Von Hans-Peter Büttner.
Michael Lüders formuliert in seinem Buch „Krieg ohne Ende?“ eine radikale Ablehnung des Zionismus sowie des gesamten israelischen Staatsgründungsprojektes.
Michael Lüders, Bremer Publizist, Politikwissenschaftler und gescheiterter Spitzenkandidat des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ Sachsen-Anhalt zur Bundestagswahl 2025, hat ein Buch über den israelisch-palästinensischen Konflikt geschrieben. „Krieg ohne Ende? Warum wir für Frieden im Nahen Osten unsere Haltung zu Israel ändern müssen“ ist ein Bestseller und wird von seiner Leserschaft auf der Seite des marktführenden Versandbuchhändlers „Amazon“ mit viereinhalb von fünf Punkten bewertet. Ein Rezensent nennt das Buch „eine wissenschaftliche Meisterleistung“, die „mit zahlreichen Quellen(-nachweisen) glaubwürdig unterlegt“ sei. Ein Anderer beschwert sich, dass „die Fakten bei uns fortlaufend verdreht werden“ und allein Michael Lüders „den Mut hat, die Realität zu benennen.“
Die digitale Plattform der Frankfurter Buchmesse kennzeichnet Lüders’ Buch als „differenziert, sachlich und konstruktiv“, und die „Lesejury“ des Bastei Lübbe Verlags informiert ihre Leserschaft, dass Lüders’ neuestes Werk „anschaulich und spannend (...) die Hintergründe und Ursachen der Konfrontation zwischen Juden und Arabern, die im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm, erklärt.“ Das Online-Magazin „Telepolis“ wiederum ist in Gestalt von Luca Schäfer begeistert davon, dass Lüders „die deutsche Nibelungentreue zu allen israelischen Verbrechen“ brandmarkt und heldenhaft ausspricht, dass „jegliche Kritik an Israel und seinem Handeln unter das pauschale Verdikt des Antisemitismus gestellt wird.“ Und natürlich „ordnet Lüders die Ereignisse des 7. Oktober in den realen Kontext der Perspektivlosigkeit und Geschichtlichkeit von Unterdrückung und geronnener Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung ein“, verweist also auf den verzweifelten Hilferuf der Täter, der hinter Mord, Folter, Vergewaltigung und Terror angeblich zu sehen sei.
Auf den rund 400 Seiten seines Buches sucht Lüders tatsächlich zu beweisen, dass Israel „Unrecht in historischem Ausmaß begeht“, „Tod und Zerstörung in epochalem Ausmaß“ beziehungsweise „eine entfesselte Rachsucht“ über die palästinensische Bevölkerung bringe, eine „aus Arroganz geborene Missachtung geltender Völkerrechtsnormen“ praktiziere und eine Politik betreibe, „die sich auch als Verlogenheit oder Zynismus bezeichnen ließe.“
„Ethnischer Säuberer“ und „Knochenbrecher“
Folgerichtig sei Israel ein Staat der „Apartheid“, im Kern „offen rassistisch“, geprägt von einem „Überlegenheitsanspruch der jüdischen Seite gegenüber den Palästinensern“, betreibe ferner fortlaufend eine „ethnische Säuberung Palästinas“ und einen veritablen „Völkermord“. Israel leide an einer vorgeschobenen „Überlebens-Psychose“ und sei wohl „der Vorbote einer neuen Ära, die sich längst ankündigt, aber noch nicht vollendet ist: nihilistisch und selbstzerstörerisch.“ Man kann diese Anmerkung wohl nur so verstehen, dass Israel als apokalyptisches Menetekel für Lüders eine „nihilistische“ und „selbstzerstörerische“ Menschheitsgefahr darstellt (Alte, antisemitische Wahnvorstellungen einer jüdischen Menschheitsgefahr werden hier praktisch in Reinform mit Bezugnahme auf den jüdischen Staat Israel reproduziert und aktualisiert).
