Fabian Nicolay / 25.06.2022 / 06:00 / Foto: Pixabay / 110 / Seite ausdrucken

Wie könnt ihr es wagen?

Gretas Verbreitung des Endzeit-Aberglaubens vom baldigen Hitzetod wird nun zur Farce in seiner realwirtschaftlichen Umkehr: Menschen werden erfrieren, weil sie ihre Wohnungen nicht heizen können.

Viele Deutsche werden wohl im Winter frieren müssen, sich auf Entbehrungen einstellen. Und alle sollen mitmachen beim „Sparen“, verfügt der Wirtschaftsminister. Schon wieder ein Notfallplan: Als Vorgeschmack läutet Robert Habeck die zweite von drei Stufen ein, bei der Kunden über eine Preiserhöhung ihres Gas-Versorgers lediglich eine Woche vorher informiert werden müssen. Also gibt es de facto keine vertragliche Preisgarantie mehr, die Aufhebung erfolgt quasi von Amts wegen. Die zweit-unangenehmste Seite der Inflation zeigt sich nun bereits vor der Winterkälte: Verträge sind Makulatur, die Preise sind vogelfrei, die Endverbraucher ausgeliefert. Eine zuvor noch bezahlbare, angenehme Betriebstemperatur kann im Handumdrehen zum Luxus oder finanziellen Fiasko werden.

Sämtliche Gaspreise dürfen von den Versorgungsunternehmen nun beliebig auf ein „angemessenes Niveau“ angehoben werden. Aber nach oben gibt es keine Deckelung. Was „angemessen“ ist, entscheiden nicht die Kunden, sondern die Gasversorger. So warnt ein Energieexperte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), die Privathaushalte wären auch vor extremen Gaspreisen nicht geschützt. Das ist ein Albtraum für Menschen ohne finanziellen Puffer.

Es sieht ganz danach aus, als wüssten die Experten aus dem Wirtschaftsministerium schon heute, was Russland in ein paar Wochen liefertechnisch plant. Zumindest drängt sich diese Vermutung auf, wenn der Wirtschaftsminister die drastischen Markt-Interventionen der zweiten Stufe des Notfallplans auf die Verbraucher loslässt. Russland hat Gas, Geld und Geduld. Im Winter wird Geduld in Deutschland hingegen ein knappes Gut werden, wenn sich das Innenraumklima der Außentemperatur annähert und der Atem als Eisblumen an der Vitrine der Wohnzimmerschrankwand niederschlägt.

Deutschland ist besonders verwundbar

Deutschen Verbrauchern wird bald der russische Gas-Hahn zugedreht – andere europäische Staaten, wie die Niederlande oder Frankreich, hat es schon erwischt. Allerdings sind diese Länder weit nicht so abhängig vom russischen Gas wie Deutschland. Das ist die Ambivalenz der europäischen Russland-Sanktionen, sie kommen nun als schmerzhaftes Echo bei uns an. Die Endverbraucher und gasabhängigen Produktionsbetriebe müssen ausbaden, was kurzsichtige Politiker in Brüssel und Berlin verzapft haben.

Deutschland ist besonders verwundbar. Die Schwächung der Versorgungsstrukturen ist ein lang betriebenes Lieblingskind deutscher Realpolitik. So wurden mit weltanschaulicher Besserwisserei und nahezu krimineller Aufgeblasenheit jahrzehntelang Angelegenheiten wie die „Energiewende“ oder „Nachhaltigkeit“, die Abschaltung „gefährlicher Atomkraft“, die Hinwendung zu „erneuerbarer Energie“, oder das Projekt „Nord Stream 2“ und die Konzentration auf „billiges“ russisches Gas als zivilisatorische Errungenschaften und Zukunftsprojekte postuliert. Nun offenbart sich vieles als Halluzination und Scharlatanerie, als unprofessionelle und ideologisch überfrachtete Symbolpolitik zum Schaden der Verbraucher und Steuerzahler.

