Gunter Weißgerber / 11.03.2019 / 16:30 / 11 / Seite ausdrucken

Werden die freien Wähler der Joker in Sachsen?

Die „Freien Wähler“ haben Konjunktur. In Bayern regieren sie seit 2018 mit. Das wollen ihre Freunde 2019 in Sachsen auch zuwege bringen. „Das schaffen wir!“ – der Grundtenor von Hubert Aiwanger in Bayern, Matthias Berger, Matthias Schmiedel und vielen anderen in Sachsen unter professioneller Koordinierung von Antje Hermenau.

Im Moment haben sie eindeutig mediale Konjunktur. „Brüllaffen“ bieten sie kein Podium. Im Benennen von Schwachstellen sind sie dennoch nicht zimperlich. Das scheint anzukommen. Die Konkurrenz schaut wie das Kaninchen auf die Schlange. Die „Freien Wähler“ erzielen zunehmend Sogwirkung. Am letzten Samstag haben sie sich in Grimma vorgestellt, und ich habe mir das angeschaut. Prominenter Gast war Hubert Aiwanger, der bayerische Vizeregierungschef.

Mein erster Eindruck: Es sind allesamt Profis, erfahren in Kommunal- und Landespolitik, und sie kennen sämtliche Stellschrauben und Bremsen der Bürokratie. Sie wollen aber Gas geben und wüssten auch wie. Man müsste sie nur lassen. Ihr Selbstbild: „Nicht gegen alle, sondern mit allen für alle“! Die „Freien Wähler“ könnten beispielsweise vom allgemeinen Verdruss profitieren, vom Gefühl eines unbestimmten Heimatverlustes, auch vom Aderlass der ehemals großen Parteien.

Heimatangebot für politische Vertriebene?

Sie sehen sich als „Mutbürger“, die nicht protestieren, sondern anpacken wollen. Damit werden sie mehr in der Mitte als an den Rändern wildern. Union, SPD und FDP sollten sich warm anziehen. Die übliche Anti-Rechts-Masche dürfte jedenfalls in Bezug auf die Freien Wähler beim Wahlvolk noch weniger verfangen als bei der AfD. Die etablierten Parteien wären gut beraten, wenn sie es gar nicht erst versuchten.

Heimatverlust findet auf verschiedenen Ebenen statt. Politisch verloren Millionen Wähler von Kabinett Merkel I bis IV ihre bisherigen politischen Adressaten. Kaum ein Unions-, fast kein SPD- oder FDP-Wähler weiß noch, warum er seine bisherige Partei noch wählen soll. Stimmbürger und Mandatsträger sind sich fremd geworden. Große Teile des Wahlvolkes fühlen sich politisch heimatlos, manche sogar als politisch Vertriebene, vertrieben zur AfD.

Mit dem politischen Heimatverlust geht oft ein regionaler einher. Aiwanger: „Die Landkreise sind inzwischen groß wie manche Länder früher. Zurück zu den Menschen!“ Ein technokratisches Monstrum wie „Mitteldeutschland“, zusammengesetzt aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, dürfte mit den „Freien Wählern“ wenig Chancen haben. „Von unten!“ heißt das bei Aiwanger. Und bei Berger. Vom „Sachsen-Bashing“ halten sie nichts. Im Gegenteil die „Freien Wähler“ reden von ihrer freistaatlichen „Südschiene Sachsen-Thüringen-Bayern“. Heimat.

Strahlkraft des bayerischen Vorbilds

Alle „Freien Wähler“ wollen vom Erfolg in Bayern profitieren. Mit der CSU ein wunderschönes und funktionierendes Bundesland in widrigen Zeiten auf Kurs halten, das nötigt auch außerhalb Bayerns Hochachtung ab. „Gaga-Themen wie ‚Wolfserwartungsland‘“ sind mit den Jägern Aiwanger und Berger nicht zu bespielen. Die auf Bodenständigkeit ausgerichteten „Macher“ würden Wert auf „starke Städte im starken Umland“, auf das Funktionieren von Polizei, Feuerwehr, Medizinischer-/Energie- und Wasser-Versorgung in kommunalen Händen und auf traditionelle Familienstrukturen legen.

