Beda M. Stadler, Gastautor / 16.01.2008 / 11:27 / 0 / Seite ausdrucken

Wer sieht, wie sich Bakterien teilen, glaubt womöglich nicht an die Schöpfung

Naturwissenschaftler scheinen oft anders zu ticken. Weder ein geklontes Schaf noch ein genmanipulierten Mais bringt sie aus der Ruhe. Sie publizieren in seriösen wissenschaftlichen Zeitschriften, wohl wissend, dass fast nur ihresgleichen diese Texte je lesen werden. Unter Ihnen herrscht Burgfrieden. Mischt sich ein Wissenschaftler in Fragen des öffentlichen Lebens oder schlimmer des Glaubens ein, wird ihm Arroganz oder Pseudowissenschaftlichkeit vorgeworfen. Für Unruhe ist gesorgt. Das ist verständlich: Wenn der Hund mit dem Schwanz wedelt, versteht die Katze etwas anderes.

Jeder Biologiestudent muss sprachliche Hürden überwinden, um wissenschaftliche Begriffe zu erarbeiten. Nehmen wir als Beispiel die Evolution. Obwohl Kinder diesen Begriff früh lernen, bedeutet er meist mehr „Schöpfung“ denn Evolution. Das Wissen erschöpft sich in Bildern einer Ursuppe, aus der Mikroorganismen entstehen, später Dinosaurier, dann kriecht ein Säugetier ans Ufer und daraus entsteht allenfalls der Mensch. Es bleibt ein harmoniebedürftiger Spagat zwischen biblischen Vorstellungen und Wissenschaft aus dem Vorabendprogramm des Fernsehens.

Während dem Biologiestudium gäbe es genügend Anlass über das Leben nachzudenken. Ist ein Bakterium, das man unter dem Mikroskop betrachtet, ein Individuum? Während der Student das Bakterium betrachtet, hat es sich womöglich bereits geteilt. Es sind nun zwei Erdenbürger da, ganz ohne Geburt, und das Zweigeteilte ist nicht einmal gestorben. Das Leben wird zum Kontinuum, ohne Anfang und ohne Ende.

Ein Biologiestudent verinnerlicht sich die Evolution, er beginnt zu verstehen und er verändert sich. Die einen brauchen fortan keine Schöpfung mehr, die anderen dulden den geistigen Spagat weiterhin, indem sie eigentlich nicht darüber nachdenken. Im sogenannten Dialog mit Andersdenkenden, die eine Evolution höchstens unterhalb der Schöpfung tolerieren, fällt oft der Vorwurf, Biologen greifen in die Schöpfung ein. Das sei untolerierbar, schliesslich sei die Evolution nur eine Theorie.

Genau hier sind wir wieder beim Hund-und-Katz-Spiel. Für manch einen taugt eine Theorie so viel, wie Immanuel Kant dazu meinte: „Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis.“ Die Schwerkraft ist auch bloss nur eine Theorie. Niemand masst sich deswegen an, trotzdem fliegen zu können. Die Gravitation ist erwiesen und bleibt eine Theorie. Genauso verhält sich mit der Evolution. Kritiker weisen daraufhin, dass die Zwischenstufen fehlen. Das konsterniert den Biologen. Er sieht im Spatz noch den Dinosaurier, erblickt die Beine beim Wal und zwinkert im Zoo dem Schimpansen zu.

Die Kritiker springen hingegen mit Darwin um, als ob er ein Idiot wäre: Die natürliche Selektion habe nichts mit der Evolution zu tun. Solches wird meist Biologen vorgeworfen die dank dieser „Theorie“ im Labor Medikamente entwickeln. Der Vorwurf kommt zudem oft von Leuten die glauben, Blumenkohl, Wirsing, Kohlrabi, Rosenkohl und wie alle anderen Abkömmlinge von Brassica oleracea - dem wilden Kohl - heissen, hätten etwas mit Evolution zu tun.

Ist es da erstaunlich, wenn die meisten Wissenschaftler verstummen? Für einen seriösen Wissenschaftler geziemt es sich nicht, Klartext zu reden. Das gab es schon mal, als Reden gefährlich war. In der Schweiz war dies die Hochblüte des „Nebelspalters“ und des Politkabaretts! In Amerika, wo am meisten Leute an die Schöpfung glauben, wehren sich auch nicht primär die Wissenschaftler. Es sind, wie im Mittelalter, immer noch die Hofnarren, man nennt sie dort „Stand-up Comedians“.

Einer meiner Lieblinge dieser Kunstsparte, Lewis Black, hat eine einfache Lösung für Leute vorgeschlagen die an die Schöpfung glauben: Man sollte ihnen ein paar Fossilien um die Ohren hauen. Für Leute die an das Unfehlbare glauben, ist ein derartiger Realitätsbezug aber nichts anderes als ein schlagender Beweis für das Irrationale.

Die Kolumne von Beda M. Stadler erschien am 13. Januar 2008 in der NZZ am Sonntag.

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