Wer hat Angst vorm bösen Künstler?

Was politische Aussagen angeht, so liegen im Niveau-Limbo der Bundesrepublik die Messlatten ohnehin schon tief. Aber nicht tief genug, als dass es nicht immer noch etwas tiefer ginge. So las ich neulich auf dem Werbebanner einer rundum beliebten politischen Partei in weißer Schrift auf rotem Grund: „Familien unterstützen statt Grundeinkommen für Künstler“. 

Meine erste Reaktion war ein verblüfftes „Hä?“, gefolgt von einem lachenden „wie bescheuert kann man sein?“ An diesem Banner ist derart viel falsch, dass ich gar nicht weiß, wo ich eigentlich anfangen soll. Die Oma hat immer gesagt: „Wenn Du Kritik übst, dann beginne mit dem Positiven.“ 

Erfreulich ist, dass im vorliegenden Fall kein Ausrufezeichen als Lautstärkeregler verwendet wurde. Gemeinhin scheint die Ansicht zu herrschen, dass je mehr Ausrufezeichen verwendet werden, desto lauter und dringlicher die Aussage ist. Das gibt aber der Duden nicht her. Nun kann man darüber streiten, ob politische Aussagen und Slogans Satzzeichen bedürfen, allerdings finden sich bei der selben Partei die Aussagen „Verordneten Ruin des CDU-Ministerpräsidenten beenden!“ und „Kitas wieder öffnen: #CoronaEltern leisten gerade Übermenschliches“. 

Ja, sie müssen sich um ihre Kinder kümmern, die Eltern. Eine wahrhaft übermenschliche Leistung seit Adam und Eva. Sollte aber für Übermenschen kein Problem sein. Aber ich schweife ab. Auf jeden Fall wird die Satzzeichen-Regel nicht konsequent durchgehalten. Ich wollte es nur der Vollständigkeit halber erwähnt haben. 

Künstler als nichtsnutzige Schwachmaten

Zurück zur genannten Aussage „Familien unterstützen statt Grundeinkommen für Künstler“. Diese Aussage kann eigentlich nur von Leuten kommen, für die Künstler „Künstler“ sind und die Künstler als nichtsnutzige Schwachmaten betrachten, die nie „ordentlich gearbeitet“ haben. Dass derartige Hobby- und Pseudokünstler, die es ja zweifelsohne gibt, sowieso mit ihrer „Kunst“ nicht den eigenen Lebensunterhalt bestreiten können und damit aus jedweder Förderung fallen, kommt unseren engagierten Sloganbastlern und hinkenden Lautsprechern gar nicht in den Sinn. 

Ferner haben weder ich noch andere von einem „Grundeinkommen für Künstler“ gehört. Was es aber geben soll, ist eine Kompensation für entgangene Gewinne und Gagen von maximal 1.000 Euro im Monat, dies begrenzt auf zwei – in Zahlen: 2 – Monate. Das ist im Übrigen das Tausendfache, was ich dem „Künstler“ zahlen würde, der sich den „Slogan“ aus dem Kopf gezogen hat. Ich finde das einen eher geringen Betrag für die „Randgruppe“ der Leute, die aufgrund von staatlichen Maßnahmen nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt durch Auftritte und Konzerte selbst zu verdienen. Im Jahr 2018 übrigens mit einem Umsatzvolumen von 168 Milliarden Euro bei 1,19 Millionen Kernbeschäftigten, 256.000 Freiberuflern und einem Anteil von 3 Prozent am Bruttosozialprodukt.    

Und warum „Familien unterstützen statt…“? Warum nicht Waisenkinder, Hundebesitzer oder Ponyhöfe? Weil #Coronaeltern gerade „Übermenschliches“ leisten? Und sich um ihre Kinder kümmern? Und die Ponyhofbesitzer nicht? Die armen Hashtagcoronaeltern. Das hat einem vor der Familiengründung auch niemand gesagt, dass man mit Kindern länger als morgens und abends auf ein Stündchen zusammen sein kann. Warum werden nun aber Familien gegen Künstler ausgespielt? Warum nicht gegen Fußballprofis der Bundesliga? Oder länderparlamentarische Amtsträger, die sicher nicht dafür gewählt wurden, die Umwelt mit verbalem Unsinn zu verseuchen?  Bonusfrage: Warum muss ich die obigen Zahlen recherchieren und nicht Leute, die von sächsischen Steuergeldern genau hierfür alimentiert werden?

Na, haben Sie’s erraten?

