Martina Binnig, Gastautorin / 21.01.2023 / 14:00 / Foto: Pixabay / 26 / Seite ausdrucken

Wie das WEF die Kultur instrumentalisiert

Das WEF kennt Kultur nur als Mittel zum Zweck. Das zweckfreie Spiel, der Wert an sich, die Transzendenz und die Freiheit wahrer Kunst sind ihm fremd. Kultur ist dazu da, um strategisch geplant und instrumentalisiert zu werden.

Stolz präsentiert das Weltwirtschaftsforum (WEF) bei seinem Treffen in Davos auch in diesem Jahr wieder die Gewinner des Kristall-Preises („Crystal Award“), mit dem Klaus Schwabs Ehefrau Hilde als Vorsitzende des am WEF angegliederten „World Arts Forum“ bereits zum 29. Mal „inspirierende Künstler aus aller Welt“ auszeichnet. Die prämierten kulturellen Führungskräfte („cultural leaders“) seien Brückenbauer, die einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der Welt geleistet hätten und die Haltung der Offenheit und Zusammenarbeit, die den „Geist von Davos“ ausmache, am besten verkörperten. 2023 werden laut einer am 9. Januar veröffentlichten Bekanntmachung des WEF die Architektin Maya Lin, die Sopranistin Renée Fleming, der Schauspieler und Filmemacher Idris Elba sowie Schauspielerin und Model Sabrina Elba geehrt.

Mag sein, dass im Fall von Fleming auch das Engagement der Sängerin im Bereich der Neurowissenschaften eine Rolle für die Preisvergabe spielt: Fleming arbeitet mit den US-amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstituten (NIH) zusammen, die als wichtigste Behörde für biomedizinische Forschung in den USA gelten. Flemings Anliegen ist es, ein Toolkit für die Standardisierung der klinischen Forschung im Bereich Musik und Gesundheit bei Hirnleistungsstörungen im Alter zu entwickeln. Außerdem ist Fleming Gründungsberaterin für wichtige Initiativen in diesem Bereich, beispielsweise in Partnerschaft mit der Johns-Hopkins-Universität, die während der Corona-Krise durch ihre Fallzahl-Veröffentlichungen weltweit bekannt geworden ist. In Hinblick auf die von Schwab propagierte vierte industrielle Revolution ist Flemings Engagement für die Neurowissenschaften sicher attraktiv.

Musik ist wie jede andere Ressource

Doch nicht die einzelnen Preisträger sollen hier vorgestellt, sondern vielmehr der Frage nachgegangen werden, wie es das WEF überhaupt mit der Kultur hält. Auf der Website der von Klaus Schwab 1971 gegründeten Stiftung, die die 1.000 wichtigsten global agierenden Konzerne zu ihren Mitgliedern zählt und mit internationalen Entscheidungsträgern aus Politik, Kultur, Medien und NGOs zusammenarbeitet, lassen sich unter dem Stichwort „Künste und Kultur“ („Arts and Culture“) derzeit 701 Veröffentlichungen aufrufen. Exemplarisch sei ein Artikel vom 11. September 2019 angeführt, in dem unter dem Titel „Musik ist eine wichtige städtische Ressource. Wie planen wir für sie?“(„Music is a vital urban resource. How do we plan for it?“) die Bedeutung von Musik für die Gesellschaft erörtert wird. Darin heißt es:

„Musik ist, wie jede andere Ressource, nicht unendlich. Wenn wir sie nicht lehren, in sie investieren und sie unterstützen, verschwindet sie. Da Musik unsere universelle Sprache ist – wir alle sprechen sie –, muss ihre Fähigkeit, Gemeinschaften auf der ganzen Welt zu unterstützen, zu erhalten und zu verbessern, genauer verstanden werden. Dies geschieht in Städten auf der ganzen Welt. Es ist die Verschmelzung von Planung, Ressourcenmanagement, Widerstandsfähigkeit und Intentionalität rund um die Musik, genannt Musikurbanismus.“

Goldman Sachs gehe davon aus, dass sich vor allem durch den Anstieg der Streamingdienste der Umsatz der Musikindustrie auf über 131 Milliarden Dollar im Jahr 2030 mehr als verdoppeln werde. Immer mehr Städte hätten nun erkannt, dass der wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wert der Musik bei der Flächennutzungs-, Sanierungs-, Tourismus-, Bildungs- und Wirtschaftsentwicklungspolitik berücksichtigt werden müsse. Es sei neu, über Musik auf diese Weise nachzudenken – als eine bewusste und absichtliche Taktik („policy“).

