Wie Corona die häusliche Pflege gefährdet

Österreich macht’s mal wieder vor: „Zur Bewältigung der aktuellen Krise sollen die Länder einmalig 100 Millionen Euro erhalten, um den Pflege- und Betreuungsbedarf abzusichern. Anhand des Schlüssels der Wohnbevölkerung wurde das Ausmaß für jedes Bundesland ermittelt.“ Konkret geht’s um den Ausbau der Pflegehotline sowie um die Einrichtung zusätzlicher Ersatzbetreuungseinrichtungen als temporäre Angebote für die Dauer der Pandemie, falls Pflegepersonal ausfällt oder sich die Rahmenbedingungen ändern.

Das österreichische Sozialministerium hat außerdem – vorausschauenderweise im Hinblick auf Grenzsperren – neue Förderrichtlinien für die finanzielle Unterstützung der 24-Stunden-Betreuung erstellt. Bei dieser Form der Hilfe werden Personen in ihrem privaten Umfeld von einer Fachkraft individuell unterstützt. „Sehr viele davon kommen aus Rumänien und Ungarn“, heißt es bei Salzburg24. Das Medium titelt dazu: „24-Stunden-Pflege als tickende Zeitbombe“ – die ausländischen Fachkräfte müssen nämlich derzeit bei der Einreise nach Österreich entweder einen negativen Corona-Test vorlegen oder für zwei Wochen in Quarantäne gehen. Selbst wenn die dortige Regierung künftig davon absähe, wird es zu Engpässen kommen.

Erstens werden viele die Prozeduren nicht auf sich nehmen und zweitens bekommen neu bedürftige Senioren schon jetzt eine Absage, beispielhaft beim Hilfswerk: „In der 24-Stunden-Betreuung können wir vorübergehend leider keine neuen Kundinnen und Kunden aufnehmen. Wir bitten um Ihr Verständnis!“ Noch sei kein Notstand bei dieser Form der Betreuung da; ein „neuralgischer Punkt“ könne aber Ostern am zweiten April-Wochenende sein. Mit einem zusätzlichen „massiven Zivildienst-Assistenzeinsatz“ sei das Pflegesystem aber gut gerüstet. Das wird man sehen.

Pflegebedürftige liegen allein zu Hause

Für Deutschland kann man ganz sicher bald von einer Dramatik ausgehen. Die Frankfurter Rundschau schreibt: „In der häuslichen Pflege droht der Notstand ... Viele Rund-um-die-Uhr-Betreuerinnen aus Ost- und Südosteuropa kommen wohl wegen der Reisebeschränkungen und der allgemeinen Unsicherheit nicht nach Deutschland. Das könnte hunderttausende alte und kranke Menschen betreffen, die auf die Versorgung angewiesen sind.“ Laut Bundesinnenministerium seien zwar osteuropäische Pflegekräfte nicht vom Einreiseverbot für Saison-Arbeitskräfte betroffen. Eine Bescheinigung des Arbeitgebers reiche, um die Grenze zu passieren. „Allerdings gilt das nur für diejenigen, die legal in Deutschland arbeiten – und das ist in der Branche der 24-Stunden-Betreuung nur eine Minderheit von rund zehn Prozent, wie der VHBP schätzt.

Man kann es auch anders herum sagen, mit den Worten des Verbands für häusliche Betreuung und Pflege: „Der VHBP schätzt, dass in den o.g. 300.000 Haushalten die Betreuungspersonen zu über 90% illegal tätig sind.“ (!) Die Politik muss das seit langem wissen. Sie hätte Alternativen erarbeiten müssen. Schon lange. In der Corona-Krise ist dieser „graue Pflegemarkt“ jetzt ein riesiger Unsicherheitsfaktor: „Niemand weiß, wie viele Arbeitskräfte von den Einschränkungen betroffen sind – wie groß also die Versorgungslücke werden könnte.“ Versorgungslücke heißt: Pflegebedürftige liegen zu Hause, sind eventuell hilflos oder müssen gefüttert werden und niemand kommt. Wo greifbar, werden Angehörige einschreiten müssen, die dann nicht mehr zur Arbeit gehen können und Verdienstausfall haben etcetera.

Wahlfreiheit zwischen ambulanter und stationärer Hilfe ist gut. Aber die einseitige Stärkung des ambulanten Pflegesektors bei gleichzeitigem Schlechtreden der Heimversorgung wird den Verantwortlichen auch noch auf die Füße fallen. Es gibt Negativbeispiele, in vielen Altenpflegeheimen gibt man sich aber alle erdenkliche Mühe, ein vielfältiges kulturelles und therapeutisches Angebot vorzuhalten und die Bewohner selbst bei hohen Pflegegraden in die Gemeinschaft zu integrieren. Anstatt auch diese Versorgungsform wertzuschätzen und ausreichend zu fördern, um dort den Druck wegen Personalmangels herauszunehmen, hat man aus ideologischen Gründen etlichen Senioren, bei denen das vielleicht überhaupt nicht angezeigt ist, eingeredet, unbedingt zu Hause zu bleiben. Oftmals alleine mit einer Fachkraft – demnächst eventuell ohne. Ob die Bundeskanzlerin, die im Fall Pflege nie einen humanitären Notstand erkennen wollte, auch diesmal ohne „öffentlich schwer vermittelbare Bilder“ durchkommt?