Die Bürger müssen also wieder einmal die normative Kraft des Faktischen akzeptieren, als sei sie eine Naturgewalt. Und erneut müssen sie auch den Staat und seine Vertreter walten lassen, obgleich das Vertrauen in die Management-Fähigkeiten des Personals verspielt ist. Die fette Quittung für die miserable Energiepolitik der Merkel-Ära kommt nun schneller als gedacht. Sicher ist schon heute: Alle Abgeordneten des Bundestages können sich mit ihren Diäten auch extreme Energiepreise leisten, sie können den Fahrdienst des Bundestages nutzen und ihre Fehlentscheidungen fallen unter die Kategorie „Indemnität“. Auf deutsch: Der politische Bockmist bleibt beim Bürger liegen, der Abgeordnete haftet dafür nicht.

Auto-aggressive Abkehr von der Wertschöpfung

Die energetische Zeitenwende, die einst als „Energiewende“ positiv aufgeladen werden sollte, ist zum historischen Debakel mutiert, ein Rohrkrepierer aus politischen Phantasmen, für die man bereit war, jeden Wohlstands-Ast, auf dem man saß, abzusägen. Tief werden die Deutschen fallen und nicht so einfach wieder hochklettern können. Denn die Äste, an denen wir uns festhalten könnten, sind bald abgesägt. Deutschland, ein kahler Stamm von imposanter Höhe, aber ohne Ansatz für neue Triebe. Energie, Produktion, Arbeitsplätze, Wohlstand. Kein Ast. Nirgends.

In erster Linie werden nun Erika und Max Mustermann unter der auto-aggressiven Abkehr von der Wertschöpfung leiden. Energie-, wirtschafts- und arbeitspolitisch sind damit die Weichen gestellt für eine neue Verelendung. Wenn zusätzlich Schlüsselindustrien wie die Autoindustrie dicht machen müssen, werden auch tausende Zulieferer den Bach runtergehen. Wenn Kohle, Gas, Erdöl für energetisch aufwändige Produktionsprozesse knapp und überteuert sind, werden weder Solarstrom noch Windenergie die Lücken schließen können. Dann schafft sich Deutschland als Exportnation innerhalb kurzer Zeit ab.

Das elitär denkende Deutschland in seiner polit-medialen Filterblase scheint genau das zu wollen – vielleicht nicht ganz so abrupt. Man glaubte, wenn es langsam ginge, würde es einer Transformation gleich zwar Übergangsschwierigkeiten geben, aber keine schweren Einschnitte und Katastrophen verursachen. Jedoch war es schon immer politisch unvernünftig, keinen „Plan B“ parat zu haben. Das werden wir jetzt am eigenen Leibe spüren. Gesellschaftlich wird es ungemütlich.

„Öl sparen, statt Bohren“

Gestern konnte ich miterleben, wie Aktivisten bei einer nicht genehmigten Straßenblockade in Berlin-Friedrichshain eine stark befahrene Großkreuzung lahmlegten. In praller Sonne hatten sich mehrere Dutzend Demonstranten auf der Fahrbahn niedergelassen und mit einer Hand festgeklebt. Auf Spruchbannern war zu lesen: „Öl sparen, statt Bohren“. Ein thematisch ziemlich eingeengter Fokus. Ein freundlicher Demonstrant machte den Bogen weiter auf und erklärte mir auf Nachfragen:

„Die letzten Regierungen haben 50 Jahre lang verpennt, eine Energiewende und Wärmewende zu machen ... Jetzt werden die Abhängigkeiten von einem totalitären Regime zu einem anderen totalitären Regime umgeswitcht ... Die ganzen technischen Möglichkeiten, die es gibt, mit Wärmepumpen, Photovoltaik, Windrädern und die ganzen Erneuerbaren sind viel kostengünstiger ... Es gibt ganz viele Speichermöglichkeiten und intelligente Netze. Es ist alles lösbar. Die Wissenschaft bietet das seit Ewigkeiten an.“

Hätten wir früher auf diese Leute gehört, also schon vor 40 Jahren mit dem Abbau unserer sicheren Energieversorgung begonnen, die energiefressende Groß-Industrie abgeschafft und ganz viele Growiane, Staudämme und Solarparks gebaut, dann wären wir heute klüger und weiter. Wir hätten das Scheitern dieser Illusion also schon hinter uns. Funktioniert hat das nämlich schon damals nicht. Die Probleme mit der Technik sind heute zwar andere, vieles ist optimiert, aber die zwingenden Notwendigkeiten und Voraussetzungen für den Betrieb einer Exportnation sind mit den „Erneuerbaren“ immer noch nicht erbracht: zu wenig Effizienz, zu geringe Speichermöglichkeiten, zu hoher Flächenverbrauch, zu geringe Gesamtleistung. Das ist hinlänglich bekannt.

