Fabian Nicolay / 24.10.2021 / 16:00 / Foto: Lewis Hine / 28 / Seite ausdrucken

Wie die EU unartige Kinder erziehen will

Es ist ein doppelter Skandal. Das polnische Verfassungsgericht urteilte kürzlich, dass einige EU-Gesetze als Verstoß gegen die polnische Verfassung zu werten sind. Nun kontert die EU, das polnische Verfassungsgericht sei gar nicht unabhängig. Auf deutsch gesagt: Nicht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist illegitim, wie es die Polen behaupten, sondern die Gerichtsbarkeit und das Beharren der Polen auf ihrer Verfassung. Ein Musterfall einer Retourkutsche, die eine Grundschwäche der EU offenbart.

Man höre und staune. Brüssel will schon wieder unartige Kinder erziehen. Die Gören werden auch mal geohrfeigt, wenn sie rumbocken. Dann ist Schluss mit den Sonntagsreden um Einigkeit und Augenhöhe, es wird Gehorsam eingefordert und mit Sanktionen gedroht. „Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsamen Werte aufs Spiel gesetzt werden“, sagt die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, denn sie ist im Gespann mit Christine Lagarde, der französischen Präsidentin der Europäischen Zentralbank, die Hüterin dieser „gemeinsamen Werte“. Das ist so etwas wie der heilige Gral deutsch-französischer Interessenbündelung in Bezug auf europäische Angelegenheiten.

Aber wie es mit Prämissen-Streitigkeiten so ist, werden sie in guten Zeiten mit den Segnungen einer schlafwandlerischen Schönwetterpolitik aus Geld, Wachstum und eitler Selbstgewissheit wegidealisiert. Erst im Streitfall wird offenbar, dass man über grundlegende Dinge schon von Anfang an uneins war. So ist das mit arrangierten Hochzeiten. Die Väter sind sich zwar einig und heben die Gläser, aber das Brautpaar ist sich fremd und wird es bleiben, auch wenn die Aussteuer hoch war.

Warschau gegen Brüssel ist so ein Fall, wo die Ehre der Familie auf dem Spiel steht und der autoritäre Vater auf den Tisch haut und mit Enterbung droht. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen redet just über Kürzung von Geldern; Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki spricht von „Erpressung“. Brüssel hat anscheinend nichts aus dem Brexit gelernt.

Ein anhaltender Verdacht

Seltsam mutet es an, wenn von Medienmachern und Politikern der „Rechtsstaat" als Instanz immer dann diskreditiert wird, sobald er sich in Sachen EU als „Corpus Delicti“ nationaler Interessen geriert. Ein anhaltender Verdacht ist nicht zu verbergen: Ist das Brüsseler Gebaren nichts anderes als die Interessenspolitik Deutschlands in ihrem Exoskelett „gemeinsamer, europäischer Werte“?

Was die deutschen Medien, Politiker und Ursula von der Leyen so bestürzt – nämlich der egoistische Alleingang eines EU-Mitgliedstaates –, ist bei Lichte betrachtet auch der egoistische Alleingang Deutschlands, dessen Klima- und Energiepolitik alles andere als europäisch zu bezeichnen ist und doch als deutsche Gebärde überlegener Zukunftsentwürfe für alle anderen Staaten gelten soll.

Ist der Widerstand der Engländer und jetzt der Polen nicht eine Absage an den permanenten Versuch Deutschlands, hegemonial gedachte deutsche Politikziele über Brüssel in Europa zu verwirklichen? Ist nicht der deutsche Einfluss auf die EU nicht weniger illegitim in seiner Ablehnung national definierter Rechtsstaatlichkeit?

Die Deutschen haben eine lange Tradition, wenn es um Gleichschaltung geht. Immer wurde diese Übergriffigkeit autoritär begründet und mündete zweimal in Diktaturen. Nur in der Gegenwart findet man bessere Begriffe für dieses böse, belastete Wort: Heute nennt man es „Harmonisierung“. Angela Merkel wollte nach der Europawahl im Mai 2019 nicht den zum Kandidaten erkorenen Manfred Weber zum Kommissionspräsidenten haben, sondern inthronisierte die gar nicht zur Wahl aufgestellte Ursula von der Leyen als ihre Harmonisierungsbeauftragte. Nur will Polen sich nicht einfach harmonisieren lassen. Da wackelt so manche Fönfrisur in Brüssel.

