Ahmet Refii Dener / 31.05.2025 / 10:00 / Foto: Montage achgut.com / 29 / Seite ausdrucken

Wie Dolmetscher über Asyl und Schuld entscheiden

Es ist eine stille Machtverschiebung, die niemand offen benennt: Nicht der Richter entscheidet. Nicht das Bundesamt. Nicht einmal der Psychiater. Sondern der Dolmetscher.

In unzähligen Verfahren, Anhörungen, Gutachten und Gesprächen ist er es, der das Gesagte formt, das Gemeinte filtert und das Gehörte in eine andere Sprache presst – oft mit begrenztem Fachvokabular, noch öfter ohne Gespür für Kontext, Zwischentöne oder kulturelle Semantik. Doch genau darauf kommt es an. Denn was am Ende in einer Akte steht, wird nicht hinterfragt. Es gilt. Und es wirkt – mitunter ein Leben lang.

Ich schreibe diesen Text nicht aus der Theorie, sondern aus der Erfahrung heraus. Als Unternehmensberater habe ich internationale Verträge begleitet, bei denen Dolmetscher rechtlich wirksame Missverständnisse produzierten. Als Erziehungsbeistand für das Jugendamt erlebte ich, wie ein falsch verstandenes Wort zur Weichenstellung für ganze Biografien wurde. Und als Bürger in diesem Land beobachte ich, wie sich dieses Problem unbemerkt ausweitet – mitten in eine ohnehin fragile Debatte um Zuwanderung, Integration und innere Sicherheit hinein.

Die Praxis sieht so aus: Ein Geflüchteter, häufig mit geringer Bildung, sitzt einem Psychiater gegenüber. Beide sprechen nicht dieselbe Sprache. Der eine kennt keine Begriffe für psychische Zustände, der andere nicht die Realität des Herkunftslandes. Dazwischen: ein Dolmetscher. Unterbezahlt, unter Druck, ohne Schulung für Fachsprache oder kulturelle Codierungen. Und im Zweifel nicht vertraut mit dem Dialekt des Asylsuchenden. Der Geflüchtete ist oft ein Analphabet, spricht rudimentäres Paschtu (wenn er Afghane ist), hat keinen Wortschatz für Begriffe wie „Impulskontrolle“ oder „Empathiedefizit“. Und was er nicht kennt, kann er nicht beantworten. Also rät er. Der Dolmetscher rät mit. Und der Gutachter deutet. Was am Ende übrig bleibt, ist ein sprachlich geglättetes Protokoll – und die Behauptung, man habe sich verstanden.

Aus einem Täter wird ein Opfer

Doch was, wenn sich niemand wirklich verstanden hat? Wenn zentrale Begriffe wie „Impulskontrolle“, „Verfolgungsangst“ oder „Schuldunfähigkeit“ nicht übersetzt, sondern interpretiert wurden? Wenn das entscheidende Wort ein anderes war – oder gar nicht gefallen ist? Viele Dolmetscher kennen die deutschen Fachwörter selbst nicht – sie übersetzen ins Blaue. „Impulskontrolle“ wird dann zu „bisschen sauer gewesen“, und aus „sozial-emotionale Integrationsstörung“ wird „Er hatte keine Freunde“. Willkommen im Dreieck der Interpretation – mit einem Kompass, der auf Zufall eingestellt ist.

In der Theorie soll der Dolmetscher neutral vermitteln. In der Realität wird er zum stillen Entscheider. Seine Formulierung kann darüber bestimmen, ob jemand als traumatisiert oder gefährlich gilt. Ob eine Abschiebung verhindert oder beschleunigt wird. Ob jemand haftfähig, schutzbedürftig oder schuldfähig ist. Allein wenn der Dolmetscher „Ich hatte Angst“ mit „Ich habe Angst“ verwechselt, wird aus einem Täter ein Opfer. Und aus einem Abschiebegrund ein Schutzfall.

Das Verfahren läuft – auf dem Papier – rechtsstaatlich. Doch sein Fundament ist brüchig, wenn die sprachliche Brücke zwischen den Beteiligten aus Vermutungen und Improvisation besteht. Die Behörden verlassen sich auf Akten. Die Gerichte auf Gutachten. Doch wenn der sprachliche Ursprung dieser Dokumente auf fehlerhafter Übersetzung beruht, entsteht ein Schein von Objektivität – wo in Wahrheit Willkür mit Stempel versehen wurde. Es ist ein strukturelles Problem, kein individuelles. Es geht nicht um einen schlechten Dolmetscher hier oder einen überforderten Psychologen dort. Es geht um ein System, das vorgibt, objektiv zu entscheiden, aber elementare Verständigung nur simuliert. Und damit Entscheidungen trifft, die nicht auf Wahrheit, sondern auf sprachlichem Zufall beruhen. 

Wer heute sagt, der Rechtsstaat sei stabil, übersieht, dass seine Grundlagen in bestimmten Bereichen längst ausgehöhlt sind. Nicht durch politische Absicht – sondern durch sprachliche Ignoranz. Wir tun so, als würden wir uns verstehen. Dabei hören wir nur das, was wir hören wollen – oder das, was andere für uns gefiltert haben. Und so entscheidet nicht mehr das Recht – sondern die Übersetzung. Und mit ihr der Irrtum. Tag für Tag. Still. Systematisch. Unbemerkt.

 

Ahmet Refii Dener ist Türkei-Kenner, Unternehmensberater, Jugend-Coach aus Unterfranken, der gegen betreutes Denken ist und deshalb bei Achgut.com schreibt. Mehr von ihm finden Sie auf seiner Facebookseite und bei Instagram.

