Ein einziges Telefonat hat gereicht, um die Russlandpolitik der USA neu auszurichten. Donald Trumps Gespräch mit Wladimir Putin steht exemplarisch für eine Außenpolitik, die nicht auf Strategie, sondern auf Instinkt basiert.
Obwohl Donald Trump erst seit vier Monaten im Amt ist, hat er das außenpolitische Gefüge bereits stärker erschüttert als sein Vorgänger Joe Biden – jedoch nicht durch substanzielle Erfolge wie die Intensivierung der Partnerschaften mit den Golfstaaten, sondern durch eine Serie abrupter Kehrtwenden, die ihm international den Ruf des Unberechenbaren eingebracht haben.
Noch im April hatte Donald Trump überraschend auf Distanz zu Moskau gesetzt – nach einem zweistündigen Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Vatikan. Nun hat er diesen Kurs erneut revidiert. Für die Verbündeten der USA ist Trumps impulsgesteuerte Außenpolitik ein wachsendes Risiko – besonders für Bundeskanzler Friedrich Merz, der seine forsche Haltung gegenüber dem Kreml in der Annahme amerikanischer Rückendeckung formulierte. Diese Annahme jedoch war ein folgenschwerer Irrtum.
Denn Washington folgt nicht dem europäischen Kurs der Härte. Der Grund ist so banal wie folgenreich: Ein einziges Telefonat zwischen Trump und Putin hat ausgereicht, um die Sanktionslinie der Vereinigten Staaten zu kippen. Dass ein einzelnes Gespräch diesen Effekt hatte, verweist auf ein zentrales Dilemma der westlichen Russlandpolitik: Während Europa auf strategische Konsistenz drängt, bleibt die US-Position hochgradig personenbezogen – und damit volatil.
Es war das dritte Gespräch seit Donald Trumps Wiederwahl: Zwei Stunden lang tauschten sich der US-Präsident und Wladimir Putin über den Ukrainekrieg aus. Im Anschluss gaben sich beide Seiten demonstrativ versöhnlich – die Rede war von einem „ausgezeichneten Ton“, von gegenseitigem Respekt und der Bereitschaft zu direkten Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew.
Kompromisse nur auf höchster Ebene?
Dass der Austausch von beiden Seiten ausdrücklich begrüßt wurde, unterstreicht die gemeinsame Vorstellung, dass tragfähige Kompromisse nur auf höchster bilateraler Ebene erzielt werden können. Für Trump ist dies vor allem ein Mittel zur Selbstdarstellung – als unverzichtbarer Machtvermittler. Für den Kreml hingegen dient die Inszenierung als strategisches Signal: Kiew soll auf diese Weise nicht nur umgangen, sondern als politisch nachrangiger Akteur dargestellt werden. Die Gesprächsebene wird zur politischen Botschaft – eine bewusste Degradierung der Ukraine.
Während Trump als impulsiv und wankelmütig gilt, agiert Wladimir Putin nach außen mit kalkulierter Zurückhaltung. Der russische Präsident sagt selten mehr als nötig – und bindet sich ungern durch konkrete Zusagen. Diese kontrastierende Kommunikationslogik verweist auf einen tieferliegenden Unterschied: Trump denkt in Medienzyklen, Putin in geopolitischen Etappen. Die Differenz betrifft nicht nur den Stil, sondern die gesamte Struktur ihrer außenpolitischen Rationalität.
Jüngster Ausdruck dieser Diskrepanz war Trumps Ankündigung eines unmittelbar bevorstehenden Verhandlungsbeginns – während Putin sich lediglich zur Ausarbeitung eines „Memorandums über einen zukünftigen Friedensvertrag“ äußerte. Darin sollen mögliche Grundlagen für eine Waffenruhe formuliert werden, sofern zuvor die „Ursachen des Konflikts“ beseitigt würden – eine Formulierung, mit der der Kreml seit Jahren seine geopolitischen Maximalforderungen kaschiert. Gespräche werden zugelassen, aber nur unter Bedingungen, die faktisch einer Vorentscheidung gleichkommen.