Wie kann es sein, dass eine offenbar „par ordre du mufti“ zustande gekommene „Kommission“ und ihre Präsidentin für das europäische Wahlvolk sprechen dürfen? Wie kann es sein, dass sich diese Leute über Polen beschweren?
Fragen und Widersprüche, die sich in Zukunft noch härter aufdrängen werden, wenn die Schönwetterpolitik von einer wirtschaftlichen Kaltwetterfront vertrieben wird.

Sollten wir nicht schon jetzt genau hinhören, was uns die Polen sagen wollen?

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Leserpost

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Karla Kuhn / 24.10.2021

Sabine Schönfelder, “Polen ist ein Knecht und Lügileyen die Domina”  Diese “Domina” wird entthront,  wen sie das Geld ALLER STEUERZAHLER “verpraßt” hat, mit sinnlosen Ausgaben (Auch in die eigene Tasche ??)WAS wurde eigentlich aus der LEYEN AFFAIRE ?? Wo die “Arme” doch ausversehen ihr Handy gelöscht haben will. Ich war bisher immer im GLauben, die STAATSANWALTSCHAFT führt eine Befragung durch und SPEICHERT die Aussagen schriftlich und digital. Aber wenn das NEU ist, daß eine ev. Tatverdächtige ihre TATEN selber speichern kann und nach belieben auch löschen, dann wäre das für die offenbar völlig “überlastete Justiz” doch sehr gut, könnte sie   ENDLICh MAL DIE VIELEN KLAGEN über Merkel und den teils abartigen Coronamaßnahmen bearbeiten ! In Bayern hat das URTEIL wegen den GESETZESWIDRIGEN AUSSPERRUNGEN im MÄRZ 2020 bis September 2021 gedauert, fast schon BER Niveau.  Die Wurzel des Übels ist nicht die EU, sondern offenbar etliche Größenwahnsinnige, die die Bevölkerung vermutlich dezimieren und unter ihre Knute bringen wollen. Allerdings viele/etliche der EU Typen möchten den da “Oben” offenbar nur zu gerne gefallen, vermutlich wegen der Knete und dem weich gepolsterten “Sessel.” Denn WO bitteschön, kann man auch mit einem “schlichtem Gemüte” derart viel Steuergeld abgreifen als in der EU oder generell in der Politik ? Ergo sind diese “Größenwahnsinnigen” und viele EU Typen /und viele Landespolitiker voneinaner abhängig. denn auch der größte TYRANN könnte OHNE SCHLEIMSCHLECKER und Arschkriecher GAR NICHTS ausrichten !! Seine Tyrannei wäre TOT !

Volker Kleinophorst / 24.10.2021

@ S. Schönfelder Spitzentext inhaltlich und auch im Stil. Lügileyen :)

Boris Kotchoubey / 24.10.2021

Wird die EU von Deutschland unterwandert und den ewigen deutschen Träumen, über ganz Europa zu herrschen, eine Art Viertes Reich? Oder handelt die EU im Gegenteil wider die deutschen nationalen Interessen? Beides ist richtig! Es kommt nur darauf an, wie “Deutschland” definiert wird. Denn die deutschen Führer’Innen und ihre Handlanger sind die schlimmsten Feinde des deutschen Volkes.  Ja, die EU ist in den Händen der Verbrecherbande, die sich “deutsche Politiker” nennen und agiert im Interesse dieser Kriminellen. Und ja, diese Politik ist ein Verrat am deutschen Volk.

P. Wedder / 24.10.2021

Als Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin ernannt wurde, war das für mich das öffentliche (!) Bekenntnis, dass sich die EU von der Demokratie abgewandt hat. Schlimm fand ich besonders, dass auch von den anderen Mitgliedstaaten keinerlei Proteste kamen und diese Merkel-Entscheidung scheinbar nur durchgewunken wurde. War es M. Thatcher, die sagte, dass die EU solange Bestand hat, wie die Deutschen zahlen können? Dann ist das Ende der EU vielleicht näher als man denkt.

