Gastautor / 22.08.2016 / 06:00 / Foto: Jeremy T. Lock / 8 / Seite ausdrucken

Wer sind die Schuldigen an den Flüchtlingsdramen?

Von Volker Seitz.

Erstaunlich, dass Entwicklungsminister Gerd Müller immer wieder mit leicht abgewandelten Schlagworten wie „Marshallplan“ oder „Ausbeutung durch uns“ in die Schlagzeilen kommt. Denn: Wer beutet Afrika seit 50 Jahren aus? Warum sagt Müller nicht, wen er meint: den Westen oder afrikanische „Eliten“? Ein weiteres Schlagwort: „faire“ Preise. Ja, wir müssen fair sein. Aber: Marktwirtschaft erzeugt Preise, nicht unser Wohlwollen. Außerdem würde mehr Geld für Rohstoffe den Kontostand der afrikanischen Herrschenden auf ausländischen Banken, nicht aber den Lebensstandard der breiten Bevölkerung erhöhen.

Die entscheidenden Probleme wie Korruption und Bevölkerungswachstum spricht Müller nicht an. Im Gegenteil, er behauptet immer noch, von deutscher Hilfe würde kein Cent in dunkle Kanäle verschwinden. Die seit Jahrzehnten betriebene Art der Entwicklungspolitik bringt die Länder allerdings nicht entscheidend voran. Sie schafft zwar Arbeitsplätze für Chauffeure, Sekretärinnen, Köche, Gärtner und andere Zuarbeiter der „Helfer“, aber kaum Arbeit vor Ort. Sie mehrt das Wohlergehen einiger weniger, beseitigt aber nicht das breite Elend.

Die effizienteste Hilfe ist immer noch die Bildungs- und Wirtschaftsförderung. Ein größerer Teil der jährlich über sechs Milliarden Euro deutscher Hilfe könnte in Risikokapital für den Aufbau von mittleren Unternehmen umgewandelt werden. Weg vom „Bemutterungsnetzwerk“, wie es der Koordinator des Bonner Aufrufs, Kurt Gerhardt, nennt. Sobald wir helfen, projizieren wir unsere Vorstellungen davon, was gut und richtig sein soll, auf die Afrikaner. Dort, wo es den politischen Willen gibt, demokratische Rahmenbedingungen zu schaffen, sollten wir dies unterstützen. Aber die Initiative muss von Afrika ausgehen.

Jene Programme, die nicht von Regierungen selbst aktiv betrieben werden, sollten nicht weitergeführt werden. Müller warnte davor, „Entwicklungsgelder zu streichen oder mit Sanktionen zu drohen, wenn afrikanische Regierungen bei der Rücknahme von Flüchtlingen nicht kooperierten“. Er meint, dass solche Vorschläge von Leuten kommen, die Afrika nicht kennen. Da irrt der Herr Minister. In 17 Jahren in Afrika habe ich gelernt, dass afrikanische Regierungen es sehr wohl schätzen, wenn man eine klare Sprache spricht und fürchten, dass der Hahn zugedreht wird.

Geringer Rechercheehrgeiz der Medien

Da der Rechercheehrgeiz vieler Journalisten beim Thema Entwicklungshilfe äußerst gering ist, wird sich so schnell nichts ändern. Auch wenn ein Projekt der „guten Sache dienen“ will, sollte immer die Faktenlage geprüft werden. Projekte, von denen Müller spricht, liegen meist in der Nähe des Heimatorts eines Ministers, der sich rühmt, Geld, einen Brunnen, eine Schule an Land gezogen zu haben.

Sicherlich kennt niemand perfekte Lösungen. Aber es gibt eine Reihe möglicher konkreter Maßnahmen (Bildung/Förderung von Arbeitsplätzen), die zur Linderung der Probleme beitragen könnten. Die tief verwurzelte Kultur der Korruption, die feudal anmutenden Machtstrukturen, die vor allem den eigenen Reichtum maximieren, die bedrückende Bürokratie und die Missachtung des Rechts halte ich für die Grundlage der Misere. Ein Land kann sich nur entwickeln, wenn es ordentlich regiert wird. Von außen kann man keine im Elementaren funktionsfähige Staatlichkeit aufbauen.

Einen echten Wandel in Afrikas Autokratien wird es erst mit einer neuen Generation von Politikern geben. Es hat zwar in den meisten Staaten nicht an Erneuerungsversprechen gemangelt, aber geschehen ist nichts oder zu wenig. Die Politik bleibt orientierungslos, und es gibt keinen Erneuerungswillen in Richtung echter Veränderung. Es gibt kaum Afrikaner, die ihrem Führungspersonal noch eine Lösung der drängenden Probleme zutrauen: der Armut und der Arbeitslosigkeit. Es fehlt an Effizienz und Transparenz im opaken Netz an der Spitze der Staaten.

