Persönlich Betroffene berichten von Kamala Harris (59) als einer inkonsequenten und bisweilen erniedrigenden Chefin, die erfahrene Mitarbeiter, die in anderen anspruchsvollen, hochrangigen Positionen erfolgreich waren, verheizt. Erfahrungsgemäß legt jemand in ihrem Alter dieses Verhalten nicht mehr ab.
"Sie bejubeln ihn wie einen Heilsbringer“, schrieb der Spiegel im Januar 2017 über den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Ein Reporter berichtete über die frenetische Stimmung in Wanne-Eickel:
„Ein voller Saal wartet auf Martin Schulz, jeder Platz des Mondpalasts Wanne-Eickel ist besetzt, selbst an den Seiten stehen die Menschen. Draußen hat der Ortsverband noch einen Bildschirm aufgestellt, damit auch alle, die nicht mehr in den Theatersaal passten, den frisch gekürten Kanzlerkandidaten sehen können.“
Mehr als 500 Gäste bei einer SPD-Veranstaltung, „darunter auch viele junge Leute“, das habe es in Wanne-Eickel „lange nicht mehr gegeben“. In der SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ war zu lesen: „Seit bekannt ist, dass Martin Schulz Kanzlerkandidat der SPD wird, ist die Partei euphorisch.“ Die Demoskopen konnten die Euphorie messen, so die ARD: „Die Nominierung von Martin Schulz als Kanzlerkandidat beschert der SPD Spitzenwerte im ARD-DeutschlandTrend. Würde der Kanzler direkt gewählt, würde Schulz locker an Merkel vorbeiziehen.“
Schulz wurde verehrt und gefeiert wie Kim Jong-un. Anders als dieser musste er sich allerdings einer Wahl stellen, die er dann verlor, nachdem sich die Euphorie verflüchtigt hatte. Hat Kamala Harris gerade ihren Schulz-Moment? Umfragen sehen sie derzeit im Durchschnitt knapp vor Donald Trump, auch in den wahlentscheidenden Staaten (battlegrounds) hat sie sich deutlich verbessert. Seit ihrer Nominierung wurde sie allerdings auch – wie einst Martin Schulz in den ersten Wochen als Kanzlerkandidat – nur mit Samthandschuhen angefasst; irgendwelche Kritik gab es bislang kaum.
Dabei gibt es in ihrer Vita genug, das zu diskutieren wäre, wenn es um Harris’ Eignung für das Amt des US-Präsidenten geht. Darunter auch, wie sie in ihrer Zeit als Kaliforniens Attorney General Unschuldige hinter Gitter brachte und die Mutter eines lebensbedrohlich kranken Mädchens vor versammelter Presse im Schlafanzug und in Handschellen von der Polizei abführen ließ, weil das Kind vermeintlich die Schule geschwänzt hatte.
Wie Harris ihre Mitarbeiter „verheizt“
Eine andere Sache ist, wie die 59-Jährige (wird am 20. Oktober 60) ihre Mitarbeiter behandelt. Was gegenwärtig unter den Teppich gekehrt wird, war in den ersten beiden Jahren von Kamala Harris’ Zeit im Weißen Haus – als keine Präsidentschaftswahlen anstanden – sehr wohl ein Thema in Amerikas großen Zeitungen gewesen. So beschrieb ein Artikel der Washington Post im Juli 2022 unter Berufung auf persönlich Betroffene aus „zwei Jahrzehnten“ von Harris’ Karriere in Kalifornien und Washington „eine inkonsequente und bisweilen erniedrigende Chefin, die erfahrene Mitarbeiter, die in anderen anspruchsvollen, hochrangigen Positionen erfolgreich waren, verheizt".
Menschen, die daran gewöhnt seien, „Fehltritte zu ignorieren, ihren Schlaf zu opfern und die gelegentliche Tirade eines wütenden Chefs zu ertragen“, sagten aus, „dass dies unter Harris besonders schwierig“ sei. „Eines der Dinge, die wir in unseren kleinen Textgruppen untereinander gesagt haben, ist, was der gemeinsame Nenner in all dem ist, und das ist sie", sagte Gil Duran, ein ehemaliger Strategieberater der Demokratischen Partei und von Kamala Harris, der im Jahr 2013 gekündigt hatte. „Wer sind die nächsten talentierten Leute, die sie verheizt und dann so tut, als wechselten sie aus positiven Gründen den Job“, sagte er der Zeitung.
Damals, im Juli 2022, kündigten 13 hochrangige Mitarbeiter aus Harris’ Team in nur einer Woche, unter ihnen die leitende Redenschreiberin, Meghan Groob (die das Büro nach weniger als vier Monaten im Amt verließ) sowie Harris’ dienstälteste Mitarbeiterin, Rohini Kosoglu. Stabschefin Tina Flournoy, der stellvertretende Stabschef Michael Fuchs und die nationale Sicherheitsberaterin Nancy McEldowney hatten Harris schon einige Wochen vorher den Rücken gekehrt. Journalisten sprachen von der „Drehtür“, als die die Arbeit für Harris betrachtet werde.
