Beda M. Stadler, Gastautor / 02.06.2008 / 19:43 / 0 / Seite ausdrucken

Wer sind die Guten?

Verlängertes Gentech-Moratorium: Der Bundesrat hat einen neuen Vogel abgeschossen

Im Englischen gibt es ein Bonmot, mit dem man unseren Bundesrat beschreiben kann: „He can get away with murder“. Also jemand, der, bildlich gesprochen, sogar mit einem Mord davon kommt. An so jemandem bleibt nichts haften, am Schluss ist er immer der Gute. In der Politik kann man offensichtlich mit „Mord“ davonkommen, solange man sich an die Volksmeinung hält. Die Volksmeinung kann allerdings kippen, und dann will niemand so genau wissen, warum eigentlich. Verständlich, lange genug haben wir geglaubt, die Welt sei flach…

Wer weiss beispielsweise noch, wann die Aluminium-Sammelwut aufgehört hat? Wo sind all die Alu-Sammel-Kübelchen geblieben, die einst unter jedem Küchenlavabo standen? Damals war der soziale Druck so stark, es war harmloser, Brot wegzuschmeissen, als einen Alu-Jogurtdeckel. Heute beschränkt sich Alu-Sammeln auf Gegenstände, die ohnehin unter dem Lavabo keinen Platz finden, oder auf Dosen mit einer Recyclinggebühr. War es die Vernunft, oder der Geldsack, die zu einer Wende führten?

Vielleicht sollten wir einmal während einem Spaziergang im tot gesagten Wald über BSE nachdenken. Haben die Fälle der neuen Form von Creutzfeldt-Jakob wirklich zugenommen, wie dies damals vorausgesagt wurde? Immerhin begann der BSE-Aktivismus zu einer Zeit, nachdem wir alle bereits mindesten eine halbe BSE-Kuh verzehrt hatten. Die vermeintliche Gefahr für uns Menschen ist nie eingetroffen. Die Volksseele scheint wieder Frieden mit dem Rindsfilet geschlossen zu haben. Wir haben uns verändert, so dass eine Rettung des Cervalats und des Grill-Sommers sogar mit Schweizer Bio-Kühen denkbar gewesen wäre. Man glaubt, überall wo Bio drauf steht, ist Bio drin, und von Bio kann keine Gefahr drohen. Blinder Glaube verdrängt Ängste.

Derzeit kommt man mit „Mord“ davon, wenn es ums Klima geht. Es wird mittelalterlicher Ablasshandel mit CO2 betrieben und gleichzeitig die Biolandwirtschaft subventioniert, obwohl bekannt ist, diese Art von Landwirtschaft kommt bezüglich CO2 nicht so gut weg wie die traditionelle Landwirtschaft. Das ist so, als ob man das Rauchen verbietet und gleichzeitig den Tabakanbau unterstützt. Solange tatsächlich niemand stirbt, weder Mensch noch Wald, haben Bundesräte offenbar eine grenzenlose Freiheit. Das könnte sich nun ändern.

Der Bundesrat hat einen neuen Vogel abgeschossen: Er will das Gentech-Moratorium verlängern. Warum, und wieso, ist nicht ersichtlich. Die bundesrätliche Begründung ist gar absurd: Die Schweiz hat im Rahmen eines Nationalen Forschungsprogramm über Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen ein paar Milliönchen aufgeworfen, da „bezüglich der Risiken dieser Technologie noch grosse Kenntnislücken offen seien“. Das erinnert stark an das „Programm Evaluation Komplementärmedizin“ des Bundesrates. Damals sollte herausgefunden werden, ob Alternativmedizin wirkt, nachdem die Welt wusste, dass sie nicht wirkt.

Genau so ist es bei der Gentechnik, ein Teil der Volkseele hat es sogar gemerkt. Die Studien von Schweizer Forschern werden die virtuellen Ängste und die Gentechnik-Gegner nimmer befriedigen. In Ländern wo man nicht nur Risikoforschung betreibt, sondern handfeste grüne Gentechnik, wurde ein Reis gezüchtet, der Stickstoff besser verwertet und dadurch jährlich 50 Millionen Tonnen CO2 einsparen könnte. Diesmal kommt der Bundesrat also nicht mit „Mord“ davon, weil es bereits Tote hat. Wer mit einer Verlängerung des Moratoriums eine moderne, ertragreichere Landwirtschaft behindert, sieht sich in einer ähnlichen Situation wieder wie der Papst. Es gibt keinen Glauben in Afrika Kondome zu verbieten, noch gibt es einen Glauben, irgendwo jemanden verhungern zu lassen. Wer heute noch allen Ernstes die Gentechnik verhindert, macht sich am Welthunger mitschuldig. Mit dem Moratorium haben wir tatsächlich ein Zeichen gesetzt, nur sollten wir uns langsam dafür schämen.

Die Kolumne erschien zuerst am 01. Juni 2008 in der NZZ am Sonntag

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