Wer hat Angst vor Sahra Wagenknecht?

In Brandenburg und Thüringen will das Bündnis Sahra Wagenknecht bald mitregieren. Doch die Zukunftsaussichten der neuen Partei verdüstern sich.

Im Januar gegründet, im Dezember in der Regierung – noch nie ist einer Partei der Bundesrepublik Deutschland ein derart rasanter Aufstieg gelungen wie dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Doch wird der Erfolg auch von Dauer sein? Es gibt Gründe, daran zu zweifeln.

Deutschlandweit bekannt wurde Wagenknecht nicht durch politische Erfolge, sondern durch die Medien, allen voran dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. 2016 und 2017, als sie noch Ko-Vorsitzende der Linksfraktion war, saß sie so oft wie niemand anderes in einer der großen Polit-Talkshows. Nachdem sie im Januar die Kleinst-Partei BSW gegründet hatte, wurde sie allein bis Mitte Juli zehnmal eingeladen.

Dass dies auf Dauer so bleiben wird, ist dennoch unwahrscheinlich. Schon während der Corona-Pandemie ging das Interesse an Wagenknecht massiv zurück. Rückt der wirtschaftliche Niedergang Deutschlands verstärkt in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit, ist mit ihr nicht mehr viel Staat zu machen, da sie weder einer Regierung angehört noch Lösungskonzepte besitzt. Selbst der schlagfertige Gregor Gysi wurde den Talkmastern irgendwann langweilig.

Dass Wagenknecht ein Regierungsamt übernimmt, ist nicht zu erwarten. Ein Minister muss Akten lesen, Mitarbeiter motivieren, Entscheidungen treffen – und zahlreiche belanglose Grußworte halten. Gleichzeitig muss er öffentlich und innerparteilich politische Überzeugungsarbeit leisten. An dieser Doppelbelastung ist schon Gysi gescheitert. 2002 trat der nach nur fünf Monaten als Berliner Wirtschaftssenator zurück und übernahm danach nie mehr ein Regierungsamt.

In Ausschüssen und im Plenum war sie nur selten anzutreffen

Wagenknecht hat, obwohl bereits 55 Jahre alt, noch nie eine Behörde oder gar ein Ministerium geleitet. Als Ko-Vorsitzende der Linksfraktion warf sie vielmehr nach dreieinhalb Jahren das Handtuch. Wie sie später berichtete, war sie immer häufiger krank geworden und am Ende wegen Burn-outs zwei Monate ausgefallen. "Der Arzt hat unmissverständlich zu mir gesagt: 'Sie können so nicht weitermachen!'". 

Schon die Pflichten einer Bundestagsabgeordneten überforderten Wagenknecht: In Ausschüssen und im Plenum war sie nur selten anzutreffen, auch bei Fraktionssitzungen und Klausurtagungen fehlte sie regelmäßig; in ihrem Wahlkreis Düsseldorf war sie so gut wie nie zu sehen. Obwohl im Bundestag Anwesenheitspflicht herrscht und für jedes unentschuldigte Fehlen 200 Euro einbehalten werden, versäumte Wagenknecht allein Ende 2022 sämtliche neun namentlichen Abstimmungen. Ihre Fraktionskollegin Kathrin Vogler hatte sie öffentlich als „faulste Abgeordnete“ bezeichnet. 

Ob Wagenknecht als Parteichefin geeignet ist, ist ebenfalls fraglich. Parteivorsitzende müssen zuhören können, Netzwerke aufbauen und unterschiedliche Standpunkte zusammenbringen. Wagenknechts Stärken sind dagegen Provokation und Selbstdarstellung, nicht Integration und Organisation. Heftige politische Konflikte durchziehen ihre politische Biografie wie ein roter Faden.

Schon als Mitglied des Parteivorstands von PDS und Linkspartei lag sie regelmäßig überkreuz mit ihren Kollegen. 1995 musste sie sogar für fünf Jahre ausscheiden, weil Gysi sie für untragbar erklärt hatte. Als mehrere Abgeordnete 2008 verlangten, sie zur Vizechefin der Linken zu machen, war Gysi strikt dagegen: „Sahra Wagenknecht vertritt eine Sicht, die ich nicht in Form einer Stellvertreterin in der Partei haben will.“ Kaum hatte sie zwei Jahre später doch noch einen der vier Stellvertreterposten bekommen, begann sie mit Katja Kipping, die 2012 Parteichefin wurde, einen jahrelangen Zickenkrieg.

