Wie Lindner vom grün gestrichenen Trojanischen Pferd stieg

Von Carl Christian Jancke.

1. Das Grundgesetz heißt mit gutem Grund nicht Verfassung. Es sollte als Provisorium staatlicher Ordnung bis zur 1949 unmittelbar erwarteten Wiedervereinigung dienen und dann durch eine gesamtdeutsche Verfassung ersetzt werden. Doch es stellte sich bald heraus, dass eine Wiedervereinigung nur dann möglich wäre, wenn individuelle Freiheit und marktwirtschaftliche Ordnung geopfert worden wären und Gesamtdeutschland sich der Willkür Stalins unterworfen hätten. Das Provisorium Grundgesetz wurde unglücklicherweise manifest und nicht mal bei der Wiedervereinigung ersetzt oder wenigstens grundlegend überarbeitet. Es war eine Reaktion auf die offensichtlichen Mängel der Weimarer Republik und als Provisorium so auch in Ordnung.

2. Eine Neuerung war der gewollte besondere Schutz der politischen Parteien. “Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit.” Daraus wurde ein faktisches Monopol. In der analogen Republik gab es keine Chance, außerhalb der politischen Parteien Meinungen durchzusetzen und zu artikulieren. Und es bildete sich ein Oligopol heraus. Die erst 1953 eingeführte Fünf-Prozent-Hürde, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die in den achtziger Jahren eingeführte Parteienfinanzierung entpuppten sich als scharfe Marktzugangsbeschränkung, die eine Parteigründung nahezu unmöglich machten.

Erst die aus der Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung hervorgegangenen “Grünen schafften es 1979 erstmals seit 30 Jahren, das Oligopol dauerhaft zu durchbrechen. Die Parteienfinanzierung, bei der jede Stimme vom Staat mit einem Fixbetrag alimentiert wird (neben der Finanzierung der Stiftungen), wurde erst nach der Grünen-Gründung eingeführt. Die SED/PDS/Linke ist eine Ausnahme: Sie verfügte über hohe finanziellen Ressourcen, die sie zu schützen suchte: Unter Führung von Gregor Gysi und Lothar Bisky wurde Anfang der 90er ein Hungerstreik inszeniert, um die Aufklärung des Verbleibs des SED-Parteivermögens zu verschleiern.

3. Das digitale Zeitalter und die sozialen Netze haben die politische Kommunikation verändert. Bis dahin handelte es sich um eine Symbiose insbesondere der öffentlich-rechtlichen Journalisten aber auch aus den Zeitungen und der Politik. Das Problem: Niemand weiß, wer ist der Wirt und wer der Parasit.

Mit dem Entstehen von Blogs und insbesondere der sozialen Netzwerke haben die Medien ihre Funktion als Gatekeeper und die Politik ihren monopolisierten Distributionskanal verloren. Das zeigt sich insbesondere in der versuchten Ächtung der AfD und der Tatsache, dass die schon 2013 fast das Oligopol durchbrochen hat.

4. Als erste Partei hat die SPD ihre Relevanz durch das fortgesetzte Appeasement gegenüber den “Grünen” verloren. Sie war einst angetreten, um die Emanzipation der Arbeiterklasse zu vollziehen. Mission accomplished. An ihr ist das Eau de Toilette des Fortschritts verflogen und sie orientiert sich an den wenigen Verlierern der Gesellschaft und vernachlässigt ihre traditionelle Klientel. Das Einzige was an der Republik sozial ungerecht ist, ist, dass den kleinen und mittleren Einkommen 40 Prozent wegbesteuert werden. Durch die Sozialversicherung. Arm sind diese Leute trotzdem meist nicht.

5. Seit der Pizza-Connection junger CDU-Abgeordneter und ihrer Pendants der Grünen im Bonn der Achtziger Jahre ist eine schwarz-grüne Koalition der feuchte Traum in den Redaktionsstuben, weil so die CDU mit der konservativen Ideologie der Ökologie versöhnt werde, die im Kern die biologische Evolution leugnet, weil alle vermeintlich negativen Änderungen von Umwelt und Klima dem kapitalistischen Feindbild in die Schuhe geschoben werden.

6. Jamaika hätte die letzte halbwegs bürgerliche Partei mit einem liberalen Flügel, die FDP. assimiliert. Das brachte den Medienmainstream fast schon in orgastische Stimmung. Der letzte Teil des wählbaren marktwirtschaftlichen politischen Bürgertums wäre atomisiert.