Wenige Tage später präsentierte Putin bei einem Besuch in der russischen Grenzregion Kursk seine Vision einer „Pufferzone entlang der Grenze zur Ukraine“. Konkrete Details nannte er nicht – weder die geografische Ausdehnung noch den rechtlichen Status. In Kiew reagierte man scharf: „Diese neuen aggressiven Forderungen sind eine klare Absage an Friedensbemühungen“, erklärte Außenminister Andrij Sybiha. Russland dürfe Pufferzonen nur auf eigenem Territorium einrichten, ergänzte Ministeriumssprecher Heorhij Tychyj. Die Reaktion verdeutlicht, dass Moskaus Vorschläge nicht als sicherheitspolitische Maßnahmen, sondern als territoriale Drohgebärden wahrgenommen werden. Auch hier zeigt sich ein bekanntes Muster russischer Außenpolitik: Sicherheit wird nicht als beidseitig herzustellender Zustand verstanden, sondern als territorial kontrollierbares Machtverhältnis.
Signal strategischer Entkopplung
Der Kremlchef kündigte zugleich ein Wiederaufbauprogramm für die teils schwer getroffenen Grenzregionen Kursk, Belgorod und Brjansk an – ein innenpolitisches Signal an die russische Bevölkerung, das Stärke und Handlungsfähigkeit demonstrieren soll. Laut russischen Angaben wurde Kursk inzwischen „zurückerobert“, doch die Ukraine bestreitet dies. Ukrainische Einheiten hielten demnach weiterhin Stellungen auf russischem Boden – ein direkter Widerspruch zu Putins offizieller Darstellung.
Die Kommunikationsstrategie des Kremls zielt hier weniger auf Konsistenz als auf Überlagerung: Widersprüche werden nicht gelöst, sondern durch neue Narrative ersetzt. Informationsdominanz ersetzt Faktentreue – ein Prinzip, das längst zum festen Bestandteil russischer Kriegsführung geworden ist.
Während Europa angesichts der fortgesetzten Eskalation neue Maßnahmen beschließt, sorgt Trumps Zurückhaltung für Irritation. Noch vor wenigen Tagen hatten sich die EU-Staaten auf zusätzliche Wirtschaftssanktionen gegen Russland geeinigt – begründet mit dem Ausbleiben glaubwürdiger Gesprächsangebote aus Moskau und einer neuen Welle massiver Drohnenangriffe. Das Weiße Haus hingegen erklärte nach dem Telefonat zwischen Trump und Putin, man sehe derzeit von weiteren Strafmaßnahmen ab – aus wirtschaftlichen Erwägungen, wie es offiziell hieß. Für viele europäische Partner war das mehr als nur eine taktische Differenz: Es war ein Signal strategischer Entkopplung.
Der ökonomische Hebel der USA im bilateralen Russland-Handel ist begrenzt. 2021 entfielen lediglich 3,6 Prozent der russischen Exporte auf die Vereinigten Staaten, die Importe beliefen sich auf 5,9 Prozent. Ganz anders die EU: Sie war bis zum Überfall auf die Ukraine mit rund 40 Prozent Anteil am Handelsvolumen Russlands wichtigster Partner. Sanktionen aus Brüssel treffen daher tiefer – vor allem in den technologieabhängigen Sektoren. Der größte Maschinenbauer des Landes „Rostselmasch“ musste bereits tausende Mitarbeiter entlassen und kündigte an, im Juni alle 15.000 Beschäftigten in den Zwangsurlaub zu schicken; bei der Airline S7 stehen 31 von 39 Airbus A320neo am Boden – Ersatzteile fehlen.
Die Wirkung der Sanktionen
Dass die russische Wirtschaft trotz massiver Sanktionen nicht kollabiert ist, verweist nicht auf strukturelle Stärke, sondern auf kurzfristige Umsteuerung. Die Staatsquote ist auf ein historisches Hoch gestiegen, militärnahe Industrien expandieren – auf Kosten ziviler Sektoren. Laut „Rosstat“ lag das russische BIP-Wachstum im ersten Quartal 2025 nur noch bei 1,4 Prozent – nach 4,5 Prozent im letzten Quartal 2024. Der Vergleich zum Vorjahr ist drastisch: Damals betrug der Zuwachs noch 5,4 Prozent. Analysten des Stockholm Institute of Transition Economics sprechen von einer „scheinbar stabilen, aber langfristig nicht tragfähigen Kriegsökonomie“. Der Preis für Putins Kriegsführung ist eine schleichende Deindustrialisierung – getrieben durch Kapitalflucht, Konsumrückgang und Investitionsmangel.
