Wieder hat die deutsche Sprache der deutschen Bundeskanzlerin einen Streich gespielt. „Das Virus“, erklärte sie, noch vor der Berliner Corona-Demonstration am letzten Samstag, „das Virus ist eine demokratische Zumutung“.
Was wollte uns die Chefin damit sagen? Setzt man an die Stelle der „Zumutung“ andere Begriffe mit gleicher Bedeutung, dann sprach sie von einer demokratischen Frechheit, Rücksichts- oder Respektlosigkeit, einer Unverschämtheit. Allesamt Synonyme, die der Duden für „Zumutung“ anbietet. Wenn also von einer „demokratischen Zumutung“ die Rede ist, dann ist ein politisches Verhalten gemeint, das ungebührlich, frech und unverschämt ist.
Dass der Kanzlerin bewusst war, was ihr da rhetorisch entglitt, ist keinesfalls anzunehmen, beinahe ausgeschlossen. Nicht, weil ihr der Gedanke nicht zuzutrauen wäre. Vielmehr hat sie sich abermals sprachlich verheddert. Vermutlich wollte sie nur zum Ausdruck bringen, dass die Bewältigung der Corona-Krise eine Zumutung für die Demokratie darstellt, was etwas völlig anderes ist als eine „demokratische Zumutung“.
Haben Viren eine politische Absicht?
Doch selbst, wenn wir es so genau nicht nehmen wollten, um uns nicht den Vorwurf der Wortklauberei einzuhandeln, bleibt zu fragen, was Angela Merkel von der Demokratie und Corona hält. Weiß die Naturwissenschaftlerin mehr, als sich unsereiner vorzustellen vermag? Glaubt sie, die Viren würden eine politische Absicht verfolgen, es darauf anlegen, die Demokratie unverschämt auf die Probe zu stellen?
Das ist dummes Zeug, selbstredend, und dennoch ernst zu nehmen, wenn man die Kanzlerin beim Wort nimmt. Wie kommt sie auf den Gedanken, Viren könnten eine Zumutung für die Demokratie sein? Traut sie der politischen Ordnung, der sie ihren Posten verdankt, nicht zu, mit Herausforderungen fertig zu werden? Will sie uns auf einen Abschied vorbereiten? Erscheint ihr die Demokratie ungeeignet für die Gestaltung des politischen Geschehens im 21. Jahrhundert? Empfindet sie die Demokratie als eine Behinderung im politischen Geschäft, als eine Zumutung für das Regieren?
Nein, das wollte Angela Merkel so nicht sagen, so wollte sie, ungeachtet allen Machtbewusstseins, gewiss nicht verstanden werden. Genau so aber ist es aus ihr gedrungen, als sie von der „demokratischen Zumutung“ sprach. Wissen wir doch seit Sigmund Freud, dass es die Versprecher sind, die verraten, wie es in einem oder einer denkt, erst recht, wenn jemand mit der deutschen Sprache so hadert wie die deutsche Bundeskanzlerin. Für das rhetorische Versteckspiel fehlen ihr schlichtweg die Worte.
Ansage aus dem Kanzleramt
Unversehens, wie nebenbei, hat sie jetzt auf den Punkt gebracht, was ihr politisches Handeln seit Jahr und Tag vermuten lässt. Die Spielregeln der Demokratie sind ihr ein Ärgernis, unzumutbar und unvereinbar mit dem eigenen Führungsanspruch. Um die Rechte des Parlaments hat sie sich nach Möglichkeit wenig geschert, in der Europa- sowie in der Flüchtlingspolitik. Regiert wurde per Ansage aus dem Kanzleramt.
Das entsprach dem, was die Chefin bereits als FDJ-Funktionärin in der DDR verinnerlicht hatte: dem Stil einer „sozialistischen Demokratie“, auf die sie die Bundesrepublik seit bald 15 Jahren einzuschwören versucht, nicht ohne Erfolg.
Gilt doch heute auch in der bürgerlichen Gesellschaft als „demokratisch“, was die Regierung – inklusive der überwiegend handzahmen Opposition – dafür ausgibt. Wer es dennoch wagt, Zweifel zu hegen, gerät schnell in den Verdacht, die Demokratie unterlaufen zu wollen. Die Corona-Politik der Bundesregierung ist sakrosankt. Wer sie kritisiert, dem wird die Gretchen-Frage gestellt: Bist du nun für die Gesundheit oder nicht? Punkt. Ende der Diskussion.
Alles weitere wäre eine „demokratische Zumutung“.