Letzten Dienstagabend betrat ich guter Dinge einen Bus der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), in dem ich schließlich darüber belehrt werden sollte, dass nach fünfzehn Monaten Hygiene-Propaganda im durchschnittlichen Busfahrer samt Fahrgast weniger Restvernunft und -moral vorauszusetzen ist, als man Salz in Karl Lauterbachs Lieblingsgericht vermuten könnte.
Nicht eine Minute Fahrtzeit, und ich wurde aus dem Fahrerhaus angeblafft, doch eine Maske aufzusetzen. Dass ich ein Attest habe, beantwortete der Mann damit, dass ihm das egal sei, in seinem Bus habe jeder Maske zu tragen – ob das einen nun gesundheitlich beeinträchtige oder nicht, die Alten steckten das doch auch weg. Ich erklärte, dass ich nun einmal ein medizinisch verbrieftes Recht darauf habe, unmaskiert öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Er verstand nichts, doch sollte schließlich recht behalten.
Ich muss dazu sagen, dass ich in 15 Monaten allgemeiner Alltagsvermummung nie so richtig in die Bredouille geraten bin. Wobei, ganz der Wahrheit entspricht das nicht. Einmal wollte ein Mann, dass ich die S-Bahn verlasse. Vielleicht wäre es nicht zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, hätte er seine Partnerin nicht dabei gehabt. Sie wissen ja, da geht es so einem dann um mehr als um Hygiene und Prinzipien, nämlich um Stolz, Ehre und die gemeinsame Weiterfahrt.
Im Clinch mit dem FFP2-Pausbackengesicht
Entsprechend sollte man sich dann aber auch zweimal überlegen, ob man jemandem, der eh schon genervt bis angewidert ist von den ganzen streber-freundlichen Drosten-Christians und latent-aggressiven Brinkmann-Melanies, im Kasernenhofton aus seiner gedankenverlorenen Bahnfahrt reißt. „Maske auf!“ „Wie bitte?! Wie reden Sie eigentlich mit mir?“ „Maske auf!“ Wer jedenfalls glaubt, mich so ansprechen zu müssen, den frage ich nicht nur höflich, ob es sich bei seiner Person denn um das Ordnungsamt handle, sondern fordere ihn auch etwas nicht-mehr-ganz-so-höflich dazu auf, sich aus Dingen herauszuhalten, die ihn nichts angehen. Diese Vorgehensweise trieb nun nicht nur die Röte und Angespanntheit in das FFP2-bemäntelte Pausbackengesicht, sondern brachte auch seine Begleiterin in Verlegenheit. Verunsichert und halbloyal stand sie an seiner Seite, unsicher, ob sie ihn beruhigen oder ihm den Rücken stärken sollte. Und so wurde der Gatte schließlich handgreiflich.
Was soll ich sagen? Deutschland 2021, das ist, wenn Sie körperlich auszutragende Konflikte nicht nur mit Migrantenmachos im Ehrenmodus befürchten müssen, sondern auch mit Kartoffeldeutschen im Hygienefuror. Als Letzterer mich in der Mitte des Abteils (ich war inzwischen aufgestanden) an den Schultern packte und ich kurzzeitig mit dem Gedanken spielte, ihm meine Faust ins Gesicht zu drücken und so das absurde, alle Blicke auf sich ziehende S-Bahn-Spektakel ins Groteske zu eskalieren, da belehrte mich ein Blick in seine Augen rechtzeitig eines Besseren. Ich sah es deutlich: Er wollte mich nicht verletzen, sondern nur „Recht und Ordnung“ durchsetzen, und ich wollte ihm ja auch nicht wehtun, sondern nur meine Ruhe und alte Normalität.
Also riss ich mich los, er sah ein, mich nicht hinausbugsieren zu können, und dann kam sogar BVG-Sicherheitspersonal herbeigeeilt. Es schlug sich – wie könnte es auch anders sein? – auf seine Seite, fragte mich, warum ich denn aus der Reihe tanzen müsse. Meine Entgegnung, dass ich gerade von einem Fahrgast körperlich angegriffen worden sei, allein weil ich mein Recht auf Reisefreiheit mit Hilfe einer allseits akzeptierten Maskenbefreiung in Anspruch nehme – vergebliche Liebesmüh.
Im Dunst ihrer Magensäfte
Was uns wieder zu der Bussituation zurückkommen lässt: Kein Verlass auf Autoritäten und Institutionen. Haben Sie schon mal in einem Bus, in dem Fahrgäste auf Sie einreden, versucht, ein konzentriertes Gespräch mit der Polizei führen? Es geht, Sie müssen es nur schaffen, den auf Sie einredenden, leicht alkoholisiert riechenden Mann mit holprigem Deutsch und afrikanischem Akzent auszublenden. Irgendwann wird er von Ihnen ablassen und dem Busfahrer stattdessen Vorschläge erteilen, was mit Ihnen zu unternehmen sei. Apropos Fahrgäste: Auf die ist auch kein Verlass. In der Hygienerepublik wird man zwar nicht vom Mob zerrissen, wenn man Verhaltensweisen geschilderter Art an den Tag legt, doch die allgemeine Stimmung richtet sich schon recht deutlich gegen einen.