Auch Künstler haben übrigens Familien. Also, es soll welche geben, die eine haben. Hörte ich. Sollen die dann doppelt oder gar nicht „gefördert“ werden? Oder sind Künstlerfamilien eher „Künstler“-„Familien“ und sollen gar nichts bekommen?

Nun würde es mich nicht wundern, wenn derartige Dummheiten von einer Partei kämen, die sowieso keinen Wert auf Kultur legt – zumal auf deutsche Kultur. Es hätte mich auch nicht gewundert, wenn mich hinter der Aussage das Konterfei der Frau mit der Vulkanier-Frisur oder auch die talentierte Blumenstraußweitwerferin von Thüringen angegrinst hätte. Aber nein, die waren es nicht. Weil ich aber von den Lesern immer so geschimpft werde, wenn ich die einzige Partei angehe, die mit eisernem Willen und unbeugsamem Widerstand noch grundsolide deutsche (Familien- und Kultur-) Werte bis zur letzten Patrone verteidigt, will ich den Namen diesmal nicht nennen. Außerdem sind Ratespiele derzeit sehr angesagt… 

Ein paar kleine Tipps will ich aber trotzdem geben, sonst ist es wirklich unfassbar schwer: Die Partei, für die Mozart Deutscher und Hitler Österreicher war und die Brecht, Beethoven und Bach, aber auch Nuhr, Naidoo und Nena eine Kompensation „zugunsten von Familien“ verweigern möchte, sitzt im sächsischen Landtag in Fraktionsstärke, macht gerne Hausbesuche bei Kabarettisten und ihre Anhänger werden von den verdammten Künstlern nur ungern „ins Gesicht gefilmt“. 

Na, haben Sie’s erraten? Dann schreiben Sie die Lösung auf ein großes Blatt Papier und verbrennen dieses auf einem Bücherstapel Ihrer Wahl unter Absingen der Nationalhymne (Obacht – nur dritte Strophe singen). 

Das Poster zur großen Außerdienststellung der lächerlichen Randgruppe (zugunsten von schier übermenschlicher Leistung an Kinderbetreuung) aller Maler, Bildhauer, Musiker, Sänger, Schauspieler, Regisseure, Drehbuchschreiber, Autoren, Veranstalter, Konzertagenturen, philharmonischen Orchester, Dirigenten, sonstigen Kulturschaffenden und Komponisten gibt es mit künstlerisch gestaltetem Hintergrund zum Selbstausdruck hier.

(Weitere Schmierfinkereien des entarteten Autoren unter www.politticker.de)  

Foto: Fotoart2014/Andrzej Karpiński CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Wolfgang Kaufmann / 02.05.2020

Wenn Kindererziehung wieder Sache von Horten, Krippen und Kindergärten wäre, wenn es Ganztagsschulen gäbe wie in fast allen anderen Ländern auch, dann müssten Mütter nicht an zwei Fronten stümpern, sondern könnten sich mit der gleichen Kraft auf ihren Beruf konzentrieren wie die Männer auch. Oder umgekehrt. – Es ist ein fataler beliebter Trugschluss hierzulande, dass eine Mutter – oder ein Vater – den ganzen Tag das Einzelkind betütteln und kutschieren müsse, damit dieses zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft heranwachse. Zur gleichen Zeit betreute eine Fachkraft in Frankreich zwanzig bis dreißig Kiddies und hält beiden berufstätigen Eltern den Rücken frei. Zugegeben: Dort sind sie sind besser erzogen als die deutschen Wohlstandsgören. War das nicht wirklich in der DDR besser? – Freilich müssten sich dann die Mütter ja an der fachlichen Leistung messen lassen und nicht am Mimimi.

Winfried Jäger / 02.05.2020

Wer sich entschieden hat, seinen Lebensunterhalt als Künstler zu verdienen, der ist wie jeder andere Freiberufler, außer Steeuerberatern, Notaren und den anderen Nichtkünstlern, dem freien Markt ausgestetzt. Es besteht halt immer ein gewisses Risiko. Die einen verdienen sich dumm und dusselig und die anderen müssen sich nach der Decke strecken. Wenn man keinen Mäzen hat, der einen für ein Genie hält, dann muß man in schlechten Zeiten halt mal das tun, was die anderen dauernd tun: Eine Arbeit annehmen, die man nicht mag, die einen aber ernährt.

