Fundstück / 30.06.2011 / 23:50 / 0 / Seite ausdrucken

Wie die SPD “den Nahost-Friedensbemühungen neuen Schwung verleihen” will

Antrag
der Abgeordneten Günter Gloser, Dr.  Rolf Mützenich, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Den Nahost-Friedensbemühungen neuen Schwung verleihen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit dem Abbruch der direkten Friedensverhandlungen zwischen der israelischen und palästinensischen Regierung im September 2009 ist eine politische Lösung des Konflikts erneut und zum wiederholten Mal gescheitert. Alle Versuche, neue Gespräche über einen dauerhaften und gerechten Frieden anzustoßen, waren bislang vergeblich. Ob und wann es wieder zu ernst gemeinten Verhandlungen zwischen beiden Konfliktparteien kommt, ist derzeit nicht absehbar.

Vor diesem Hintergrund hat die palästinensische Seite angekündigt, sich im Herbst an die Vereinten Nationen zu wenden, um die Anerkennung und die Aufnahme eines palästinensischen Staates in die Vereinten Nationen zu erreichen. Anders als früher ist die palästinensische Führung über die Kritik an der Nahostpolitik der israelischen Regierung hinaus gegangen und unternimmt seit zwei Jahren nach dem sog. „Fayyad-Plan“ konstruktive Anstrengungen, die institutionellen Voraussetzungen für eine Staatsgründung zu schaffen. Der Plan fand bedeutende internationale Unterstützung, so z.B. in den EU-Ratsschlussfolgerungen vom 8.12.2009 sowie in der Erklärung des Nahost-Quartetts vom 19.03.2010. Inzwischen sind deutliche Erfolge beim Aufbau der Infrastruktur zu verzeichnen. Anlässlich einer Geberkonferenz vom April 2011 stellen Berichte der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Vereinten Nationen übereinstimmend fest, dass die Palästinensische Behörde (PA) bereits oberhalb der Schwelle eines funktionierenden Staates agiert.

Der Deutsche Bundestag begrüßt den Aufruf von US-Präsident Obama an Israel und die Palästinenser, mutige Schritte zur Wiederaufnahme des Friedensprozesses zu unternehmen. Er bekräftigt in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats vom 8. Dezember 2009 das Ziel, dass der Staat Israel und ein souveräner, unabhängiger, demokratischer, zusammenhängender und lebensfähiger Staat Palästina Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben.  Das Existenzrecht des Staates Israel und das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat dürfen niemals in Frage gestellt werden.

Derzeit findet eine Welle der internationalen Anerkennung eines palästinensischen Staates statt. Vor dem Hintergrund der Unterzeichnung der palästinensischen Versöhnungsvereinbarung und des geplanten Schrittes der PA dreht sich die Debatte zum Nahost-Friedensprozess um das immer kleiner werdende Zeitfenster für direkte Verhandlungen. Damit wächst die Dringlichkeit, Bewegung in den festgefahrenen Friedensprozess zu bringen.

Jetzt ist es die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, die verbleibende Zeit vor Beginn der nächsten Generalversammlung zu nutzen und den nötigen diplomatischen Druck auf die Konfliktparteien zugunsten einer umgehenden Wiederaufnahme von Verhandlungen auszuüben. Auch die Bundesregierung muss ihrer außenpolitischen Verantwortung nachkommen und sich im Rahmen der EU, der VN und des Nahostquartetts für neue Initiativen einsetzen, die die rasche Wiederaufnahme direkter Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern zum Ziel haben. Die Bundesregierung muss Palästinensern und Israelis klar machen, dass sie durch eine Zuspitzung der Auseinandersetzung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen einer Lösung der Endstatusfragen nicht näher kommen.

Bisher hat es die Bundesregierung versäumt, alles zu unternehmen, um innerhalb der Europäischen Union eine einheitliche Haltung zur Anerkennungsfrage zu bilden. Sie hat es zudem versäumt, die bevorstehende israelisch-palästinensische Konfrontation in den Vereinten Nationen abwenden zu helfen. Indem sie die Ankündigung der PA als einseitigen Schritt kritisiert, hat sie sich ohne Not bereits festgelegt und die Chance vergeben, Premierminister Netanjahu endlich zum Verzicht auf weitere Siedlungsaktivitäten zu drängen und davon zu überzeugen, dass nicht eine Abwehrfront gegen das palästinensische Begehren einer Anerkennung der Staatlichkeit Palästinas in den Vereinten Nationen aufhalten wird, sondern nur ein realistisches und faires Verhandlungsangebot. Mit ihrer Vorfestlegung, den Gang der Palästinenser zu den Vereinten Nationen abzulehnen, verspielt die Bundesregierung die Möglichkeit, Einfluss sowohl auf die PA wie auch auf die Länder, die die Anerkennung unterstützen wollen, zu nehmen und spielt zugleich jenen Kräften in Israel in die Hände, die an der Wiederaufnahme von Verhandlungen kein Interesse zeigen.

Der Deutsche Bundestag hält die unmittelbare Wiederaufnahme von Friedensgesprächen für vordringlich. Denn nur auf diesem Wege können die Endstatusfragen des Nahostkonflikts einvernehmlich und dauerhaft gelöst werden. Die israelische Regierung muss ihre Verantwortung für Frieden und Stabilität in der Region wahrnehmen und den Siedlungsbau stoppen. Die palästinensische Regierung muss sich ihrerseits klar zu den Quartett-Kriterien bekennen und darüber hinaus umgehend für die bedingungslose Freilassung Gilad Shalits sorgen.

