Gunnar Heinsohn / 17.08.2018 / 16:00 / 20 / Seite ausdrucken

Wie Afghanistan den Krieg gebiert

Von 1996 bis 2001 regierten die Taliban in Afghanistan. Dann wichen sie dem Feldzug von George W. Bush. Im Oktober 2001 antwortete er auf die Zertrümmerung der New Yorker World-Trade-Türme vom 11. September 2001. Osama bin Laden hatte die Angriffe aus dem Hindukusch befohlen. 

Anfang 2002 stellen die Taliban ihren Widerstand ein, starten aber umgehend – und unerwartet – ihre Neugruppierung. Washington hingegen nutzt seinen wuchtigen Sieg für den Aufbau eines Besatzungsregimes. Es soll den Afghanen Demokratie und eine moderne Infrastruktur bringen. Das Scheitern dieses noblen Vorhabens beginnt nur ein Jahr später. Die Operation Mongoose im Februar 2003 wird zum ersten Scharmützel des seitdem ununterbrochenen Krieges. Ungeachtet ihrer dabei erlittenen Verluste erklären Taliban-Kommandeure im Mai 2003 die Einsatzbereitschaft ihrer Verbände für das Vertreiben der Amerikaner und auch ihrer deutschen Verbündeten.

Eine aktuelle Episode ihrer Schlagkraft liefert – zwischen dem 10. und 15. August 2018 – der Terror in der 150.000-Einwohner-Stadt Ghazni. Nur schwere Bombardierungen der US Air Force lassen sie einhalten. Dass sie damit besiegt wären, behauptet niemand. Der Afghanistan-Spezialist Markus Kaim von der renommierten Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) klagt: „Offensichtlich ist die internationale Mission nicht erfolgreich genug.“

So könnte man auch den Afghanistan-Krieg der Sowjetunion und des Warschauer Paktes von 1979 bis 1989 zusammenfassen. Was das damals zweitstärkste Militärbündnis aller Zeiten nicht verstand, bleibt auch jetzt unerkannt. Mit 4.7 erreicht Afghanistan damals den höchsten Kriegsindex seiner Geschichte (errechnet aus den Kohortendaten in dieser Publikation). 4.700 junge Männer zwischen 15 und 19 Jahren kämpfen um die frei werdenden Positionen von tausend 55-59-Jährigen, die sich dem Ruhestand nähern. Da aus dem Nachwuchs nur wenige auf Karrieren rechnen können, wird die Beseitigung der jeweiligen Eliten zum Mittel der Wahl für den Aufstieg. Die Vorwände variieren. Ins dortige Umfeld passt eine höhere Gottheit besser als eine entsprechende Klasse oder Rasse. 

Als die Rote Armee nach dem Verlust von 13.000 Mann 1989 abzieht, steht Afghanistans Kriegsindex mit 6.5 bei einem neuen Rekord. Dabei schaffen die Russen mit gewaltigen Tötungsaktionen über zehn Jahre hinweg das Kappen des afghanischen Potenzials kampffähiger Jünglinge (15 bis 29 Jahre) von 1,76 (1979) auf 1,65 (1989) Millionen (errechnet aus den Kohortendaten in dieser Publikation). Doch beim Angriff der Amerikaner 2001 sind es mit 2,75 Millionen mehr als je zuvor – viele von ihnen Halbwaisen, die ihren gefallenen Vätern und Brüdern nacheifern. Washington wird von dieser Demografie nicht minder überrascht als seinerzeit Moskau. Auch der Westen konzentriert sich auf die kämpfenden Männer. Während die ihren Todesmut beweisen, bringen die Frauen des Landes stetig sieben bis acht Kinder zur Welt. Jede Mutter kann zwei oder drei Söhne verlieren, ohne den Fortgang der Familie zu riskieren. 

2025 rund 7 Millionen zornige junge Männer

2018 imponiert Afghanistan bereits mit fünf Millionen Zornigen zwischen 15 und 29 Jahren. Das sind dreimal so viele wie beim Abzug unter Gorbatschow und fast zweimal so viele wie beim Angriff der Amerikaner. 2025 sollen es knapp sieben Millionen sein. Die Gesamtbevölkerung, die beim Russeneinmarsch gut 12 Millionen Menschen umfasst, soll dann 42 Millionen erreichen. Während Amerikas Kriegsindex dann bei 1 und Deutschlands bei 0.7 stehen wird, liegt Afghanistan fünf- bzw. siebenmal höher. 

