Rainer Bonhorst / 17.06.2021 / 12:00 / Foto: Tomaschoff / 33 / Seite ausdrucken

Wie Gender von wirklichen Problemen ablenkt

Zugegeben: Dieser Text ist entstanden, weil ich mich mal wieder geärgert habe. Eigentlich halte ich es mit Curt Goetz, der eine seiner Figuren sagen lässt: „Ärgern Sie sich nicht, wundern Sie sich nur.“ Aber das klappt nicht immer. Diesmal habe ich (ein Mittelding zwischen ärgern und wundern) den Kopf geschüttelt, als ich in einem Text von Josef Joffe in der Neuen Zürcher las, wie bei einem offiziellen Anlass in Amerika ein Gebet beendet wurde: „Amen and Awomen“. Ach ja, stimmt ja: Die Sprachverhunzung, die auch bei uns fröhliche Urständ' feiert, ist ein Import aus Amerika.

Aber man muss ja nicht alles importieren. Darum frage ich mich: Was ist bekloppter – dass der norddeutsche Ort Negernbötel umbenannt werden soll oder das amerikanische „Amen and Awoman“? Schwer zu entscheiden. Das Negern in Negernbötel hat mit Afrikanern nichts zu tun und das „men“ in Amen hat nichts mit Männern (men) zu tun. Aber die beiden Beispiele zeigen, dass der Bazillus der menschlichen Dummheit, den Dr. med. Hiob Prätorius laut Curt Goetz finden wollte, virulenter denn je ist. Allerdings: So lächerlich „woke“ sein kann, so ärgerlich und sogar gefährlich sind einige Marotten der Erweckten.

Hier – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – drei Gründe, warum der Pseudo-Kampf der „Wokies“ gegen Rassismus, für Frauenrechte und allerlei anderes nicht nur lächerlich, sondern auch gefährlich ist.

Erstens: Er ist diktatorisch. Denk- und Sprechverbote sind die Kampfmittel. Wenn man nicht mal mehr die wunderbare Jane Austen lesen soll, weil ihre Familie vor zweihundert Jahren angeblich mit dem Imperialismus zu tun hatte, dann wird es höchste Zeit, den „Wokies“ entschieden den Kampf anzusagen.

Zweitens: Er verhunzt unsere Sprache. Die Erweckten wollen uns zu einem Neusprech zwingen, wie ihn nicht einmal George Orwell in seinem „1984“ eingefallen ist. Die Schluckauf-Pause, die schon im Fernsehen das Wort Bürger-hicks-innen zum Wort-Ungetüm macht, hat mit Deutsch nur noch eine entfernte Verwandtschaft. Selbst der Abschied von „der“ und „die“ steht schon im Forderungskatalog der „erwachten“ Fanatiker. Entschuldigung: Fanatiker-hicks-innen. Wem Sprache etwas bedeutet, der dreht sich, sofern er nicht noch unter den Lebenden weilt, im Grab um.

Drittens, und das ist der eigentliche Grund, warum ich das Thema nochmal anspreche: Die „Wokies“ trivialisieren mit ihren absurden Forderungen ernstzunehmende Probleme.

Der Gender-Stuss lenkt von den echten Problemen ab

Mit dem Gender-Stuss begeben sie sich auf einen belanglosen Nebenschauplatz, während es weltweit und – hier und da auch bei uns – für Frauen tatsächliche und zum Teil entsetzliche Probleme gibt. Wo es Zwangsverschleierungen, Zwangsehen, Auspeitschungen, Vergewaltigungen und ökonomische Diskriminierungen gibt, grenzt es an eine Frechheit, seine Energie auf den Gender-Schluckauf und das „der“ und „die“ zu verschwenden. Wer fordert, dass „Fußgänger“ durch „zu Fuß Gehende“ abgelöst werden sollen, der provoziert zwangsläufig die Dekadenz-Einschätzung: „Die haben halt keine anderen Sorgen.“

Was in gewissem Sinne auch stimmt, wenn man betrachtet, welche gewaltigen Fortschritte die Stellung der Frauen bei uns gemacht hat. Da können hier und da noch ein paar Stellschrauben gedreht werden, um ein Lieblingswort der Grünen-Chefin Annalena Baerbock zu benutzen. Aber der Westen hat ein Luxusproblem im Vergleich mit der Weltsituation. Wer aber über seinen Kiez hinausblickt, kann genügend echte Sorgen finden, die man (ja, ja: frau) sich machen könnte.