Hinweis: Immerhin kümmern sich hierzulande die Pflegekammern sowie Pro-Bono-Initiativen um Verstärkung pflegerischen Personals. Viel Erfolg kann man da nur wünschen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel.

Foto: Bundesregierung/Kugler

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Hjalmar Kreutzer / 29.03.2020

Viele Leute arbeiten in Deutschland nach Umschulung in der Pflege, weil sie in ander3n Branchen schlicht arbeitslos geworden sind und mangels Alternative auch mit geringer Wertschätzung und mieser Bezahlung leben müssen. Zum großen Glück für die Pflegebedürftigen und Krankenhauspatienten haben aber auch viele mir persönlich bekannte Kräfte hier ihre Berufung gefunden und sich zum Krankenpfleger oder Altenpfleger oder den ambulanten Sozialdiensten weiter qualifiziert.  Was war das in der Pflegeindustrie für ein Gejaule, als die Wehrpflicht ausgesetzt und damit der Zivi abgeschafft wurde? Vergleicht man die Geschäftsführergehälter der großen „gemeinnützigen“ Pflegekonzerne, wie ASB, DRK, Diakonie, oft noch mit Postenversorgung via SPD-Parteibuch für Familienangehörige verwoben, mit der Bezahlung der Mitarbeiter „an der Front“, kommt man schon ins Grübeln. Ich erinnere mich an das T-Shirt einer Schwester im Pflegeheim mit der Aufschrift: „Ihr könnt mich nicht feuern. Sklaven muss man verkaufen.“ Rendite, Rendite! Für die vielen privaten Pflegedienste und verordnende Kassenärzte, ist es ein beständiger K(r)ampf, von den Pflegekassen die Leistungen bezahlt zu bekommen und damit auch Mitarbeitergehälter, Kfz.-Kosten etc. zahlen zu können. Hier gibt es übrigens keine staatliche Förderung, wie bei den großen „karitativen Organisationen“. Ausgerechnet im privaten Bereich soll sich die pflegebedürftige Omma Möller bzw. deren Familie dann aber hochmoralisch als Arbeitgeber verhalten und den Staat wieder die Hand aufhalten lassen? Heuchelei hoch drei!

Gabriele Klein / 29.03.2020

So ist das in einem Lande in dem keiner mehr Lust hat Eigeninitiative zu ergreifen, weil Regierende die Früchte, selbst die der ehrenamtlichen Arbeit, für sich einheimsen oder ans Revers heften. Wir leben vermutlich in noch schlimmeren als feudalen Zeiten, wo Regierende, sich in unerträglichem Maße am Erwirtschafteten vergreifenjede und die geschuldete “Lieferung” ihrerseits zurück an den Bürger delegieren. Mal, ehrlich, wer hat bei einer solchen Ausbeuterei seitens Regierender noch Lust a) Arbeitgeber, b) Dienstleister c) Vermieter zu spielen? Unter solchen Bedingungen gedeihen schwarze Märkte. Aber wie wärs wenn der Staat komplett alles übernehmen würde?, Damit wären wir dann wieder bei der “Lieferung” . Diese dann bitte nicht mehr an den am besten “schmierenden” Dritten outsourcen…..........D.h. Personal d. Müllabfuhr, Krankenhaus wieder selber einstellen….....Die bösen “Kapitalisten” der BRD aus den 70ern schafften das übrigens sogar im gemeinnützigen Sektor und bedurften des “Outsourcing” damals nicht wie heute jene die zeitgleich den Sozialismus einer bankrotten DDR predigen. Eine Personalverwaltung für ehrenamtliches Personal gab es in der damaligen BRD übrigens nicht.  D.h. wie wäre es wenn Frau Chebli sich statt dessen um eine echte Personalabteilung kümmern würde, und zwar mit allem Drum und Dran? Aber dazu reicht ein Studium der Politikwissenschaften halt leider nicht aus,  denn bei sowas müsste man auch zusätzlich wirtschaften und vor allem rechnen können Mit Rechnen und Buchhaltung scheint es bei den meisten Regierenden hierzulande nicht weit her, Sonst würde man Soll und Haben nicht verwechseln um sodann den immer höher werdenden Schuldenberg als “sprudelnde Steuereinnahmen” auf der “Haben” Seite zu verbuchen…......

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