Das US-amerikanische Jamestown Institute nennt diesen Prozess offen „reverse industrialization“: Hochproduktive Branchen schrumpfen, während arbeitsintensive Rüstungszweige expandieren. Auch der Energiesektor, lange Russlands Stabilitätsanker, wird zur Belastung. Seit Inkrafttreten des EU-Embargos und westlicher Preisdeckel brechen dem Kreml Milliarden an Einnahmen weg – trotz Umleitung nach China und Indien. Selbst der Staatskonzern „Gazprom“ musste zuletzt Personal abbauen. Die Sanktionen zeigen Wirkung – allerdings zeitversetzt und asymmetrisch.
Ein besonderer Streitpunkt bleibt der Ölpreisdeckel. Die G7 hatten sich auf einen Höchstpreis von 60 US-Dollar pro Barrel geeinigt. Mitte Mai beschlossen die EU-Staaten, diesen auf 50 Dollar zu senken – um Moskaus Einnahmen weiter zu beschneiden. Doch ohne US-Zustimmung ist der Schritt kaum wirksam: Versicherer und Logistikdienstleister dürfen russisches Öl nur transportieren, wenn der Preis unterhalb der Schwelle liegt. In Banff, Kanada, kamen die G7-Finanzminister zusammen, um eine gemeinsame Linie abzustimmen. Das britische Finanzministerium forderte laut Bloomberg „dringenden Druck auf Putins Kriegsmaschinerie“ – mit Verweis auf dessen mangelnde Gesprächsbereitschaft gegenüber Kiew.
Trump jedoch bleibt zögerlich. Aus US-Sicht überwiegen offenbar kurzfristige Stabilitätsrisiken. Beobachter werten die Blockade verschärfter Maßnahmen als wirtschaftspolitisches Signal an die Märkte – und als implizite Konzession an Moskau. Das erzeugt Brüche in der westlichen Front: Während Europa auf Eskalationsvermeidung durch Härte setzt, signalisiert Washington taktische Nachsicht – eine Asymmetrie, die der Kreml gezielt zu nutzen weiß.
Die Deutungsspielräume des Kreml
In einem Punkt jedoch bleibt Washington klarer als viele Partner: bei der militärischen Unterstützung Kiews. Außenminister Marco Rubio bekräftigte jüngst, dass Waffenlieferungen, Ausrüstung und nachrichtendienstliche Unterstützung nicht zur Disposition stehen. Doch selbst hier gibt es Bruchstellen: Während der ukrainischen Operation in der Region Kursk war es zu Blockaden bei der Weitergabe sicherheitsrelevanter Daten gekommen – mit unmittelbaren Folgen auf dem Gefechtsfeld.
Präsident Selenskyj reagierte auf Trumps Vorstoß zurückhaltend, aber bestimmt. Die Ukraine sei jederzeit zu einem sofortigen, bedingungslosen Waffenstillstand bereit. Doch wenn Russland nur auf Zeit spiele oder mit unrealistischen Forderungen agiere, müsse die internationale Gemeinschaft reagieren. „Frieden ist möglich – aber nur auf Grundlage von Realität, nicht von Erpressung“, erklärte Selenskyj. Die Position Kiews ist damit klar: Verhandlungen ja – aber nicht zu jedem Preis.
Russlands Verhalten in den laufenden Gesprächen folgt einem erkennbaren Muster: Es geht nicht um Konfliktlösung, sondern um Kontrollarchitektur. Moskau verhandelt, um Prozesse zu steuern – nicht um Positionen zu räumen. Taktische Unschärfe, wie sie sich in Formeln wie „Beseitigung der Ursachen des Konflikts“ oder „Memorandum über einen zukünftigen Friedensvertrag“ manifestiert, sichert maximale Flexibilität. Während der Westen nach Verbindlichkeit sucht, arbeitet der Kreml mit Deutungsspielräumen.