Strategisch über Musik nachdenken

Konzerne wie Amazon verwiesen häufig auf die Lebensqualität eines Ortes als zentrales Kriterium für die Ansiedlung von Unternehmen. Neben Brauereien, Freiflächen und fußläufiger Erreichbarkeit sei Musik ein wichtiger städtischer Indikator. Das Musikbildungssystem eines Landes sei außerdem ein Wohlstandsfaktor. Musik in öffentlichen Verkehrsmitteln könne die Nerven von Pendlern beruhigen, Musik in der Schule kognitive, organisatorische und verwaltungstechnische Fähigkeiten fördern, und Kinder in Bands oder Chören lernten, gut mit anderen zusammenzuarbeiten.

Festivals seien urbane Pop-up-Orte, und Musikstädte könnten als städtische Musik-Ökosysteme Orte sein, an denen strategisch über Musik nachgedacht werde, anstatt Musik einfach nur in der Praxis zu genießen. Dabei könnten sie der Entwicklung, Förderung und Aufrechterhaltung des gemeinschaftlichen Zusammenhalts und des wirtschaftlichen Wachstums dienen. Die Aufgabe des Musikurbanismus sei es, Wettbewerbsvorteile für Städte zu schaffen, die sich engagieren wollen. Dafür sollten alle Städte über Musikbeauftragte, -strategien und -prozesse verfügen. Jedenfalls, wenn es nach Dr. Shain Shapiro geht, dem WEF-Autor und CEO von Sound Diplomacy, dem weltweit führenden Beratungsunternehmen für Musikstädte.

Falls Sie also demnächst Wind davon bekommen sollten, dass sich Ihre Stadt als Musikstadt profilieren möchte, freuen Sie sich nicht zu früh: Das ist keine löbliche Idee Ihrer Kommune, sondern eine Strategie, die top-down umgesetzt werden soll, um in erster Linie ganz andere Ziele zu erreichen, als das Musikleben an und für sich zu fördern. Es geht ja auch nicht an, dass Sie „Musik einfach nur in der Praxis“ genießen wollen! Überhaupt: Genuss ist in der Agenda des WEF ein Fremdwort. Kultur ist dazu da, um strategisch geplant und instrumentalisiert zu werden. Kreativität muss in genau kontrollierbare Bahnen gelenkt werden, damit sie dem Gemeinwohl dient. Und was das Gemeinwohl ist, definieren die Experten des WEF. Wirkliche Kunstfreiheit wäre dem WEF ein Graus. 

Ich übertreibe? Leider nicht. Ich spitze höchstens etwas zu. Überzeugen Sie sich selbst davon, indem Sie sich weitere Artikel, die auf der WEF-Webseite unter „Künste und Kultur“ eingestellt sind, anschauen. Da wäre etwa „Kreativität inmitten des Chaos: Wie der Kultursektor die Wirtschaft unterstützen kann“, „Wir sollten die Macht von Kulturprodukten nicht unterschätzen. Sie können die Welt verändern“, „Es ist an der Zeit, dass Kunst und Kultur uns vereinen“, „Warum wir bei der Behandlung von Infektionskrankheiten die kulturelle Bedeutung von Ritualen nicht vergessen dürfen“, „In einer gespaltenen Welt kann die Musik dazu beitragen, uns wieder zusammenzubringen“ (/), „Wie die Digitalisierung hilft, die Kreativwirtschaft zu transformieren“, „Wie kulturelle und öffentliche Dienstleistungen Städte widerstandsfähiger gegen wirtschaftliche Schocks machen“ oder „Warum die Kunst- und Geisteswissenschaften für die Zukunft der Technik entscheidend sind“.

