Claudia Roth nutzt den Skandal um Til Schweiger, um der Kulturbranche mit dem „Code of Conduct“ Verhaltensvorschriften aufs Auge zu drücken. Damit werden Produzenten am Staatstropf noch erpressbarer.
Bekanntlich kam es gerade zum Skandal um den Schauspieler, Regisseur und Produzenten Til Schweiger. Wie der Spiegel in seiner Titelgeschichte „Sie nennen ihn den ‚Imperator‘“ unter Berufung auf „mehr als 50 Filmschaffende, ehemalige und aktuelle Vertraute von Til Schweiger“ enthüllte, wird dem Star tyrannisches Verhalten am Set vorgeworfen – er soll Crew-Mitglieder drangsaliert und beleidigt haben – oftmals unter Alkoholeinfluss, schon am Vormittag soll er betrunken erschienen sein. Beim Dreh seines aktuellen Films „Manta Manta – Zwoter Teil“ im vergangenen Sommer soll er einem Mitarbeiter ins Gesicht geschlagen haben. Auch Arbeitsunfälle werden Schweiger von den Spiegel-Autorinnen in die Schuhe geschoben, weil er am Set Zeitdruck verbreitet habe. Durch seine Anwältin ließ Schweiger die erhobenen Vorwürfe dementieren.
Man könnte die Anschuldigungen, falls sie wahr sind, als nicht unüblichen Klatsch des Showbiz‘ abtun. Skandale gehören in der Branche bekanntlich zum Geschäft, Künstler ohne Suchtprobleme und Allüren scheinen eine Seltenheit zu sein und dass an Filmsets ein rauher Ton herrscht, dürfte auch niemanden verblüffen. Ob man derartige Zustände für gut oder schlecht befindet, kann jeder für sich selbst entscheiden und natürlich ist eine entsprechende Berichterstattung Aufgabe der Presse. Ob es nun eine ganze Kampagne im Kampf gegen die (angeblichen) Missstände braucht, ist fraglich, zumal Til Schweiger kein ganz zufälliges Opfer zu sein scheint.
Der Spiegel-Beitrag nannte Schweiger in einem Atemzug mit dem amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein, dem sexuelle Belästigung und sogar Vergewaltigung vorgeworfen worden war – obwohl derartiges eindeutig nicht zum Beschwerde-Katalog gegen Schweiger zählte. Außerdem wird im Artikel angeführt, dass Mitarbeiter forderten, er solle nicht mehr weiterdrehen.
Kaum war die Spiegel-Geschichte ruchbar geworden, reagierte die Schauspielerin Nora Tschirner in einem Video auf Instagram, in dem sie „mit ‘nem Pulsschlag wie‘n Kolibri“ angab, dass es ein absolut offenes Geheimnis sei, dass an Sets diese Zustände herrschen. Sie findet, „dass an diesem Artikel sehr viel stimmt“ und habe da „keinen Bock mehr drauf“. Tschirner verdankt den Schweiger-Blockbustern „Keinorhasen“ und „Zweiohrküken“ einen nicht unerheblichen Teil ihres schauspielerischen Erfolgs. Darauf angesprochen, ergänzte sie: „Die Sets von ‚Keinohrhasen‘ und ‚Zweiohrküken‘, die mittlerweile sehr lange zurückliegen, habe ich tatsächlich als außergewöhnlich konstruktiv, gemeinschaftlich und wertschätzend erlebt.“
„Selbstverpflichtung der Branche“
Es häuften sich in der Folge Beiträge vieler Medien, die an Schweiger ein Exempel gegen „Machtmissbrauch in der Filmbranche“ statuieren wollten. Und es dauerte nicht lange, bis auch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Claudia Roth, auf den Plan trat. Am Dienstag lud Roth ins Bundeskanzleramt, um sich „anlässlich des fünfjährigen Bestehens der Vertrauensstelle gegen Sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche mit dem Namen Themis“ öffentlich zu äußern. Diese war aufgrund der „MeToo“-Debatte ins Leben gerufen worden. Roth gab außerdem zu Protokoll, dass die Kultur- und Medienbranche aufgrund ihrer Struktur offenkundig anfällig für Machtmissbrauch, sexualisierte Übergriffe und auch für den Verstoß gegen Arbeitsschutzregeln sei. In diesem Rahmen forderte sie eine „lückenlose Aufklärung“ des Schweiger-Falls.
Außerdem verlangte sie „von der Kultur- und Medienbranche mehr Maßnahmen zum Schutz vor sexueller Diskriminierung und Gewalt“. Im selben Rahmen zitierte Ferda Ataman, die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, aus einer aktuellen Studie, wonach in der Kulturszene mit 46 Prozent „Fälle sexueller Belästigung rund fünfmal höher als im Durchschnitt aller Branchen“ seien.
Auffällig ist, dass erneut versucht wurde, den Schweiger-Fall, bei dem es ausdrücklich nicht um sexuelle Übergriffe geht, in ein derart schlüpfriges Licht zu rücken. Die mangelnde Abgrenzung zu den tatsächlichen Vorwürfen macht ähnlich hellhörig, wie die neuerdings von Politikern gerne bemühte Floskel der Fälle „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“, die beispielsweise zum Einsatz kam, um eine „Antifeministische Meldestelle“ mit Steuergeldern zu fördern.
