Friedrich Merz (CDU) will Bundeskanzler werden. Selten ist ein führender Politiker noch vor seiner möglichen Amtsübernahme so schnell auf Zwergengröße geschrumpft wie der fast zwei Meter große Christdemokrat.
Beobachter wissen längst, dass Merz atemberaubend schnelle Richtungswechsel vollziehen kann, wenn es der Opportunismus gebietet. Dass es ihm an Rückgrat fehlt, für unbequeme Entscheidungen geradezustehen, ist ebenfalls bekannt. Nun hat der potenzielle zukünftige Bundeskanzler seine außergewöhnliche Ungeschicklichkeit in außenpolitischen Angelegenheiten mit besonderer Deutlichkeit unter Beweis gestellt.
Merz behauptete, dass die Politik des argentinischen Präsidenten Milei den Staat ruinieren und das Volk mit Füßen treten werde und reagierte damit auf die Forderung des ehemaligen FDP-Finanzministers Christian Lindner, Deutschland solle „mehr Milei wagen“. Offenbar war Merz nicht über die spektakulären Erfolge von Mileis Politik und die wirtschaftliche Kehrtwende Argentiniens informiert.
Noch amateurhafter reagierte der selbsternannte Transatlantiker Merz auf die Rede des US-Vizepräsidenten Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Er bezeichnete Vances Äußerungen als „fast schon ein übergriffiger Umgang mit den Europäern, insbesondere mit uns Deutschen“ und fügte hinzu: „Ich lasse mir doch nicht von einem amerikanischen Vizepräsidenten sagen, mit wem ich hier in Deutschland zu sprechen habe.“ Während dies sehr selbstbewusst klingt, fehlt der Äußerung jeder Realitätsbezug. Deutschland spielt sowohl militärisch als auch politisch in der zweiten Liga, und Merz wird sehr bald die Konsequenzen davon zu spüren bekommen, nicht in der Position zu sein, Bedingungen stellen.
Eine historischen Schuldenorgie
Deutschlands militärische Bedeutungslosigkeit soll nun mit einer historischen Schuldenorgie bekämpft werden – diametral entgegengesetzt zu allem, was die CDU den Wählern vor der letzten Bundestagswahl versprochen hat. Noch nie gab es in Deutschland eine dreistere 360-Grad-Wende (um die amtierende Außenministerin Baerbock zu zitieren) in Bezug auf Wahlversprechen. Laut einem Bericht des „Spiegel“ fiel Merz auf ein Internet-Gerücht herein, dass US-Präsident Trump in der jüngsten Rede zur Lage der Nation den Austritt der Vereinigten Staaten aus der NATO verkünden werde. Dies veranlasste ihn dazu, sich von seinem potenziellen Koalitionspartner zu einer Schuldenorgie überreden zu lassen, die dem Land massiv schaden wird – und für die er im Gegenzug nichts erhielt, insbesondere in der Migrationspolitik. Diese Demütigung durch die Sozialdemokraten, die ihr schlechtestes Wahlergebnis seit dem 19. Jahrhundert einfuhren, wird als historisches Versagen in den Koalitionsverhandlungen in die Geschichte eingehen.
Man kann nun darauf wetten, dass Merz und die CDU auch den weiter marginalisierten Grünen einige hundert Milliarden für ihre Prestigeprojekte wie den Klimaschutz überlassen werden. Friedrich Merz, der sich einst als letzte Bastion gegen den Schuldenwahnsinn präsentierte, wird nun Deutschlands Neuverschuldung in den Bereich von einer Billion Euro treiben.
Auch die demokratische Legitimität einer scheidenden Bundesregierung, die über weitreichende Verfassungsänderungen entscheidet, um die künftige Regierung zu binden, wird infrage gestellt. Insbesondere, da die konstituierende Sitzung des neuen Bundestages ohne Notwendigkeit verzögert wird, nur um dies zu ermöglichen. Viele sehen darin eine Missachtung des Wählerwillens. Obwohl Friedrich Merz dem ganzen Land genau das Gegenteil versprochen hatte – keine neuen Schulden –, will er nun den abgewählten Bundestag dazu nutzen oder gar missbrauchen, um das Land und kommende Generationen auf den „Weg in die Knechtschaft“ und in die Schuldenfalle zu führen. Friedrich Merz weiß, dass er für dieses Vorhaben im neu gewählten Parlament keine Mehrheit finden würde. Deshalb sollen diejenigen, die abgewählt wurden, noch schnell diese enorme Bürde in die deutsche Verfassung meißeln.
