Alte und Kranke sind eine leichte Beute für Politiker, wenn sie auf Bauernfang gehen. Erstens wirkt es stets rührend, wenn die Prominenten, bekannt aus Funk und Fernsehen, den Hochbetagten in die Augen schauen, ihnen etwas Freundliches zu sagen scheinen, womöglich die vor Aufregung zitternden Hände berühren; und zweitens sind die Begrapschten oftmals zu schwach, sich der Zudringlichkeiten zu erwehren. Von der Situation überfordert, machen sie gute Miene zum inszenierten Spiel, so wie Anfang der Woche, als Angela Merkel im Paderborner St. Johannesstift aufschlug.
Der Besuch war gut vorbereitet. Es gab Café und Kuchen im Blauen Salon des Hauses. Die Senioren hatten sich adrett herrichten lassen. Einer alten Dame wurde noch fürsorglich das Lätzchen umgebunden. Die frische Bluse sollte nicht bekleckert werden beim „Kaffe-Klatsch“ mit der Kanzlerin. Gemeinsam winkte man dem Tross der Journalisten, Fotografen und Kameraleuten, die dafür zu sorgen hatten, das Spektakel publik zu machen. Herzergreifender Populismus. Die ganze Honecker-Show wie weiland, wenn sich der Staatsratsvorsitzende mit den Arbeitern und Bauern seines Arbeiter-und-Bauern-Staates in gemütlicher Runde ablichten ließ. Sie sei „stolz“, sagte eine der ausgewählten Heimbewohnerinnen nachher, dass „unsere Kanzlerin“ zu ihnen gekommen ist. Was will man mehr!
Ein knappes Jahr zuvor hatte der Pfleger Ferdi Cebi die Regierungschefin bei einer Wahlkampfveranstaltung mit den oftmals traurigen Verhältnissen in den deutschen Altenheimen konfrontiert und sie coram publico „zu einem Tag Arbeit im Pflegeheim“ eingeladen. Hätte sie den Mann ernst genommen hätte, hätte sie gleich sagen müssen, dass das leider nicht möglich ist. Angesichts des vollen Terminkalenders einer deutschen Bundeskanzlerin wäre das für jedermann einleuchtend gewesen. Doch Merkel packte die Gelegenheit beim Schopf.
Lob und leere Versprechen
Da sie, wie es heißt, die Dinge „immer vom Ende her denkt“, mag sie bereits die Bilder vor Augen gehabt haben, mit denen sie bei diesem Termin glänzen könnte. Zeitlich würde sich die Visite ohnehin optimieren lassen, vielleicht auf zwei Stunden. Tatsächlich reichten ihr schließlich achtzig Minuten, um „einen guten Eindruck von der Vielfalt des Berufes bekommen“ zu können. Die Pfleger durften sich glücklich schätzen. Offenbar war es ihnen in weniger als anderthalb Stunden gelungen, Angela Merkel einen ganzen Pflegealltag vorzuführen, vom morgendlichen Herrichten der Patienten über die Betreuung bei den Mahlzeiten, die bisweilen nötige Begleitung zur Toilette oder das Entleeren der Bettpfannen bis hin zur Hilfe beim Zubettgehen.
„Ich sehe“, sagte die Bundeskanzlerin beim Verlassen des Paderborner St. Johannesstifts, „dass hier alle Pfleger ihre Arbeit von Herzen machen“. Das Lob und die leeren Versprechen für Lohnerhöhungen irgendwann waren der Lohn für einen Besuch, bei dem alles wie am Schnürchen lief, dank der Kranken und der Alten. Eine leichte Beute für die propagandistisch gewiefte Kanzlerin. Honeckers Schule.
Nachbemerkung: Gestern besuchte die Kanzlerin in Köln die Kita "Maria Hilf". Wie die Bilder sich gleichen.