Kurzum: Das WEF kennt Kultur nur als Mittel zum Zweck. Das zweckfreie Spiel, der Wert an sich, die Transzendenz und die Freiheit wahrer Kunst sind ihm fremd.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Théodore Joyeux / 21.01.2023

Man sollte dieses Ereignis von mit ca. 1.500 Privat-Jets anreisenden Ultra-Perversen, die dann per Hubschrauber ins Bergdorf Davos eingeflogen werden, nicht zu schlecht reden. Immerhin verdienen sich in dieser einzelnen Woche die Nutten und Call-Boys aus Europa und der ganzen Welt eingeflogen, auch als “Escort Service” bezeichnet eine zusätzliche Milliarde (pro Stunde ca. USD 2.500 - 25.000 pro Mann und Maus) in kürzester Zeit.  Das ist die WEF-Veranstaltungskultur in Reinkultur, da die Teilnehmer und Teilnehmerinnen hier 100% Spaß und sexuelle Befriedigung erfahren können, um die ideologisch perversen Rahmenprogramme angenehmer aufzunehmen. Da sollten auch ein paar Künstler ihrer Unterhaltungsbranche gerecht werden. Anders wurde im Vatikan unter den katholischen Borgia-Päpsten im Übrigen auch nicht Politik gemacht, wofür das dumme Steuerzahlende Volk eben arbeiten und zahlen musste. Davos hat also sicherlich eine Jahrhunderte-alte Tradition, nur eben seit vielen Jahren in der Schweiz. Geblieben ist allerdings die “Schweizer Garde”, bzw. heute der Schutz der Schweizer Armee mit rund 5.000 Mann, die im Schnee frieren dürfen.

Peter Herrmann / 21.01.2023

Und wo werden die Aus-Schalter angebracht?

Sabine Schönfeld / 21.01.2023

Dass Kultur zum Zweck politischer Beeinflussung und gesellschaftlicher Veränderung genutzt wird, ist nichts Neues. Schon vor Jahrzehnten wurde ich in ein Theaterstück eingeladen, dessen Thema ein homosexuelles Paar war und einer dieser Partner war AIDS-krank. Die Schauspieler waren gut, aber der Verfall des einen und die Unfähigkeit des anderen, mit diesem Sterben des Partners umzugehen, wurde für mich als Zuschauerin zum Horrortrip. Vermutlich sollte man als Zuschauer aus dem Stück herausgehen mit dem Gefühl, alles für Homosexuelle und AIDS-Kranke tun zu wollen, ich allerdings ging schon in der Pause. Das Theater war für mich noch immer der Ort für Unterhaltung, für kluge Gedanken, für Einsichten zu Themen, in denen ich mich wiederfinde. Ich finde auch Empathie für andere Menschen wichtig, aber diesen manipulativ-emotionalen Terror hatte ich schlicht nicht verdient und auch kein anderer der Zuschauer. Dieser zelebrierte Narzissmus und die völlige Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Zuschauer als Individuum im Kulturbetrieb hat mich dann über die Jahre mehr und mehr abgestoßen. Kultur ist für mich seitdem Literatur, Sachbücher und überwiegend klassische Musik vom Tonträger. Vielleicht kehre ich zurück zu den Kulturschaffenden, wenn diese beschließen, mich und alle anderen mit Respekt zu behandeln. Aber als Objekt für Manipulation und ideologische Beeinflussung, vermeintlich ohne eigene Rechte? Soll ich dafür noch Eintritt bezahlen? Herzlichen Dank, ich verzichte.

Rainer Niersberger / 21.01.2023

Ich kenne kein totalitaeres System, in dem es anders waere. Uebrigens ist in derartigen System praktisch alles nur Mittel zum Zweck undvdiesebZweckbist bekannt oder sollte bekannt sein. Mit Kunst und Kultur laesst er sich besonders gut erreichen, denn das Publikum denkt dabei noch weniger als ohnehin schon. Da sickert doch einiges erfolgreich ins Unterbewusste.  Bekanntlich gehoert der Mensch an sich und vor allem seine Schwachstellen zum Hauptobjekt der Begierde der Transformatoren, als Individuum und als Masse bzw in der Masse. Und die genannten Neurowissenschaften liefern hier sicher wertvolle Erkenntnisse, vor allem wenn von der beruechtigten John’s - Hopkins - Uni die Rede ist. Aber wir halten fest : Davos und die dort Versammelten sind entgegen der Meinung der ” Verschwoerungstheoretiker”  harmloser als Neugeborene.  Sie meinen es nur gut mit uns.

