„What the World Needs Now Is Love“

In der Musik muss die Liebe nur allzu oft als Allheilmittel gegen alles Schlechte in der Welt herhalten. Aber kann die Liebe wirklich die Welt heilen?

Und wieder geht ein Jahr zu Ende. Ein Jahr, das von ideologiegetriebenem Wendewahn, wirtschaftlichem Absturz und einem bedrohlichen Sicherheitsverlust in fast allen Lebensbereichen gezeichnet ist. Ein Jahr, in dem gewählte Volksvertreter harmlose Bürger bespitzeln und verfolgen ließen. Ein Jahr, in dem legitime Regierungskritik einmal mehr als „rechte Propaganda“ oder „Hass und Hetze“ verleumdet wurde und sich zigtausende von Gutgläubigen durch gezielte Desinformation und mit dem Scheinargument der „Demokratierettung“ gegen die parlamentarische Opposition aufhetzen ließen.

Dazu kommen der nicht enden wollende Krieg in der Ukraine und die anhaltenden Angriffe auf Israel, das sich mit allem Recht der Welt entschieden verteidigt. Was vielerorts nicht etwa zur Solidarität mit der einzigen Demokratie im Nahen Osten geführt hat, sondern (paradoxerweise!) zum Wiedererstarken des Antisemitismus – auch und gerade dort, wo man es lange nicht mehr für möglich gehalten hätte. Wo soll das alles noch hinführen? Warum können sich nicht einfach alle Menschen lieben?

Ja, ich weiß! Es ist völlig naiv und noch dazu ein ausgelutschtes Klischee, allem Schlechten in der Welt immer gleich mit der Liebe begegnen zu wollen. Andererseits: Ist nicht die Liebe und ein wohlwollendes, verständnisvolles Miteinander das Einzige, worauf wir auf lange Sicht hoffen können? In der Liebe liegt etwas Göttliches. Etwas, das über uns hinausgeht und uns daran erinnert, dass wir alle desselben Ursprungs sind. Herr im Himmel, das klingt ja wie in der Kirche! Ich wollte eigentlich gar nicht so pastoral werden. Aber ich meine es wirklich so, wie ich es sage.

Musik ist nicht Wissenschaft!

Gleichzeitig sehe ich auch, dass gerade in der Musik allzu oft die Liebe als Allheilmittel und Lösung für alle Probleme bemüht wird. Aber Musik ist eben Musik – und nicht Wissenschaft! Ihre Bedeutung und Stärke liegt in der emotional-sinnlichen Sphäre – und nicht in Logik und Rationalität. So hat dann auch der Text eines Songs idealerweise die Aufgabe, im Einklang mit der Musik beim Hörer ein Bild oder eine Imagination hervorzurufen, die sich mit einer subjektiven Emotion verbindet – was jedoch alles andere als einfach ist.

Davon konnte auch Hal David (1921–2012) ein Lied singen. Unter dem Eindruck des immer heißer werdenden Krieges in Vietnam fiel dem Songtexter die Zeile „What the World Needs Now Is Love“ („Was die Welt jetzt braucht, ist Liebe“) ein. Dann war jedoch erst mal wieder Funkstille. Burt Bacharach (1928–2023), der sich dazu schon eine schöne Melodie im Dreivierteltakt ausgedacht hatte, erinnert sich in seiner Autobiografie, dass geschlagene zwei Jahre vergingen, bis David mit einer zündenden Idee für die erste Strophe um die Ecke kam.

„Lord, we don't need another mountain“ („Lieber Gott, wir brauchen nicht noch einen Berg“). Das klang zwar wie der Anfang eines Gebets – aber wieso nicht? Auf alle Fälle war damit schon mal die Richtung vorgegeben. Danach hatte David den ganzen Text innerhalb von einem Tag im Kasten. Und Bacharach konnte endlich die Musik dazu fertigstellen. Natürlich boten sie den Song zuerst ihrer Haus- und Hofsängerin Dionne Warwick an. Die zeigte sich jedoch wenig begeistert und fand den Text zu predigend. Somit verschwand der Song erst einmal in der Schublade.

Als wäre das Lied für sie geschrieben worden

Einige Zeit später hatten Bacharach und David ein Arbeitstreffen mit der Sängerin Jackie DeShannon, die selbst schon einige Hits geschrieben hatte. David erinnerte Bacharach an den Song, damit er ihn ihr vorspielte. Bacharach war sich damit jedoch gar nicht mehr so sicher und zögerte. Letztlich holte er ihn aber doch hervor und ließ DeShannon dazu singen. Und siehe da: Sie sang das Lied so, als wäre es für sie geschrieben worden. Also, nichts wie ab ins Aufnahmestudio!

