Verschiedene Leser haben diesen Beitrag von Ulrich Sahm so gedeutet, als gehe es darum, den Opfern jenes Massenmörders aus Norwegen – jemach schmo – eine Mitschuld an ihren Tod zu geben. Wäre es so, dann wäre das für mich ein Grund, mit der „Achse des Guten“ zu brechen, und zwar öffentlich. Es gibt ein paar Dinge, die man als anständiger Mensch nicht tut. Zum Beispiel ruft man Ermordeten nicht ins offene Grab hinein „selber schuld!“ nach, das gehört sich einfach nicht. Selbstverständlich sind die Kinder und Jugendlichen, die dieses blonde Stück Dreck abgeknallt hat, Opfer und nichts als das. Sie wären es auch dann, wenn sie ihre letzten Stunden damit verbracht hätten, einander die „Protokolle der Weisen von Zion“ mit verteilten Rollen vorzulesen.
Allerdings glaube ich nicht, dass Ulrich Sahm den Opfern eine Mitschuld geben wollte. Wenn es wahr ist, dass diesen jungen sozialdemokratischen Norwegern am Vorabend antizionistische Propaganda eingetrichtert worden war; und wenn es außerdem wahr ist, dass sie den Mörder zunächst für einen Schauspieler hielten, der ihnen mit Platzpatronen israelische Gräueltaten vorgaukeln sollte – dann bedeutet das zunächst ja nur: Wer ein wahnhaftes Weltbild hat, der ist nicht gut für die Realität gerüstet.
Im Übrigen finde ich es ein bisschen kindisch zu leugnen, dass dieser Mörder eine Ideologie hat. Er ist keineswegs geisteskrank im herkömmlichen Sinn; er hat keine Stimmen gehört, die ihm befahlen, wild um sich zu schießen. Er hat keinen schizophrenen Schub erlitten. Er ist voll und ganz für seine ungeheuerliche Tat verantwortlich, genau so wie der gemeine Selbstmordmörder, der sich in einer israelischen Disco in die Luft sprengt.
Was ist die Ideologie des Mörders? Er hasst den Islam (nicht den islamischen Fundamentalismus, nicht Al Qaida, nicht die „Islamische Republik Iran“, sondern den Islam). Er hasst Muslime (nicht Achmadinedschad, nicht Osama Bin Laden, nicht Ayman al-Zawahiri, sondern alle Muslime von Indonesien über Indien bis Kurdistan). Er hasst „Marxisten“ (nicht Lenin, Stalin, Trotzki, Mao und Che Guevara, sondern alle Linken). Er ist ein Fan von Milosevic und hätte gern gesehen, dass alle muslimischen Bosnier „ethnisch gesäubert“, also hingemordet werden. Er träumt von einem konservativen, im russischen Stil autoritär regierten Norwegen. Er sieht sich als Kreuzritter, der für das Abendland in einen heiligen Krieg zieht. Mit anderen Worten, er gehört einer Szene an, in die ich hier einmal mit zugehaltener Nase hineingeschaut habe. Seiner eigenen Aussage nach ist der Herr keineswegs ein Einzeltäter: es soll noch mehr solche Leute wie ihn geben, die im Untergrund auf ihr Stichwort warten. Kann sein, das ist Angeberei. Ich hoffe trotzdem, dass die Polizei der Spur nachgeht.
Das wichtigste Zitat zum Tage stammt darum von Friedrich Nietzsche. Bitte merken:
WER MIT UNGEHEUERN KÄMPFT, MAG ZUSEHEN, DASS ER NICHT DABEI ZUM UNGEHEUER WIRD. UND WENN DU LANGE IN EINEN ABGRUND BLICKST, BLICKT DER ABGRUND AUCH IN DICH HINEIN.