Der für seine Friedenspolitik 1995 ermordete, ehemalige israelische Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Jitzchak Rabin indes ist für Lüders nichts weiter
als ein „ethnischer Säuberer“ und „Knochenbrecher“. Zur Untermauerung seiner radikal antizionistischen Thesen greift Lüders auf die international bekannte Gilde der Israelkritik mit ihren Speerspitzen Ilan Pappe, Norman Finkelstein, Moshe Zuckermann und
Noam Chomsky zurück, bemüht postkoloniale Autoren wie Achille Mbembe und A. Dirk
Moses, schließt sich der BDS-Bewegung und den „Nachdenkseiten“ an und schätzt besonders jüdisch-antizionistische Stimmen wie den besonders antiisraelischen Verein „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ (1).
Soweit er Schriften von Benny Morris und Nathan Weinstock heranzieht, sind dies ausschließlich ältere, tendenziell antizionistische Texte. Neuere Erkenntnisse dieser Autoren werden von Lüders grundlegend nicht berücksichtigt. Die Erzählung Lüders’ in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt ist denkbar einseitig und simpel, sie durchzieht sein Buch von Anfang bis Ende: Der Zionismus ist eine auf Vertreibung und Unterdrückung angelegte, kolonialistische Ideologie mit erheblicher Macht, Grausamkeit und Perfidie. Seine im Rahmen dieser politischen Einordnung unschuldigen und ausschließlichen Opfer, die Palästinenser, haben in allen Fraktionen ihrer Nationalbewegung und ihrer antikolonialen Unterstützer, trotz vereinzelter Übertreibungen und Übergriffe, Recht und Moral einzig und allein auf ihrer Seite.
Großflächig falsch informiert
Um diese Erzählung der Leserschaft plausibel zu machen, bedient sich Lüders jedoch
einer Reihe von Methoden, die zutiefst unseriös und manipulativ sind. Lüders verschweigt
zentrale, historische Tatsachen, wenn sie seinem Darstellungszweck widersprechen, führt
möglichst viele unvorteilhafte Zitate zionistischer Politiker und Autoren an bei völligem
Verzicht auf entsprechend nachteilige Zitate der Gegenseite, arbeitet auch mit offenkundig gefälschten und entstellten Zitaten, stellt die Verbrechen der Hamas des 7. Oktober 2023, die Palästinensische Nationalcharta von 1968, das Grundsatzpapier der Hamas von 2017 und weitere Dokumente systematisch falsch dar und verweigert sich prinzipiell einer differenzierten, auch nur näherungsweise die Perspektiven beider Seiten anerkennenden und berücksichtigenden Analyse.
Einen dynamisch sich entwickelnden, von wechselseitigen Erwartungen, Ängsten, Situationsdeutungen und Selbstverständnissen geprägten Konflikt derart einseitig und moralisch aufgeladen zu erzählen, ist nur möglich, wenn Tatsachen streng selektiv einbezogen oder eben ausgelassen werden. Wer nicht über das notwendige
Fachwissen zur Beurteilung von Lüders‘ Narrativ verfügt, wird großflächig falsch informiert und regelrecht aufgehetzt. Die hier zusammengefasste, grundlegende Kritik an Lüders’ Buch wird in der ausführlichen Fassung dieser Rezension weitgehend exemplarisch an ausgewählten Zitaten und Themenkomplexen entfaltet. Im Folgenden habe ich weitere Kernaussagen meiner umfangreichen Abhandlung zusammengefasst.
Michael Lüders formuliert eine radikale Ablehnung des Zionismus sowie des gesamten israelischen Staatsgründungsprojektes und versteht seine bis heute andauernde Geschichte nach 1948 als eine Aneinanderreihung von Verbrechen, Vertreibungen und Kriegstreiberei. Das Existenzrecht Israels kennt Lüders nicht zufälligerweise nur in Anführungsstrichen. Die narrative Technik, mittels derer Lüders Israel verdammt und die palästinensische Nationalbewegung in allen ihren Fraktionen zu einer moralisch überlegenen „Widerstands“-Bewegung gegen den üblen, verschlagenen Zionismus adelt, besteht in drei durchgängig zur Anwendung gebrachten Erzählelementen sowie einem aktuellen, zentralen Zusatz-Narrativ:
Wahnhaftes, radikal antizionistisches Narrativ
1. Schweige möglichst umfassend zu Verbrechen und dem eigenen Narrativ nicht dienlichen, politischen Äußerungen und Initiativen der arabischen Konfliktpartei.