„What the World Needs Now Is Love“ erschien im Frühjahr 1965 und wurde DeShannons erster großer Erfolg in den US-Charts. Daraufhin nahm sogar auch Warwick eine Version des Songs auf. Inzwischen wurde er hundertfach nachgespielt. Das Stück und seine Melodie gehören heute zu Bacharachs und Davids bekanntesten Kompositionen. Bacharach selbst pflegte damit über viele Jahre hinweg seine Konzerte zu eröffnen und in einem pompösen Finale zu beenden.

Und auch wenn in dem Song die Liebe wieder einmal alles richten soll, so darf es einfach so sein, wie es ist. Es ist eben nur ein Song. Ein wunderbarer Song sogar, den man als gutherzigen Wunsch betrachten kann – oder um es religiös zu formulieren: als Fürbitte, in der die heilige Hoffnung anklingt, dass sich vielleicht doch noch irgendwann einmal alles zum Guten wenden wird. In diesem Sinne, wünsche ich allen Achgut-Lesern (und natürlich auch allen Autoren) einen guten Rutsch ins neue Jahr und alles Gute und Liebe für 2025!

P.S. Als „Musikliebhaber des halben Jahrhunderts“ (B. Lassahn) habe ich für alle, die die musikalischen Highlights von vor 50 Jahren noch einmal Revue passieren lassen wollen, eine Spotify-Playlist unter dem Titel „Scheuerlein's 1974 Achgut Playlist“ angelegt. Viel Freude damit!

Und hier noch der YouTube-Link zu „What the World Needs Now Is Love“ in der Originalversion von Jackie DeShannon aus dem Jahr 1965

 

Hans Scheuerlein verarbeitet auf der Achse des Guten seit 2021 sein Erschrecken über die Tatsache, dass viele der Schallplatten, die den Soundtrack seines Lebens prägten, inzwischen ein halbes Jahrhundert alt geworden sind.

Foto: Discogs (bearbeitet)

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sybille eden / 29.12.2024

ANDREJ STOLTZ, - ,,,, wenn All you need is love und A day in the life für sie zu den besten Beatles Songs gehören , haben sie NULL Ahnung von den Beatles !

Frenzy Collini / 29.12.2024

Die unkitschigste Version von “What the World Needs Now” stammt eindeutig vom großartigen Mike Patton (Faith No More) mit der Band Mr. Bungle.★In meinem Leben ist alles Musik - und Musik ist eindeutig Liebe. Meine Seele würde vertrocknen ohne diese magischen Schwingungen, die das Gerüst meines Daseins sind. Nie kam mir der Gedanke, Musik oder die Liebe könnten die Welt retten - allerdings habe ich schon erlebt, wie beides ganz wunderbar einzelne Seelen heilen kann. Das ist doch schon mehr, als man erwarten kann!

F. Hoffmann / 29.12.2024

Erlebnis vor 2 Tagen (vorab, Opern + Operetten sind nicht mein Ding): Bin beim Zappen spätabends auf ARTE in einem Film über Pavarotti gelandet und war gefangen. Mein Gott, der war beim Singen total dabei! Der gesangliche Höhepunkt kommt kurz vor Ende des Films, ein Stück aus „Tosca“, dirigiert von Plácido Domingo. Pavarotti ist so weit im Lied, dass er die Umgebung offensichtlich nicht mehr wahrnimmt, der gesangliche Ausdruck ist unglaublich. Er braucht 2-3 Minuten um wieder in der Realität anzukommen. Die Orchestermusiker klopfen nicht dezent auf ihre Instrumente, die trampeln mit den Füßen, Plácido Domingo legt den Taktstock ab und klatscht Beifall, unglaublich was Pavarotti an Gefühlsausdruck und stimmlichem Genie rüberbringt! Habe dann noch den Film über „Die drei Tenöre“ angesehen, ebenfalls sehenswert obwohl das bis fast 02:00 Uhr ging. Wie gesagt sonst bin ich eher bei Rock und Jazz oder klassischer Instrumentalmusik. Empfehle aber dringend die beiden Filme auf ARTE anzuschauen.

