Susanne Baumstark / 12.01.2019 / 12:00 / Foto: Pixabay / 12 / Seite ausdrucken

Wer übernimmt Hohenschönhausen?

Konjunkturritter aus der zweiten und dritten Reihe stürzen sich besonders gern drauf: Erfolgreich aus dem Amt gedrängte Personen sind nämlich heute exlex – da darf man sich dann faktenfrei dran abarbeiten und bekommt dafür noch einen Fleißpunkt im Opportunistenzeugnis. Michael Kellner, politischer Bundesgeschäftsführer der Grünen, hat jetzt dem geschassten Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, ein „falsches Geschichtsverständnis“ angedichtet: „Er steht exemplarisch für eine Haltung, die besagt, die DDR war letztlich so schlimm wie der Nationalsozialismus. Das ist falsch. Es gab bitteres Unrecht in der DDR, aber keinen Holocaust.“ Der bleibende Eindruck beim unbedarften Leser: Knabe habe die Auswüchse in der DDR mit dem Holocaust gleichgesetzt. Eine unverschämte Diffamie.

Damit man es nicht vergisst: Der Historiker hat auch seriös arbeitende Kollegen. Etwa Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-StaatIn einer Buchrezension schrieb er für Deutschlandfunk Kultur zum Thema: „Es ist das Verdienst von Hubertus Knabe, … im vorliegenden Buch die Akteure und ihr vergangenes und aktuelles Handeln detailliert zu beleuchten und geschichtspolitisch einzuordnen. Obschon der Titel des Buches ‚Die Täter sind unter uns‘ an den Nachkriegsfilm von Wolfgang Staudte ‚Die Mörder sind unter uns‘ erinnern soll, setzt Knabe die beiden Diktaturen keineswegs gleich, wie ihm oft unterstellt wird, sondern er verweist auf die Parallelität des Umgangs mit den Unterdrückern von gestern … die Opfer beider Diktaturen haben Anspruch auf denselben Schutz des Gesetzgebers. In den meisten osteuropäischen Ländern – auch solchen, die unter dem Nationalsozialismus besonders gelitten haben – ist dies längst Realität, nur in Deutschland sind die kommunistisch Verfolgten schutzlos.“ 

Ein „Protagonist der Aufarbeitungsszene“

Kellner von den Grünen scheint das eher wenig bis gar nicht zu beschäftigen. Nach Knabes Weggang biete sich nämlich „die Chance, sich die Geschichte neu anzuschauen“. Bei den üblichen Medien hat er damit einen Stein im Brett. Ganz ähnlich hieß es Mitte Dezember in der Zeit: „Hubertus Knabe leitet nicht mehr die Stasi-Gedenkstätte – das ist eine Chance für einen neuen Blick auf die DDR.“ Rund fünf Wochen zuvor konnte man in selbiger Wochenzeitung Genaueres über diese neue Perspektive erfahren. Unter dem Titel „Erich währt am längsten“ wird für „einen lässigeren Blick“ auf die DDR geworben. Ob übrigens der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, der durch die Autorin beider Zeit-Artikel, Jana Hensel, „als ein Protagonist der Aufarbeitungsszene“ zu Wort kommen durfte, nach diesem überregionalen medialen Push-up greifbare Chancen auf seinen angestrebten Posten hat, wird sich bald zeigen. In der marxistischen Jungen Welt las man dazu Ende Oktober

„Hubertus Knabe ist weg. Das heißt auch: In der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ist ein Posten frei. Das erste Bewerbungsschreiben ist eingegangen und am Dienstag im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht worden. Abgeschickt hat es der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk.“ Der wolle „Grautöne“ in der Aufarbeitung. Verbalisiert: „Die SED und gerne auch die ganzen ‚Mitläufer‘ gehören mit in die Pfanne gehauen. Es sei eine ‚schreiende Ungerechtigkeit‘, schreibt Kowalczuk in der SZ, dass ‚eine Institution, das Ministerium für Staatssicherheit, zum Beelzebub erklärt wurde‘.“ Knabe habe „geschichtspädagogische Überwältigungsstrategie“ betrieben. „Eine Folge: ‚Chemnitz‘. Faschoaufmärsche in Sachsen, weil bisher nicht richtig ‚aufgearbeitet‘ wurde? Hier will jemand nach oben.“ Jou, so oder so ähnlich wird's wohl laufen.

Bis zur Neubesetzung ist Jörg Arndt der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Blog „Luftwurzel“.

