Annette Heinisch / 06.09.2020 / 12:43 / Foto: Pixabay / 35 / Seite ausdrucken

Wider die Herrschaft der Angst: Der Appell für Freie Debattenräume

Bei dem von Milosz Matuschek und Gunnar Kaiser initiierten Appell für Freie Debattenräume, der das deutschsprachige Pendant zu dem vor einigen Wochen von 153 Intellektuellen unterzeichneten Aufruf „A letter on justice and open debate“  im Magazin Harper´s ist, geht es eigentlich um eine pure Selbstverständlichkeit: Den offenen und angstfreien Diskurs. 

Der von vielen – mittlerweile sogar sehr vielen – unterzeichnete Appell wurde heute Mittag auch auf Indubio Folge 56 – Kultureller Bürgerkrieg in einem absolut hörenswerten Podcast vorgestellt und diskutiert.

Die Liste der Unterzeichner geht querbeet, sie reicht von Boris Palmer bis zu Dieter Nuhr. Auch diverse Autoren der Achse des Guten gehören dazu, inklusive der Autorin dieses Beitrages.

Hier Auszüge des Appells für freie Debattenräume

„Wir erleben gerade einen Sieg der Gesinnung über rationale Urteilsfähigkeit…. Was an Universitäten und Bildungsanstalten begann, ist in Kunst und Kultur, bei Kabarettisten und Leitartiklern angekommen.

Inzwischen sind die demokratischen Prozesse selbst bedroht. Der freie Zugang zum öffentlichen Debattenraum ist die Wesensgrundlage eines jeden künstlerischen, wissenschaftlichen oder journalistischen Schaffens sowie die Basis für die Urteilskraft eines jeden Bürgers. Ohne freie Debatten und freie Rede gibt es keine funktionierende Demokratie…

Die gezielte Verunglimpfung von Intellektuellen, Künstlern, Autoren und jedem, der von der aktuell herrschenden öffentlichen Meinung abweicht, ist eine inakzeptable Anmaßung. Freie Rede und Informationsgewinnung sowie freie wissenschaftliche oder künstlerische Betätigung sind Rechte und nicht Privilegien, die von dominierenden Gesinnungsgemeinschaften an Gesinnungsgleiche verliehen und missliebigen Personen entzogen werden können.“

Zugleich als Ankläger, Richter und Vollstrecker

Die Meinungsfreiheit ist, wie jede Freiheit, vor allem die Freiheit des Andersdenkenden. Sonst wäre sie sinnlos. Wer Angst um seine Person hat, ist unfrei. 

Angst um die persönliche und existenzielle Unversehrtheit hat aber nicht nur derjenige, der mit physischem Tod oder Folter bedroht wird, sondern auch derjenige, dessen berufliche Existenz bedroht oder vernichtet wird. Aber auch die Missachtung der Würde des Menschen durch Diffamierungskampagnen fällt darunter. Wenn „shitstorms“ einer aufgewiegelten Menge, die sich zugleich als Ankläger, Richter und Vollstrecker betätigt, zur sozialen Ausgrenzung führt, ist dies für den Betroffenen psychische Misshandlung.

Wer das befürchten muss, hält den Mund. Es sind mittelalterliche Methoden der Existenzvernichtung durch Ächtung, die gegen elementarste Grundsätze der Fairness verstoßen. 

Ohne offenen Diskurs verlieren wir das, was den Westen groß, was ihn stark machte: die Entwicklung neuer Ideen, die hervorragenden Errungenschaften von Forschung und Wissenschaft, die Achtung vor der Würde eines jeden Menschen.

Die grundlegende Voraussetzung des rationalen Diskurses ist die Trennung der Sach- von der persönlichen Ebene. Diese Distanz ermöglicht es, sich über etwas lustig machen zu können und damit eine andere Perspektive zu bekommen. Sie ermöglicht es auch, völlig unterschiedliche Bewertungen eines Sachverhaltes haben zu können, dabei aber gemütlich zusammen zu sitzen und sich persönlich zu schätzen. Als Anwalt werde ich häufig gefragt, wie ich denn mit Kollegen einen Kaffee trinken gehen könne, mit denen ich mich kurz zuvor vor Gericht heftig gestritten habe. Meine Antwort ist, dass es ganz problemlos geht, denn wir streiten zur Sache, nicht zur Person. Außerdem kennen wir beide Seiten, mal vertreten wir die Kläger, mal die Beklagten. Wer lernt, eine Sache mit den Augen des Anderen zu sehen, sieht mehr. 

Leichter, etwas zu zerstören, als es wiederaufzubauen

Der Diskurs auf Sachebene ist die Brücke zwischen Ländern, Religionen, Geschlechtern, unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen oder Weltanschauungen. Er ist die Brücke des Verstehens und Verständnisses. Die Herrschaft der Angst zerstört sie.

Wie Alexander Wendt, einer der Erstunterzeichner, in seinem Beitrag „Die neuen Taliban, ihre vorübergehenden Erfolge – und woran sie scheitern werden“ zutreffend schreibt, ist die sogenannte cancel culture im deutschsprachigen Raum noch nicht so weit gediehen wie im angelsächsischen. Aber die Welle schwappt, sie ist schon dabei, unsere Sprache zu korrumpieren. Wenn sie komplett überschwappt, wird ihre zerstörerische Kraft auch hier viel hinwegschwemmen. Und wie so oft ist es unendlich viel leichter, etwas zu zerstören, als es wiederaufzubauen. Manches geht sogar dauerhaft verloren.