Das gleiche gilt für den vermeintlichen Kampf gegen den Rassismus. Was im Namen dieses Kampfes an Unfug verzapft wird, ist eine Beleidigung für alle, die das Problem des Rassismus ernstnehmen. Rassismus ist ein Übel, das in unterschiedlicher Schärfe überall existiert. Von den „schwarz“ übervölkerten Gefängnissen Amerikas zu den Beleidigungen, die dunkelhäutige Menschen auch bei uns einstecken müssen. Es ist noch viel zu tun. Aber es hat – verglichen mit früheren Zeiten – gewaltige Fortschritte gegeben. Das Bewusstsein vieler „Weißer“ ist längst geweckt worden.

Und dann kommen die selbsternannten Erweckten daher, trivialisieren mit ihren Kindereien ein ernst zu nehmendes Problem und leugnen jeden Fortschritt, nur weil ein bescheidener Bach seit 200 Jahren Zigeunerbach heißt und weil sich ein Hotel, noch länger zu Ehren hoher Besucher aus Afrika „Drei Mohren“ nennt. Und peng: Die beiden Augsburger „Rassismen“ wurden bereinigt und heißen jetzt anders. Da freut sich der Schwarze, der keine Wohnung kriegt.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

netiquette:

Klaus Müller / 17.06.2021

Ich verweigere mich dieser Kunstsprache sowei is irgend wie geht. Sie ist diskriminierend. Nicht nur dass ich sie nicht verwende, bei “IdiotInnen” versehe ich konsequent die weibliche Form und überhöre den Stotterer. Bei “Idioten und Idiotinnen” frage ich - wenn es aus dem Kontext nicht hervorgeht- nach, worin der Unterschied ist. Zur Veranschaulichung: wenn ich Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen einigen, dann frage ich nach, welche Position nun die Ministerpräsidenten und welche die Ministerpräsidentinnen haben, denn es gibt offensichtlich diese beiden Lager. Nicht? Warum sagen Sie es dann so?

B. Ollo / 17.06.2021

Wer Sprachvorschriften freiwillig befolgt, vor sich herträgt oder sich sogar dabei sogar noch für die Avantgarde hält, ist ein Paradebeispiel dummer Karrieristen oder Mitläufer in jeder Diktatur. Ob im SED-Staat oder Nazideutschland, das sind die Leute, die dort auf genau diese Art und Weise Karriere machen wollten. Rückgratlose Speichellecker. Sie sind genau die Beispiele, auf die man zeigen kann, wenn man Kindern erklären will, wie es in Deutschland damals so weit kommen konnte.

Peter Jkoljaiczek / 17.06.2021

Die 74 öffentlich rechtliche Radiosender, plus die 28 ÖR-Fernsehsender mit ihren unüberschaubaren Nebensendern, plus das Internetangebot und ihre social media Präsenz, Podcasts und Hörspiele, haben sich bereits ungebeten darauf geeinigt, dass “gendern” eine tolle Sache ist und dreschen dies ohne Betäubung kontinuierlich aus dem Eter auf uns zu. Woher sie sich das Recht nehmen, die offizielle Amtssprache zu verhunzen, bleibt deren Mysterium. Bei den Gehältern der Intendanten (laut Statista), wundert es mich nicht, dass sie schön grünkonform agieren. WDR : 395.000 , BR : 388.000, NDR : 365.000, SWR 343.000, HR : 286.000, MDR : 275.000, RB : 270.000, RBB : 261.000, SR : 245.000. Sie werden versuchen uns diese Vergewaltigung der Sprache einzutrichtern, ob wir wollen oder nicht.

