Dieses Jahr haben wir einen Baum. Und der ist sogar schon geschmückt. Und der gewinnt auch jeden Weihnachtsbaumschönheitswettbewerb. Wirklich. Wir haben im Freundinnenkreis Fotos ausgetauscht, unserer steckt alle in die Tasche. Freundin S. hat den mit einer Baumspitze versucht zu überbieten, aber deren Baum fehlt eindeutig Oberweite. Der Baum hat obenrum so wenig Holz vor der Hütten, das können die auch nicht mit ihren superbunten Weihnachtskugeln in Form von Spielzeugautos wett machen. Freundin K. hat‘s mit Jahresendflügelfiguren versucht, aber unserer überstrahlt alle. Klein, fein, füllig, absolut geschmackvoll nach dem Motto „Weniger ist mehr“ nur mit roten Kugeln behängt – and the winner is: unserer.
Und das war im Prinzip von vornherein klar, denn letztes Jahr passierte folgende Geschichte, die sich so nie wiederholen sollte:
Hatte ich doch die tolle Idee, den Baum lassen wir uns dieses Jahr liefern, vom Online-Händler. Genial. Also beizeiten bestellt und für den 19. Dezember avisiert. Absolut clever der Plan. Der 19. kam, der 19. verging. Okay, kann ja mal passieren. Also an die Strippe gehangen und dem Baum hinterher telefoniert. Ja, es tue einem leid, aber am 21. kommt er ganz bestimmt, man hatte nicht genug Fahrzeuge geordert. Ja, man wisse und überhaupt, aber am 21., ganz sicher.
Na gut, reicht ja auch noch. Das ist ärgerlich, aber vor Weihnachten hab ich eh zu Haus genug zu arbeiten, zweite Chance. Die netten Mitarbeiter tun ja auch nur ihr bestes. Der 21. kam, der 21. – Sie ahnen es – verging. Immer noch kein Baum. Also wieder an die Strippe, aber die können was erleben.
Keine Mängel-Kommunikation
Nun waren da wieder so überaus freundliche Mitarbeiter, die absolutes Verständnis für meine missliche Lage hatten, jede Menge Entschuldigungen und plausible Erklärungen. Die Führungsetage hatte die sensationelle Idee, dieses Jahr vertreiben wir Weihnachtsbäume online, das sei DIE Marktlücke schlechthin. Dass man dazu eine echte Logistik hinlegen muss, die trotz erhöhten Weihnachtsverkehrs, mit genügend Mitarbeitern, genügend Fahrern usw. ausgeklügelt sein muss, um wirklich das echte Geschäft machen zu können, das hatte man wohl irgendwie nicht so recht bedacht. Trotz und obwohl die „Arbeitsbienen“ und Mitarbeiter, die die Folgen am Telefon auszubaden hatten, alle Mängel des Konzeptes zu bedenken gaben, stieg man also in den Weihnachtsbaumonlinehandel ein.
Solcherlei Sorgen kann ich nun wirklich verstehen, kennt man sie leider heutzutage in vielen Branchen. Da fällt mir gleich die „lustige“ Geschichte, die aus Uschis Ministerium wieder zu lesen war, ein. Die Bundeswehr hat Milliarden für vier Fregatten ausgegeben. Irgendwie sind wahrscheinlich in dem Ministerium die Führungsetagen auch nicht mehr so recht verzahnt oder nehmen auch dort die Führungskräfte ihre „Arbeitsbienen“ nicht mehr so ganz ernst. Irgendwer hat bestimmt mal darauf hingewiesen, dass für neue Fregatten eventuell auch Aus- oder Weiterbildung für Personal nötig wäre. Tja, das ohnehin zeitverzögerte milliardenschwere Projekt wird wegen dieses Versäumnisses also noch teurer und es dauert, bis die Fregatten einsatzfähig sind.
