie Collier sieht Hermenau den Wiederaufbau der zerrütteten westlichen Gesellschaft um Familie, Unternehmen und Nation herum. Wie Collier stellt sie immer wieder historische Bezüge her. Sie ruft ihren Lesern die Entwicklung der sächsischen Kulturlandschaft in Erinnerung und hat dabei Ost-Mitteleuropa im Blick, das eng mit Sachsen verbunden ist.

Sachsen sei immer ein Zuwanderungsland gewesen. Das war keine Schwäche, sondern seine Stärke, denn die Zuwanderer hätten sich integriert und ihren Beitrag zur Entwicklung des Landes geleistet. Dass den Deutschen heute von den Globalisten suggeriert wird, keine Deutschen mehr sein zu sollen, macht die Integration von Zuwanderern schwierig. Ein Hemmnis ist auch, dass die Willkommespolitik von Kanzlerin Merkel nicht zwischen politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsmigranten unterscheiden will. Das Einwanderungsgesetz kam Jahrzehnte zu spät und ist halbherzig. Außerdem wird es einfach auf die ungeregelte Zuwanderung draufgepackt, statt endlich die notwendigen Unterscheidungen zu treffen.

Wie Collier geht Hermenau auf die Herausbildung der neuen urbanen „Elite“ ein, die sich in der Welt, nicht mehr in einem bestimmten Land zuhause fühlt. Diese Elite kann nur existieren, weil sie von der von ihr verachteten Provinz ernährt wird. Wenn sie in der Welt scheitert, kann sie sich jederzeit hierher zurückziehen. Die Lebensweise derer, die von Collier in einem Wortspiel Weirds ("western, educated, industrial, rich, developed", zugleich weird englisch = "irre"), ist ohne die Provinz undenkbar. Hermenau nennt sie  Weltenbummler. Ihr Multikulturalismus hat den Westen erst in die Sackgasse, dann an den Rand des Zerfalls geführt.

Die Erneuerung kann nur von der Provinz ausgehen. Die Politik hat sichtbar weder Ideen noch eine Strategie. Sie flüchtet sich immer mehr in Irrationalitäten, wie man am aktuellen Hype um die von den Medien als Ikone der Umweltbewegung hochgeschriebene Greta und ihre Gefolgschaft beobachten kann. Eigentlich müsste schon der Müll, den die besorgten Schüler auf ihren Fridays for Future-Demos hinterlassen, nachdenklich machen, ob es den „Aktivisten“ tatsächlich um die Umwelt geht oder um öffentlichen Aufmerksamkeit.

Mittelständler sind am ehesten „ethische Unternehmen“

Der Selbstmord Europas durch Kulturrelativismus, so Hermenau, geht auf das Konto der EU, die nicht die Lösung, sondern das Problem ist. „Sie beschäftigt sich viel zu wenig mit wichtigen gemeinsamen Themen wie der Sicherung der EU-Außengrenzen (das musste dann das kleine Ungarn für sie erledigen und wurde dafür noch heftig beschimpft). Aber auch auf ökonomischen Gebiet versagt sie. Was ist mit einer gemeinsamen Energie- und Rohstoffstrategie, die uns geopolitisch unabhängig bleiben lässt oder einer Wachstumsstrategie, die sich strategisch auf den Mittelstand konzentriert, der bodenständig und heimatverbunden ist?“ Mittelständische Familienbetriebe sind am ehesten das, was Collier als „ethische Unternehmen“ bezeichnet.

Nicht die globale Oligarchenschicht, sondern der Mittelstand hat sich 2008 als krisenresistent erwiesen und wird das auch künftig sein. Die Global Player haben das bis heute nicht begriffen. Hermenau ist dennoch optimistisch: „Das Verhalten der EU …hat die Selbsterhaltungsinstinkte der Bürger in Mitteleuropa geweckt. Sie werden in ihren diversen regionalen Gemeinschaften überleben, die sich selbst realistisch einschätzen können und nicht als sinnentleerte, bindungslose Individuen enden, die sich überschätzen und im globalen Meer ersaufen“.