Diese Methode hat historische Tiefen. Schon in der späten Sowjetunion diente Diplomatie nicht der Verständigung, sondern der geopolitischen Selbstverortung. Putin führt diese Praxis fort – nicht mehr ideologisch begründet, sondern als souveränitätspolitisches Kalkül. Gespräche mit Trump erfüllen vor diesem Hintergrund vor allem einen Zweck: Russland als global gleichwertigen Akteur zu inszenieren – und die Ukraine symbolisch zu marginalisieren.
Jedes Detail zählt
Auch in Kiew ist man sich der Bedeutung dieses Narrativs bewusst. Dort wird eine Neubesetzung des Verhandlungsteams geprüft, das am 16. Mai an den Gesprächen in Istanbul teilgenommen hatte. Dem bisherigen Gremium wird mangelnde politische Erfahrung attestiert – was Zweifel an seiner Wirksamkeit in künftigen Runden nährt. Eine zentrale Rolle bei der Neustrukturierung könnte dem Leiter des Präsidialamts, Andrij Jermak, zukommen. Genannt werden unter anderem der frühere Verteidigungsminister Oleksij Resnikow sowie der außenpolitische Ausschussvorsitzende Oleksandr Mereschko.
Der Kreml registriert diese Entwicklungen mit wachem Blick. „In solchen Gesprächen zählt jedes Detail“, erklärte Präsidentensprecher Dmitri Peskow – eine Formulierung, die mehr ist als Floskel: Denn für Moskau zählt nicht nur der Inhalt von Verhandlungen, sondern auch die symbolische Hierarchie der Beteiligten.
Der politische Schlagabtausch zwischen Moskau, Washington und Brüssel zeigt: Die Fronten sind nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und diplomatisch verhärtet. Während Europa auf neue Sanktionen setzt und auf ein klares Signal aus Washington hofft, nutzt der Kreml jedes Gespräch zur strategischen Selbstverortung. Trumps Gesprächsbereitschaft hat dem Frieden bislang keine greifbare Perspektive eröffnet – dafür aber neue Fragen aufgeworfen.
Ein deutliches Signal kam am Freitag von Sergej Lawrow. Der russische Außenminister, tags zuvor von Wladimir Putin mit dem St.-Andreas-Orden ausgezeichnet, erklärte, Moskau erkenne die Regierung Selenskyjs nicht als legitim an. Diese Haltung ist nicht neu – doch sie entzieht jeglichen Friedensverhandlungen die Grundlage.
Ohne Plan ausmanövriert?
Darin spiegelt sich eine strategische Realität, die auch Washington früher oder später anerkennen muss: Nach vier Monaten diplomatischer Bemühungen hat sich Moskau inhaltlich nicht bewegt. Die angekündigte Pufferzone, Putins Vorbedingungen, die anhaltenden, teils massiven Angriffe auf ukrainische Städte und Trumps Verzicht auf neue Sanktionen – all das spricht nicht für eine Lösung des Konflikts, sondern für dessen Verlängerung.
Bislang gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass Donald Trump erkannt hat, wie sehr seine Russlandpolitik einer klaren strategischen Linie bedarf – und wie unverzichtbar dabei die Abstimmung mit den europäischen Partnern wäre. Bleibt diese Einsicht aus, droht seine Außenpolitik als grandioses Scheitern zu enden.
Trumps Anspruch, als Friedensstifter ein historisches Vermächtnis zu hinterlassen, wäre damit verspielt. Stattdessen stünde er in einer Reihe mit Lyndon B. Johnson, Jimmy Carter und George W. Bush – Präsidenten, die außenpolitisch an ihren eigenen Ambitionen zerbrachen. Denn in der internationalen Politik gilt: Wer ohne Plan verhandelt, wird nicht unterschätzt – sondern ausmanövriert.
Dr. Christian Osthold ist Historiker mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands. Seine Monographie über den russisch-tschetschenischen Konflikt ist in der Cambridge University Press rezensiert worden. Seit 2015 ist Osthold vielfach in den Medien aufgetreten.