Programmatisch konzentrieren sich die „Freien Wähler“ auf die Klein- und Mittelständischen Unternehmer, die die Masse der Arbeitsplätze bieten und die in der Regel soziale Verantwortung zeigen. Die „Freien Wähler“ bekennen sich zudem klar zur Wiedereinführung der Meisterpflicht.

Die „Kontrollwut“ der Behörden bis nach Brüssel wirke desaströs und behindert Freiheit und Wohlergehen. „Wirtshäuser, Bäcker, Handwerker“ würden ausgebremst. Zur Zuwanderungsdebatte wird Aiwanger zitiert: „Jede/r der kommt, ist nicht per se gut! Wer nicht gut ist, muss raus! Nicht nur kann, sondern er/sie muss raus!“ Über den Islam mag Hubert Aiwanger nicht diskutieren.

Ausdünnung und Verstärkung

Die „Freien Wähler“ sehen sich als Sammlungsbewegung von Leuten mit abgeschlossener Ausbildung und Praxis. Erfahrene Fachleute sind nach ihrem Verständnis zum Kompromiss in der Lage. Für die Studienabbrecherparteien CDU, SPD, Grüne, Linke ist damit zusätzliche wünschenswerte Gefahr im Verzug. Union und SPD geben seit geraumer Zeit in sich steigerndem Maße gutes Personal und damit Kapazitäten an die „Freien Wähler“ ab.

Hier die Ausdünnung – da die Verstärkung. Gerade ging mit André Soudah der bisherige Vorsitzende des mitgliederstärksten sächsischen SPD-Ortsvereins Leipzig-Mitte ins Lager der „Freien“, kurz vor ihm tat dies Holger Preische aus dem Rödertal mit vier weiteren Sozialdemokraten. Die Geschäftsführerin der sächsischen „Freien Wähler“ ist mit Antje Hermenau eine Ex-Grüne mit inzwischen bundesweiter Bekanntheit. Seit 15 Jahren gehört auch der vormalige Colditzer Bürgermeister Matthias Schmiedel dazu, der nach 1989 als Sozialdemokrat startete.

Der Charme der vielen Positionen

Noch geht das: In jeder Kommune, in jedem Landkreis, in jedem Bundesland eine unterschiedliche Position. Mit zunehmender Verantwortung dürfte das Modell an die Wand fahren. Mit jeder neu erkletterten politischen Ebene steigt der Positionsabgleichzwang, steigt die Vergleichsgefahr. Für Bayern postuliert Hubert Aiwanger den netten Slogan „Die Sonne schickt keine Rechnung“ und meint damit den forcierten Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Das mag in Bayern mit noch relativ sorgloser Sicht auf die Grundlastnotwendigkeit der Netze keine Rolle spielen. In Sachsen mit seiner in Grundlastprozessen verständiger denkenden Bevölkerung käme er da nicht weit. Auch ist Sachsen schon jetzt verspargelt genug. Die bayerischen „Freien Wähler“ scheinen ordentlich „Grün“ zu sein. Was in Sachsen keine wirklich dolle Offerte ist.

Womit möglicherweise dem „Freien Wähler Aufbruch“ natürliche Grenzen gesetzt scheinen. Die Verlockung „Energiewende ja – aber nicht gegen die Bürger – die Bürger mitverdienen lassen“ (Aiwanger) bedarf damit einer sächsischen Variante. „Wer nur rechts und links kennt, macht keinen Schritt nach vorn“ – Das Grundverständnis der „Freien Wähler“ kommt dieses Jahr auf den Prüfstand.

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Albert Pflüger / 11.03.2019

Nachdem die AfD vernünftigen Positionen in vielerlei Belangen eine Stimme gegeben hat, trauen sich viele, sich von den etablierten Parteien abzuwenden. Dennoch wirkt die Verteufelung der AfD in vielen Köpfen, so daß es gut ist, wenn ihr eine weitere Alternative zur Seite springen kann, wenn es darum geht, CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke entscheidend zu schwächen. Von denen ist auf absehbare Zeit nichts gutes zu erwarten, dafür haben sie einfach kein geeignetes Personal mehr. Klatschhasen ohne taugliche Führung sind ungeeignet, die schweren Probleme zu lösen, die unter Merkel in Deutschland aufgelaufen sind. Hoffen wir, daß bald wieder die Bürger die Politik bestimmen, statt daß Politiker ein Volkserziehungsprojekt nach dem anderen durchziehen, um ihren Widerstand zu brechen.