2. Erwähne möglichst viele unvorteilhafte, martialische Zitate zionistischer Führer, ohne Rücksicht auf die Glaubwürdigkeit der Quelle. Was gegen Israel verfügbar ist, sollte möglichst großflächig zum Einsatz gebracht werden.
3. Mobilisiere möglichst viele jüdische Stimmen gegen den Zionismus und ignoriere alle arabischen Stimmen, die den Konflikt in einem für Israel milderen Licht sehen oder gar offene Kritik an der palästinensischen Nationalbewegung formulieren.
4. Instrumentalisiere den Pogrom des 7. Oktober 2023 mit allen Mitteln gegen Israel und viktimisiere auch hier umfassend die Täter der Hamas. Israel beziehungsweise der Zionismus muss immer, auf jeder Stufe des Konflikts, als Täter erscheinen, die arabische Seite genauso durchgehend als unschuldiges, lediglich passiv gegen seine Entrechtung kämpfendes Opfer. Der 7. Oktober ist die ultimative Nagelprobe für diese politische Zielsetzung einer groß angelegten Täter-Opfer-Umkehr.
Im Ergebnis erweist sich Lüders' Buch als pseudowissenschaftliches Werk einer sich selbst beständig reproduzierenden, antiisraelischen Propaganda. Die jüngsten Werke von Radshid Khalidi („Der Hundertjährige Krieg um Palästina“) und Pankaj Mishra („Die Welt nach Gaza“) sind gesinnungsgleich und arbeiten mit den gleichen Mitteln pseudowissenschaftlicher Gedankenaufbereitung. Diese neue Welle antiisraelischer Gesinnungsliteratur lässt jedes Bewusstsein der Komplexität des Konflikts vermissen und schließt jegliches Interesse an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit israelischen Perspektiven kategorisch aus. Das nicht zu leugnende Elend der Palästinenser wird so von einem wahnhaften, radikal antizionistischen Narrativ okkupiert und instrumentell ausgeschlachtet, statt an vernünftigen Lösungen für bestehende Probleme zu arbeiten. Die Verbesserung der konkreten Lebensumstände der Palästinenser wird so aktiv verhindert statt befördert, von den Perspektiven für die Menschen Israels ganz zu schweigen. Dieser eliminatorische Antizionismus ist die paranoid angelegte Aktualisierung klassisch-antisemitischer Topoi, mit zentralem Bezug auf den „Juden unter den Staaten“ (Léon Poliakov).
Dieser Beitrag erschien in einer Zusammenfassung und einer Langfassung zuerst bei kritiknetz.de.
Hans-Peter Büttner (geb. 1968) ist Diplom-Sozialpädagoge, freier Referent des Konstanzer Bildungszentrum zu den Themen Astronomie, Philosophie und Ökonomie und Autor fachwissenschaftlicher Beiträge, unter anderem der „Prokla – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft“. Er ist wissenschaftlicher Beirat des „Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft“.
Lüders, Michael (2024): „Krieg ohne Ende? Warum wir für Frieden im Nahen Osten unsere Haltung zu Israel ändern müssen“, München, Goldmann Verlag.
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Anmerkung
(1) Am 7. Oktober 2023 äußerte sich jene „jüdische Stimme“ auf Facebook mit maximalem Zynismus und ließ vermelden, dass der Terrorangriff der Hamas offenbar der moralischen Läuterung verbrecherisch-faschistischer Israelis zu dienen hätte und so gewissermaßen eine volkspädagogische Initiative gewesen sei. „Israel mit seiner großen Armee, von den USA immens unterstützt, steht hilflos als failed state gegen Guerillakämpfer mit Gleitschirmen und Kameras da, die aus ihrem Ghetto ausgebrochen sind. Das ist die größte Überraschung für Israel: dass Palästinenser Menschen sind.“ Auf die Vermenschlichung der Täter folgt bei der „Jüdischen Stimme“ postwendend die kollektive Entmenschlichung der Opfer, denn „Israel zahlt den Preis des Stolzes. Seine Herrscher und die meisten seiner jüdischen Bewohner waren sicher, dass sie keinem menschlichen Gesetz unterliegen und dass das Völkerrecht für sie – Übermenschen – nicht gilt“. Die militante Splittergruppe „jüdische Stimme“ ist de facto der verlängerte Arm antisemitischer Terrorgruppen wie der Hamas.