Zurück in eine Zukunft ohne Wachstum

Für die Anhänger der Klimakirche kommt es wie gelegen: Deutschland wird zum weltweit führenden Beispiel der konsequenten Abkehr von fossilen Brennstoffen, zumindest schon mal unfreiwillig. Ein Traum dieser Endzeit-Apologeten nimmt damit klare, destruktive Gestalt an. Denn nach ihren Vorstellungen stehen wir kurz vor den Kipppunkten, hinter denen es kein Zurück mehr gibt vom Klimakollaps, dem sicheren Hitzetod, dem CO2-Fanal einer gierig-verschwenderischen Menschheit. Man schaut auf die Klimaerwärmung wie auf ein schwarzes Loch, an dessen „Ereignishorizont“ für den Betrachter zwar alles stillsteht, aber dahinter der unumkehrbare Mahlstrom beginnt. Die Zeit scheint indes stehengeblieben zu sein am Erkenntnishorizont dieser Menschen. Deutschlands Beitrag zur Klimarettung kann im besten Fall knapp zwei Prozent bedeuten. Das ist der Anteil des deutschen CO2-Ausstoßes und damit am Klimawandel, wenn man annimmt, dass dieser allein vom Menschen verursacht wird. Aber der Klima-Glaube ist ein fester. Mal schauen, ob der den nächsten Winter übersteht.

Am Ende geht es den Aktivisten auf der Kreuzung in Berlin-Friedrichshain und ihren Sympathisanten in der Politik gar nicht um den Fortbestand Deutschlands als Industrienation. Ganz im Gegenteil: Sie wollen zurück in eine Zukunft ohne Wachstum, Industrie und Kapitalismus. Das ist eine weitverbreitete Heilslehre im gebildeten, öko-sozialen Mittelstand. Man sieht sich als Elite der Weltrettung und versteht die kommende Energiekrise als Chance, um den ökologischen Wertewandel als Abkehr von westlich geprägten Lebensstilen nun im Eiltempo zu inszenieren.

Greta, das Mädchen mit den Zöpfen und dem versteinerten Gesicht, hatte uns vor wenigen Jahren zugerufen: „Wie könnt ihr es wagen!“ Gestützt auf die sogenannte „Wissenschaft“ von NGOs und die voll aufgedrehten Lautsprecher der salutierenden Leitmedien verbreitete sich ihr Endzeit-Aberglaube vom baldigen Hitzetod wie ein Glaubensbekenntnis. Nun wird es zur Farce in seiner realwirtschaftlichen Umkehr: Menschen werden erfrieren, weil sie ihre Wohnungen nicht heizen können. Und Menschen werden ihre Arbeit verlieren, werden hungern, werden verelenden. Sie werden dann mit Recht rufen: „How dare you!“

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Christel Beltermann / 25.06.2022

