Wer ist François Bayrou?

François Bayrou, neuer französischer Premierminister. Ein Mann der wohlgeordneten Nachkriegsgesellschaft für das postmoderne 21. Jahrhundert?

Ausgerechnet am Freitag, dem 13., zur Mittagszeit machte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die lange erwartete Wahl seines neuen Premierministers bekannt. Ursprünglich hatte Macron versprochen, den Namen des neuen Regierungs-Chefs spätestens am 12. Dezember abends bekanntzugeben. Es passte zu seinem bei den meisten Franzosen verbreiteten Image, dass er die Wartenden noch eine lange Nacht und einen halben Tag zappeln ließ.

Als der erwählte François Bayrou (73), seit 2017 treuer Unterstützer Macrons, schließlich vor die Kameras trat, beeilte er sich, das Datum seines Amtsantritts nicht als böses Omen erscheinen zu lassen, indem er darauf hinwies, dass am 13. Dezember 1553 in Pau, der Hauptstadt des winzigen Königreichs Navarra in der Nachbarschaft des Baskenlandes am Fuße der Pyrenäen, König Henri IV. geboren wurde. Dieser gilt noch heute im kollektiven Gedächtnis der Franzosen als beliebtester König.

Bayrou, der selbst eine Biografie von Henri IV, des Begründers der Bourbonen-Dynastie, veröffentlicht hat, bezeichnete sich bei seinem Amtsantritt selbst als Freund des außerordentlichen Königs, dessen Aufstieg als Verlegenheitslösung begann, der es aber später mit dem Edikt von Nantes (1598) schaffte, die abgründige Spaltung des Landes zwischen Katholiken und Protestanten zumindest im Prinzip zu überwinden, indem er den calvinistischen Protestanten volles Bürgerrecht zusicherte, aber gleichzeitig den Katholizismus zur Staatsreligion erklärte. Der untersetzte Mann war vom 9. Juni 1572 als Henri III. König von Navarra und vom 2. August 1589 bis zu seiner Ermordung am 14. Mai 1610 als Henri IV König von Frankreich. 

„Paris ist eine Messe wert.“

Wie viele alphabetisierte Südfranzosen bekannte sich Henri III zum Protestantismus. Um als französischer König gekrönt zu werden, musste er dem Protestantismus abschwören und zum römischen Katholizismus übertreten. Das tat er mit der zum Bonmot gewordenen Begründung: „Paris ist eine Messe wert.“ Nur als König konnte er den blutigen Religionskrieg stoppen. (Der Autors selbst hatin jungen Jahren den dicken zweibändigen Roman von Heinrich Mann über die Jugend und die Vollendung des Königs Henri Quatre (erschienen 1935 und 1938) verschlungen). 

François Bayrou stammt selbst aus dieser abgelegenen Region, bekannt als Béarn mit einem für Pariser unverständlichen Dialekt, die heute mit dem ebenfalls kleinen Baskenland zum Département Pyrénées atlantiques gehört. Dort amtiert der klassisch Gebildete (staatlich geprüfter Studienrat für altsprachige Philologie) seit über 10 Jahren als durchaus beliebter Bürgermeister der Stadt Pau, die heute 77.000 Einwohner zählt und die Präfektur des Départements beherbergt.

Doch der ehrgeizige Mann, (wie ich kleinbäuerlicher Herkunft) ist wenig mit eigenen Ideen hervorgetreten. Als Studienrat war er nur fünf Jahre lang tätig, bevor er die Ochsentour der Politik wählte, um nach oben zu kommen. Vor und neben dem eher bescheiden anmutenden Bürgermeisteramt hat Bayrou immerhin Ämter von nationaler und zum Teil auch internationaler Bedeutung erklommen. Seine politische Laufbahn begann Bayrou 1978  im „Centre démocrate (CD) des De Gaulle-Gegners Jean Lecanuet, das später in „Centre des Démocrates Sociaux (CDS)“ umbenannt wurde. Das CDS ging dann in der antigaullistischen Rechtsunion UDF auf.

Seit 1986 ist Bayrou Angeordneter der Nationalversammlung. Zwischendurch war er auch einmal Europa-Abgeordneter und sympathisierte mit dem sozialistischen EU-Präsidenten Jacques Delors. Nach der Jahrtausendwende gründete Bayrou das zentristische „Mouvement Démocrate“, abgekürzt MODEM, dem er von 2007 bis zu seiner Ernennung zum Premierminister vorstand, und kandidierte dreimal vergeblich für das Amt des Staatspräsidenten: 2002, 2007 und 2012. Im Jahre 2007 hatte er mit fast 19 Prozent der Stimmen, immerhin Chancen in die Stichwahl zu kommen. 