Nur in Guinea werden alle Verträge mit Minengesellschaften im Internet veröffentlicht: Von George Soros finanzierte Juristen haben in Guinea neue transparente Minengesetze entworfen, die Korruption vermeiden und den Staaten höhere Einnahmen sichern sollen. Andernorts sind es noch die alten und gestrigen Garden, die wichtige Entscheidungen fällen. In Afrika gibt es neun Staatschefs, die seit über 20 Jahren die Macht nicht mehr aus der Hand gegeben haben. Teodoro Obiang Nguema, Äquatorialguinea (37 Jahre), José Eduardo dos Santos, Angola (37), Robert Mugabe, Simbabwe (36), Paul Biya, Kamerun (34), Yoweri Museveni, Uganda (30), Omar el-Bechir, Sudan (27), Idriss Déby Itno, Tschad (26), Issayas Afewerki, Eritrea (23) und Yahya Jammeh, Gambia (22). In drei anderen Ländern gibt es Republiken mit Erbfolge. Die 41 Jahre dauernde Präsidentschaft Omar Bongos wird durch seinen Sohnes Ali Bongo fortgeführt. In Togo wurde 2005 nach dem Tod von Gnassingbé Eyadéma – nach 38 Jahren Regentschaft – sein Sohn Faure Gnassingbé „gewählt”. Auch in Kongo-Kinshasa folgte auf Laurent-Désiré Kabila sein Sohn Joseph Kabila. Diese Herrscher bedienen sich unverfroren der Reichtümer ihrer Länder, während viele Kinder dort keinen Wasserhahn kennen. Nach dem Africa Progress Report , dem der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan vorsitzt, verliert Afrika „durch illegale Finanzabflüsse doppelt so viel, wie der Kontinent an internationalen Hilfsgeldern erhält“.

Nirgendwo auf der Welt vermehren sich die Menschen so schnell wie zwischen Algier und Johannesburg

Das hohe Bevölkerungswachstum trägt entscheidend zur Armut vieler Menschen in Afrika bei. Je stärker die Bevölkerung zunimmt, desto schwerer ist es für Regierungen, Dienstleistungen wie Schulen und Gesundheitseinrichtungen für alle bereit zu stellen. Rasantes Bevölkerungswachstum macht jede Entwicklungsanstrengung zunichte. Das Bevölkerungswachstum, verbunden mit Klimaveränderungen, die die Landwirtschaft gefährden, kann ganze Regionen aus einem gerade erst erreichten Miniwohlstand zurück in die bittere Armut werfen. Nirgendwo auf der Welt vermehren sich die Menschen so schnell wie zwischen Algier und Johannesburg.

1,2 Milliarden Menschen bevölkern inzwischen den Kontinent, davon sind rund 70 Prozent unter 25 Jahre alt. Die hohen Geburtenraten gehen nicht mit der Schaffung von Arbeitsplätzen einher. Beispiel Uganda: Im Schnitt bekommt jede Frau sechs Kinder. Vor zwanzig Jahren hatte das Land 25 Millionen Einwohner. Heute sind es 35 Millionen und 2050 sollen es bereits 130 Millionen sein. Das jährliche Wirtschaftswachstum müsste auf rund elf Prozent ansteigen, um die rasant wachsenden Bedürfnisse abzudecken. Tatsächlich liegt es derzeit bei ca. fünf Prozent. Für Nigeria gibt es Uno-Prognosen, die die Zahl der Einwohner von derzeit 160 Millionen bis zum Jahr 2100 auf 730 Millionen anwachsen sehen.

Eine britische Studie aus dem vergangenen Jahr prophezeite dem Land bereits ein „demographisches Desaster“. Die britische Hilfsorganisation Oxfam veröffentlichte kürzlich eine Untersuchung, wonach die Länder Ostafrikas immer weniger in der Lage sein werden, sich selbst zu versorgen. Die Folgen sind dramatisch: Hunger, Armut, Umweltzerstörung. Es gibt nur selten Familienplanung oder sexuelle Selbstbestimmung der Frauen. Über Gewalt gegen Frauen wird öffentlich so wenig diskutiert wie über Teenager-Schwangerschaften. Gebildete afrikanische Frauen dagegen werden selbstbewusster. Ich habe außerordentlich gewiefte, kluge, intelligente und polyglotte Frauen kennen gelernt. Aber noch immer preisen afrikanische Traditionalisten Kinderreichtum als festen Bestandteil ihrer Kultur. Frühe Schwangerschaften und die HIV-Raten gehen merklich zurück, wenn Frauen durch Bildung selbstbestimmter und vorsichtiger agieren können. Besser gebildete Frauen heiraten später, bekommen weniger und gesündere Kinder. Sie lernen sich zu wehren und sich vor Krankheiten wie Malaria und Aids zu schützen. Sie lernen, wie sich durch hygienebewusstes Verhalten Krankheiten vermeiden lassen. Leider wird ihnen – nicht nur in religiös fundamentalistisch geprägten Staaten – die aktive Rolle in der Familienplanung und damit der Kampf gegen die Bevölkerungsexplosion in Afrika verwehrt.