Gegen sogenannte Lifestyle-Linke

Um Hilfstruppen für den parteiinternen Fraktionskampf zu organisieren, gründete Wagenknecht 2018 die außerparlamentarische Bewegung „Aufstehen“. Doch statt die Menschen wie in Frankreich in Massen auf die Straße zu bringen, wurde das Projekt zum Debakel. Schon nach wenigen Monaten zog sie sich daraus zurück. „Mir kam sie weitgehend überfordert vor,“ erinnerte sich einer ihrer ehemaligen Mitstreiter, „in diesem ganzen Irrsinn wirkte sie völlig verloren“.

In der Linksfraktion galt Wagenknecht ebenfalls als illoyal und egozentrisch. Dass die Linke einen so zerstrittenen Eindruck machte, war vor allem ihr anzulasten. Statt nach Verständigung zu suchen, führte sie einen gnadenlosen Fraktionskampf. 2021 veröffentlichte sie kurz vor den Bundestagswahlen ein Buch gegen sogenannte Lifestyle-Linke, sodass mehrere Genossen ihren Parteiausschluss beantragten. Ein Jahr später löste sie wieder einen Eklat aus, als die Fraktion sie zum Zwecke der Versöhnung in der Haushaltsdebatte sprechen ließ. Nur wenige Monate nach Russlands Einmarsch in die Ukraine erklärte sie, das größte Problem Deutschlands sei, dass die Bundesregierung einen „beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten“, also Russland, vom Zaun gebrochen hätte. Im Juni 2023 war Wagenknechts Verhältnis zu ihrer Partei so zerrüttet, dass der Vorstand die aufforderte, ihr Bundestagsmandat niederzulegen.

Zur Verständigung, das zeigte sich in all diesen Konflikten, ist Wagenknecht nur bereit, wenn sich die Gegenseite ihr unterwirft. Das hängt mit einem weiteren Charakterzug zusammen: ihrer Selbstherrlichkeit und ihrem Geltungsbedürfnis. Politik ist für Wagenknecht in erster Linie Selbstdarstellung. Auf die Frage, warum sie so selten im Bundestag sei, antwortete sie 2023, dass sie „Medientermine, Sendungsaufzeichnungen oder öffentliche Veranstaltungen“ wahrnehmen musste. Allein auf ihrem privaten YouTube-Kanal veröffentlichte sie in fünf Jahren fast 300 Videos. Seit ihrem Einzug in den Bundestag schrieb sie zudem sechs Bücher, die ihr ein gehöriges Zusatzeinkommen sicherten. Dass ihre Partei ihren Namen trägt, ist eine Form des Personenkultes, den es so nicht einmal in Nordkorea gibt.

„In unserer Partei falsch“

Wie die Geschichte lehrt, sind charismatische Persönlichkeiten manchmal in der Lage, Bewegungen oder Parteien hinter sich zu vereinen. Wagenknecht ist jedoch nicht charismatisch, sondern kalt und kompromisslos. Dass dies zu Konflikten führt, konnte man zuletzt während der Thüringer Koalitionsverhandlungen beobachten. Kaum hatten CDU, SPD und BSW ein umfangreiches Sondierungspapier ausgehandelt, distanzierte sie sich davon, weil eine Formulierung nicht so ausgefallen war, wie sie es sich vorstellte. Wie auf Kommando griffen außerdem zwei Funktionäre aus der zweiten Reihe die Thüringer Spitzenkandidatin des BSW persönlich an. Katja Wolf sei „auf dem besten Weg, das BSW zu einer Partei zu machen, von der es nicht noch eine braucht,“ zürnten sie öffentlich. „Wer das nicht kapiert, wird vielleicht schnell Ministerin, ist aber in unserer Partei falsch.“

Um derartige Konflikte auszuschließen, hat Wagenknecht das BSW wie eine kommunistische Kaderpartei aufgebaut. Für jedes Bundesland hat das Präsidium Beauftragte eingesetzt, die die Landesverbände von oben nach unten zusammenstellen sollen. Über die Aufnahme neuer Mitglieder darf allein der Bundesvorstand entscheiden, was nicht einmal bei der SED der Fall war. Will jemand von sich aus beitreten, muss er einen Antrag stellen, dessen Prüfung laut Website „einige Zeit in Anspruch nehmen“ kann. Wie BSW-Mitglieder berichten, werden dazu hinter verschlossenen Türen „Bewerbergespräche“ geführt – nur wer sich zu Wagenknecht bekenne, werde aufgenommen. Potenziellen Interessenten empfiehlt die Partei, lieber „Förderer“ oder „Unterstützer“ zu werden, die keine Mitspracherechte besitzen.

