Claudio Casula / 09.05.2022 / 06:51 / Foto: nao-cha / 68 / Seite ausdrucken

Wie kielgeholt: Ein Wahlabend im Norden

Was soll man über einen Wahlabend berichten, der so mitreißend ist wie eine Partie Hallen-Halma? Der Autor gesteht gleich zu Beginn ein, sich die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nur auf Weisung von oben angesehen zu haben (und das auch nicht vollständig, aber sagen Sie’s nicht weiter).

Die Frage lautete ja im Prinzip: Wer wird künftig in Kiel regieren? Eine Koalition aus CDU, Grünen und FDP? Oder etwa Schwarz-Grün-Gelb? Oder, dritte Option: „Jamaika“? Die höchstwahrscheinliche Antwort nach der Wahl vom 8. Mai 2022: ja!

Früher war im Land zwischen den Meeren ja noch Leben in der politischen Sülze. Genauer: vor 35 Jahren, Stichwort „Barschel-Affäre“: Schmutzkampagne gegen den politischen Gegner, Lügen, Ehrenwort, Rücktritt, schließlich der Tod in der Badewanne. Doch längst ist Ruhe eingekehrt in Schläfrig-Holzbein, jeder kann mit (fast) jedem koalieren. Der aktuelle Ministerpräsident, Daniel Günther von der CDU, ist ein grünes Schaf im schwarzen Schafspelz und als solches ein idealer Brückenbauer zwischen den austauschbar gewordenen Parteien.

Das Wahlergebnis selbst ist rasch referiert: Die CDU erringt nach Hochrechnungen etwa 44 Prozent (11 mehr als beim letzten Mal), was nach übereinstimmender Auffassung eindeutig den sagenhaften Beliebtheitswerten Günthers zu verdanken ist, also dem Mann mit den Ärmelschonern überm Charisma. Die SPD, die nach dem Wahlsieg im Saarland vor Kraft kaum laufen konnte, verliert etwa 12 Prozent und landet mit ca. 16 Prozent noch hinter den Grünen, die etwa 18 Prozent holen. Die FDP halbiert sich auf 7 Prozent, die AfD liegt zur allgemeinen Freude aller anderen Parteien knapp unterhalb der 5-Prozent-Hürde und der SSW, der Südschleswigsche Wählerverband (nordfriesisch: Söödschlaswiksche Wäälerferbånd, eine Minderheiten- und Regionalpartei der dänischen Minderheit) bei 6 Prozent, was aber egal ist, weil die 5-Prozent-Hürde für den SSW ohnehin nicht gilt, wie man bei ARD und ZDF gefühlte dreißigmal erwähnt.

Grüner als eine Salatgurke

Theoretisch könnte Günther mit jeder der anderen Parteien (außer der AfD natürlich) eine Koalition eingehen, er hat die freie Auswahl, es würde in jeder Kombination für eine Mehrheit reichen. Laut Umfragen wünschen sich mehr CDU-Wähler eine Koalition mit den Liberalen als eine mit den Grünen, andererseits ist der Ministerpräsident grüner als eine Salatgurke und geradezu das Gegenstück zu seinem Parteichef Merz. Dass er eine Koalition nur mit der FDP oder vielleicht (auch) mit dem SSW einem schwarz-grünen Bündnis oder einer Neuauflage von „Jamaika“ vorziehen könnte, gilt als extrem unwahrscheinlich, zumal der „MP“ unermüdlich betont, wie toll man doch zusammengearbeitet habe.

Dass die bisherige Regierung einfach so wahnsinnig „erfolgreich“ gewesen sei, wird an diesem Abend unisono als Begründung für das Wahlergebnis angeführt. Die Sozen, die das schlechteste Ergebnis seit Urgroßvaters Zeiten eingefahren haben, mosern ein bisschen herum; Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller, der vor zwei Jahren von den Grünen zur SPD gewechselt ist und den die Hälfte der Wahlberechtigten in Schleswig-Holstein gar nicht kennt, führt das Desaster auf Corona und den Ukraine-Krieg zurück, ein Move, den sich offenbar kein Politiker mehr entgehen lässt, wenn es zu erklären gilt, warum wieder mal ein Karren in den Dreck gefahren wurde. Eine ähnlich überzeugende Erklärung wäre, dass die Sozen im Wahlkampf einfach zu wenig Luftballons und Kugelschreiber verschenkt haben.

Auch Kevin Kühnert erklärt, der Günther sei eben unangreifbar gewesen, aber in NRW werde es nächste Woche ein „offenes Rennen“ geben. SPD-Antipathieträger Ralf Stegner spricht mit Bestattermiene von einem „Debakel“, es sei nicht um Landespolitik gegangen (der Krieg, der Krieg…). Die Schalte zur Sozen-„Party“ ist zum Glück kurz, macht eh nur schlechte Laune, am Ende schaut man noch selbst aus der Wäsche wie „Pöbel-Ralle“.

