Für die, die es noch nicht gemerkt haben: Wir leben in einer Zeit des vorsorglichen Beleidigtseins und der schnellen Verbotsforderungen. Es sind kaum noch Äußerungen denkbar, mit denen man nicht irgendwem auf den Schlips treten würde, was natürlich selbst wiederum eine Diskriminierung des nicht-Krawatten-tragenden Teils der Bevölkerung darstellt. Am schlimmsten scheint es in der Werbung zuzugehen, der man (und natürlich auch frau) ohnehin schon skeptisch gegenübersteht. Kaum dass man dort einmal etwas lesen oder hören kann, was einem aus welchem Grunde auch immer missfällt, wird nach Verboten gerufen, die dann auch gelegentlich von halb-offiziellen Werberäten ausgesprochen werden.
So auch in Großbritannien. Hier waltet die Advertising Standards Authority (ASA), die sich auf ihren eigenen Plakaten mit dem Slogan “We are here to make advertising better. (Not to make better advertising, sorry.)” vorstellt. Ihre beiden jüngsten Entscheidungen weisen den Weg in die ASA-Geschmacksdiktatur - eine weichgespülte Welt, an der niemand mehr Anstoß nehmen kann, in etwa so idyllisch wie ein Versicherungsberatungstermin bei Herrn Kaiser, die Hautpflege bei Frau “Sie baden gerade ihre Hände darin” Tilly oder das morgendliche Achselsprühen in der “Mein bac, Dein bac”-Familie.
Der erste Fall betrifft die neue Kaugummi-Marke von Cadbury Schweppes. Trident heißt sie, was allerdings nichts mit den gleichnamigen und nun zu ersetzenden britischen Atomwaffen-U-Booten zu tun hat. In einem der Spots tritt ein Jamaikaner auf, der in einem stark karibischen Akzent für das neue Kaugummi wirbt. Er beschwert sich darüber, dass normale Kaugummis einfach zu hart seien - so hart wie zehn Jahre harter Arbeit. Dann bietet ihm jemand das neue Trident an, und der Jamaikaner ist so begeistert davon, dass er aufspringt und eine Kampagne für das neue Kaugummi beginnt. In der Schlußszene des Spots ist er vor dem Parlament zu sehen, wo er den Slogan “Mastication for the Nation” (“Kauen für die Nation”) in die Menge ruft.
“Völlig inakzeptabel”, empörten sich Hunderte von Zuschauern. Hier würden rassistische Klischees verarbeitet, der jamaikanische Akzent sei viel zu dick aufgetragen und überhaupt: “Mastication” klinge viel zu sehr nach “Masturbation”. Die ASA erhörte die Beschwerden und stellte fest, dass die Werbung zu einer “tiefen Kränkung” bei einer “signifikanten Minderheit” geführt habe. Der Darsteller des Jamaikaners konnte die Aufregung um den Spot übrigens nicht nachvollziehen. Er hätte sich doch als Farbiger niemals für einen rassistischen Werbespot zur Verfügung gestellt. Auch bei Cadbury Schweppes war man überrascht, denn die Kampagne sei bei jungen Leuten aller Hautfarben äußerst populär gewesen. Darauf kommt es aber anscheinend nicht an, wenn sich denn nur eine Minderheit beleidigt fühlt.
Im zweiten Fall ging es um Poster für Urlaub in Australien. Die australische Tourismusbehörde wollte britische Touristen mit dem Spruch “Where the bloody hell are you?” nach down under locken. Vielleicht liegt es daran, dass man in Großbritannien nicht ausreichend mit australischen Umgangsformen vertraut ist, aber die so formulierte Frage ist durchaus herzlich gemeint - so sind Australier eben. Der gemeine Brite scheint die Dinge etwas weniger salopp zu bevorzugen, beschwert sich über die verrohten Umgangsformen in der Werbung und findet bei der ASA Gehör. Auf Plakaten darf der Slogan nicht mehr verwendet werden, da Kindern eine Werbung, in der scheinbar geflucht wird, nicht zugemutet werden kann. Australier hätten darauf wahrscheinlich die richtige Antwort: “What the ...?”
Die beiden Fälle zeigen, dass es fragwürdig ist, Geschmacksfragen in der Werbung von Behörden entscheiden zu lassen. Um es einmal klar zu sagen: Beide Werbekampagnen waren vollkommen legal, haben gegen kein gesetzliches Verbot verstoßen, keine irreführenden oder gar falschen Angaben gemacht. Sie haben nur manchen Leuten nicht gefallen. Die richtige Reaktion für diese Leute wäre dann gewesen, sich bei den werbetreibenden Firmen selbst zu beschweren oder schlichtweg kein Trident zu kaufen und nicht nach Australien zu fahren (je nach Empörungsgrad). Anderen Leuten jedoch, die - wie ich - eine höhere Empörungsschwelle haben, den Spaß an guter Werbung zu nehmen, finde ich ... ähm ... empörend. Und deswegen sollte das dringend verboten werden.