Nach dem Mauerfall sei der Fehler gemacht worden, den Westen nachzubauen, „ohne die über Jahrhunderte gewachsene Struktur und Zugehörigkeit unseres Landes zu Mitteleuropa zu berücksichtigen“. Dieser Fehler muss jetzt korrigiert werden. Derzeit entwickelt sich Mitteleuropa wieder zu dem, was es vor dem unseligen 20. Jahrhundert war – dem Kern Europas. „Und es macht sich daran, der dynamische Kern der Erneuerung der Europäischen Union zu werden, indem es mit der alten EU, wie sie mit dem Kalten Krieg aufgebaut wurde, bricht.“ Die EU muss neu aufgestellt werden. „Europa braucht eine gemeinsame Verteidigungsstrategie, eine gemeinsame Energie- und Rohstoffpolitik, eine solide gemeinsame Finanzpolitik oder lieber keine Gemeinschaftswährung… dafür eine gemeinsame Grenzsicherung mit gut abgestimmter Migration und klaren Integrationsvorgaben.“ Die EU erfindet stattdessen Probleme, die keine sind und produziert dabei Unmengen bürokratischer Hemmnisse und Fässer ohne Boden für öffentliche Ausgaben. Das ernährt die globale Elite, ruiniert aber die Substanz Europas. 

Westeuropa ist dabei, den Kurs von Freiheit und Wettbewerb zu verlassen. Auf diesem Kurs wird Osteuropa nicht folgen. „Der ehemalige Ostblock hat bewiesen, dass politische und wirtschaftliche Freiheit zusammen zum Erfolg führen können… Die große Vielfalt vieler Kleiner hat durch den ökonomischen und gesellschaftlichen Wettbewerb Mitteleuropa eine zivilisatorische Blüte beschert… Im Kern geht es wohl darum, dass die Osteuropäer beweisen haben, dass der Kapitalismus funktioniert.“

Osteuropa wird die Errungenschaften der Freiheit nicht wieder hergeben

Colliers „ethischer Kapitalismus“ ist hier bereits Realität. Das werden sich die Osteuropäer nicht wieder nehmen lassen. Sie haben sich in der Friedlichen Revolution 1989/90 ihre Freiheit und Unabhängigkeit unter großen Risiken erkämpft. Sie werden ihre Errungenschaften nicht wieder für ideologische Experimente hergeben. 

Westeuropa ist kein Vorbild mehr. Die Eurorettungspolitik, die Überhöhung der europäischen Idee als Religion beziehungsweise als Vorstufe zu einer grenzenlosen Welt ließen starke Zweifel an der westeuropäischen Kompetenz aufkommen. Osteuropa wird sich nicht kulturell kolonialisieren lassen. „Der EU-Kommission steht keine göttliche Dignität zu, und ihre Verlautbarungen sind nicht das kommunistische Manifest. Sie ist ein Verwaltungsinstrument, sonst nichts.“ 

Der Sachse ist gemütlich, also geduldig. Er trinkt erst einmal Kaffee, bevor er sich aufregt oder gar aktiv wird. Wenn es ihm aber zu bunt wird, geht er auf die Straße. Es hat sich schon einmal gezeigt, dass ihm Osteuropa gefolgt ist. Wenn Westeuropa geistig zu schwach ist, kommt Sachsen mit seinen Verbündeten gern zu Hilfe. Hier gibt es noch stimmige Analysen, Ideen und Lösungsvorschläge. Hermenaus Buch ist voll davon. 