Verachtung des demokratischen Legitimationsprozesses
Deutschlands führender Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek bewertete das Geschehen wie folgt:
„Nicht wegen Unaufschiebbarkeit des Vorhabens, sondern allein zu dem Zweck, den neu gewählten Bundestag auszutricksen und ihn mit Hilfe der alten Mehrheit vor vollendete Tatsachen zu stellen, soll jetzt noch schnell der alte Bundestag entscheiden. Dieses Vorgehen zeugt von Verachtung des Wählerwillens, ja, von Verachtung des demokratischen Legitimationsprozesses. Eine abgehobene politische Klasse setzt sich arrogant über diejenigen hinweg, von denen in der Demokratie die Staatsgewalt ausgehen soll. Sie zeigt keinen Respekt vor dem Wahlergebnis und keinen Respekt vor dem Grundgesetz. Sie ändert noch schnell die Verfassung, weil sie die dafür erforderliche Mehrheit gerade bei der Wahl verloren hat.“
Das irreführend als „Sondervermögen“ bezeichnete Verschuldungsprogramm entspricht in seiner Größenordnung etwa 20 Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts. Es wird damit die Verschuldung des Landes von 65 auf 85 Prozent katapultieren, was nicht nur eine gravierende Verletzung des Maastrichter Schuldenkriteriums darstellt, sondern auch die Geldmenge ausdehnen und die Rating-Bonitätskennzahlen Deutschlands drastisch verschlechtern wird. Aus einer bislang nach Artikel 115 des Grundgesetzes erlaubten Verschuldung von 0,35 Prozent des BIP (Brutto-Innlandsprodiukt) pro Jahr wird über die Laufzeit von zehn Jahren effektiv eine jährliche Mindestverschuldung von 4,5 Prozent pro Jahr.
Viele Staaten der Eurozone werden sich deshalb ebenfalls von der Fiskaldisziplin abwenden und die Schuldenregeln des Maastrichter Vertrags ignorieren, was erhebliche Auswirkungen auf die Anleihemärkte Deutschlands und der Eurozone mit der Folge deutlicher Zinssteigerungen haben wird. In einigen Jahren droht deshalb eine neue europäische Staatsschulden- und Bankenkrise.
Panzer können nichts produzieren
Die steigenden Kapitalmarktzinsen und die Absorption eines großen Teils der volkswirtschaftlichen Ersparnisleistung werden private Investitionen verdrängen (sogenanntes Crowding out), die Staatsquote wird deutlich erhöht, die private Investitionstätigkeit geht zurück, wodurch die Produktivität der Volkswirtschaft fallen wird.
Es wird zwar durch die staatliche Nachfrage im Sinne eines keynesianischen Konjunkturprogramms kurzfristig Wachstum erzeugt, jedoch wird dies mittelfristig durch die oben beschriebenen Effekte überkompensiert werden.
Es ist angesichts der Performance deutscher Behörden bei der Beschaffung davon auszugehen, dass ein großer Teil dieses Programms verschwendet werden wird. Volkswirtschaftlich betrachtet sind Rüstungsausgaben Konsum des Staates, weil Panzer und andere Anschaffungen nicht geeignet sind, später damit etwas zu produzieren. Sie stellen also in diesem Sinne gar keine Investitionen dar.
Beim Thema Infrastruktur können wir feststellen, dass der Staat durch ein ineffizientes und schlechtes Beschaffungswesen in der Regel mehr als 100 Prozent mehr für das gleiche Resultat aufwendet wie private Unternehmen. Fließen 500 Milliarden Euro in diese Verwendung, muss man aufgrund der hohen Nachfrage bei begrenzter Lieferkapazität dieser Güter mit deutlichen Preiserhöhungen rechnen, die reale Kaufkraft dieses Programms wird also eher bei 200 Milliarden Euro liegen als bei 500 Milliarden. Für die Rüstungsausgaben gilt das gleiche analog.
Zusammenfassend können wir feststellen, dass dieses Programm sowohl für Rüstung als auch für Infrastruktur den wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands beschleunigen wird.
Joachim Nikolaus Steinhöfel, geboren 1962 in Hamburg, ist einer der profiliertesten deutschen Wettbewerbsrechtler, Medienanwalt sowie Publizist. Sein aktueller Spiegel-Bestseller heißt "Die digitale Bevormundung: Wie Facebook, X (Twitter) und Google uns vorschreiben wollen, was wir denken, schreiben und sagen dürfen“, FBV, 18,00 Euro
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Euronews. Euronews ist ein paneuropäuscher Fernsehsender und Informationskanal mit Sitz in Brüssel.