Foto: Creative Commons CC0 Pixabay

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Andreas Rochow / 12.01.2019

Es überrascht nicht, dass ausgerechnet die ZEIT über die “Chance für einen neuen Blick auf die DDR” jubelt! Es wird der Es-war-nicht-alles-schlecht-Blick der Zeit sein, deren langjähriges Engagement für die gemeinsamen Grundwerte von SED und SPD, deren eigenartige Anerkennungsbesuche (inkl. Gräfin Dönhoff) in der DDR, deren postwendische Erfolge, Gysi und Genossen genüsslich hochzuschreiben und DDR-Unrecht zu relativieren - reine Beispiele für linke journalistische Bewusstlosigkeit, wie sie heute epidemisch geworden ist. Nein, wer gnadenlose historische Analyse durch linken Zeitgeist ersetzt oder mit Zeitgeist narkotisieren will wie die ZEIT (und Kowalczuk), ist grundlegend ungeeignet, die Erinnerung an die letzte “moderne” linke SED-Diktatur ungeschminkt wachzuhalten. Und erst recht unfähig zur Sensibilisierung für das Aufkommen neuer autoritärer Züge der Herrschaft! Man muss der neuen/alten Bundesrepublik vorwerfen, einen folgenschwer nachlässigen Umgang mit den Tätern der SED-Diktatur demonstriert zu haben. Nur der Friedensnobelpreisträger Günter Grass wagte es, die DDR eine “kommoden Diktatur” zu nennen. Das ist nur logisch, wird doch die Singularität des Holocaust gern missbraucht, andere Diktaturen, mit denen es vielfältige wirschaftliche und parteipolitische Gemeinsamkeiten gab, wobei die Kirchen kräftig mitmischten, zu verharmlosen, etwa weil die DDR keine KZ betrieb und die Todesschützen keinen Schießbefehl hatten. Der Haupstadt-Senat ist heute auf dem besten Wege zur DDR 2.0. Er will die Deutsche Wohn AG enteignen und lässt sich von einem stasi-erfahrenen wissenschaftlichen Vordenker der Hausbesetzer beraten. Da stört das Problembewusstsein, das der saubere wissenschaftliche Blick eines ideologisch unbestechlichen Historikers wie Hubertus Knabe schaffen kann! Ich wünschte, diese Koryphäenjagd würde mit einer aktualisierten Gesamtausgabe Hubertus Knabe beantwortet, gern auch mit Mitteln aus dem 100-Millionen-Fördertopf “Demokratie leben!”

Marc Blenk / 12.01.2019

Liebe Frau Baumstark, einfach unfassbar, wie die Linke die DDR wieder reinwaschen möchte. Geschichtsklitterung at it best. Das hat einerseits im Westen bei der linken Tradition, andererseits kommt hinzu, dass der Linken immer unverblümter ein ähnlicher Staat wie es die DDR war nun für ganz Deutschland vorschwebt. Dafür braucht man natürlich solche Lügner und Rufschädiger wie Keller und Lederer, der sich gerne für das Andenken der Kolonialzeit einsetzt, aber für die Aufarbeitung der DDR Diktatur nichts übrig hat. Die Linke macht gerade einen Faschisierungsprozess durch. Und ich frage mich, warum innerhalb der CDU sich kaum jemand rührt, bspw. warum solcher Geschichtsklitterung mitsamt stillem Einverständnis kaum jemand aus dieser Partei entgegentritt. Es ist eine Schande. Ich hoffe, dass dreißig Jahre nach der Wende noch genug Opfer und Widerstandskämpfer leben, die sich rühren. Hubertus Knabe hat im übrigen einen fantastischen Job gemacht. Er hat sich um die Demokratie in unserem Land verdient gemacht.

Lars Bäcker / 12.01.2019

Grün liegt in Umfragen bei rund 20%. Da hat die geschleifte Bildung ganze Arbeit geleistet. Aber seien wir ehrlich: In einem Land, in dem ein Ministerpräsident weitgehend unwidersprochen einen ehemaligen NS-Marinerichter zum Widerstandskämpfer laudatieren darf, wird man doch wohl auch behaupten dürfen, die Stasi sei eine Institution zum Wohle aller DDR-Bürger gewesen. Jeder dreht sich die Geschichte so, wie sie in sein Weltbild passt. Am Ende wird sich jedoch immer die Wahrheit durchsetzen. Und die ist nicht disponibel.

Michael Lorenz / 12.01.2019

Und wir dachten immer, das ‘Wahrheitsministerium’ in 1984 wäre Science Fiction ...

Andreas Horn / 12.01.2019

Liebe Frau Baumstark, was erwarten Sie denn, wenn in führenden Positionen Deutschlands heute MfS Zöglinge und Sympathisanten sitzen ? Im Gleichschritt mit dem grün-linken Neofaschismus eine gelungene Mischung!

Rudolf George / 12.01.2019

Es ist doch ganz einfach: „links“ ist per definitionem gut, weswegen die DDR-Diktatur „gut gemeint“ war, d.h. doch gar nicht so schlecht gewesen sein konnte.

Klaus Reichert / 12.01.2019

Je weiter der Mainstream in Medien und Politik nach links rückt, desto wichtiger wird es, das Störende zu beseitigen. Also wird die DDR schön geschminkt, Kuba Romantisierung und aktuell versagende sozialistische Staaten wie Venezuela und Nicaragua nicht thematisiert.

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