Antje Hermenau, „Ansichten aus der Mitte Europas – Wie Sachsen die Welt sehen"

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Dr. Gerhard Giesemann / 17.03.2019

Mein Fluglehrer Waldi selig (abgestürzt mit seiner “Alouette II”, einem Polizeihubschrauber der Landespolizei BW, vor langer Zeit - war sein Fehler, Kavalierstart, der schief gegangen war. Hätte ich sowas gemacht, hätte er mich in den Senkel gestellt wie einen Schick) pflegte zu sagen, im Kriech WW II: Öhne Gaffee gömmer nich’ gämpfen, krieche mer geen Gaffe, dann gämpfe mer och nich’. In den letzten Wochen hat den ein Ami über dem Nord-Schwarzwald ganz in der Nähe unseres Flugplatzes abgeschossen, Waldi hat sich beim Aussteigen was gebrochen, der Ami hat ihn dann im KH besucht, seitdem waren die beste Freunde. Haben bei uns im “Fliegerheim” derart lästerlich gesoffen, dass es mir heute noch graust. Haben dann immer gesungen “ran an den Feind, ran an den Feind, Bomben auf Engeland (Brexit war damals kein Thema). Der Ami am lautesten. So wurde ich sozialisiert. Zum KDV von 1969. Es gab da auch einen Cornel von den “Green Barets” in den Sechzigern, die haben auf unserem Platz Absetzübungen gemacht, bevor es nach Vietnam ging. Der war auch öfters bei uns und als er sah, dass wir auch Fallschirme hatten in unseren Segelflugzeugen, bot er uns an, auch mal zu springen, aus ihren Hubis raus. Wir: Und, vorher Trockenübungen? Der: Oh no, you just queue up with us and we kick you out. Paar von uns haben das gemacht, fanden das toll - ich nicht, war damals ein derartiger Hempfling, dass die Amis keine passende Montur für mich gefunden hatten.  Das ist der Sachse an sich. Wir singen “The Ballade of the Green Berets”: Fighting soldiers from the sky, fearless men who jump and die … - und schon war die ganze schöne Ausbildung für die Katz’. Gucksdu YouTube, sehr schön gesungen von Barry Sadler (1940 - 1989), Text des Liedchens von Elvis, nein, nicht, sondern: Elvis Hitler, believe it or not.

Rolf Lindner / 17.03.2019

Multikulturalismus heißt im Grunde gar keine Kultur, weil Kultur immer an Tradition, Nation und Herkunft gebunden ist. Durch die Welt rasen und heute beim Griechen, morgen beim Japaner und übermorgen bei sonst wem ins Restaurant gehen, ist keine Kultur, weil Kultur etwas Aktives ist. Das andere kann jeder Trottel. Dass man beides kann, in der Welt zu Hause sein und trotzdem seine Kultur wahren, zeigen die Länder östlich der Grenze, die sich in Deutschland und Europa von Norden nach Süden herausbilden und beide spalten wird.

Marc Blenk / 17.03.2019

Liebe Frau Lengsfeld, danke für die Literaturempfehlung. Es riecht überall in Europa nach grundsätzlicher Veränderung. Und die geistigen Hauptenergieströme kommen vom Osten. Sind es doch die Erfahrungen mit dem Kommunismus, welche die Leute mehrheitlich immun machen vor totalitären Weltrettungsideologien und Globalisierungsversklavung. Es wird die lebendige Provinz sein, die Veränderung bringt. Das denke ich auch schon länger. Die Städte sind zu Mentalitätsgefängnissen geworden, von denen keine Innovation mehr zu erwarten ist. Das kann man auch in China gut beobachten. Ein bürgerliches Selbstbewusstsein entwickelt sich nur in wenigen Ausnahmen. Die Partei hat die Megasstädte gut im Griff. Und unsere Städte werden tatsächlich immer bürgerfreier, statt freibürgerlich. Von einstmaligem städtischen Ideenreichtum ist nur stumpfsinnige Arroganz geblieben. Der Westen EU -  Europas hat noch nicht gemerkt, dass er sich ideologisch völlig verrannt hat. Aber Ahnungen gibt es schon. Man schmettert sie ab, in dem man den Osten für rückständig erklärt. In manchen Bereichen trifft das auch zu. Nicht alles ist demokratisch fein, was bspw. in Polen läuft. Doch im ganzen betrachtet kommen die meisten der gescheiteren Impulse inzwischen vom Osten. Ich hoffe, dass über die ‘neuen Bundesländer’ davon etwas herüberweht. Denn die westdeutsche politische Erstarrung wird langsam peinlich. So technokratisch und verkrampft, wie sich Merkeldeutschland darstellt, war noch nicht mal das deutsche Kaiserreich.