„Daniel! Daniel!“

Guter Laune ist hingegen Robert Habeck, der Günthers Wahlsieg auf die „modernen Kräfte“ zurückführt, mit denen dieser koaliere. Mit den „modernen Kräften“ meint Habeck tatsächlich seine Grünen, aber er sieht ja auch einen „konservativ-bürgerlichen Block“ in Deutschland, wer immer den verkörpern mag. Der Robert freut sich, dass sich das Land trotz des mächtigen „konservativ-bürgerlichen Blocks“ endlich „in Richtung Progressivität“ entwickle.

Das ZDF hat eine „Wählerreporterin“ losgeschickt, die draußen ein Pärchen interviewt, stellvertretend für Schleswig-Holsteins 2,3 Millionen Wahlberechtigte. Das Pärchen würde sich freuen, wenn die Grünen regieren. Wer hätte das gedacht! Die Spitzenkandidatinnen der Grünen heißen Monika Heinold und Aminata Touré. Letztere wurde, wie ein ZDF-Mann sagt, vor 28 Jahren (richtig: 29, Anm. C.C.) als Flüchtlingskind in Schleswig-Holstein geboren. Schalte zu den Grünen. Aminata Touré jubiliert, wild gestikulierend, über den Wahlerfolg, und der ZDF-Mann freut sich hernach über Tourés Aufstieg („Was für eine Karriere!“). 

In der CDU-Zentrale herrscht „unglaublicher Jubel“, wie der Reporter kommentiert. Einige jüngere Parteimitglieder skandieren „Daniel! Daniel! Daniel!“, was ähnliche Fremdscham auslöst wie weiland Martin Schulz‘ Aufforderung an seine Jung-Sozen („Ihr könnt doch mal rufen! ,Martin‘ rufen!“). Daniel grinst wie ein Honigkuchenpferd. 

Am nächsten Sonntag ist Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, dann tritt Daniels Freund Hendrik Wüst gegen einen anderen SPD-Thomas an, Thomas Kutschaty. Der Autor dieses Textes wird schon morgen eine Petition starten, die ihn von der Berichterstattung über den NRW-Wahlabend verschonen soll. Unterschreiben auch Sie! Bitte!! 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Detlef Rogge / 09.05.2022

Ach ja, schöner Artikel, tolle Polemik, diesen Stil schätze ich. Ich selbst habe die Berichterstattung nur kurzzeitig ertragen, Ihre Petition werde ich unterschreiben.

Stefan Ahrens / 09.05.2022

Gähn! Danke, dass Sie uns das Ergebnis kurz erläutert haben. Live gucke ich so etwas ja schon lange nicht mehr!

Dirk Göske / 09.05.2022

Im Westen also nix Neues. Im Osten auch nicht. Beliebtheitswert von Manuela Schwesig, die mit der Aura einer hauptamtlichen Pionierleiterin, ununterbrochen ungebrochen. Brave DDR - Bürger. Ost und West. Es wächst doch zusammen.

Walter Weimar / 09.05.2022

Das Wahlergebnis, ich habe es nur an Rande mitbekommen, was geht mich auch der hohe Norden an, ist wie schon im Artikel erwähnt nur Ausdruck der Ausdruckslosigkeit der derzeitigen Politik. Jeder kann mit jeder* (*außer der gemeinsame Feind AfD natürlich) sagt schon alles aus. Dann doch gleich die bewährte GroKo, die Kandidaten der Einheitsfront. Was drückt das aber als Wählerwille aus? Eigentlich nichts. Egal, ganzegal, scheißegal. Wie das Land so der Mensch oder war’s umgekehrt?

Markus Knust / 09.05.2022

Ich finde es insofern interessant, dass der Fall “Deutschland” langsam endgültig geschlossen und zu den Akten kann. Die Deutschen wollen es genauso haben und verdienen es daher auch nicht besser. Mittels welcher Farbenspiele und Figuren die Demokratie Simulation weiter Richtung Abgrund getrieben wird, spielt eigentlich keine große Rolle. Hauptsache, es sind alle geimpft und die Kostgänger strömen zahlreich ins Land, während dieses weiter vor sich hin rottet. Nothing new, im grün sozialistischen Bullerbü und Sozialamt der Welt. Eventuell ist es auch schon als Fortschritt anzusehen, dass der neue Deutsche den Arm lieber frei macht, anstatt ihn zu heben. Die Pharma Industrie muss schließlich auch von irgendwas leben und Experimente sind fast genauso teuer, wie die Kriege von Drittstaaten. Oder die Reformen und Steuerausfälle der europäischen…ähm…Partner.

