Der Direktor der NGO „Bildungsstätte Anne Frank“ pöbelt gegen den israelischen Botschafter, weil dieser ihn kritisiert. Nach seinem Scheitern an der Documenta, deren Antisemitismus von Kritikern frühzeitig erkannt wurde, wirkt das besonders unangebracht.
Am 16. Oktober fragt Meron Mendel als Direktor der Bildungsstätte Anne Frank den israelischen Botschafter Ron Prosor öffentlich via Twitter-Eintrag: „Lieber Herr Botschafter, bei allem Respekt. Gehört es zur Aufgabe des israelischen Botschafters zu urteilen, wer in Deutschland eine Gastprofessur bekommen soll?“ Dessen Antwort, das sei nicht nur seine Aufgabe, sondern seine Pflicht, quittiert der NGO-Chef wiederum mit den Worten: „Danke für Ihre Mühen. Zum Glück aber brauchen wir Juden in Deutschland nicht den Schutz vom Staat Israel. Wir kommen gut zurecht.“
Der Botschafter Israels in Deutschland, Repräsentant eines ausländischen Staats, der sich vor allem auch als historische Reaktion auf Nazideutschland gründete, möge sich also bitte nicht in die Diskussion darüber einmischen, ob man zwei in den Antisemitismusskandal der Documenta tief verstrickte Künstler mit einer Gastprofessur belohnen sollte. Das behauptet der Chef einer NGO, die sich selbst in die Agenda schreibt, nicht fremdenfeindlich zu sein, bevor er dazu übergeht, die Juden in Deutschland von ihrem Staat gewordenen Schutzraum verbal zu emanzipieren. Derselbe „Wir-Juden“-Sager bekundete wenige Tage zuvor noch: „Wenn wir über die jüdische Community sprechen, da gibt es viele Stimmen, die sind nicht alle einheitlich“, womit er auf Kritik der Jüdischen Gemeinden Hamburg reagierte, welche die Vergabe der „Gastprofessuren an Antisemiten“ eine „Schande“ genannt hatte (ndr.de, 11.10.22).
Die in Rede stehenden Gastprofessoren, Reza Afisina und Iswanto Hartono, gehören dem indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa an. Dieses kuratierte die diesjährige Documenta und zeichnet somit für den wüsten Antisemitismus verantwortlich, der, etwa in Form israelischer Soldaten mit Schweinsköpfen, Juden mit Schläfenlocken und Raffzähnen und die israelische Armee diffamierenden Nazianalogien, die dunkelindonesische Seite im „globalen Süden“ zum Vorschein brachte.
Weil mittlerweile auch der letzte progressive Kunstbanause ahnen dürfte, dass der Postkolonialismus so unschuldig nicht ist, wie er sich gegenüber dem verhassten Westen ins Spiel zu bringen beliebt, geht es nun darum, die entstandenen Gräben wieder zuzuschütten, also Harmonie im staatsdeutschen Betrieb herzustellen. In den Worten des NGO-Direktors: „Ich finde die Idee der Gastprofessur eine hervorragende Idee, denn das gibt uns die Möglichkeit, viele von den Debatten, die vergangenes Jahr so schiefgelaufen sind, noch aufzufangen“.
Arabischer NS-Anhänger als postkoloniales Idol
Mendels akademisch aufgebretzelte Mission und NGO-vermitteltes Geschäft scheint im Kern darin zu bestehen, gleichermaßen gegen Rassismus und Antisemitismus zu sein, als wäre das eine knifflige Herausforderung und kein Klacks für jeden zivilisierten Menschen. „Es müssten Wege gefunden werde, wie beide Haltungen, die eigentlich das gleiche seien, zusammengedacht werden“. So ein Wegesucher und Richtungsweiser wird gebraucht im diversifizierten Deutschland, das sich selbst als Lehre aus der Nazizeit missversteht. Das Problem: Es gibt Widersprüche, die sich einfach nicht auflösen lassen – und Meron Mendel demonstriert das nolens volens, indem er an ihnen scheitert.
Denn es ist exakt sein zeitgemäß-deutscher, jede ernste Konfrontation und Konsequenz missen lassender Vermittlungskitsch, der den Documenta-Antisemitismus überhaupt erst auf den Weg brachte, und Mendel dazu trieb, den Skandal auch dann noch zu verleugnen, als er längst einer war – im Grunde also seit Januar, als das Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus den ideologischen Hintergrund der Documenta-Akteure recherchierte und per Pressemitteilung in wünschenswerter Prägnanz publizierte. Um einschätzen zu können, wie infam Mendel (und nicht nur er) auf die frühe Documenta-Kritik reagierte, sei sie ausführlich zitiert:
Als Sprecher oder Vertreter dieser Gruppe werden von der „ruangrupa“, das die auf der kommenden Documenta ausstellenden Künstler auswählt, Yazan Khalili und Lara Khaldi vorgestellt. Yazan Khalili war bis 2019 Direktor des KSCC [Khalil al Sakakini Cultural Center], Lara Khaldi von 2011 – 2013. Das KSCC ist nach Khalil al Sakakini (1878-1953) benannt. Sakakini war ein palästinensischer Nationalist, ein antijüdischer und antizionistischer Aktivist. Er verstand sich als Anhänger des Nationalsozialismus, trat früh gegen die Zuwanderung europäischer Juden nach Palästina auf, plädierte für die Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien, begrüßte Terroranschläge gegen Juden und unterstützt den arabischen Aufstand in Palästina im Jahr 1936, bei dem es zu zahlreichen Anschlägen auf Juden kam. Yazan Khalili und Lara Khaldi sind, wie das Zentrum selbst, Unterstützer der antisemitischen BDS-Bewegung. Khalili outete sich selbst als antisemitischer Schläger und agitiert für die Abschaffung des jüdischen Staates Israel.