Thomas Szabó / 21.01.2023

Die WEF unterstützt auch die Bilderstürmer von Black Lives Matter, also den rassistischen Kulturkampf gegen die westliche Kultur, gegen die Zivilisation an sich.

Franz Klar / 21.01.2023

Gestern tut HMB auf Bild TV den WEF als irrelevantes Selbstbefriedigungsevent ab , während sich Autorin Binnig hier die Finger gegenteilig wundschreibt . Audiatur et altera pars at its best.

A. Ostrovsky / 21.01.2023

Kunst ist Waffe, sagte der Papa vom Markus Wolf schon. Und Waffen sind gerade mächtig im Kommen. Oder auch im Gehen. Wer Waffen hat, muss sie auf den Weg schicken, in die Welt, wo sie sich bewähren und dann mit lautem Knall zurück kommen. Außer wenn sie zu kompliziert sind für die ungebildeten Jünger Banderas. Dann nicht. Dann wird es in Kunst umgedeutet und die Deutschen müssen es ertragen. Es gibt keine spezifische deutsche Kunst jenseits der Kriegskunst. Und der Kunst des Scheiterns. Manche lernen das Scheitern nie. Die müssen es immer wieder üben.

A. Ostrovsky / 21.01.2023

Mit Kunst kenne ich mich nicht aus. Es muss von Können kommen, sonst würde es ja Wulst heißen. Hofmusikanten gab es doch schon immer, und auch der Hofnarr war verbreitet. Wieso soll das plötzlich schlimm sein? Weil Nein auch Nein heißt? Da muss ich lachen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Martina Binnig, Gastautorin / 25.03.2024 / 16:00 / 11

EU-Gipfel: Krieg und Kasse

Die Ukraine wird weiterhin unterstützt, die UNRWA trotz Verstrickung mit der Hamas weiter finanziert und Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina sollen aufgenommen werden. Am 21.…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 15.03.2024 / 06:00 / 30

EU fördert ihr genehme Journalisten

Die EU-Kommission mischt sich mit Hilfe von Förderprogrammen derzeit bereits zum vierten Mal aktiv in den Journalismus ein. Schauen wir uns die deutschen Förderkandidaten einmal…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 12.03.2024 / 06:00 / 37

Vom Green-Deal zur EU-Rüstungswirtschaft?

Bislang hatten die EU-Staaten ihr Militär eigenständig mit Ausrüstung, Waffen und Munition versorgt. Jetzt will sich die EU um mehr "gemeinsame Beschaffung" kümmern. Für Beteiligte…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 27.02.2024 / 06:00 / 53

Unternehmer-Rebellion gegen die EU-Politik?

70 Unternehmer, die zusammen 7,8 Millionen Beschäftigte in Europa repräsentieren, fordern in der Antwerpen-Deklaration eine industriefreundlichere EU-Politik. Es läuft nicht mehr ganz rund für Ursula…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 26.02.2024 / 14:00 / 20

Niveau-Limbo im Bundestag

Die Debatten über den WHO-Pandemievertrag und über Meinungsfreiheit hinterlassen beim Bürger einen durchaus verstörenden Eindruck. Inhaltlich und in der Form war das eines Parlaments nicht würdig.…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 22.02.2024 / 06:00 / 66

Goodbye Bargeld? Scheindebatte um den digitalen Euro

Offenbar ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das digitale Zentralbankgeld in der EU eingeführt wird und damit die Möglichkeit totaler Kontrolle. Ein Bericht über…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 20.02.2024 / 06:15 / 41

Deutschland sitzt im Wirtschaftsloch –  EU gräbt weiter

Die EU gibt in ihrer Winterprognose zu: Die Wirtschaft schrumpft. Vor allem in Deutschland. Mit ihrem Green Deal, der mitverantwortlich für den Niedergang ist, will…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 19.02.2024 / 12:00 / 51

Die Heusgen-Blase

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz bestimmten Christoph Heusgen, António Guterres & Friends den Ton – in dem sie sich schon öfter vergriffen haben. Von Frieden über…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com