Die Sensibilitäten, was den Fang von Fischen angeht, sind in Deutschland unterschiedlich ausgeprägt. So stellt PeTA einen Leitfaden („Tipps gegen Angler“) zur Verfügung, der aufrechten Tierschützern die Denunziation und strafrechtliche Verfolgung von Freizeitanglern erleichtern soll. Noch 2017 machte sich auch der damalige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz für PeTA stark:
„SPD-Hoffnungsträger Martin Schulz nutzt seine aktuelle Popularität, um für die Anti-Pelz-Kampagne der Tierrechtsorganisation PETA die Muskeln spielen zu lassen. Unter dem Slogan ‚So trägt man(n) Pelz‘ präsentiert sich der Vorsitzende der Sozialdemokraten in starker Pose mit männlich behaarter Brust.“
Wer möchte, kann sich dieses Foto von Herrn Schulz hier ansehen. Ich erwähne die Sozialdemokraten, weil diese Partei mit Dr. Till Backhaus den Minister für Landwirtschaft und Umwelt in Mecklenburg-Vorpommern stellt, der dort sowohl für das Freizeitangeln wie die Berufsfischerei zuständig ist. Vor knapp einem Jahr berichtete der „Nordkurier“:
„Die Boddengewässer um und auf Rügen gelten bei Anglern als hervorragende Hechtreviere. Wegen der guten Nahrung in den flachen Gewässern würden die Raubfische ungewöhnlich groß werden und sogar Angler aus dem Ausland anlocken, teilte das Agrar- und Umweltministerium am Donnerstag mit. Das Angeln auf Hecht sei vor allem in der touristischen Nebensaison wirtschaftlich bedeutsam geworden. Allerdings gehen die Fänge nach Angaben von Anglern und Küstenfischern zurück.“
Skrupelloser Kahlschlag unter Laichfischen
Darum gibt es jetzt das mit Millionen von Steuergeldern finanzierte Projekt Boddenhecht, „ein von der EU und vom Land Mecklenburg-Vorpommern gefördertes inter- und transdisziplinäres Forschungsprojekt. Das übergeordnete Projektziel ist, die Hechte in den Boddengewässern Mecklenburg-Vorpommerns besser zu verstehen und künftig besser zu fördern.“
Dieses Projekt, geleitet von Prof. Arlinghaus, läuft noch und soll für die Zukunft Lösungen erarbeiten. Schon jetzt allerdings steht für alle Beobachter ein Ergebnis zwingend fest. Die Berufsfischerei mit Netzen in den Laichgebieten der Hechte, mindestens von Dezember bis Februar, muss vollständig untersagt werden.
Fischern wie Arno Gau aus Hiddensee, die für den Kahlschlag unter Laichfischen verantwortlich sind, mussEinhalt geboten werden: In der kalten Jahreszeit ziehen sich die Hechte auf Rügen in den Regionen zusammen, in denen sie im Frühjahr laichen. Das wusste auch Gau, als er im Januar 2021 seine Netze vorsätzlich in einer Laichbucht stellte. Was dann passierte, sieht man in diesem Video.
Gau entnahm nach der Schätzung eines lokalen Fischereiexperten weit über eine Tonne Laichfische. Weil in Deutschland für Hechte kaum ein Markt existiert und der Großhandel aktuell nur einen Euro pro Kilo zahlt, wurden die Fische nach Polen exportiert. So viel zur regionalen Verwertung und Wertschöpfungskette. Gau ist kein Einzeltäter. Leute wie er zerstören das Ökosystem, von dem sie selber leben. Gau als Fischer und als Mitglied einer Familie, die auf Hiddensee Zimmer vermietet und ein Angelgeschäft betreibt. Er schädigt die lokale Wirtschaft, wie zum Beispiel die Guiding-Anbieter, die lokale Gastronomie und die Beherbergungswirtschaft auf Rügen, die zu einem großen Teil und insbesondere in der Nebensaison ihr Geld mit den Anglern verdienen. Keine Hechte, keine Angler, keine Umsätze.
Einzig wenn nichts mehr da ist, hören sie auf
Diese Verluste bei einem Zurückgehen des Angeltourismus stehen in keinem Verhältnis zu den paar Euro, die Gau für das Schlachten dieser teilweise sehr großen Laichfische erhält. Gerade einmal 1.000 Euro werden für eine Tonne Laichhecht erzielt. Die Wertschöpfungskette durch den Angeltourismus ist um ein Zehnfaches höher, und sie erhält auch die Bestände. Ich habe Herrn Gau in einer Google-Rezension meine Meinung zu seinem Verhalten mitgeteilt.
Minister Backhaus ist über diese Vorfälle informiert. Er schaut ungerührt zu, während er andernorts vollmundig erklärt: „Mein Anliegen ist es, die Zukunftsfähigkeit auch der Freizeitfischerei in unserem Land zu sichern. Schon jetzt wirft jeder zehnte MV-Urlauber die Angel aus. Dabei ist es wichtig, dass wir für eine naturverträgliche Nutzung der fischereilichen Ressourcen werben.“
Nichts als leere Worte, der Minister verspielt durch seine Passivität seine Glaubwürdigkeit. Diese schockierende Praxis ist zudem nicht neu. Ortskundige berichten davon, dass der rücksichtslose Kahlschlag durch Berufsfischer schon 2005 seinen Anfang nahm. Geradezu fassungslos ist man, wenn man erfährt, dass den Fischern vom zuständigen Ministerium Sondergenehmigungen erteilt wurden. Dank dieser dürfen sie selbst in die Schutzzonen mit dem höchsten Schutzstatus des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft eindringen, um dort Laichfische zu fangen.
Schließlich ist es untragbar, dass es für die Fischer kein Fanglimit gibt. Sie dürfen soviel fangen, wie sie wollen. Einzig wenn nichts mehr da ist, hören sie auf. Diesem Zustand nähern sich die Hechtbestände auf Rügen an, mit den absehbaren Folgen für das Ökosystem und die dort lebenden Menschen. Dänemark und Schweden sind da wesentlich weiter. In Dänemark gibt es ein komplettes Netzstellverbot in den Laichgebieten der Ostseehechte, in Schweden existiert eine ähnliche Schutzvorschrift.
„Naturschutz scheint an der Wasseroberfläche aufzuhören“, sagt ein regionaler Anbieter von geführten Angeltouren.
Dieser ökologisch und ökonomisch völlig unsinnige und gleichgültige Vernichtungsfeldzug der Berufsfischer gegen eine so stolze Spezies sollte mit allen legalen Mitteln bekämpft werden. Wenn die regionale Berufsfischerei derart skrupellos reagiert, ist die sofortige Verhängung drastischer Verbote der einzige gangbare Weg. Die Ankündigung einiger Fischer, man werde ab Februar erst richtig loslegen, macht auf Rügen derweil die Runde.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Joachim Steinhöfel.