Manifest für eine rechte Einheitspartei

Regierungserfahrung sammelte Bayrou von 1993 bis 1997 als Chef des Bürokratie-Monstrums „Éducation Nationale“, das heißt als Bildungsminister der Regierungen unter den gaullistischen Premierministern Edouard Balladur und Alain Juppé. Er machte sich hier bei den linken Lehrergewerkschaften teilweise unbeliebt, obwohl er sich gut mit deren Chefin Monique Vuaillat verstand, indem er unter anderem die Finanzierung von Privatschulen erleichterte und die bislang einheitliche Mittelstufe, das Collège, in Spezialzweige für Mathematik, Sprachen, Wirtschaft, Handwerk usw. aufteilte. Nur zum Teil erfolgreich war Bayrous Kampf gegen das Tragen des muslimischen Kopftuchs in den Schulen. Inzwischen wurden seine Reformen größtenteils wieder zurückgenommen. 

Interessant ist, dass sich Bayrou im Frühjahr 1989 mit 11 anderen jungen Abgeordneten der Nationalversammlung zusammentat, um in einem Manifest die Vereinigung der beiden Rechtsblöcke RPR (gaullistisch) und UDF (nicht gaullistisch) zu einer rechten Einheitspartei nach dem Vorbild der Sozialistischen Partei (PS) mit verschiedenen Strömungen auf der Linken zu fordern. Die Jung-Politiker regten auch Diskussionen über eine Wahlrechts-Reform in Richtung auf eine Mehrheitswahl in einem Wahlgang oder die Verhältniswahl an.

In dieser Gruppe finden sich neben François Bayrou die Namen später in die Spitze aufgestiegener Politiker, die alle grandios scheiterten: Philippe Séguin, François Fillon und Michel Barnier von den Gaullisten sowie Charles Millon, Philippe de Villiers und Dominique Baudis von den Nicht-Gaullisten, zu denen auch Bayrou gehörte. Dieser ist als einziger bis ins Rentenalter in der Politik geblieben.

Nationale Versöhnung als Hauptaufgabe

Inspiriert durch sein Vorbild Henri IV, erklärt Bayrou de Versöhnung der seit der Revolution von 1789 in „Links“ und „Rechts“ gespaltenen französischen Nation zu seinem wichtigsten Anliegen. Aus diesem Grund habe er im Jahre 2017 die Präsidentschaftskandidatur von Emmanuel Macron unterstützt, obwohl er die hinter Macron stehenden Mächte des großen Geldes verachte. Doch Macrons Bemühungen um die Versöhnung der tief gespaltenen Nation sind inzwischen krachend gescheitert. Traurige Wahrheit: Frankreich hat die „Mitte“ (im Sinne des konservativen Philosophen Ortega y Gasset) längst weitgehend, aber nicht vollständig an die Woke-Bewegung verloren.

Statt zu der von Bayrou ersehnten Rückkehr zur politischen Mitte haben Macrons narzisstisch getönte Gesten zu einer weiteren Polarisierung durch die Stärkung der ultralinken LFI und des scheinbar rechten RN und zum Beinahe-Verschwinden der wirklichen Mitte in Form der gemäßigt konservativen Republikaner (LR) geführt. LFI und RN vertreten extremistische Positionen, deren Finanzierbarkeit sie nicht interessiert. Beide Organisationen, die sich (wie das MODEM) nicht Parteien, sondern Bewegungen nennen, folgen nach Ansicht mancher Beobachter mehr tribalistischen als ideologischen Motiven. Ob Bayrou in seinem neuen Amt als vierter französischer Premierminister in einem einzigen Jahr ohne stabile parlamentarische Mehrheit länger durchhalten wird als sein Vorgänger Michel Barnier, ist also durchaus fraglich.

Heute ist der praktizierende (Links-)Katholik Bayrou bei vielen Franzosen beinahe so unbeliebt wie sein Chef Macron. Die wenig schmeichelhafte Rolle, die er in Michael Houellebecqs Roman „Soumission“ (Unterwerfung) spielt, war dafür vermutlich nicht ausschlaggebend. Er war in seinem neuen Amt wohl nicht Macrons erste Wahl. Zu aufdringlich hat Bayrou in den letzten Wochen seinen Amtsanspruch angemeldet. Doch Bayrou ist bei allem Opportunismus wie sein Vorbild Henri IV hartnäckig. Offenbar setzte er sich erst am Morgen des 13. Dezember in einem harten Wortgefecht mit Macron mithilfe einer Erpressung durch. Der von Ehrgeiz getriebene Bayrou kann nur hoffen, als Premierminister so lange durchzuhalten, bis die Verfassung Neuwahlen erlaubt. Das wird erst im Juni 2025 der Fall sein.