Die Fähigkeit der Taliban zum Absorbieren von Verlusten kann nur wachsen. Doch wie lange werden westliche Mütter – bei Geburtenzahlen unter zwei – den einzigen Sohn oder gar das einzige Kind in Lebensgefahr schicken? Wo ist ihr Gewinn, wenn er fällt, um dritte oder vierte Brüder vom blutigen Ausgleich zwischen Ambitionen und Positionen abzuhalten?

Auf die Taliban läuft es jetzt zu. Ihr Optimismus jedoch, dass nach Abzug der Ungläubigen endlich Frieden eintrete, ähnelt arabischen Parolen über Harmonie in Nahost nach dem Verschwinden der Juden. Doch wenn etwa Gaza – Kriegsindex über 6 – der israelische Gegner abhanden käme, ginge es untereinander weiter wie in Jemen (Kriegsindex 5.4), Syrien (4.0) oder eben Afghanistan.

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Wolfgang Kaufmann / 17.08.2018

Mit der Lebensform und Sozialstruktur importieren wir auch den Kriegsindex (Kalkutta-Problem). Dennoch wollen manche Köpfe nicht sehen, dass eben nicht der Kapitalismus die Ursache alles Bösen ist und der Sozialismus eitel Sonnenschein. – Leider bestimmen diese Teddybärfetischisten und Ponyhofspezialisten derzeit unsere Medienlandschaft. Ihnen zufolge ist der Rechtsstaat ernsthaft gefährdet, wenn auf 2 Millionen illegale Einreisen unverdorbener Naturburschen nun schon 5 möglicherweise illegale Abschiebungen seitens alter Spießer kommen. Aber deutsch sein heißt nun mal, eine Sache um des Prinzips willen zu betreiben. Wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!

Thomas Holzer, Österreich / 17.08.2018

Schon das “British Empire” ist “grandios” in Afghanistan gescheitert. Aber welcher Politikerdarsteller interessiert sich schon für Geschichte und versucht, daraus zu lernen?! Wenn die Sicherheit Europas am Hindukusch verteidigt wird, wie von einem unbedarften deutschen Politikerdarsteller behauptet, wird dieses Engagement kein gutes Ende nehmen. Leider stehen nicht die Politikerdarsteller in der Schußlinie, sondern die “einfachen” Soldaten

Michael Jansen / 17.08.2018

Krieg, Bürgerkrieg und Stammeskriege sind doch ohnehin ein beliebter Teil der afghanischen Folklore, und das seit Jahrhunderten. Seien es die Engländer im 19. Jahrhundert, die Russen 100 Jahre später oder aktuell die Amerikaner, es ist bisher keiner ausländischen Macht gelungen, das Land dauerhaft zu beherrschen. Auch die Demokratie stellt für die dortige Bevölkerung offensichtlich keine allzu erstrebenswerte Gesellschaftsordnung dar, es dominierten schon immer die Stammeskämpfe und noch nie wurde eine neue Regierung durch echte freie Wahlen an die Macht gebracht. Oft genug bedeutete der Regierungswechsel auch gleichzeitig die Ermordung oder Hinrichtung des bisherigen Herrschers. Also kann man daraus nur den Schluss ziehen, dass man sich möglichst aus dem Land fernhält, sich nicht einmischt und so wenig Leute wie möglich herauslässt (nur die, die aus unserer Sicht eine positive Sozialprognose haben!), damit die dortige Bevölkerung in aller Ruhe ihren Hobbys nachgehen kann. Das bedeutet natürlich leider auch zahlreiche zivile Opfer, aber offensichtlich hat ausländisches Eingreifen in der Beziehung bisher auch keine Besserung gebracht. Wer mal einen Blick auf die absurde Lage der USA in Afghanistan werfen möchte, dem sei der Dokumentarfilm “Restrepo” empfohlen, dort lässt sich die absolute Sinnlosigkeit ausländischer militärischer Einflussnahme bewundern.