Marc Hofmann / 11.03.2019

Die Freien Wähler haben ihr Unschuld = Glaubwürdigkeit in Bayern schon längst verloren. Die FW sind FDP 2.0. Eine Partei die man ab und zu braucht um an die Macht zu kommen….In Bayern hat die CSU damals die FDP genommen um an der Macht zu bleiben und jetzt sind es eben die FW. Rückgrat und Charakter haben beide Parteien nicht…weder die FDP noch die FW.

Karla Kuhn / 11.03.2019

Die Freien Wähler waren bei der CSU das Zünglein an der Waade. Um alleine zu regieren hatte die CSU nicht genug Stimmen und mit den Grünen zu koalieren wollte Söder wahrscheinlich aus dem Grund nicht, weil Harbecks arrogante Aussage, die Grünen bringen Bayern die Demokratie (Die GRÜNEN UND DEMOKRATIE ?; WIE paßt das zusammen ??) gelinde gesagt eine bodenlose Frechheit war/ist. Die Freien Wähler sind für mich eine konservative Partei, die leider seit Jahren nue zwischen 12 und 15 Prozent dümpelt. Ob sie deutschlandweit Erfolg haben wird, kann ich mir vorstellen. Es kann sein, daß die Menschen, denen die ALtparteien zum Halse raus hängen aber NOCH nicht die AfD wählen möchten, bzw. KÖNNEN, als Alternative die FREIEN WÄHLER wählen, zumal Aiwanger nach der Bayernwahl gesagt hat, er könne sich in Zukunft eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen. Es ist wünschenswert, wenn AfD und die Freien Wähler den Altparteien Paroli bieten würden.

Franz Schoerner / 11.03.2019

Auch Frau Hermenau hat sich, nachdem politisch in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, rechtzeitig genug die Ziele und Ideen der AfD zu eigen gemacht, nachdem sie mit sicherem Gespür die politischen Befindlichkeiten “ihrer” Sachsen aufgenommen und die Sprach- und Konzeptlosigkeit der schwarz-roten Koalition unter Kretschmer analysiert und Morgenluft für eigene politische Ambitionen witterte. Mal sehen wohin das führt und ob sich die Sachsen nicht mehr an frühere schwarz-grüne Planspiele erinnern, die damals Frau Hermenau ihre Karriere bei den Grünen kostete, Politik - Beratung im Freistaat ist schwer und bringt nicht halb soviel, wie ein Landtagsmandat. Man darf gespannt sein.  

T. Merkens / 11.03.2019

Liebe Achgut-Leser, meiner Meinung nach fehlt in diesem Artikel ein wichtiger Hinweis zu den freien Wählern in Bayern. Man gebe das Stichwort:  “Dringlichkeitsantrag der AfD: Freie Wähler stimmen gegen ihr eigenes Wahlversprechen” in eine Suchmaschine ein, und man wird eine Mitteilung der AFD-Dachau finden zu dem Thema sogenannter “fiktiver Ersterschließungsbeiträge”. Dies ist für nicht direkt betroffene ein trockenes Thema -  für Betroffene dagegen ein potentiell extrem teures. Für die Freien Wähler halte ich den Vorgang für bezeichnend und empfehle eigene weitere Recherche… Freundliche Grüße - TM

J.P.Neumann / 11.03.2019

Art 21 (1) GG sagt “Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.” Man beachte, da steht MIT.  Inzwischen haben sich die Parteien den Staat unter den Nagel gerissen und zur Beute gemacht, obwohl laut GG eigentlich die freien Wählergemeinschaften, oder gar Einzelkandidaten so etwa 70% aller Sitze haben müssten (besser: sollten).

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