Eugen Richter / 17.03.2019

Ich bin nicht der Meinung, dass Europa eine gemeinsame Verteidigungstrategie, Energiepolitik und anderes gemeinsames Zeuch braucht. Haben wir doch und mündet in ein Chaos. Europa ist derart vielfältig und andersartig, mit Zug verschiedenen Sprachen, Kulturen und Mentalitäten auf engsten Raum, dass eine Vereinheitlichung dessen alle in unzufrieden macht. Am Anfang sollte es ein Europa der Vaterländer sein. Das reicht auch. Für freie Marktzugänge benötigt man weder Standardpanzer, noch eine Einheitliche Währung. Back to the root. Let s beginning again.

Werner Arning / 17.03.2019

Unsere Rettung wird der Osten sein. Angefangen bei den Sachsen, bis zu Ungarn und Polen. Nein, sie werden sich die erkämpfte Freiheit nicht wieder von Ideologen nehmen lassen. Und sie werden das Europa verteidigen, welches diesen Namen verdient. Sie werden die Werte erhalten, für die Andere an den Grenzanlagen ihr Leben ließen. Sie lassen sich nicht mehr belügen und betrügen, da sie die Lüge durchschauen. Ohne sie wären wir wohl verloren.

Rex Schneider / 17.03.2019

Mein Gemüt, Mutschekeepchen ach wie gerne habe ich das als Kind immer gehört, aber Spass bei Seite. Warum Frau Lengsfeld, sollten die Osteuropäer uns trauen? Historisch war doch Osteuropa und zuletzt auch Sachsen, immer der Spielball irgendwelcher Großmächte. Nationalstaaten wie Polen, Finnen, die Balten, Tschechen usw. sind doch erst vor 100 Jahren entstanden, eine zu starke Einbindung in Bündnisse haben für diese Länder meist einen Souveränitätsverlust oder Gebietsverlust zur Folge gehabt und werden sich schon deshalb nicht zu Stark an die EU binden wollen. Ich kenne Polen die denken, wenn das so weiter geht schickt die EU Panzer wegen Kohlekraftwerke.

P.Steigert / 17.03.2019

“Die Erneuerung kann nur von der Provinz ausgehen.” - Wie wahr. Die Provenzen werden bald anfangen müssen, eigene Einwanderungs- und Sozialsysteme zu betreiben. Die Sachsen sollten sich dabei eher mit Polen und Tschechen zusammentun als mit Berlinern, Schwaben oder Holsteinern.

Otto Nagel / 17.03.2019

Nach nem Scheelchen Heeßen kommch ins Grübeln. Was will , abgesehen vom Buchschreiben, die Frau Hermenau ?  Will sie mit ihrem neuen politischen Unternehmertum “Freie Wähler” uns sächsischem “Pack” Wählerstimmen abgraben, oder will sie durch Bindung von Altparteienwählern, die noch einen nationalkonservativen Kern haben, eine dann willkommene Ergänzung organisieren ?  Das ist hier die Frage. Es wäre echt schade, wenn sie nur enden würde als Petry 2.0.  In Bayern erleben wir gerade, wie die “Freien Wähler” vom Mammon diszipliniert werden, die neuen Bettvorleger am Söder-Thron .

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