Während rechtspopulistische Panikmacher der Bevölkerung Angst vor Islamisierung und Terrorgefahr einreden, wendet sich Adrian Lobe auf ZEIT online heroisch gegen die wahre Gefahr, die unserem Land droht: die Deutschtümelei.
Im letzten Hort der Reaktion, der noch immer nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden konnte, frönt man unverfroren dem Deutschsein: auf dem Volksfest. Hier wird noch gegrölt und gesoffen wie weiland im Bürgerbräukeller, das Bierzelt dient weiterhin als „Bollwerk gegen die Moderne“, Kerle tragen Lederhosen und schamlose Frauenzimmer Dirndl - „die Frau als leicht bekleidetes Objekt der Verfügbarkeit“, sexistische Kackscheiße also, wie wir Helldeutschen das in den sozialen Netzwerken des Internets zu nennen pflegen. „Die Frau als Mutti hinterm Herd, der Mann als zupackendes, hemdsärmeliges Familienoberhaupt“, das ist sooo 50er! Wenn nicht 30er, ist klar. Was für ein Glück, dass die Neubürger, die im Rahmen unserer Willkommenskultur unsere rückständige Lebensweise bereichern, da ein ganz anderes, fortschrittliches Rollenbild praktizieren! Es besteht also noch Grund zur Hoffnung, dass die deutschen Rechtskonservativen ihr traditionelles Familienmodell nicht werden durchsetzen können.
Unter Deutschomanen
„Das Reaktionäre kleidet sich in popularisierte Kostüme“, weiß Adrian Lobe. Da ich das schon vorher ahnte, bereitete ich mich auf meinen Undercover-Einsatz im Hofbräuhaus entsprechend vor und erwarb Lederhose, kariertes Hemd, Stutzen und Haferlschuhe; meine Begleitung, blond und blauäugig und schon deshalb keinerlei Verdacht erregend, trug evabraunmäßig ein Dirndl mit Schürze. „Dass Dirndl die Verniedlichungsform von Dirne ist, scheint die emanzipierte Frau nicht zu stören“, schreibt Lobe, und tatsächlich erschienen die meisten der schamlosen Frauenzimmer in dieser Tracht, sie waren sogar erstaunlich zahlreich vertreten, obwohl es sich beim Festzelt um „eines der letzten Refugien der Männlichkeit“ handelt.
Tatsächlich entblödeten sich diese Schlampen nicht, ihr Dekolleté für alle sichtbar in Szene zu setzen, einige zeigten gar Bein und flirteten hemmungslos herum. Gut möglich, dass diese Hater und Hetzer auch keine Freude an den Wandmalereien im neuen Hacker-Pschorr-Festzelt auf der Münchner Wiesn hatten, nur weil auf diesen „auch muslimische Frauen mit Nikab und Kopftuch“ zu sehen waren, „was rechtskonservative Blogs aufschreien ließ“. Und welcher Beweis für Fremdenfeindlichkeit könnte schlagkräftiger sein als der Unwille, den erhebenden Anblick einer Vollverschleierten auf der Straße endlich auch im Festzelt genießen zu dürfen?
Reaktionäres Liedgut: Ooh! Aah!
Im Hamburger Hofbräuhaus war übrigens keine derartige Illustration zu sehen, ein mehr als deutliches Indiz für die ekelhafte Heimattümelei der Hanseaten. Man wollte wohl - typisch deutsch - unter sich sein, auch wenn ich mindestens eines orientalischen Migranten in der feiernden Menge gewahr wurde. Dass „das Prosit der Gemütlichkeit nicht nur eine Glorifizierung des Biedermeiertums, sondern auch eine Loslösung von modernen Konventionen“ ist, schien diesen überangepassten Zuwanderer nicht im Geringsten zu stören. Er sang sogar die abscheulichen deutschen Schlager mit, von „Schatzi, schenk´ mir ein Foto“ bis zum nun wirklich heimattümelnden „Uno dos tres cuatro: Hey, hey Baby (ooh! aah!) I wanna know (oh ooh) if you'll be my girl“!
