Alle, die es für den richtigen Anti-Coronavirus-Kurs halten, möglichst wenig normales Leben zuzulassen und stattdessen den Alltag der Bürger möglichst stark zu reglementieren – Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen inklusive – fühlen sich immer dann bestätigt, wenn den Abweichlern aus Schweden attestiert wird, falsch zu liegen. So war es auch Ende letzter Woche, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) – in dieser Frage ohnehin nicht gerade unparteiisch – verkündete, dass sie Schweden auf eine Liste mit elf Ländern gesetzt habe, in denen die Zahlen Neuinfektionen so schnell gestiegen seien, dass deren Gesundheitssysteme schon bald wieder an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen könnten.
Das hat Schwedens Chef-Epidemiologen Anders Tegnell furchtbar geärgert, wie n-tv.de berichtete. Er widersprach energisch: Es handle sich um einen totalen Irrtum. Man zähle in Schweden nur deshalb mehr Neuinfektionen, weil man die Anzahl der Tests sehr stark erhöht hätte. Die Anzahl der schweren Fälle gehe aber eindeutig zurück.
Tatsächlich – von den Anhängern des Ausnahmezustands weniger gewürdigt – musste sich die WHO noch am selben Tag korrigieren. Laut "Bloomberg" habe die WHO dies u.a. in E-Mails an schwedische Medien getan. Darin habe sie anerkannt, dass der Anstieg auf die ausgedehnten Tests seit Anfang Juni zurückzuführen sei. Der Anteil der positiven Tests läge insgesamt stabil bei zwölf bis 13 Prozent. Im Klartext: Die Ansteckungsraten in Schweden seien demnach nicht gestiegen.
Auch die Todeszahlen sinken kontinuierlich. Die WHO habe Schweden in der E-Mail attestiert, es sei dem Land durch Einbindung der Gesellschaft gelungen, die Verbreitung auf einem Niveau zu halten, das das Gesundheitssystem bewältigen könne.
Nachhaltigerer Ansatz
Tegnell müsse aber damit leben, dass außer "Bloomberg" so gut wie kein internationales Medium die WHO-Korrektur weitergab, da sie es nicht in die Agenturmeldungen schaffte, berichtet nun n-tv.de. Die WHO habe auch ihr falsches Statement nicht umgeschrieben, sondern die Liste mit den elf Risiko-Ländern lediglich mit einer Fußnote ergänzt, in der sie die sinkenden Zahlen Schwedens bestätige.
"Ich freue mich darauf, eine ernsthaftere Bewertung unserer Arbeit zu sehen als es bisher der Fall war", habe Tegnell laut "Bloomberg" in einem Radio-Podcast gesagt. Niemand könne wissen wie dies ende. Die Welt befinde sich erst in der ersten Phase der Pandemie und müsse noch einen langen, ungewissen Kampf gegen Covid-19 führen. Daher sei Schwedens Strategie, der einzig realistische Weg, die Krise langfristig zu bewältigen, habe Tegnell erklärt. Das heiße: So wenige Einschränkungen wie möglich, aber die Menschen daran gewöhnen, Distanzregeln einzuhalten.
Laut William Hanagh, Epidemiologe der Harvard’s School of Public Health in Boston, könnte Tegnell richtig liegen, berichtet n-tv.de weiter. Schwedens Politik sei ungewöhnlich, aber das Land habe seine zurückhaltenderen Maßnahmen schon sehr früh in der Pandemie umgesetzt, bevor das Virus in der Bevölkerung weit verbreitet gewesen sei. Der Ansatz könne sich als nachhaltiger herausstellen als der anderer Länder mit strengen Lockdowns, wird Hanagh weiter zitiert. Welcher Weg der bessere war, werde man erst nach der Pandemie wissen.
Tegnell sehe bei Lockdowns die große Gefahr, dass das Virus nur vorübergehend zurückgedrängt, aber nicht an der Rückkehr gehindert werden könne. Außerdem hätten solche Maßnahmen Nebenwirkungen wie häusliche Gewalt, Einsamkeit oder Massenarbeitslosigkeit, was die Verantwortlichen ebenso berücksichtigen müssten.