Einen Sprachtest für ausländische Kinder analysiert. Richtig wütend geworden…
Vor etwa einem Monat wurden in Berlin bezirksweite Vergleichsarbeiten in den dritten Klassen der Grundschulen durchgeführt, um die Sprachkompetenz der Schüler und Schülerinnen zu messen. Eigentlich eine gute Geschichte, wobei man sich natürlich auch fragt, weshalb die Vergleichsarbeit nicht wenigstens landesweit durchgeführt wurde, damit sie - etwa – die schreienden Unterschiede zwischen der Sprachkompetenz Zehlendorfer Bürgerkinder und der Sprachkompetenz Neuköllner Migrantenkinder festhält: Unterschiede, die sich in Lebenschancen übersetzen. Aber sei’s drum.
Die Ergebnisse sind inzwischen da, und sie sind – etwa für Weddinger Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund – durchaus vernichtend. Man fragt sich allerdings, wie stichhaltig diese Ergebnisse sind. Der im Bezirk Wedding durchgeführte Test jedenfalls scheint extra zu dem Zweck entworfen worden zu sein, schlechte Ergebnisse bei dieser Schülergruppe zu produzieren.
Schauen wir uns diesen Test an. Er wurde vor zehn Jahren entwickelt (also vor den Pisa-Tests) und empfiehlt sich wahrscheinlich dadurch, dass er bereits seit 2002 in einem Schulbuchverlag vorliegt, also keine Arbeit außer dem (wahrscheinlich illegalen) Kopieren macht.
Um etwa den Wortschatz zu überprüfen, sollten die Schüler Aufgaben lösen nach folgendem Muster:
„Welches der vier Wörter passt am besten zum ersten Wort? Gebäck Augenblick Kekse Strauß Nebel“
Die richtige Antwort ist natürlich „Kekse“. Es gab von diesem Typus 19 Aufgaben. Die jeweils ersten Wörter waren:
Gebäck, überlegen, zufrieden, Schürze, Stirn, Gleise, Kompost, Graben, Beet, krumm, rasch, struppig, flink, sanft, knabbern, kullern, mitmachen, lauschen, herstellen
Es fällt auf, wie stark der Bereich „Küche/Garten“ vertreten ist: Gebäck, Schürze, Kompost, Graben, Beet.
Es fällt weiter auf, dass der Bereich „Technik/Medien“ überhaupt nicht vertreten ist. Ebenso wenig der Bereich „Verkehr/Stadt“. Autos, Busse, Bahnen scheinen in den Augen der Testmacher ebenso unwichtig zu sein wie Radios, Fernseher oder Computer. Dafür werden gleich zwei Adjektive mit der Bedeutung „schnell“ abgefragt: flink und rasch. Flink wie Windhunde sollen ja Kinder sein und rasch Befehle ausführen, hopp, hopp.
Großstadtkinder, deren Lebenswelt sich nicht um Heim, Garten und Herd dreht, müssen hier versagen.
Das Hörverständnis der Kinder wird anhand des Textes „Der Nordwind und die Sonne“ überprüft. Der fängt so an:
„Streit entstand zwischen dem Nordwind und der Sonne, da jeder für sich beanspruchte, der Mächtigere zu sein. Zuletzt kamen sie überein, ihre Kraft an einem Reisenden zu erproben, um zu sehen, wer ihn am ehesten aus seinem Mantel schälen könnte. Der Nordwind versuchte es zuerst. Er raffte all seine Kraft zusammen, wirbelte wütend über den Mann her, packte ihn an seinem Mantel, als wollte er ihm diesen auf Anhieb entreißen, blies und stieß…“ usw.