Gil Duran schrieb in einer Kolumne, als jemand, der nach fünf Monaten Arbeit für Harris gekündigt habe, sei er „nicht überrascht“ von den Berichten über die in Scharen fliehenden Mitarbeiter. Harris wiederhole "die gleichen alten destruktiven Muster“, schrieb er, und sprach von einem „toxischen Arbeitsklima“. Er fügte hinzu: „Diejenigen, die geblieben sind, scheinen sich einen offenen Krieg mit ihren Kollegen im Stab von Präsident Biden zu liefern.“
„Man fühlt sich wie Scheiße behandelt“
2021 hatten Politico und die Washington Post getrennt voneinander über dieses Thema recherchiert und kamen nach Gesprächen mit Personen aus Harris’ Umfeld beide zu den gleichen Ergebnissen. Politico schrieb im Juni 2021, in Interviews hätten „22 derzeitige und ehemalige“ Berater, Verwaltungsbeamte und Mitarbeiter von Harris und Biden eine „angespannte und zuweilen düstere Büroatmosphäre“ geschildert. Die Rede war von einem „isolierten Umfeld“, in dem „Ideen ignoriert oder mit harschem Abkanzeln beantwortet“ und „Entscheidungen auf die lange Bank geschoben“ würden. Oft, so sagten sie, weigere Harris sich, „die Verantwortung für heikle Fragen zu übernehmen, und gibt den Mitarbeitern die Schuld für die negativen Ergebnisse, die sich daraus ergeben“. „Es fängt alles ganz oben an", so ein Verwaltungsbeamter. Eine andere Person, die laut der Zeitung „unmittelbar weiß, wie das Büro von Harris geführt wird“, sagte:
„Die Leute werden von ganz oben vor den Bus geworfen, die Lunte ist kurz und es ist ein missbräuchliches Umfeld. Es ist kein gesundes Umfeld, und die Leute fühlen sich oft schlecht behandelt. Es ist kein Ort, an dem man sich unterstützt fühlt, sondern ein Ort, an dem man sich wie Scheiße behandelt fühlt."
Sechs Monate nach diesem Politico-Beitrag interviewten zwei Journalisten der Washington Post für einen Artikel achtzehn ehemalige und aktuelle Mitarbeiter von Kamala Harris. Einige verteidigten sie und machten „Rassismus und Sexismus“ für die in ihren Augen unfairen Anschuldigungen verantwortlich. Andere beschrieben Missstände. Ein „durchgängiges Problem“, so fassten die beiden Journalisten die Schilderungen der Zeugen zusammen, sei, dass Harris sich weigere, sich in die von den Mitarbeitern vorbereiteten Unterlagen einzuarbeiten, „und dann die Mitarbeiter beschimpft, wenn sie selbst unvorbereitet erscheint“. Zwei Zitate von (ehemaligen) Mitarbeitern: „Es ist klar, dass man bei ihr nicht mit jemandem zusammenarbeitet, der bereit ist, sich vorzubereiten und zu arbeiten.“ Und: „Bei Kamala muss man ständig eine Menge seelenzerstörender Kritik und auch ihren eigenen Mangel an Selbstvertrauen ertragen. Man stützt also ständig einen Tyrannen, und es ist nicht wirklich klar, warum.“
Morgengruß: „Guten Morgen, General!“
2019 veröffentlichte die Gewerkschaftszeitung The Union den Bericht von Terry McAteer, dessen Sohn Gregory einen Monat lang als unbezahlter Praktikant für Kamala Harris gearbeitet hatte, die zu dieser Zeit Attorney General von Kalifornien war. Der Beitrag erschien mit Gregorys Zustimmung, betonte der Autor, und fügte hinzu, dass er politisch nichts gegen Harris habe. Sie sei „eine gute Rednerin“ und habe während ihrer Amtszeit „einige gute Dinge getan“. Gleichwohl glaube er, „dass die Art und Weise, wie sie mit ihren Mitarbeitern umgeht, genauso wichtig ist wie die legislativen Leistungen einer Person“.
Der Charakter einer Person sei wahrscheinlich „eine der wichtigsten Eigenschaften für jemanden, der das Amt des Präsidenten anstrebt“ (Harris hatte 2019 ihre Ambitionen auf die Kandidatur bekanntgegeben). Harris, heißt es in dem Bericht aus dem Innern ihres Büros, „wirft lautstark mit ‚F-Bomben‘ und anderen Schimpfwörtern um sich, wenn sie Mitarbeiter und andere Personen beschimpft. Die Mitarbeiter haben große Angst vor ihr, und sie benutzt ihre Schimpfwörter den ganzen Tag über.“ Als Attorney General habe Harris ihr gesamtes Personal angewiesen, „jeden Morgen, wenn sie das Büro betrat, aufzustehen und ‚Guten Morgen General‘ zu sagen“.
Während des einmonatigen Praktikums habe sich Harris seinem Sohn Gregory nicht ein einziges Mal vorgestellt, „und die Mitarbeiter waren zu eingeschüchtert von ihr, um ihn vorzustellen“. Die einzige Anerkennung sei ein von Harris unterzeichnetes Dankesschreiben gewesen, das ihm an seinem letzten Arbeitstag überreicht wurde. „Gregory erhielt außerdem die Anweisung, Harris niemals anzusprechen oder ihr in die Augen zu sehen, da dieses Privileg nur leitenden Angestellten gestattet war."
„Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht“, schreibt der Autor Terry McAteer, „aber dies ist nicht der Arbeitsplatz von jemandem, der seine Mitarbeiter respektiert“. Dass jemand seine Mitarbeiter aufstehen lasse, wenn er den Raum betritt, „erinnert an eine vergangene Ära, die wir als Amerikaner bedauern und als erniedrigend empfinden". Außerdem finde er es beunruhigend, dass Harris nicht den Anstand gehabt habe, seinen Sohn Gregory „wenigstens einmal in jenem Monat anzusprechen und zu sagen: ‚Hallo, ich bin Kamala Harris und ich möchte mich bei Ihnen für Ihre freiwillige Arbeit in meinem Büro bedanken‘.“ Als ebenso irritierend empfand er die Anweisung, ihr „nicht in die Augen zu sehen“. Das Fazit des Gewerkschafters: „Ich weiß, dass ich in einem solchen feindseligen Umfeld nicht arbeiten möchte!“
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise (2009); Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos (2012).