Nichts raubt mir heute so viel Schlaf wie diese sehr simple Frage: Wie bereitet man Kinder auf eine Welt vor, in der alles, wovon du und ich „sicher“ ausgingen, vor unseren Augen zerstört wird und verschwindet?
Stellt euch vor, dass ein Dutzend Kinder gleichzeitig durch eine Tür gelangen wollen. Ins Klassenzimmer etwa. Oder aus dem Klassenzimmer hinaus. Wie wird das vor sich gehen? Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden sich die Kinder laut kreischend im Türrahmen verkeilen, werden einander blockieren, und niemand wird durch die Tür gelangen. – Lasst mich berichten, wie ich darauf komme!
Ich besprach kürzlich einige Alltäglichkeiten mit meinem Sohn. Wir nutzten dafür einen dieser modernen Chat-Dienste. Wie es sich für einen höflichen jungen Mann gehört, wünschte er mir zuletzt zum Dank und Gruß auch produktives Schaffen. So interpretierte ich es zumindest, denn wörtlich sagte er: „Ich lass dich mal arbeiten.“ Ich schrieb ihm daraufhin eine drei Sätze lange Antwort – nur um sie nach kurzer Überlegung wieder zu löschen. Ich besann mich und schrieb stattdessen: „Dankeschön und ebenso!“
Für euch aber, geschätzte Leser, will ich gern dokumentieren, was ich eigentlich antwortete. Es war mehr, als man einem 15-Jährigen vor die Füße werfen sollte, wenn er seinen nächsten Friseurtermin plant und sich auf sein nächstes Schuljahr vorbereitet. Meine unmittelbare (und wie gesagt vor dem Absenden gelöschte) Antwort aber lautete: „Heute sind so viele schlechte Nachrichten, dass ich auf einmal gar nicht weiß, über welche ich zuerst schreiben soll. Das war nicht immer so. Ihr Kinder, die ihr heute aufwachst, ihr wisst gar nicht, wie es ist, in einer Zeit und Welt aufzuwachsen, in welcher die meisten Dinge größtenteils okay sind – und was nicht okay ist, davon erwartet man zumindest, dass jemand es reparieren wird.“
Eine simple Frage
Ihr versteht bestimmt, warum ich diese düstere Diagnose nicht absandte. Was sollte ein Kind mit solch deprimierenden Beschreibungen überhaupt anfangen? Vor allem: Das Kind ahnt es selbst, und auf andere Weise wirkt es vermutlich auf das Kind noch beklemmender als auf mich. „Was soll ich werden?“, so fragt das Kind, wie du und ich es auch einst fragten. Dieselben Worte stellen heute aber eine völlig andere Frage als damals! Ich fragte damals, welchen der vielen aussichtsreichen Wege ich beschreiten sollte. Das Kind fragt heute womöglich, welcher Weg am ehesten nicht vollständig aussichtslos ist.
In der Seele des hier schreibenden Essayisten blockieren heute die bösen Nachrichten einander, verkeilen sich ineinander, treten einander auf die Füße und rammen eine der anderen den Ellbogen ins Gesicht. Wie Kinder, die alle gleichzeitig durch dieselbe Tür gelangen wollen. Ich höre ein Kreischen, aber dieses Kreischen ist nicht fröhlich.
Was also tut der kluge Mann, wenn sich allzu viel Dringendes zum selben Zeitpunkt in den Vordergrund drängt? Er sortiert! Er sortiert, und er stellt aufs Neue fest: Nicht alles, was dringend ist, ist gleich wichtig. Und manches, was wirklich wichtig ist, wirkt gar nicht dringend – und das sollte tatsächlich oft das Dringendste sein. Neben allen Botschaften, die heute auf dich und mich einprasseln, scheint mir nicht eine Nachricht, sondern eine Frage der wichtigste und dringendste Gedanke zu sein. Nichts raubt mir heute so viel Schlaf wie diese eine simple Frage: Wie bereiten wir unsere Kinder auf eine Welt vor, in der (fast) alles, was dir und mir noch als sicher galt, vor unseren Augen stirbt, Bankrott erklärt, gesprengt wird?
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. Seine Website und das Blog-Magazin, auf dem dieser Beitrag zuerst erschien finden Sie hier.
Sei immer vorsichtig, achte was in deinem Rücken passiert, glaub nicht alles, was man dir sagt, geh nicht mit Fremden mit, treibe Sport, zusätzlich Kampfsport. Wenn dein Gegner stärker zu sein scheint: Präventivschlag ist kein völkerrechtswidriger Angriffskrieg.