Heiko Engel / 09.05.2022

Über die, natürlich auch in S-H, vorherrschende toxische Mischung der Wählereigenschaften aus Verblödung und Faulheit bleibt nur noch fassungsloses Kopfschütteln. 11 % Prozent an Mehrstimmen ist schlicht unfassbar und ein demokratischer Offenbarungseid für den Wähler. DIE BEGREIFEN JA GARNICHTS !!! Der Kommunist als MP.. Es bedarf nur eines Rückgedenkens an den letzten Sommer. Der Kommunist als MP schmiss auf einer Pressekonferenz die Nerven wech ( nordisch ! ) und bepöbelte die Ungeimpften. Er hätte die Schnauze voll. Gut, entwickelte und gebildete Menschen haben von der auch durch ihn höchst gruselig vertretenen Parteiendiktatur allerdings auch die Nase randvoll. Es ist und bleibt für Parteidiktatoren und deren willfährige Erfüllungsgehilfen des hier gelebten Wahnsinns eben ein sehr langer Weg bis hin zur ausgebildeten inneren Demokratie. Das Land gleicht einer offenen Psychiatrie.  Für Deutschland bleibt dieser Weg offensichtlich völlig ungangbar. „Es ist hoffnungslos !“ - Prof. Rainer Mausfeld, ehemals Uni Kiel - Sonnige Woche.

Hartmut Laun / 09.05.2022

Die AfD sollte sich auflösen und den Parteien der Volksfront ihren Spielplatz allein überlassen. So nicht mehr das Feigenblatt für eine funktionierende Demokratie hergeben und sich für die unvermeidbaren Ruinen noch die Schuld dafür zuschreiben zu lassen. Wer gegen den Impfzwang ist, der wählt die AfD. Wer gegen Waffenlieferung für die Ukraine ist, der wählt die AfD. Wer für die Beteiligung Deutschlands am Ukrainekrieg ist, der wählt Grün und die anderen Volksfrontparteien. Die Wähler haben entschieden, für den Impfzwang und den ihn begleitenden Freiheitseinschränkungen. Und für Waffenlieferungen an die Ukraine und der deutschen Beteiligung am Krieg gegen Russland. Ich habe verstanden.

Anja-Veronika Hinz / 09.05.2022

Ich unterschreibe ! Obwohl es sehr schade wäre, Ihre Analyse über die bevorstehende Wahl nicht lesen zu können. Was soll man zu diesem Wahlergebnis noch sagen ? !

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Claudio Casula / 25.04.2024 / 06:00 / 81

Boris der Große im ZDF

Ein Film über Verteidigungsminister Boris Pistorius im ZDF wird als Meisterwerk der Hofberichterstattung in die Fernsehgeschichte eingehen. Vor einer Woche zeigte das ZDF die Doku „Mensch Merz!…/ mehr

Claudio Casula / 24.04.2024 / 06:25 / 58

Mit Inhalierscham das Klima retten

Schlechte Nachrichten für die 6,1 Millionen Patienten in Deutschland, die auf Inhalatoren angewiesen sind: Sie sind von einer neuen EU-Verordnung betroffen. Die Verordnung über fluorierte Treibhausgase und…/ mehr

Claudio Casula / 20.04.2024 / 06:15 / 77

Corona-Ticker (15): Die Geister lassen sich nicht verjagen

Wie sieht es aus mit der Aufarbeitung der Corona-Zeit? Die Politik wehrt sich, die Medien zieren sich und die Justiz macht weiter wie bisher.  Mit…/ mehr

Claudio Casula / 19.04.2024 / 12:55 / 127

Der Baerbock-Bibi-Kompetenz-Vergleich

Annalena Baerbock will Benjamin Netanyahu belehren. Was befähigt sie dazu? Wie Bild meldet, hat sich Außenministerin Annalena Baerbock beim Versuch, Israels Ministerpräsidenten mit der Warnung…/ mehr

Claudio Casula / 17.04.2024 / 06:15 / 135

Triumph des Willens

Ein KI-Video zeigt ein dystopisches Deutschland nach der Machtübernahme der „Blauen" und der erzwungenen Remigration aller Ausländer. Wer produziert so was?  Enkelin: „Oma, wie schlecht kann…/ mehr

Claudio Casula / 16.04.2024 / 13:57 / 8

Texte zur falschen Zeit

Die wachsende unabhängige Medienlandschaft ist um eine dissidente Plattform reicher: Die politische Halbjahreszeitschrift casa|blanca trägt den schönen Untertitel „Texte zur falschen Zeit“. Laut Editorial will man „auf…/ mehr

Claudio Casula / 15.04.2024 / 12:20 / 66

Die allerschärfsten Reaktionen auf den Iran-Angriff

Als der Iran Israel attackierte, war im deutschen Fernsehen kaum etwas dazu zu sehen. Auch die Politiker schwiegen. Aber nicht für immer, was noch schlimmer…/ mehr

Claudio Casula / 12.04.2024 / 16:00 / 49

Bundestag erlaubt den Griff nach dem neuen Geschlecht

Heute hat der Bundestag das umstrittene „Selbstbestimmungsgesetz“ verabschiedet. Die Aussprache war für den Beobachter ein ganz zähes Stück Fleisch. Dafür, dass so lange und erbittert um…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com