Sowohl in der Findungskommission als auch dem Documentabeirat sitzen mit Smart Kanwar und Charles Esche Personen, die sich vor BDS gestellt haben. Auch in der „ruangrupa“ und im dem „ruruHaus“ zugehörigen „Artistic-Team“ finden sich weitere Personen, die Unterstützer der antisemitischen BDS-Initiative sind. So verwundert es nicht, dass nicht nur weitere Künstler, die verschiedene Boykottinitiativen gegen Israel unterstützen, „Members“ des „lumbung“ sind, sondern eben mit dem „The Question of Funding“ auch eine Gruppe, die es als ihren kulturellen Beitrag ansieht, den Kampf gegen den jüdischen Staat Israel zu führen. Wie schon in der Documenta 14 droht nun erneut, dass Kassel während der documenta ein Ort der antiisraelischen und antisemitischen Agitation wird.
Holzhacken – Israel – Antifaschismus
Im Juni 2022, als der Antisemitismus-Skandal dann überall Schlagzeilen machte, fragte die Berliner Zeitung den Bildungsstätten-Leiter: „Wie war Ihr Standpunkt zu den Antisemitismusvorwürfen gegen ruangrupa im Vorfeld der Eröffnung?“ Mendel antwortete damit, dem „Antisemitismus-Generalverdacht“ widersprochen zu haben, weil die „Masse der Vorwürfe und deren Ursprung – sogenannte Antideutsche, die zuvor vor allem durch antimuslimischen Rassismus aufgefallen sind“ – ihm nämlich gezeigt hätten, dass es hier nicht um die Anprangerung von „echtem Antisemitismus“ gegangen wäre. Nun waren diese Vorwürfe in der Masse schlicht gut begründet und belegt, nur richteten sie sich eben gegen, so Mendel, „Leute aus muslimischen Ländern“, die man „nicht leichtfertig mit solchen Vorwürfen überziehen“ dürfe. Ohne Diffamierung von Kritikern und Entmündigung der progressiv Protegierten kommt antirassistische Realitätsverweigerung nicht aus.
So gucken am Ende sämtliche der Verantwortlichen aus den Kultur-, Kunst- und Expertenlogen dumm aus der Wäsche – ganz im Gegensatz zu dem Versicherungsangestellten Jonas Dörge, der als treibende Kraft des besagten Bündnisses bereits Anfang des Jahres sah, wie sich das Documenta-Kind in Richtung Brunnen aufmachte, in den es im Juni schließlich unter deutschlandweiter Beachtung hineinplumpste. Der Mann aus Kassel mit Leidenschaften für Holzhacken und Boxsack, seinen wildwüchsigen Vorgarten sowie Israel und Antifaschismus hat erkannt, was die Experten und Amtsträger nicht wahrhaben wollen: Es gibt eine innere Verbindung zwischen postkolonialer Ideologie und Hass auf den jüdischen Staat, weil in jenem Weltbild Israel als verlängerter Arm eines westlichen Imperialismus erscheint. Postkolonialismus ohne Antizionismus wäre wie ein grünes Parteiprogramm ohne Klimawahn, und wo der Antizionismus poltert, kann man den Antisemitismus trapsen hören.
Statt sich einzugestehen, als „Antisemitismus-Experte“ Offensichtliches nicht erkannt zu haben, und wenigstens die gründliche Aufarbeitung dieser gesamtdeutschen Blamage in Angriff zu nehmen, verteidigt Mendel nun also die verliehenen Gastprofessuren als eine „Chance“, was die betreffenden Künstler nur als ein munteres „Weiter so!“ auffassen können. Und er pöbelt auch noch gegen den israelischen Botschafter, rückt ihn gar in die Nähe einer Partei, die in Deutschland als Inbegriff des Schlechten gilt. „Die instrumentelle Ausdehnung des Antisemitismusbegriffs ist ein gefundenes Fressen für die AfD.“ Davor hatte der Botschafter lediglich die von Mendel selbst aufgemachte Unterscheidung zwischen „großen“ und „kleinen“ Antisemiten kritisiert, mit der Mendel die Mitglieder von ruangrupa implizit sogar selbst als Antisemiten bezeichnet hatte – auch wenn er die Künstler vor diesem pauschalen Vorwurf dann gerade schützen wollte. Der NGO-Direktor scheint unter dem Druck öffentlicher Kritik so nervös zu werden, dass er inkonsistent argumentiert und respektlos wird.
Wirklich überraschend kommen seine Entgleisungen gegenüber dem jüdischen Staat allerdings nicht. „Dass Menschen, die beispielsweise die Verhältnisse in Gaza am eigenen Leib erleben, Israel hassen, ist für mich nachvollziehbar“, gehört ebenfalls zu seinen Positionen. Damit meinte er nicht, dass jene Menschen unter der Herrschaft von Fatah und Hamas mit Hass-Propaganda indoktriniert würden, sondern in Israel den Unterdrücker im Grunde doch richtigerweise erkennen (berliner-zeitung.de, 21.06.22). Übel? Nun, was will man von Vorstehern von Organisationen, die sich im Namen Anne Franks gegen Kopftuchverbote an Grundschulen engagieren schon groß erwarten.