Volker Seitz war zuletzt bis zu seinem Ruhestand 2008 Leiter der deutschen Botschaft in Jaunde/Kamerun. Sein  BuchAfrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann” erschien 2014 bei dtv in 7. überarbeiteter und erweiterter Auflage.

Foto: Jeremy T. Lock /US Air Force via Wikimedia

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Leserpost

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Andreas Glaesel / 23.08.2016

Der ehemalige “Kaiser” Bokassa von Zentralafrika hat es seinerzeit gut auf den Punkt gebracht, wie Politik in Afrika funktioniert: “Wir fragen die Franzosen nach Geld, sie geben es uns, und dann verschwenden wir es”. Solange sich an dieser Einstellung in Europa nichts ändert, möge man sich bitte über nichts wundern…

Mathias Jahnholz / 22.08.2016

Vielen Dank,Herr Seitz, für Ihren Beitrag. Passend zum Thema empfehle ich den Film “Süßes Gift- Hilfe als Geschäft” aus dem Jahr 2012. Sehr interessante Einblicke in das Geschäft mit der Hilfe für Afrika. Unbedingt bis zum Schluss schauen - das Schlusswort des jungen Mannes war seinerzeit eine Ankündigung der Bereicherung, die wir heute erleben.

Wolfgang Richter / 22.08.2016

Wenn man lesen kann, daß in Guinea die Verträge mit Minengesellschaften im Internet veröffentlicht werden, um Korruption zu vermeiden, ist man dort in dem Punkt erheblich weiter als in Deutschland. Hier wird schon im Rat der Kommune jeder Vertrag ausschließlich im “nicht öffentlichen Teil” der Sitzungen verhandelt und aus Gründen der angeblich bestehenden Geheimhaltungspflicht auch nirgendwo veröffentlich, obwohl (oder gerade) es um die Verwendung öffentlicher Gelder geht.

Ralf Ostner / 22.08.2016

China und die meisten asiatischen Staaten haben auch Autokratien und Korruption, dennoch verzeichnen sie hohe Wachstumsraten. Korruption und Autokratie mag zwar hinderlich sein, aber bei der richtigen Wirtschaftspolitik kann auch eine Volkswirtschaft trotz Korruption und Autokratie gedeihen, insofern es sich um aufgeklärte Autokraten handelt. Insofern ist der Vorschlag von Dr. Seitz Risikokapital für die Gründung von mittelständischen und neuen Unternehmen zur Verfügung zu stellen wohl der bessere Ansatz. Ebenso stimme ich überein, dass eine neue Generation von afrikanischen Politikern einen Bruch mit den autokratischen Systemen herbeiführen müsste. Fraglich aber, ob die alten Machteliten ihre Macht so einfach hergeben oder es zu einer Revolution oder eben zu einem afrikanischen Frühling kommt, der aber auch in Krieg und Bürgerkrieg wie der arabische Frühling münden könnte.

Klaus Klinner / 22.08.2016

Vielen Dank für diesen sachlichen Beitrag, der mir hilft mich in diesem Wust an Informationen, Fehlinformationen, subjektiven Interpretationen und auch Lügen etwas besser zu orientieren. Ich gestehe, dass ich auch lange der “Ausbeutungsthese durch den Westen” angehangen habe. Sicher spielt das auch heute noch eine gewisse Rolle, aber wie sie verständlich darlegen, nicht die entscheidende. Da das “Herbeibomben der Demokratie”, wie in Libyen, sich als untaugliches Mittel der Politik erwiesen hat und wir offenbar nichts konstruktiveres können, bleibt also nur die Hoffnung, dass die Menschen dort sich selbst helfen.

B.Kröger / 22.08.2016

“Bemutterungsnetzwerke” schaffen Abhängigkeiten, aber keine unabhängige Entwicklung.

klaus Ziegler / 22.08.2016

Ist es nicht auch so, daß wirtschaftliche Entwicklung und Innovation an Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen gebunden sind? Insofern nämlich wundert mich nicht, daß in islamisch geprägten Kulturen, wo der Einzelne wenig und die Glaubensgemeinschaft alles ist, kaum Entwicklung stattfinden kann.  Hier beschränkt man sich doch lieber auf das jammern und auf Schuldzuweisungen, anstatt die Verantwortung für sich zu übernehmen. Das ist in diesem System nicht vorgesehen und auch nicht gewünscht. Wo käme man denn da hin?

Klaus Metzger / 22.08.2016

Zudem sind die überzähligen Söhne Afrikas die Quelle für Krieg, Bürgerkrieg, Kriminalität und Migration. So wie in allen Staaten der Welt mit hohem Bevölkerungswachstum. Solange sich das nicht ändert, werden die Schlauchboote vor der Afrikanischen Küste nicht verschwinden.

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