Die Bahn fällt mir da noch ein. Neulich streikten doch einige Mitarbeiter. Und flugs wurde der Fernverkehr völlig eingestellt, der Nahverkehr zu großen Teilen, in Bayern fuhr gar kein Zug. Ich kann mir nicht helfen, aber da gab es doch mal Notfallfahrpläne, oder? War das nicht mal ein Unternehmen, in dem jemand Führungspositionen erreichen konnte, der von der Pike auf bei der Bahn gelernt hat? Also alle Hierarchien durchlief und auch praktisch gearbeitet hat? Jeder Lokführer musste mal alle Lok-Typen fahren können, damit für genau solche Fälle eben auch Notfahrpläne mit Personal und Zügen bestückt werden konnten und das Chaos sich in Grenzen hält. Inzwischen fehlt es nicht nur an fahrendem Personal, sondern auch an betriebsbereiten Zügen. Jede kleine Störung wird so zur mittleren Katastrophe. Aber irgendwelche Schlaumeier, die glauben „Optimierungen“ bei der Bahn, bei der Bundeswehr, der Post oder im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk ließen sich genauso durchführen wie in der Keksfabrik, haben überall funktionierende Räderwerke zerschlagen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass dort fortan die Zusammenarbeit und eben auch Informationsaustausch untereinander nicht mehr funktionieren.
Nein, von BAMF oder BER will ich hier lieber gar nicht erst anfangen.
Rettung durch Bastelarbeiten
Zurück zu meinem immer noch nicht vorhandenen Weihnachtsbaum. Die netten Menschen am Telefon machen ja auch nur ihren Job, haben das alles irgendwie auszubaden, ja klar. Nein, ich bin nicht wütend, okay am 23. dann ganz sicher, reicht ja auch noch. Dann hat der Baum wenigstens noch alle Nadeln und zum Schmücken ist auch noch genug Zeit. Ja, ich habe Verständnis. Nachdem ich auflegte, musste ich mich dann doch irgendwie wundern – jetzt sitze ich einen dritten Tag und warte auf einen Baum? Das habe ich jetzt echt zugesagt? Na gut. Die Familie erwartet einen Baum, Heiligabend findet nun mal bei uns statt. Und ich hatte auch immer einen schönen Baum.
Der 23. kam, auch der 23. verging – Sie ahnen es wieder – ich hatte immer noch keinen Baum. Na, die können was erleben. Wieder ans Telefon, aber dieses Mal ohne Verständnis. Okay, ich bekomme mein Geld zurück. Schön. Aber einen Baum habe ich immer noch nicht. Die nette Dame, die über mir wohnt, erzählte mir gerade beim Postholen, wie clever sie dieses Jahr das Baumproblem gelöst hat – online. Ganz toll. Direkt in die Wohnung geliefert, wunderhübscher Baum. Danke – genau das wollte ich jetzt hören. Inzwischen war der 24., Mutti, Tante, die Kinder – bei jedem Anruf die Vorfreude auf den Heiligen Abend und den schönen Baum, den ich immer habe.
Was hilft‘s, ich hab am 24.12. ja sonst nix zu tun, als über unsere Straße zu hirschen und noch irgendeinen Händler zu finden, der noch irgendeine Krücke zu verkaufen hat. Oder auch zwei, hab ich ja früher schon gemacht, hier ein Ästlein und dort noch eines, alles gut behangen, sieht keiner, dass ich aus zweien einen Baum gemacht habe.
Genauso sollte es kommen, war alles ganz schön knapp, aber hat funktioniert. Die ganze Familie hat meinen Bastelbaum bewundert, alle waren glücklich. Ab da feierten wir tiefenentspannte Weihnachten, und die Tage vergingen wirklich froh und besinnlich.
Dann kam der 27.12. Er war noch jung, gerade neuneinhalb Stunden und es klingelte. Wir sahen uns etwas verwundert an, erwarteten wir doch niemanden und nichts. Ich ging an die Sprechanlage und fragte, wer da sei. Und genau in dem Moment prusteten wir alle los, weil wir ahnten – wie Sie sicher auch – wer da klingelte.
„Ja, also, ich trau mich ja kaum zu fragen, aber ich muss es tun“, kam von der Gegenseite, und er hörte sicher auch unser schallendes Gelächter. „Nein, vielen Dank“, sagte ich, „wir nehmen den Baum nicht mehr an.“
Anfang Dezember flatterte per E-mail eine schöne Werbung ein. „Ihr Baum zum Wunschtermin!“
Nö. Danke. Der örtliche Blumenhändler war eine sichere Bank. Ich wähle lieber die, die ihr Geschäft organisieren können. Und wie geschrieben: Unser Baum steht und ist der schönste.