Ein Himalaya von Problemen

Bayrou hat schon kurz nach seiner Ernennung zum Premierminister darauf hingewiesen, er stehe vor einem „Himalaya von Problemen“.  An erster Stelle steht dabei die Finanzkrise, die neben schwer kontrollierbaren Ausgaben infolge der Schein-Dezentralisierung hauptsächlich vom großzügigen französischen System der Altersversorgung verursacht wird. Die Bewertungsagentur Moody’s hat die Kreditwürdigkeit Frankreichs infolge der politischen Instabilität bereits etwas herabgestuft. Wir können darauf gespannt sein, was Bayrou dazu einfallen wird.

Als gläubiger Katholik schließt Bayrou  Wunder vermutlich nicht grundsätzlich aus. Statt aufs Beten verlässt er sich, flexibel wie er ist, aber wahrscheinlich zunächst lieber auf opportunistische Ränkespiele. Wie flexibel er ist, hat er unter anderem durch sein Nachgeben gegenüber der muslimischen Masseneinwanderung und der geplanten Impf-Pflicht gegen Covid-19 gezeigt. Entscheidens wird sein, ob Bayroue den bisherigen immigrationskritischen Innenminister Bruno Retailleau im Amt belässt.

Während die ultralinke LFI schon Gesprächsangebote zurückgewiesen und angekündigt hat, Bayrous Regierung bei erster Gelegenheit das Misstrauen auszusprechen, zeigt sich das RN flexibler und zurückhaltender. Freiheitlich gesonnene Beobachter (Libertariens) wundern sich hingegen, dass Bayrou von der deutschen Presse beinahe einhellig als „liberal“ eingestuft wird. Sie sehen in Bayrou und seinem Vorhaben vielmehr das „Fäulnisstadium des Macronismus“. Dieser repräsentiere ein Frankreich, das es heute nur noch in Restbeständen gibt: das „Frankreich der Notare und beamteten Oberstudienräte“ vor der Verbreitung des Internets, das die Enteignung der nicht beamteten Mittelschicht durch die galoppierende Inflation verschärfen werde. Darunter würden infolge des Euro-Systems auch die deutschen Nachbarn zu leiden haben.

Edgar L. Gärtner ist studierter Hydrobiologe und Politikwissenschaftler. Seit 1993 selbstständiger Redakteur und Berater, als solcher bis 1996 Chefredakteur eines Naturmagazins. Bis Ende 2007 Leiter des Umweltforums des Centre for the New Europe (CNE) in Brüssel. In Deutschland und in Südfrankreich ist er als Autor und Strategieberater tätig.

Foto: Antonin Borgeaud via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Roland Müller / 16.12.2024

Wer ist François Bayrou? Er ist ein Opportunist mit einem sehr flexiblen Rückgrat, der immer und überall sein Fähnchen nach dem Wind dreht.

Karl Emagne / 16.12.2024

Frankreichs Probleme sind genauso unlösbar wie die von uns Deutschen. Die Bevölkerung erwartet den Erhalt des affluenten Status Quo, in welchem der Regierung nie das Geld fehlt, für alle Leistungsunfähigen und -willigen zu sorgen. In beiden Ländern wird ein sozialistischer Lösungsansatz anstehen, welcher links oder national getönt sein kann. Ob Europa, und insbesondere das christliche, sich jemals erholen wird, mag man hoffen. Im übrigen ist Houellebecqs Vision der Zukunft Frankreichs in seinem Roman der Unterwerfung noch erstaunlich optimistisch.

W. Renner / 16.12.2024

Vermutlich der direkte Vorgänger von Francoise Bye Bye.

Rolf Mainz / 16.12.2024

...und an einem Freitag, den 13., nämlich am 13. Oktober 1307, ließ der französische König Philipp IV („der Schöne“) einst den einflussreichen Templerorden zerschlagen. Lange hat der eitle, skrupellose Monarch (charakterliche Ähnlichkeiten mit aktuellen westeuropäischen Oberhäuptern wären sicher rein zufällig) jedoch nicht von seinem Triumph zehren können..

L. Luhmann / 16.12.2024

“Wie flexibel er ist, hat er unter anderem durch sein Nachgeben gegenüber der muslimischen Masseneinwanderung und der geplanten Impf-Pflicht gegen Covid-19 gezeigt.” - Menschenfeinde wie z.B. Muselmanen:innen finden sich eben überall - vor allem unter Politikern, bei Ärzten und denjenigen Organisationen, die die Welt retten wollen. Insgesamt wird die Menschheit gleichzeitig einer Medikalisierung - von der Wiege bis ins Grab - unterzogen.

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