Der Text soll einmal vorgelesen oder von CD vorgespielt werden. Danach müssen die Kinder Fragen zum Text schriftlich beantworten. „Es soll geprüft werden“, so die Lehreranleitung, „wie gut die Kinder einen mündlich vorgetragenen deutschen Text behalten und verstehen können“. Das wird hier aber nicht geprüft. Was hier geprüft wird, ist, wie gut die Schüler einen mündlich vorgetragenen bewusst altertümelnden Text verstehen können, der eine schwachsinnige Geschichte erzählt, die mit der Lebenswirklichkeit der Schüler und Schülerinnen nichts zu tun hat und überdies peinlich poetisierend daher kommt („aus seinem Mantel schälen“, „wirbelte wütend“ usw.).
Man fragt sich, wie die Ergebnisse ausgefallen wären, wenn es im Text um einen Streit zwischen einem Kontrolleur und einem Fahrgast in der U-Bahn oder zwischen einem Rabauken und einem Mädchen auf dem Schulhof gegangen wäre, statt um den Nordwind und die Sonne und einen „Reisenden“, der nicht einmal ein Auto hat. Der Text ist dafür gemacht, bürgerliche Kinder zu bevorzugen, die mit dem Sprachduktus von Märchen und Fabeln aufgewachsen sind und kein Problem haben, sich in uneigentliche Welten zu begeben.
Kurz und gut: Bei diesem Sprachtest kann gar nichts anderes herauskommen, als dass Kinder, die zuhause einen Garten haben mit Beeten und Kompost, deren Mutter in der Küche Kekse backt und ihnen abends Geschichten im Sprachduktus des 19. Jahrhunderts vorliest, gut abschneiden, Kinder jedoch, die in Hinterhöfen oder Hochhäusern in der Großstadt aufwachsen, deren Mutter kein Deutsch spricht oder arbeiten gehen muss, und die allenfalls aus den Massenmedien ihre außerschulischen Deutschkenntnisse beziehen, versagen müssen. Was aber nicht heißt, dass ldiese Kinder wirklich weniger deutsche Sprachkompetenz haben als andere, aber eine andere Kompetenz. Worin womöglich ihre Sprachkompetenz besteht, das interessiert die Macher dieses Tests gar nicht. (Hobusch, Lutz und Wiest, Sprachstandsüberprüfung und Förderdiagnostik, Persen Verlag 2002)
Man müsste aber denken, dass wenigstens die Lehrer und Lehrerinnen, die in den Bezirken mit hohem Ausländeranteil dafür zuständig sind, die Sprachkompetenz zu testen, sich gegen solche Tests wehren würden. Schließlich hat Pisa gezeigt, dass man unter Sprachkompetenz etwas ganz anderes verstehen kann (z.B. die Fähigkeit, Alltagstexte wie Gebrauchsanweisungen oder Fahrpläne zu lesen). Aber nein. Im Gegenteil sogar. Der für den Bezrik Wedding für „Sprachförderung / DaZ“ („DaZ“ bedeutet. Deutsch als Zweitsprache) zuständige Beamte schreibt in der Anleitung zu diesem Test:
„Der Test soll nicht geübt werden! Ein zu gutes Abschneiden könnte uns womöglich sogar DaZ-Stunden kosten…“
Das bringt die deutsche Beamtengewerkschaftermentalität auf den Punkt. Es ist doch egal, ob der Test sinnvoll ist und die wirklichen Fähigkeiten der Schüler fair misst. Hauptsache, die Schüler schneiden schlecht ab, damit es ja viele „DaZ-Stunden“ gibt, das heißt Lehrerstellen für den Deutsch-Förderunterricht – und damit der zuständige Beamte auf Lebenszeit etwas zu tun und zu jammern hat.
Das ist das Kernproblem bei der Integrationsdiskussion: Nicht die Unwilligkeit der Migrantenkinder. Alle Kinder sind lernwillig und wissbegierig. Sondern die Beamtengewerkschaftsmentalität, die den Kindern Aufgaben stellt, an denen sie scheitern müssen, nur um ihre eigene Bedeutung, die Schwere der eigenen Aufgabe und den eigenen Anspruch auf Geld und Stellen zu untermauern.
Um die Kinder geht es bei diesen Tests also zuletzt. Und da liegt das Problem.