Nicht ahnend, dass der Deutschomane seinen Nationalismus als harmloses Bedürfnis zu „feiern“ tarnt, hatte er sich sogar dazu hinreißen lassen, ebenfalls in bayerischer Kostümierung zu erscheinen, und dass er dem Weibsvolk in den Ausschnitt starrte, war nur dem Umstand geschuldet, nicht um das „Bild der Rückständigkeit“ zu wissen, das der elenden Dirndl-Kostümierung zugrunde lag. Ob ihm wohl wenigstens bewusst war, dass er hier sich in einem Milieu befand, „in dem man sich die gute alte D-Mark wieder wünscht“? Oder goutierte er es gar? Immerhin scheinen auch gewisse Ausländer Gefallen an der unsäglichen Deutschtümelei zu finden; vornehmlich handelt es sich um Italiener, Spanier und Japaner, die zu Tausenden auf die Wiesn strömen - nicht zufällig alles Nationen, die gut mit dem Dritten Reich konnten. Und welche Kluft trugen der Braunauer Postkartenabmaler und seine Lebensabschnittsgefährtin auf nicht wenigen Fotos? Lederhosen und Dirndl! Das sagt doch schon alles.
Vielfalt ja - aber bitte ohne Deutsches!
Natürlich floss auch im Hofbräuhaus das Bier in Strömen (obwohl Ihnen jeder Imam sagen kann, dass Saufen nun wirklich eine Sünde ist!), und die heimattümelnden Deutschen um uns herum brüllten deutsches Liedgut übelster Sorte: „Country Roads“, „Que Sera Sera“, „Macarena“! Natürlich auch Helene Fischer, die Zarah Leander der neuen Rechten. „Das Volksfest scheint ein Vehikel zu sein, einen besonders engen, exklusiven Volksbegriff zu promovieren“, schreibt Lobe völlig zu Recht; dass die kostümierten Kryptofaschisten vorgaben, lediglich Stimmungshits zu hören und Spaß zu haben, unterstreicht nur ihre Gefährlichkeit, denn die wenigsten lassen sich an blonden Zöpfen oder dergleichen als Wiedergänger des Bundes Deutscher Mädel erkennen. Gut, dass sie sich durch das Auftragen der Traditionskluft selbst entlarvten, auch wenn es für meine Begleiterin und mich schier unerträglich war, denn „das Bierzelt erzeugt mit seinem einheitlichen Dresscode eine Homogenität und Uniformität, die den Beobachter erschaudern lässt“.
„Wo bleibt eigentlich die Vielfalt?“ fragt Adrian Lobe da verständlicherweise, denn Vielfalt ist ja grundsätzlich begrüßenswert, nur eben ohne dieses... Einheimische.
Aber apropos Schauder: Hier sind wir beim eigentlichen Thema - der AfD! „Vielleicht liegt im Boom der Bierzelte auch der Erfolg der AfD (...) begründet, die einen Rückzug ins Private propagiert und ein tradiertes Familienbild und Rollenverständnis vertritt. Die Parolen, die im Bierzelt, der Arena der Männlichkeit, und auch außerhalb gegrölt werden, sind mit dem Parteiprogramm der AfD durchaus kompatibel.“ Sicher hat Adrian Lobe damit völlig recht, auch wenn mir dergleichen beim Undercover-Einsatz nicht zu Ohren kam. Und „Oans, zwoa, g´suffa!“ steht, glaube ich, nicht im Parteiprogramm der AfD. Noch nicht!
Obwohl die „unsägliche Volkstümelei“ Maßnahmen im Kampf gegen Rechts geradezu herausfordert, verzichtete ich darauf, wie Stauffenberg vor dem Verlassen des Saales eine Aktentasche am Biertisch zu platzieren. Bauen wir stattdessen darauf, dass die letzten Refugien der Reaktion unweigerlich fallen, solange wir nur die Willkommenskultur leben und der diabolischen Obergrenze widerstehen. Schon sind Tschador, Nikab und Hijab nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel im Straßenbild, da ist die Restlaufzeit des nuttigen Dirndls bereits absehbar und die Befreiung der Frau greifbar nahe. „Holzvertäfelungen, Biertischgarnituren, gemusterte Tischdecken“ werden endlich der Vergangenheit angehören, und der röhrende Hirsch wird durch das röhrende Kamel ersetzt. Variatio delectat. Hauptsache, dieses gemütliche Schunkeln hört auf. Nie wieder Deutschland. Wir schaffen das.