Und so ist man kaum verwundert, wohin die Reise gehen soll: Ein branchenweiter „Code of Conduct“ gegen sexualisierte Grenzüberschreitungen ist laut Roth geplant, der noch „ab diesem Monat unter Federführung des Deutschen Kulturrats erarbeitet werden und dann zur Selbstverpflichtung der Branche werden“ soll, wie die Frankfurter Rundschau berichtet. Der Deutsche Kulturrat ist als eingetragener Verein der Spitzenverband der Bundeskulturverbände. Das ganze sei Teil eines „Aktionsplans zur Förderung eines Kulturwandels“, den Roth auf der Veranstaltung am Dienstag vorgestellt hatte.
Realpolitisch nicht ganz durchdacht
Unterm Strich winkt der Kulturbranche damit ein weiteres Instrument, mit dem politische Richtlinien erzwungen werden sollen – sonst wird es wohl schwer mit der Filmförderung. Und ohne die läuft in der deutschen Filmbranche praktisch gar nichts mehr. Claudia Roth drohte gleich: „Wenn die Selbstverpflichtung zu nichts führt, dann werden wir weitere Maßnahmen ergreifen und Verbindlichkeit über Förderung herstellen.“ Und sie mahnte vor diesem Hintergrund an, dass Constantin Film für Schweigers „Manta, Manta“-Neuauflage eine staatliche Förderung von rund 2,1 Millionen Euro erhalten habe. Nun verlangt Roth von der Produktionsfirma Aufklärung. Die staatliche Unterstützung verleiht einer solchen Forderung natürlich enormen Nachdruck.
Ferda Ataman ergänzte, dass mit der geplanten Reform des Antidiskriminierungsgesetzes auch der „Schutz“ von Freischaffenden geregelt werden solle. Der gesetzliche Schutz vor Antidiskriminierung gelte bislang nur für Angestellte. Auftraggeber sollten künftig Antidiskriminierungsklauseln in allen Honorarverträgen verankern. Als Hintergrund wird angeführt, dass Freischaffende abhängig von ihren Auftraggebern – etwa Schauspielerinnen von Regisseuren – seien und deshalb große Hemmungen bestünden, etwa sexuelle Belästigungen zu melden. Doch man ahnt, dass das, was angeblich gut gemeint ist, vermutlich nicht gut gemacht wird.
Ataman erläuterte, dass sexuelle Belästigung jedes sexualisierte Verhalten am Arbeitsplatz sei, das von der betroffenen Person nicht erwünscht sei, etwa anzügliche Blicke, sexistische Witze, E-Mails mit pornografischen Inhalten, aber auch unangemessene Berührungen. Doch bekanntlich ist es nur ein Quantensprung von einem gelungenen Flirt zu einer plumpen Anmache, eine Tatsache, die auch schon von der „MeToo“-Debatte missachtet wurde. Ganz zu schweigen vom unseriösen Vermengen strafrechtlich relevanter Taten wie Vergewaltigung mit „anzüglichen Blicken“. Und wenn man dann noch in Betracht zieht, dass viele Vertreter des Kulturbereichs ihre Partner am Arbeitsplatz kennenlernen, scheinen die Vorstöße realpolitisch nicht ganz durchdacht zu sein.
Willkür und Repressionen für unliebsame Gegner
Vielmehr wird damit wohl Verleumdungen Tür und Tor geöffnet. Denn Ataman forderte verbindliche Sanktionen: „Zum Beispiel: Kein öffentliches Geld mehr an Leute, die sich nicht an Regeln halten.“ Regeln nannte man früher Gesetze, doch wenn diese den eigenen undemokratischen Herrschaftswünschen widersprechen, braucht es eben ominöse „Regeln“, mit denen man an den Gesetzen vorbei operieren kann.
Und so ist vielleicht nicht ganz zufällig Til Schweiger ausgewählt worden, um ein Exempel zu statuieren. Hatte er doch kürzlich in der Bild-Zeitung die Klimakleber als „Vollidioten“ und „Plage“ bezeichnet und geäußert, dass er sie vermutlich wegziehen würde, wenn er in eine ihrer Blockaden geriete. Über Robert Habeck sagte Schweiger: „Der soll weiter Kinderbücher schreiben, hat von Wirtschaft keine Ahnung.“
Auch über die Grünen äußerte sich Schweiger: „Fast die ganze Regierung würde in der freien Wirtschaft niemals dieses Geld verdienen – deswegen sind sie ja Politiker geworden. Die Vorsitzende der Grünen hat noch nicht mal ein abgeschlossenes Studium. Und die kriegen 20.000 Euro im Monat. Und wer bezahlt das? Das Volk.“
Und fügte hinzu: „Dann sagen die Politiker: Das Volk ist uns scheißegal. Die müssen einen Eid schwören, dass sie dem Volk dienen, weil wir sie bezahlen. Deshalb sind sie nicht unsere Könige, sondern unsere Angestellten.“
Dass derartige Majestätsbeleidigungen in der heutigen Zeit nicht ungesühnt bleiben, ist wenig verwunderlich.
Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.