Ideologien behindern Vernunft und realistisches Handeln. Ohne Frage sind alternative Energien, Nachhaltigkeit und Schutz und Pflege der Umwelt unverzichtbare Forschungs- und Handlungsräume. Was aber gerade hier in D abläuft, ist dummdreist und ein Schlag ins Gesicht der von der Politik zum erheblichen Teil abhängigen Bürger. Sich ad hoc von der Kernkraft weitestgehend zu trennen war schon dumm genug. Sich viel zu umfangreich von einem unsicheren Kandidaten bzgl. Gas abhängig zu machen, ebenso. Ein Gemisch aus alternativen und modernsten konservativen (Bsp. Thorium) Energieerzeugern sollte doch möglich sein. Ein Hochindustrieland mit einer hohen Einwohnerzahl braucht günstige Preise dafür, um mit Lebensqualität arbeiten und existieren zu können. Aber vielleicht soll das ja wirklich nicht mehr das Modell der Utopisten sein. Was aber dann? Alle gleich arm, aber gleich glücklich? Die kleine Gruppe der Eliten und Entscheider natürlich wohlversorgt. Sie werden über kurz oder lang abgesperrte Gebiete benötigen, um sich vor dem Volkszorn zu schützen. Dauert aber noch. Deutsche sind masochistisch sehr lange leidensfähig und auch nicht übermässig mutig.

S. Andersson / 25.06.2022

Warum wundert mich das ganze nicht. Ich hab gestern Abend einen guten Freund getroffen der auf der ILA war. Er zeigte mir ein Foto, darauf zu sehen H. Heil mit sehr dunkelhäutigen Afrikanern ... alle mit Schlips .....  vor einem Panzer aufgereit ..... und ich Dummerchen dachte immer das die ILA Flugzeuge zeigt. Irgend wie beschleicht mich das Gefühl das Politker und ihre Genossen GEGEN das Volk Arbeiten .... das was jetzt schon am rollen ist, ist auf jeden Fall übel, ganz übel.

Marco Schulz / 25.06.2022

Soweit das Narrativ, sonst nichts. Sogar die Greta darf nicht fehlen im Artikel, die dümmste, nervigsete Medienkampagne aller Zeiten. Ja, natürlich weiß man, was kommt. So fiel etwa die monatelang vorbereitete “Spritpreisbremse” auf den Tag genau mit einer neuen Runde beim Ölembargo zusammen. Spätestens seit den 70 ern wird Produktion nach Asien verlagert, auch aus den US. Leipziger fragen sich, warum in der Stadt scheinbar ohne Sinn viele Hotels gebaut werden. Ich weiß es, wir werden Freizeitpark, noch ein paar Fachwerkhäuser, und die Chinesen können zum Paddelurlaub kommen. Das neue Venedig. Alles geplant. Wollen wir schauen, wie man die Deutschen so richtig trollt, damit sie rebellieren, schlussendlich das Neue begrüßen, in der Illusion irgendetwas selbst gestaltet zu haben. Ganz nach Hegel, die Dialektik. Solch ein Artikel kann mich nicht betrüben. Ein Zeltofen ist eingelagert. PS Wer angesichts der Manipulationen und Kampagnen noch über Falschwähler spottet, ist ein Idiot.

Peter Robinson / 25.06.2022

Der einleitende Satz des Artikels ist weltklasse. You made my day.

Nathalie Nev / 25.06.2022

Erst die Werbetrommeln schlagen fuer mehr Waffen an die Ukraine und mehr Sanktionen an Russland, und sich dann ueber logische Konsequenzen wundern.

Michael Lorenz / 25.06.2022

Wenn 10 Leute frieren, haben 9 bekommen, was sie in der Wahlkabine bestellt haben. Und der eine hat vermutlich bereits einen alten Kanonenofen montiert und genug Holz gelagert. Von daher: eigentlich alles in Ordnung!

j. heini / 25.06.2022

Irgendwo habe ich gelesen, dass kein Russland die Gaslieferungen an Frankreich kürzt. Könnten Sie vielleicht erklären, wie das funktioniert? Frankreich hat doch keine eigene Gasleitung nach Russland. Also kommt das Gas über welche Leitung? Und dann kürzt Russland die Lieferungen und sagt, das beträfe Frankreich? Und D sagt prima, unsere Gaslieferungen sind nicht gefährdet?

Klaus Keller / 25.06.2022

Individuelle Opfer bei der Rettung der Menschheit sind Kollateralschäden. vgl ggf Verlängerung der Amtszeit der Regierung der Ukraine und deren Kollateralschaden. Der bekannte Politikwissenschaftler Josef Stalin meinte: Der Tod eines einzelnen ist eine Tragödie. Der Tot von Millionen ist Statistik.

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