7. Die mangelnde Wirksamkeit der Symbiose aus Politik und Medienmainstream offenbart sich im fortgesetzten AfD-Bashing, das der Protestpartei die Wähler scharenweise in die Arme trieb. Ihre Existenz ist ohne die neuen Kommunikationsformen der sozialen Medien nicht denkbar, die die Kosten der politischen Kommunikation deFacto marginalisiert haben. Beide agieren mit der Scheuklappe der Angst und üben sich statt in der sachlicher Auseinandersetzung in platter Kombination aus Diffamierung und Ignoranz.

8. So kurz vor dem totalen Sieg zerschellt der Marsch der mittlerweile meist 70jährigen 68iger durch die Institutionen im grün-ökologischen-lackierten trojanischen Pferd an Christian Lindner, der sich weigert, aufzusteigen. Chapeau. Pikanterweise haben das die ehemals fortschrittsgläubigen Sozen mit ihrer Weigerung, an einer Regierung teilzunehmen befördert, ohne zu wissen, was sie tun.

9. Der Bundespräsident ist der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort. Er ist ein Repräsentant der repräsentativen Demoskopie, die längst die Politik stärker bestimmt als die alle vier Jahre ausgezählten Wählerstimmen, die die Politik nicht bestimmen, aber die Politiker und Parteien scheinbar legitimieren. Der Apparatschik hat keinen Tag seines Lebens in der freien Wirtschaft verbracht. Der Bürger macht längst mit der Faust in der Tasche sein Kreuz, weil er den Staat und seine Repräsentanten längst nur noch als ein solches begreift.

Steinmeiers und mittlerweile auch Schäubles Worte, die Parteien zu einer Bildung einer Regierung zu zwingen, sind nur ein Indiz für die Tatsache, dass das ganze politische System längst aus der Zeit gefallen ist. Die Volksvertreter scheinen wie die Handlungsreisenden, ihren Brötchengebern und nicht den Kunden verpflichtet.

10. Nachdem die Digitalisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft längst stattgefunden hatt, will die Politik Modernität beweisen, in dem sie meint besser zu wissen, was für die Digitalisierten gut ist als diese selbst. Dabei war das für sie vor vier Jahren noch Neuland. Und heute verstehen sie vordringlich darunter die Versenkung von Steuermilliarden mit Glasfaser, statt die Wahl der richtigen Technologie dem Wettbewerb zu überlassen. Von Blockchain und Bitcoin ist derweil keine Rede. Mit wachsendem Unverständnis der sozialen Netzwerke versucht man diese mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts wieder unter Kontrolle zu bringen: Mit Zensur, die man ganz neoliberal privatisiert und digitalisiert.

Die repräsentative Demoskopie bäumt sich derweil auf. Nach dem Jamaika-Scheitern ist man schnell mit Balken-Diagrammen zur Hand, die just das vermeintliche Ergebnis präsentieren, das die Jamaika-Geilen sich wünschen werden. Schuld am Scheitern sind nicht die 237 Dissens-Punkte in den Jamaika-Papers, sondern die FDP und Christian Lindner.  Dass der sich wohl schon im Vorfeld kommunikativ mit den richtigen Instrumente für den Fall des Scheiterns versorgte, wird zur Dolchstoßlegende umformuliert, der Mann habe nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Selbst wenn.

Die Digitalisierung der Gesellschaft hat längst stattgefunden. Es ist Zeit für die Digitale Demokratie, in der die Meinung der Bürger und nicht die der Demoskopen zählt.

Carl Christian Jancke ist im Hauptberuf Analyst für historische Automobile, liberaler Blogger und Publizist, unter anderem für die Jüdische Rundschau.

Foto: Pixabay

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Ulrich Strunz Junior / 22.11.2017

Die digitale Meinung oder die Meinung? Himmelweiter Unterschied. Wer das nicht versteht, kann ja mal auf 4chan gehen, ein gut besuchtes Forum moderieren oder virtuelle Produkte über paypal vertreiben und sich um die 400 Emails am Tag kümmern. Danach versuchen, mit all den Menschen Kaffee zu trinken. Das Internet ist zum Großteil Porno, Drama, Spiele, Gehässigkeit. Also Sucht.

Rupert Drachtmann / 22.11.2017

Der Herr Lindner ist doch ein guter Stratege. War ja auch nicht so schwer diesen Schachzug als eine gute Option zu erkennen ( Obwohl: Hr. Seehofer hat das für seine CSU nicht erkannt). Ob man dem Hr. Lindner am langen Ende über den Weg trauen kann wird sich zeigen. Ich bin skeptisch ob er ein Gegenstück zu Hr. Kurz aus Österreich sein kann.