Klara Altmann / 29.12.2024

Man kann auch bei die Liebe in zweierlei Arten aufteilen, gemessen an ihrem Ergebnis. In eine gute und tatsächlich bereichernde Liebe und in eine, die nur Verluste bringt. Die erstere ist in der Regel gegenseitig und ist gleichermaßen gebend wie nehmend und ihr liegen tatsächlich gute Absichten zugrunde. Das beste Beispiel dagegen in meinen Augen für eine selbstdestruktive Form der Liebe hingegen wird (fiktiv) in dem Liedtext “Rollos Taufe” von Torfrock beschrieben. Rollo der Wikinger hat darin das wüste Leben satt und entscheidet sich für das ursprüngliche Christentum mit der Aussage: “ich tu mal alle lieben.” Dieses hehre Ansinnen bekommt ihm nicht sonderlich gut, denn schon kurz nach seiner Taufe nistet sich allerlei Volk bei ihm ein, das seine neue Haltung ganz hervorragend findet, frisst seine Vorräte auf und wirft ihn schließlich aus dem eigenen Haus. Nachdem er dann noch von seinen ehemaligen Freunden kräftig verprügelt wird und noch seines Mantels verlustig geht, schleppt er sich elend zurück zu den “heiligen Brüdern”, die ihn daraufhin exkommunizieren, da er die Kirchensteuer nicht bezahlen kann. Er wird beschieden, dass er fortan wieder als Heide leben müsse. “Froh leuchteten da Rollos Augen auf und er rief: „Ich tu dich zwar lieben, aber rückst du den Opferstock nicht raus, werd ich dir eine schieben!”” Ein hervorragender Text, der vor Augen führt, wohin die falsche Art der Liebe zur Menschheit führen kann und gleichzeitig auch, wie die Heilung davon funktioniert. Als von Grund auf sozialer Mensch werde ich deshalb noch meinen letzten Atemzug darauf verwenden, jenen jeglichen Cent zu verweigern, die ihn in ihrer falsch verstandenen Menschenliebe, dem desolaten Gutmenschentum, nur sinnlos verschwenden. Bevor ich euch mein Geld gebe, würde ich es auch essen.

Thomas Taterka / 29.12.2024

My advice : no heebie jeebies at all , if you encounter the devil , ” shout , sister , shout ” ( Boswell Sisters ), listen to the ” Whispering ” ( Chet Atkins ) when ” moon is high ” ( Les Paul / Mary Ford ) and stay with ” Jessica ”  as long as you can , trust in God and don’t get off the road . ” There’s no place like home .” When Great Depression and Inflation are coming at the same time , Lupus est homo homini .

Jürgen Albrink / 29.12.2024

Das Lied ist seit Wochen in der Amazon-Werbung im Privat-TV zu hören. Geht einem schon langsam auf den Wecker.

Andrej Stoltz / 29.12.2024

“All you need is Love”  sowie das zeitgleiche “A day in the Life” (beide überwiegend von Lennon) sind die beiden besten Beatleslieder und gehören wohl auch zu den besten Songs aller Zeiten. Es ist 1967, der “Summer of Love”. Ashbury Haigths: “Be sure to wear some flowers in your hair”. 1967 - Das letzte Jahr in dem die Welt noch in Ordnung war. Nur… “doch, Achtung, Obacht, Vorsicht, es ändert sich was” (Hans und Gabi; der Plan; Geri Reig 1980). Nur ein Jahr später fand die feindliche Übernahme des Hippie Summers of Love durch die linken 1968er statt. Was naiv humanistisch-unpolitsch begann wurde im Handstreich übernommen. Mit dem Ergebnis Kommunismus statt individueller Liebe. Revolution, RAF, letztlich auch Manson Family und Cohn-Bendits Kindergartenromanzen. Die Strassen von Prag 1968 mit dem sozialistischem Idol Sovjetunion. Ulrike Meinhof zu den Kindern: “Die RAF hat euch lieb”. Und heute ? Die Nachfolger der 1968er Blaumiesen (Yellow Submarine): Claudia Roth, Habeck und Baerbock. Man kann sagen, hat alles nix mit 1967 Hippie Summer of Love tun. Doch. Insofern, dass es ruckzuck von den 1968ern absorbiert wurde, ja, sich sogar absorbieren liess und die Linken sich bis heute damit tarnen. Deswegen müssen wir immer aufpassen, die linken Blaumiesen endlich wieder zurückdrängen. Damit endlich wieder die individuelle, freie Liebe zu Partner, Familie und Heimat die linke, aufgezwungene, konformistische “Liebe” zu Partei und Staat ersetzen kann. Falls wir unsere Freiheit, unseren Individualismus, unsere Liebe jetzt nicht wieder von linken Blaumiesen zurückholen….dann sind wir ganz schnell bei Joy Divisions “Love will Tear us Apart”, dem dann nur noch der Suizid Ian Curtis´ folgte. Das ist auch eine Lebensaufgabe: Zurück zum Summer of Love 1967. Und 1968, den Linksterror beenden und wieder durch Freiheit und Liebe ersetzen. Und wir haben neue Verbündete, den technischen Fortschritt und schliesslich die Singularität. Grund zum Optimismus also.

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