Von Nathan Gelbart
Es war der 8.Mai 1943. Der Tag, an dem der Anführer des Aufstandes im Warschauer Ghetto, Mordechaj Anjelewicz, den Tod fand. Genau 70 Jahre später berichtete der Kultursender 3sat über ein besonders ekelhaftes Propagandaprojekt der Nazis. Um der Welt zu zeigen, wie gut es den Juden im Warschauer Ghetto ging, inszenierten die Nazis ein potemkinsches Dorf: Restaurants, in denen elegant gekleidete Juden nach einem ausgiebigen Champagnerdinner das Tanzbein schwangen,
Marktstände voller Delikatessen und üppig gedeckte Sabbat-Tafeln. Die israelische Filmemacherin Yael Hersonski hat 2010 aus dem bislang unbekannten Material einen bemerkenswerten Dokumentarfilm produziert: “Geheimsache Ghettofilm - Das Warschauer Ghetto und die Propaganda der Nazis”. Die NYT widmete der Dokumentation eine längere Rezension.
In dem „Luxusghetto“ gab es auch ein Theater mit einer Ticketbox, vor der sich die heraus-geputzten Besucher brav anstellten, die weiße Binde mit dem Davidstern am Unterarm. In dem Stück „Sulamita“ traten ausgemergelte Schauspieler und Tänzer auf, die von der Naziregie zu besonders übertriebener Gestik und Mimik angehalten wurden, sehr zur „Freude“ des Publikums, das, wie von der Regie befohlen, begeistert applaudierte.
Dieses Propagandaprojekt der Nazis wurde aus unbekannten Gründen – zumindest bis zum 07.Mai 2013 - nicht zu Ende gebracht. Doch was die Nazis nicht geschafft haben, das ist dem Kultursender 3sat in Kooperation mit dem ZDF schließlich doch gelungen.
So zeigte 3sat am 08. Mai 2013 unmittelbar nach der Dokumentation von Yael Hersonski einen Beitrag des Warschauer ZDF-Korrespondenten Armin Coerper über “Jüdisches Leben im Ghetto”. Darunter auch Aufnahmen aus dem reichhaltigen jüdischen Kulturleben und der Theaterszene Warschaus in der Vorkriegszeit. Originalton 3sat:
„Vor dem Krieg gab es viele jüdische Theater. In Warschau pulsierte das jüdische Leben. Hier lebte die jüdische Kultur wie nirgends sonst in Europa. Bis die Deutschen diese Welt brutal zerstörten.“
Bei näherem Hinsehen fällt dem Betrachter etwas Gruseliges auf: die Aufnahmen aus der guten alten „Vorkriegszeit“, die vor und im „Azazel“-Theater gemacht wurden, ähneln den Einspielungen aus dem soeben gezeigten Nazi-Fake aus der Ghettozeit. Nein, sie ähneln nicht, es sind dieselben Bilder!
Dieselben Gesichter und dieselben Armbinden, dieselben klatschenden Theatergäste und dieselben Schauspieler und Tänzer, dieselben Szenen und dieselben Gesten – allerdings ohne jeden Hinweis darauf, dass es sich um Nazi-Propaganda handelte. Armin Coerper , der Polen-Korrespondent des ZDF, übernahm tatsächlich die gestellten Szenen aus „Sulamita“ und dem Propagandamaterial der Nazis, um die vitale jüdische Kulturszene in Warschau vor dem Krieg zu „dokumentieren“. Und keinem der Verantwortlichen bei 3sat bzw. im ZDF fiel Coerper´s fake of the fake auf, obwohl beide Sendungen gleich hintereinander liefen. Das ist der Gipfel journalistischen Dilettantismus gepaart mit historischer Ignoranz. Hauptsache, es gibt nach über 70 Jahren doch noch ein Happy end für die Reichsfilmkammer. 3sat, Coerper und das ZDF haben das Werk der Nazis vollendet. Wenn das Tante Leni noch erlebt hätte …
Liebe Nazis, nicht verzagen, 3sat fragen, Ihren Kultursender !