Thomas Nuszkowski / 22.11.2017

ZITAT: “Der Bundespräsident ist der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort. Er ist ein Repräsentant der repräsentativen Demoskopie, die längst die Politik stärker bestimmt als die alle vier Jahre ausgezählten Wählerstimmen, die die Politik nicht bestimmen, aber die Politiker und Parteien scheinbar legitimieren.” So ist es. Woche für Woche wird uns mit irgendwelchen “Umfrageergebnissen” eingehämmert, was wir zu glauben haben. Die eigentlichen Wahlen werden durch diese Flut marginalisiert - insbesondere durch das Umfragetrommelfeuer vor diesen Wahlen. Das muss dringend eingedämmt werden. Über angebliche russische Einmischungen in Wahlen wird sich reichlich aufgeregt. Über die ständige Manipulation von Wahlergebnissen durch hunderte “repräsentative Umfragen” dagegen nicht.

Klaus Metzger / 22.11.2017

Die Grünen speisten sich damals auch zu einem erheblichen Teil aus Mitgliedern der kommunistischen Parteien, denen der Einzug in den Staatsdienst durch den “Radikalenerlass” verwehrt war. Unter der Grünen Flagge gelang ihnen dann der “Marsch durch die Institutionen”. Deshalb sitzen heute Ultralinke Strippenzieher wie Jürgen Trittin oder Reinhard Bütikofer am Verhandlungstisch.

Sonja Brand / 22.11.2017

Hervorragender Artikel, Herr Jancke. Chapeau!

Herbert Frankel / 22.11.2017

“Das Grundgesetz heißt mit gutem Grund nicht Verfassung.” Dem stimme ich zu und verweise auf das Grundgesetz. Im Art. 146 GG heißt es (Quelle: dejure.org): “Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.” In dem ansonsten ansprechenden Aufsatz vermisse ich einen Hinweis auf diese Bestimmung. Daß die Parteien kein Interesse haben an einer Verfassung, die in einer Volksabstimmung beschlossen würde, ist klar. Von denen könnte man am allerwenigsten erwarten, etwas zu ändern (wie steht eigentlich die AfD dazu?). Aber auch sonst ist mir nicht bekannt, daß das irgendjemand mal in den letzten 28 Jahren thematisiert hätte. Wieviele Juristen beherbergte der Bundestag seit 1990? Welchen Eid schwören Minister? Wieviel ist die “Recherche” eines staatlich mitfinanzierten “Rechercheverbunds” wert, wenn sie noch nicht einmal das Grundgesetz lesen können. Oder wollen? All das zeigt nur, was Amtsinhaber und Journaillisten unserer Qualitätsmedien vom Volk halten.

Hartmut Laun / 22.11.2017

Grundgesetz, Verfassung was wäre mit einer Verfassung anders heute in Deutschland als mit dem Grundgesetz? Hätte es mit einer Verfassung die Machtergreifung von Angelika Merkel und die Gleichschaltung aller drei Gewalten, einschließlich der Presse und des TV, dann nicht gegeben? Hätte eine Verfassung das verhindert und wenn ja wie?. Ob Verfassung oder Grundgesetz, welche Divisionen haben solche Gesetzeswerke um sich vor Missbrauch und Rechtsbruch, gegen seien Feinde zu schützen? Gar keine dann, wenn genau die, welche der Verfassung zur Hilfe eilen müssten weil sie über die Exekutive verfügen, wenn genau diese die Verfassung außer Kraft zu setzen gewillt sind. Und was vergessen wird, es gab mal ein Deutschland das hatte eine Verfassung. War es in diesem Teil Deutschland denn anders als in dem heutigen Merkel-Deutschland ohne Verfassung, mit Grundgesetz? Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik: Präambel…. ....fest gegründet auf den Errungenschaften der antifaschistisch - demokratischen und der sozialistischen Umwälzung der gesellschaftlichen Ordnung,  .... Kommt uns dieses Ziel dieser Verfassung nicht ungemein bekannt vor wenn wir uns in Merkel-Deutschland wachsam umsehen?

Renate Weiß / 22.11.2017

Hervorragender Beitrag - Chapeau! Er enthält viele denkwürdige Sätze, aber besonders gut auf den Punkt gebracht finde ich “...weil alle vermeintlich negativen Änderungen von Umwelt und Klima dem kapitalistischen Feindbild in die Schuhe geschoben werden.” Vielen Dank. Die Achse des Guten hilft beim mentalen Überleben.

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