Präsident Abbas hat mehrfach bekundet, dass er direkte Verhandlungen über Fragen des Endstatus‘ und ein Friedensabkommen mit Israel in absehbarer Zeit gegenüber einem Gang zu den Vereinten Nationen den Vorzug geben würde. Israel sollte ihn beim Wort nehmen. Dies ist umso wichtiger als durch die demokratischen Bewegungen in den arabischen Ländern eine neue Dynamik entstanden ist. Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Direktgesprächen ist die Verständigung über klare Parameter, wie sie Großbritannien mit Unterstützung Frankreichs und Deutschlands in einer Stimmerklärung vom 18. Februar 2011 definiert hat.

Diese Parameter sehen vor: a) eine Übereinkunft über die Grenzen von zwei Staaten, auf der Grundlage der Grenzen von 1967 und einem gleichwertigen Austausch von Land; b) Sicherheitsvereinbarungen, die die palästinensische Souveränität achten und das Ende der Besatzung bringen; und die den Israelis Sicherheit gewährleisten, der Wiederkehr des Terrorismus vorbeugen und neu entstehenden Bedrohungen wirksam begegnen; c) eine gerechte, faire und gemeinsame Lösung der Flüchtlingsfrage und d) die Einlösung der Ansprüche beider Seiten in der Jerusalemfrage. Verhandlungen müssen einen Weg eröffnen, um eine Lösung für den Status von Jerusalem als künftige Hauptstadt beider Seiten zu finden. Der Deutsche Bundestag unterstreicht, dass eine Lösung der Flüchtlingsfrage den jüdischen Charakter des Staates Israel nicht in Frage stellen darf.

Wenn eine Wiederaufnahme von Friedensgesprächen vor Beginn der nächsten Generalversammlung nicht zustande kommt, dann scheint der Gang der Palästinenser zu den Vereinten Nationen nicht mehr abwendbar zu sein. Angesichts der endlosen Vertagungen direkter Friedensgespräche und des gegenseitigen Misstrauens ist eine Erklärung der palästinensischen Unabhängigkeit im Rahmen der VN nachvollziehbar. Die Tatsache, dass international kaum Zweifel bestehen, dass die PA eine Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung erreichen kann, zeigt deutlich, dass die meisten Mitglieder der Weltorganisation diesen Schritt unterstützen.

Zwar ist es unwahrscheinlich, dass sie die Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen erhalten werden, wenn die USA ihre Ankündigung wahr machen und die unumgängliche Empfehlung des Sicherheitsrates zur Aufnahme mit einem Veto belegen. Aber sie erreichen mit der zu erwartenden Zweidrittelmehrheit die symbolische Anerkennung eines großen Teils der Weltgemeinschaft. Zugleich schreitet der Prozess der bilateralen Anerkennung des palästinensischen Gebiets als souveräner Staat voran, nicht zuletzt auch in der Europäischen Union.

Vor diesem Hintergrund ist es absolut vorrangig, sich jetzt um eine gemeinsame Position der EU zu bemühen. Die erwähnte negative Vorfestlegung gegen die palästinensischen Bemühungen bei den Vereinten Nationen ist völlig ungeeignet, diesem Ziel näher zu kommen. Statt dessen sollte sich die Bundesregierung alle Wege offen halten, die zu einer gemeinsamen europäischen Haltung führen können. Dazu gehört auch die Option, von europäischer Seite das palästinensische Ansinnen dann zu unterstützen, wenn Friedensgespräche bis dahin nicht begonnen haben und sich die künftige palästinensische Regierung dazu bekennt, dass sie das Existenzrecht Israels anerkennt, Gewaltverzicht garantiert und der Gültigkeit der bisherigen Abkommen zustimmt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich für die baldige Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern auf der Grundlage der oben angeführten Parameter einzusetzen und dafür Initiativen im Rahmen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union zu starten;

dass sie ihre negative Vorfestlegung gegen die palästinensischen Bemühungen bei den Vereinten Nationen aufgibt und statt dessen alle Wege offen hält, die zu einer gemeinsamen europäischen Haltung führen können , einschließlich der Option, von europäischer Seite das palästinensische Ansinnen dann zu unterstützen, wenn Friedensgespräche bis dahin nicht begonnen haben und sich die künftige palästinensische Regierung dazu bekennt, dass sie das Existenzrecht Israels anerkennt, Gewaltverzicht garantiert und der Gültigkeit der bisherigen Abkommen zustimmt;

sich für ein sofortiges Ende des israelischen Siedlungsbaus in den palästinensischen Gebieten einzusetzen;

gegenüber der palästinensischen Führung und einer möglichen neuen Regierung auf Bais der Versöhnungsvereinbarung auf ein klares Bekenntnis zu den Quartett-Kriterien zu dringen;

sich für die sofortige und bedingungslose Freilassung Gilad Shalits weiter einzusetzen;

ein wichtiges politisches Signal zu senden, indem sie die palästinensische Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland aufwertet.

Berlin, den…. Juni 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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