Foto: Montage achgut.com

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Wolfgang Richter / 31.05.2025

Beschrieben im Text sind “Mißverständnisse”. Leider ausgeblendet “Situationen”, in denen “Dolmetscher” bewußt (ggf. gegen Cash ??) für die eine oder andere Seite “arbeiten”. Auch diese “Ergebnisse” sind kaum überprüfbar, haben aber rechtliche Folgen.

dr. gerhard giesemann / 31.05.2025

Das war nicht immer so, @Lutz L.: SPD-Kommunalexperte Martin Neuffer (1924 - 2004) über die Ausländerpolitik der Bundesrepublik:  Eine radikale Neuorientierung der Bonner Ausländerpolitik fordert der langjährige hannoversche Oberstadtdirektor, Städtetagpräside und NDR-Intendant Martin Neuffer, damals 57. In seinem soeben erschienenen Buch  »Die Erde wächst nicht mit. Neue Politik in einer überbevölkerten Welt«. Verlag C. H. Beck, München; 195 Seiten; 17,80 Mark, plädiert der linke Sozialdemokrat dafür, die Einwanderung von Türken in die Bundesrepublik »scharf« zu drosseln und auch das Asylrecht »drastisch« auf Europäer zu beschränken. Auszüge: 18.04.1982, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 16/1982(!!). Habe beim Verlach angeregt, das Buch doch wieder neu aufzulegen - gutes Geschäft womöglich, oder? P.S.: Im Jahre 1982 gab es vielleicht 4,5 Milliarden Erdenbewohner - heute: Mehr als acht! Genaueres bei //countrymeters

Lutz Liebezeit / 31.05.2025

Ein Austeiger aus der Tagesschau sagte, die Tagesschau könne nur mit Druck von außen reformiert werden. Von innen käme nichts. So ist das auch mit der Politik. Deutschland gewährt Schutz, die gewährt die Cosa Nostra auch. In Deutschland trifft man die wieder, vor denen man geflohen ist. Flüchtlinge, wie ich heute gelesen habe, werden zu 10% anerkannt. Und die anderen werden geduldet. Das ist offenen Korruption, Scheiß-egal-Stimmung als politisches Programm. Dabei hätte das heute die Schlagzeile sein müssen: “Debatte um Taurus-Marschflugkörper: Russischer Abgeordneter droht mit Angriffen auf Berlin - Im Streit um mögliche Taurus-Lieferungen an die Ukraine droht ein ranghoher russischer Abgeordneter offen mit Angriffen auf Deutschland.” Berliner Zeitung Vielleicht ist Berlin ja über? Keine Sondersendung, keine Einkehr, einfach weiter so. Merz im Führerbunker. Diese Leute kriegt man mit gutem Zureden nicht weg. Die haben keinen Anstand, keine Kultur und keine Moral. Die Borniertheit geht soweit, daß man sich lieber pulverisieren läßt, als einen Fehler zuzugeben.

P. Zilger / 31.05.2025

Mir fehlt nach wie vor jede Einsicht, das unser Land umfassend für Personen zuständig sein soll, die oftmals unter Verschleierung ihrer wahren Identität unkontrolliert ins Land gekommen sind. Und wenn nicht der Asylsuchende seinen Schutzbedarf beweisen muss sondern dieses Land jedem solange glauben schenkt, bis oftmals erst nach Jahren falsche Angaben widerlegt werden können. Und diese Personen erhalten in der Regel dann immer noch ein Bleiberecht incl. Vollversorgung. Es ist einfach absurd.

S.Buch / 31.05.2025

Wer sagt denn heute noch, „der Rechtsstaat sei stabil“? Im Bereich Öffentliches Recht (= Verwaltungs- und Strafrecht) leben wir längst in einem stabilen Unrechtsstaat.

Leo Hohensee / 31.05.2025

Was Sie schreiben, Herr Dener, ist eigentlich selbstverständlich. Schon im Streit mit der eigenen Ehefrau stellt jeder fest, bei der Wiedergabe eines gesprochenen Satzes scheiden sich oft die Geister daran, ob nun ein bestimmtes Wort durch seine Stellung im Satz hervorgehoben war oder nur beiläufig Bestandteil im Satz war. Der Unterschied löst schon mal Krisen aus. Aber beide Partner sprechen dieselbe Sprache. Sie können lesen und schreiben. Sie sind in gleichem Umfeld sozialisiert. /// Meine Bewertung zur Lage im Land umfasst drei Möglichkeiten. Entweder wir werden von Dummheit regiert, oder wir werden bösartig und zielgerichtet regiert, oder es ist eine Mischung aus beidem. Das Letzte liefe beispielsweise so ab, derjenige der die Gefahr durchaus sieht, aber auch die Leichtfertigkeit und ideologische Verbohrtheit in Übermacht sieht, will seinen Posten sichern und ordnet sich ein. usw—das kann doch alles nicht wahr sein. Immer noch gilt, wer nicht arbeitet, hat auch nichts zu essen .... ! Wer willentlich nicht arbeitet demgegenüber sollten Wohltaten ausschließlich durch den Wohltäter bestimmt werden.

U. Frey / 31.05.2025

“Ich schreibe diesen Text nicht aus der Theorie, sondern aus der Erfahrung heraus.” Sind Sie Gott? Mensch, Mensch,  Herr Achmet Refi Dehner, Sie haben keine Ahnung, was unfair ist. Heute schon in der Bibel gelesen? Denken Sie darüber nach.

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