Die im Fall der S-Bahn-Situation noch durch ein Bier angeheizt wurde, das ich auf dem Weg zu meiner Freitagabend-Unternehmung zu mir nahm. Und im Jahre 2021 ein alkoholisches Getränk in der Bahn zu trinken, wirkt auf einige Zeitgenossen, ihren Blicken nach zu urteilen, ja in etwa so, als würde man ihnen auf die Geburtstagstorte husten. Ob man in einer dichtgedrängten U-Bahn je wieder unschuldig wird niesen können? Wie dem auch sei, mein Handy war inzwischen in der Hand des Busfahrers, dem die Polizei mitteilte, gleich anzurücken, begleitet von den Aufforderungen des Afrikaners, jenes doch einfach aus dem Bus zu werfen.
Mit ihm entwickelte sich da ein Nebenkriegsschauplatz, der meine Nerven zusätzlich unnötig strapazierte. Aber immerhin: Diesmal keine handgreiflichen Konflikte. Und das stimmt doch positiv, oder? Schließlich war ein halb gefüllter Bus an der Weiterfahrt gehindert, weil wir ja nun auf die anrückenden Beamten warteten. Noch zähmt also die Zivilisation das Recht stärkerer Mehrheit, jedenfalls in körperlicher Hinsicht – meine Aufrufe, doch einfach dem Busfahrer klarzumachen, dass er die verdammten Maskenatteste zu akzeptieren hat, verhallten leider an der Ungeduld und Gereiztheit von Leuten, die im stickigen Dunst ihrer Magensäfte lieber gleiches Unrecht für alle einfordern.
Ob die einmal darüber nachgedacht haben, dass es da draußen Menschen gibt (zu denen ich nicht gehöre), bei denen die Maske über dem Mund jene Missbrauchserfahrungen traumatisch hervorholt, die einmal mit Mund-Zudrücken einhergingen? Menschen mit nur einem Lungenflügel? Sollen die von der diversitätspreisenden Berliner Verkehrsgemeinschaft nun einfach diskriminiert und der Willkür herrischer Asozialität preisgegeben werden? Wer zu solchen Befürchtungen noch fähig ist, mischt sich jedenfalls in derartige Konflikte eher nicht ein. Tonangebend sind übergeschnappte Busfahrer („Willst du, dass wegen dir wieder alles schließt?“), herankumpelnde Jugendliche („Wir mögen alle die Maske nicht, aber trag sie doch einfach, dann sparst du dir die Probleme“) und penetrante Leichtalkoholisierte, die übrigens nicht nur mein Handy aus dem Bus geschmissen sehen wollten, sondern auch mit Beleidigungen nicht gerade geizten. Vielleicht hätte ich ihn noch angezeigt, aber als die Beamten dann in Sichtweite waren, verzog der Depp sich natürlich.
Wie zu entscheiden sei, wussten die Ordnungshüter erst einmal nicht. In der Zwischenzeit hatte der Fahrer übrigens mit der BVG-Zentrale gesprochen, die ihm mitteilte, dass er mich mit Attest eigentlich nicht rausschmeißen dürfe. Die Polizeiwache, die von den vermittlungsbemühten Polizisten konsultiert wurde, verkündete ihnen jedoch nun, dass die Berliner Verkehrsbetriebe diesbezüglich tatsächlich Hausrecht hätten. Sie könnten ihn nicht zwingen, mich mitzunehmen, hieß es. Es ist schon alles sehr hässlich.
Reserveearmee an Hilfpolizisten
Den Polizisten teilte ich noch mit, dass ich den Busfahrer, der sich laut ihnen „nur an die Regeln“ halte, garantiert nicht „auch verstehen“ müsse, und ihm wiederum gab ich noch zu verstehen, dass es hier nicht um eine Extrawurst, sondern um Rechte geht, gegen die er sich nun erfolgreich durchgesetzt habe. Dafür müsse er sich dann abends im Spiegel anschauen können.
Ich lief entnervt zur U-Bahn.
An meinem Ziel fast angekommen, passierte ich noch ein Grüppchen BVG-Personal, die mich auf meine fehlende Maske hinwiesen, mein Attest aber nicht einmal sehen wollten. Tja, wat ist dat hier alles? In der Regel gibt es eigentlich keine Probleme, das Attest wurde bislang immer ohne Murren akzeptiert, und abgesehen von den wirklich komplett am Rad drehenden Masken-Joggern und -hundeausführern scheint mir die Mehrheit der Berliner diese Pflicht eher als eine lästige Nebensache zu betrachten, die sie bei Nichteinhaltung nicht sonderlich interessiert. Aber wehe den autoritären Schwerstneurotikern, bei denen Klabauterbach im Kopf die Becken klatscht wie das Äffchen in Homer Simpsons Schädel… betreten diese erst einmal die Bühne, kann die Stimmung durchaus kippen.
Die vielfach als „milde“ verharmloste Maskenpflicht gehört in Wahrheit zu den übelsten Maßnahmen. Sie trägt entscheidend dazu bei, zivilisierte Umgangsroutinen durch zwanghafte Verhaltensauffälligkeiten zu ersetzen, die als solche nur deshalb nicht auffallen, weil sie der Staatsräson entsprechen. Das Corona-Regime hat so immer eine Reservearmee an Hilfspolizisten für die Durchsetzung seiner verfassungsfeindlichen Ordnung.