Martin Landner / 17.08.2018

Es ist doch sowieso unsinnig. Seit 2015 haben wir nach offiziellen Angaben 8000+ IS Anhänger im Land. & diese greifen tatsächlich die Zivilbevölkerung an, vorzugsweise übrigens Kinder und Frauen. Normalerweise wäre es der Bevölkerung nicht zu vermitteln, wieso man in einer solchen Situation die Bundeswehr auf die andere Seite der Welt schicken sollte. Aber unsere Zeitungen schaffen es tatsächlich, die Verantwortlichen als geniale Macher darzustellen, die sich bei diesem Unsinn irgendetwas gedacht haben.

Bernhard Freiling / 17.08.2018

Das verheißt nicht Gutes. Wie wollen wir das jemals ein/auffangen? Da fehlt mir jegliche positive Phantasie - ich sehe nur Katastrophenszenarien. Das erinnert mich an einen Witz aus meiner Jugend. Zu der Zeit, als die Sowjetunion und China sich spinnefeind waren, die Welt auf einem Pulverfaß saß und einen baldigen Krieg zwischen diesen Ländern erwartete. Wir meinten damals, es werde mit Sicherheit keinen Krieg geben. Die Chinesen würden gewinnen, ohne einen einzigen Schuß abfeuern zu müssen. Wie? Wenn die sowjetische Militärmacht anrückt, würden die Chinesen sich sofort ergeben und in Kriegsgefangenschaft gehen. Auf eine Million folgt die nächste, bei der hundertsten Million Kriegsgefangener würde die Sowjetunion kapitulieren und um Friedensgespräche bitten.

Frank Holdergrün / 17.08.2018

“...ginge es untereinander weiter…”  Die Abassiden in Bagdad (9. Jh) haben den Koran durch kluge Perser schreiben lassen, um die inneren Stammeskriege zu beenden und nach außen erfolgreich Beute- und Besatzungskriege führen zu können. Fällt diese Möglichkeit weg, gibt es die alten Clanscharmützel wieder. „Bevor ich 9 Jahre alt war, hatte ich die Grundregeln des islamischen Lebens verstanden: Ich gegen meinen Bruder, mein Bruder und ich gegen unseren Vater, meine Familie gegen meine Cousins und den Clan, der Clan gegen den Stamm, der Stamm gegen die Welt, und wir alle gegen die Ungläubigen.“ (Zitat einer Romanfigur aus The Haj, Leon Uris)

Helmut Driesel / 17.08.2018

Die westliche Kultur fängt Kriege an, will aber die erklärten Feinde nicht töten, schon gar nicht ausrotten. Sondern sie treibt für ihre Siege einen großen Aufwand, alleine, um dem Feind zu imponieren. Es wird geglaubt, man könne dem bis zur Wehrlosigkeit entmutigten Feind hernach leicht umerziehen. Ein Gruß aus der jüngeren deutschen Geschichte. Woraus man mit aller Gewalt etwas lernen möchte. Was essen die Afghanen eigentlich so? Wie hoch ist der Tagesumsatz eines Taliban? Sollten die vielen Kinder nicht zur Hälfte sterben, bevor sie kampffähig werden? Oder werden sie von Hilfsorganisationen mit Spendengeldern heran gezüchtet?

Alexander Damaskinos / 17.08.2018

“Auch der Westen konzentriert sich auf die kämpfenden Männer.” Ich nehme an, Sie haben diesen wirklich entscheidenden Satz nicht einfach so dahinformuliert. Korrekt zu Ende gedacht, kann der richtige Rückschluss nur sein, sich endlich auf die gebärenden Frauen zu konzentrieren. Der Geburtenüberschuss war und ist zwar schon eine Weile der Hauptgrund für alle Ernährungsprobleme in der Welt. Aber dass er in brutalster Weise strategisch für die Kriegsführung genutzt wird, wurde zumindest mir erst durch regelmäßiges Lesen von achgut.com klar. Und da muss man zwangsläufig ansetzen - aber bestimmt nicht mit “mehr Bildung für Frauen”. In diesen (islamischen) Ländern werden Frauen ganz bewusst zu Gebärmaschinen degradiert, denen möglichst jegliche Bildung vorenthalten wird. Da muss man zu ganz anderen Methoden greifen, die ich im Moment nicht wage auszuformulieren.

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