Daniel Kirchner / 24.10.2021

Frau von der Leyen, die in Brüssel aufgewachsen ist, hat die Sympathien der beiden frankophonen Staaten. Europa wird auch von Frankreich aus regiert. Das Merkel-Bashing ist hier nur zum Teil berechtigt.

Thomas Brox / 24.10.2021

Machen wir uns nicht vor. Das autokratische Beamten-Regime der EU-Institutionen wird gewinnen, und zwar für lange Zeit. Es ist die logische Fortsetzung dessen, was in Deutschland und in anderen Staaten der Eurozone seit Jahrzehnten auf nationaler Ebene abläuft. Es ist der “Endsieg der Bürokratie” (das war mal der Titel eines brillanten Artikels hier auf der Achse). Es ensteht unaufhaltsam eine Art EUdSSR. Die eine oder andere Nation an der Peripherie kann vielleicht noch entkommen. Die viele hundert Milliarden Euro schwere Bestechung noch halbwegs intakter Nation durch die EU-Kommission wirkt wie eine soziale Vergiftung.

Stephan Bujnoch / 24.10.2021

Solange in der Verfassung eines der europäischen Länder steht, daß die in ihr stehenden Gesetze und Prinzipien für alles vorrangig sind, ist es eine schlichte Anmaßung, wenn Brüssel oder auch der europäische Gerichtshof in Luxemburg schwadroniert, europäisches Recht stünde über nationalem Recht, also auch über nationalen Verfassungen. Es ist ein Prinzip des römischen Rechtes, auf dem meines Wissens alle europäischen Codici fußen, daß Verträge unilateral nicht zu Lasten Dritter gelten können. Wenn also Rechtstraumtänzer unseres Verfassungsgerichts meinen, daß Europa der Ober ist, der den nationalen Unter sticht, dann befinden sie sich auf dem berühmten Holzweg. Wenn dies so wäre, müßte es in der nationalen Verfassung explizit stehen, daß dies so ist. Unser BVG hat das TÜV-Problem : vor einigen Jahrzehnten, als sich der TÜV recht aggressiv als “eierlegende Wollmilchsau” ähnliche Prüfinstanz für Alles und Nichts anprieß, ging mir durch den Kopf, ... und wer prüft den TÜV? Also, in diesen Tagen, - wer kontrolliert das BVG? Das BVG hat mit seinem “Klimaurteil” ganz klar seine Kompetenz überschritten. Wenn die Inhalte des Klimaurteils vom Parlament als Gesetz verabschiedet worden wären, ja dann hätte Karlsruhe das Recht gehabt, dieses auf Verfassungskonformität zu prüfen. Stattdessen sind Herr Harbarth und Co. de facto legislativ tätig geworden,- ein gewaltenteilerisches Unding. Aber in Zeiten, in denen Wahlen rückgängig gemacht werden (Thüringen) und Wahlunregelmäßigkeiten (Berlin) ungeahndet bleiben, darf man wohl nichts anderes erwarten. Zuständig wäre da wohl der Verfassungsschutz.

Leo Hohensee / 24.10.2021

Hallo Herr Nicolay, Sie wollen doch jetzt nicht monieren, dass das deutsche BVerfG auch politisch besetzt wird, dass U.v d. Leyen auf einem keinesfalls demokratischen Weg an ihr Amt gekommen ist, genauso wenig wie Christine Lagarde (die auch vor Gericht gehört) und andere. Sie wollen anmeckern, dass die Politiker dieser EU die Gründungsverträge - die VORAUSSETZUNG für die Zustimmung der Bürger der Länder zur Bildung einer EU - nicht eingehalten haben. Dass sie nach Belieben dagegen verstoßen und anschließend die Verträge einfach abschaffen. Sie, Herr Nicolay, wollen anmeckern, dass ein riesengroßes EU-Parlament ein pseudodemokratisches ist und es einen demokratischen Einfluss auf die Kommission nicht gibt. Sie wollen anmahnen, dass natürlich nur die jeweiligen Grundgesetze der Länder Maßstab für den Willen der Völker sein kann. Aber Herr Nicolay, die Geimpften in Deutschland denken doch, das muss alles so sein. Und sie denken, die bösen Polen wollen nur unser Geld, denen müssen wir erst noch Demokratie beibringen. Diese Haltung und Einstellung wird gesponsert von ARD und ZDF und von den linken schreibenden Medien unisono.

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