Ralf Pöhling / 02.05.2020

Viel Rauch um Nichts. Wem wegen der aktuellen Situation die Kasse klamm wird, der kann beim Jobcenter vorstellig werden und ALG II beantragen. Etwas, was bei vielen Künstlern seit jeher zum Standardrepertoire gehört. Wenn die Engagements gerade mal knapp sind, holt man sich Stütze beim Amt, um so den Leerlauf zu überbrücken. Ich habe selbst schon im Jobcenter Leute ALG II beantragen gesehen, die ich aus dem Fernsehen kannte.

Norbert Brausse / 02.05.2020

Danke dafür, Herr Seiler, dass Sie uns hier aufgeklärt haben. Es ist schon unfair, wenn man die Aussage einer Person beabsichtigt einer Gesamtpartei anzulasten, aber es ist unverantwortlich, wenn man diese Aussage aus dem Zusammenhang reißt, um sie zu missbrauchen.

R. Jaffé / 02.05.2020

Es ist unfassbar, welche Kommentare man hier zu einem beträchtlichen Teil lesen muss. So ein Niveau habe ich bei Achgut noch nie erlebt - und ich lese die Beiträge hier mit viel Interesse und meistens Zustimmung seit etlichen Jahren. Der Artikel selbst ist sehr gut! Die AfD-Fans unter den Kommentierenden haben nicht kapiert, dass die Künstler, welche jetzt in den größten Schwierigkeiten sind, nicht ihre Arbeit verloren haben. SIE LEIDEN UNTER EINEM ARBEITSVERBOT! Im Gegensatz zu den meisten Handwerkern haben Künstler ihre Kindheit hinter ihrem Instrument, ihrer Staffelei etc. verbracht. Dafür stehen Deutschland, Österreich und noch einige wenige andere Länder, trotz einzelner Schwachmaten, geistig da, wo sie stehen. Bei allem Respekt - das kommt nicht von Handwerkern. Wo stünde Deutschland ohne Goethe, Schiller, Heine, Bach, Beethoven etc? Richtig - auf dem Niveau von irgendwelchen failed states. Namen möchte ich keine nennen. Nur vor ca. 80 Jahren hat man es für eine Weile vergessen…

O. Prantl / 02.05.2020

Haben Sie schon mal davon erfahren, dass sich Familien für linke Politik eingesetzt haben ? “Künstler” haben rechtzeitig das Richtige unters Volk gebracht, das ist schon einen .....Dank wert.

Belo Zibé / 02.05.2020

Kulturschaffende , die heutzutage mit willkürlich definierten, wenig hilfreichen Schmuddelkindern spielen oder sogar deren Lieder singen, laufen rasch Gefahr vom Grundeinkommen ausgeschlossen zu werden. Die Slogans hierzu klingen mit z.B #KeinMillimeterNachRechts zwar anders , sind aber ähnlich dumm und beinhalten dasselbe. Angenommen , ich hätte als aufstrebender Sänger mit Klampfe ein Repertoire aufgebaut , in dem Lieder wie »Zu Ramallah geboren (…ist uns ein Märtyrerlein« (Volksweise/Schneider)  enthalten sind und damit schon Aufmerksamkeit erregt, könnte aber im Zuge des Lockdowns nicht mehr auftreten,  und muss nun um Unterstützung bitten, dann kann ich mir so einige Slogans vorstellen, sogar in Regenbogenfarben. Und jetzt noch a bisserl Klugscheisserei , Herr Schneider! Ob W.A.Mozart nun Deutscher oder Österreicher war , ist nach wie vor eine Frage der Perspektive ,ein Schlingern und Stampfen auf dem Meer deutsch-österreichischer Besitzansprüche sozusagen . Zu seinen Lebzeiten 1756-1791 bestand das Gebiet , welches heute als Deutschland und Österreich bezeichnet wird aus vielen Staaten , in denen Deutsch gesprochen wurde.  Damals bezeichnete man alle als Deutsche , die Deutsch sprachen. Mozart selbst bezeichnete sich im Sinne der Sprachzugehörigkeit als Deutscher. Ausserdem gehörte seine Geburtsstadt Salzburg damals nicht zu Österreich, sondern zum Römisch - Deutschen Kaiserreich. Beim Föhrer gibt es diesbezüglich allerdings keine Ungewissheiten und auch keine Besitzansprüche Österreichs, versteht sich.

Sabine Lotus / 02.05.2020

Na, H@rr tapferes Schneiderlein, auch ‘Hausbesuch’ gehabt?  Klingt irgendwie danach. Nicht das noch Blumen fliegen.

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