Daher sind die Forderungen des Appells, sich dem Druck nicht zu beugen, sich mit den Ausgeladenen, Zensierten, unsichtbar Gewordenen zu solidarisieren und das unselige Phänomen der „Kontaktschuld“ zu beenden, aus meiner Sicht absolut nachvollziehbar und unterstützenswert. 

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Hjalmar Kreutzer / 06.09.2020

Ich habe den Appell unterschrieben und geteilt. Wie bei den Protesten gegen die unverhältnismäßigen Coronamaßnahmen und andere Zumutungen des Nannystaates geht es hier um den Minimalkonsens der Freiheit des Meinungsaustausches, unabhängig von der sonstigen politischen Position der Initiatoren und Unterzeichner links, rechts, oben, unten, hinter oder vor meiner eigenen solchen. Ein trotz der bei den letzten Terminen auffallenden Unkultur des Ins-Wort-Fallens schönes Beispiel ist immer noch der Talk im Hangar 7 im Vergleich zu deutschen sogenannten Diskussionssendungen; die Namen dürften allgemein bekannt sein. Der Herr Fleischhauer ist mitunter nicht zu beneiden; andererseits ist das der Job des Moderators bei einem wirklichen Austausch konträrer Meinungen.

Markus Buchholz / 06.09.2020

„Freie Debattenräume“.....wenn diese Räume wirklich jedem (ja, tatsächlich auch den Linken) zugänglich sind und ergebnisoffen debattiert werden kann, ist da prinzipiell natürlich nix gegen zu sagen. Ich befürchte nur, dass manche dann Debatten zu Themen in der Qualität wie „Unsere Erde:  Kugel oder Scheibe?“oder „Wer dreht sich eigentlich um wen: Das heliozentrische Weltbild auf dem Prüfstand“ einfordern werden, da auch bei diesen Themen die Wissenschaft sich ja nicht zu 100%-tig einig ist….

F. Auerbacher / 06.09.2020

Gute Initiative. Ich habe unterschrieben.

Steffen Rascher / 06.09.2020

@ Dr. Christian Rohrbacher -  Die Gegenseite hat sich aufgeblasen, sie ist nicht so stark. Maaßen schätzt die Stärke der linken Kräfte viel schwächer ein. #wirsindmehr beschreibt die Strategie. Es ist der Trick der Bolschewiken. @ Volker Kleinophorst - Genauso sehe ich das auch. Die sollten für den Schaden aufkommen, den sie angerichtet haben, das wär sehr wohltuend, schließlich haben sie dafür viel Geld eingestrichen. @ Franz Klar - Broder hat neulich klargestellt, das alles, was man Israel vorhält und bei anderen Staaten nachsieht, antisemitisch ist. Das ist eine gute Beschreibung. Ansonsten bin ich Ihrer Meinung, denn der Vorwurf ein Antisemit zu sein kommt einem Sprechverbot gleich. Ich habe die berühmte jüdische Urururgroßmutter im Keller, die man hervorholt, falls man sie braucht. Wenn die Juden nicht so eine putzige Vererbungsregel hätten, dann gäbe es viel mehr Juden und man könnte mit ihnen nicht so umspringen. Dann wäre ich auch ein Jude - ein säkularer Jude allerdings.

Rolf Lindner / 06.09.2020

Es ist eins der kuriosesten Armutszeugnisse der deutschen Dabattenunkultur, dass inzwischen die Rentner und sonstigen beruflich Unabhängigen zur revolutionären Klasse aufgestiegen sind.

Nadja Schomo / 06.09.2020

“Der Diskurs auf Sachebene ist die Brücke…”  das ist leider gerade die abgedroschene Metaphorik derjenigen, die alles der Mainstream-Stromlinie anpassen wollen…. Allein das Wort “Diskurs” .... Es geht um ehrlichen Streit!

Karla Kuhn / 06.09.2020

Doch Herr Dr. Christian Rohrbacher, die NICHT linientreuen Unrechtsstaatsbürger (auch ich)  kennen diesen Alptraum noch aus dem ff !! Darum ist auch die AfD in den “Ossi” Ländern wesentlich stärker als hier im “verschlafenen” Westen. Steimle hat es doch auf den Punkt gebracht, “wir hatten unsere Revolution, jetzt seid Ihr dran.”  Bernd Poppenheger, genau SO ist es !  Wie recht hatte doch meine kluge Mutter, als sie nach dem Krieg, als 1949 der Unrechtsstaat DDR gegründet wurde gesagt hat, “Es hat sich nichts geändert, erst BRAUN, jetzt ROT”  Ist ja klar, die Nationalsozialisten waren LINKE VERBRECHER.  Die QUERDENKER fordern den Rücktritt der GESAMTEN Politkaste. Anders würde ja auch gar kein Neuanfang gelingen. Es ist ja hinreichend bekannt WAS mit den Nazi - Altlasten wie nach 1945/1949 in der BRD und in der DDR und mit den STASI-SED/KPD Altlasten 1989, die auch ohne PRÜFUNG in der Bundesdeutschen POLITIK, mit HILFE VON KOHL, GENSCHER und anderen Polittypen Fuß fassen konnten, sich für eine POLITIK entwickeln konnte. Der Gipfel war die Wahl Merkels 2005 zur BK, das hätte niemals passieren dürfen.

giesemann gerhard / 06.09.2020

Habe 20.000,00 Euro zahlen dürfen wegen meiner Kritik an Kinderehen beim Moslem. Das sei Volkverhetzung gemäß § 130(1)  StGB. Das Urteil liegt achgut vor. Der arme Moslem-Mann muss auch dringend geschützt werden vor solcher Kritik - auf Kosten der betroffenen muslimischen Mädchen. So weit sind wir schon. Selbstverständlich habe ich unterschrieben.

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