Horst Jungsbluth / 17.06.2021

Aber beides dient doch so wunderbar von den begangenen Schweinereien und den katastrophalen Fehlleistungen unserer “ewig Unverantwortlichen” abzulenken und davon, was diese gerade im Schilde führen, zumal die Medien wieder einmal voll “auf Kurs” sind.

Andre Marschall / 17.06.2021

Die korrekte Bezeichnung für diese ideologische Gruppe ist nicht “Wokies” sondern “Woko Haram”

RMPetersen / 17.06.2021

“Erstens: Er ist diktatorisch.” Das ist ja auch ein Ziel der gegenwärtigen Gender-Bewegungs-Minderheit. Demokratie im Sinne der politischen Steuerung durch die Mehrheit der Bevölkerung wird ja nicht nur von den Genderistas, sondern auch von Klima-Rettern als ungeeignet angesehen. Wir sind doch schon längst in der Phase einer Steuerung durch Partei-Funktionäre, die ihrerseits Big Money zuarbeiten. Das gilt auch für die Hell- bis Blutroten und ganz besodners für die Grünen. Anders wäre doch die überpropertionale Zunahme des Reichtums der oberen ein Prozent, mehr noch der obersten 0,001 Prozent der Bevölkerung nicht zu erklären. Unsere Regierungssystem heisst Plutokratie. Der Genderismus ist doch nur ein Instrument innerhalb des diktatorischen Systems. Die Mehrheit, die Normalen, werden schon lange nicht mehr gefragt. (Ein Lob für die noch vorhandenen Elemente direkter Demokratie in der Schweiz.)

Rainer Niersberger / 17.06.2021

Der Befund ist grundsaetzlich richtig, zeigt aber doch immer wieder das gleiche Problem : Es geht den Protagonisten nicht um die Narrative, mehr sind es nicht, sondern um diese Narrative zur Realisierung voellig anderen Ziele. Es geht nicht um Corona, das Klima, Frauenrechte oder was sonst monstroes vor sich her getragen wird, es geht darum zu taeuschen, zu manipulieren, einen guten Eindruck zu machen, Fürsorge zu simulieren und zu konditionieren. Dahinter steht nur eines, die totalitaere Macht und die innerhalb eines neuen Systems, bei dem sich die (vermeintlich) Entrechteten noch “wundern” , wie sich die neuen Machthaber um ihre Belange kümmern werden.  Wenn es um Frauenrechte oder Rechte von Minderheiten ginge, waere die vordergründig erstaunliche Zurückhaltung bei Laendern und Ideologien, bei denen es tatsaechlich um das Elementare oder die physische Existenz geht, kaum zu erklaeren. Da gaebe es ziemlich viel zu tun, im Iran und anderen islamischen Theokratien, in China, Indien und in Afrika.  Es wird nicht einmal thematisiert. Es gilt zu begreifen, dass, wenn Demokratie und Freiheit besonders laut gebrüllt und betont werden, es realiter exakt um deren Abschaffung geht. Wenn in Unternehmen besonders laut und immer wieder” Kultur “proklamiert wird, sollte man genauer hinsehen. Der Widerspruch zwischen Realitaet und Proklamation fuehrt zur Verstaerkung des Ausrufes, nicht der (viel schwierigeren) Verbesserung der Realitaet. Aehnliches gilt auch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine einschlägige berufliche Taetigkeit hilft an der ein oder anderen Stelle ungemein, insbesondere was bestimmte, typische (menschliche) Mechanismen betrifft. Fuer das konkrete Thema gilt : Vergessen Sie’s. Taten statt Tinte oder Worte ist generell ein wirklich guter Tipp.

R. Gutbrod / 17.06.2021

Was haben denn die „schwarz“ übervölkerten Gefängnisse Amerikas mit Rassismus zu tun? Es gibt genug seriöse Veröffentlichungen, die diesen Sachverhalt darauf zurückführen, daß das eben kriminelle sind (wie übrigens auch G. Floyd).  Und das dieses zu großen teilen vor allem auf das Verhalten untereinander zurück zu führen ist.

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