Die Parteispitze nutzt ihr in der Satzung verankertes Vorrecht aber auch in umgekehrter Richtung. Als Wagenknecht das Sondierungspapier in Thüringen rügte, durften überraschend 25 Personen dem Landesverband neu betreten. Da dieser bis dahin nur gut 80 Mitglieder hatte, verschoben sich dadurch die politischen Gewichte erheblich zuungunsten der Landesvorsitzenden Katja Wolf. 15 Vorschläge aus Thüringen fanden dagegen zunächst keine Berücksichtigung. Der Bundesvorstand kann Mitglieder auch wieder ausschließen und sogar ganze Landesverbände exkommunizieren, wenn diese „Beschlüsse übergeordneter Parteiorgane trotz wiederholter Aufforderung nicht durchführen“.

Weitere Konflikte sind vorprogrammiert.

Dieser hierarchische Aufbau widerspricht vermutlich dem Parteiengesetz. Laut Artikel 10 sind „allgemeine, auch befristete Aufnahmesperren nicht zulässig“. Zwei BSW-Mitglieder aus Hamburg haben deshalb die Parteispitze und das parteieigene Schiedsgericht in den vergangenen Monaten wiederholt darauf hingewiesen. Inzwischen kündigten sie an, Klage zu erheben. Zudem haben sie in Hamburg einen Bezirksverband gegründet, in dem sie auf eigene Faust Mitglieder aufnehmen wollen. Weitere Konflikte sind also vorprogrammiert. Sollte die Aufnahmepraxis rechtswidrig sein, könnten auch die bisherigen Beschlüsse der Partei ungültig sein.

Aufgrund der restriktiven Aufnahmepraxis hat die Partei bislang nur rund 1.100 Mitglieder, das sind weniger als vier pro Bundestagswahlkreis. Damit sie bei den Bundestagswahlen im Februar, den Hamburger Bürgerschaftswahlen im März und möglicherweise auch den NRW-Kommunalwahlen im September erfolgreich ist, bedarf sie deutlich mehr Kandidaten und noch viel mehr Wahlkämpfer. Das bringt Wagenknecht jedoch in eine Zwickmühle: Um die Kontrolle zu behalten, muss das BSW klein und überschaubar bleiben. Um bei Wahlen erfolgreich zu sein, muss die Partei wachsen. Dann jedoch dürften die internen Konflikte deutlich zunehmen, was auch an der linksradikalen Sozialisation vieler Anhänger liegt.

Gegen einen langfristigen Erfolg des BSW spricht noch etwas anderes: Die neue Partei wurde von Funktionären der Linkspartei gegründet und zwar überwiegend aus dem linken Flügel. Wagenknechts langjährige Mitstreiterin und Vertraute Sevim Dağdelen ist zum Beispiel Mitglied der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Roten Hilfe, 2013 wurde sie wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu einer Geldstrafe verurteilt. Zum linken Flügel gehörte auch die BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali. Noch im vergangenen Jahr reiste sie nach Kuba, um an den Feiern zum 70. Jahrestag der kommunistischen Erhebung teilzunehmen. Dasselbe gilt für BSW-Geschäftsführer Christian Leye, der Wagenknecht bis 2021 als Mitarbeiter in ihrem Wahlkreisbüro diente. 

Die Sozialausgaben massiv erhöhen

Im vier Seiten schmalen Parteiprogramm ist von der linksradikalen Ausrichtung führender BSW-Politiker allerdings nichts zu finden. Statt von „Sozialismus“ oder „Revolution“ ist von „unserer Industrie“, „unserem Mittelstand“ und „guter, ehrlicher Arbeit“ die Rede. Nur die Forderungen, mit denen Wagenknecht regelmäßig an die Öffentlichkeit geht, verweisen auf typisch linke Politikkonzepte. Mal fordert sie einen „Benzinpreis-Deckel“, mal einen „Supermarktgipfel im Kanzleramt“, der die Geschäfte „zu deutlichen Preissenkungen auf Vorkriegsniveau“ auffordert, mal verlangt sie einen Mietendeckel. Ihre Vorschläge laufen stets darauf hinaus, dass der Staat die Wirtschaft umfassend reguliert.

In diese Ausrichtung passt, dass Wagenknecht die Sozialausgaben massiv erhöhen will. Laut Programm braucht Deutschland „einen zuverlässigen Sozialstaat“, der „vor einem sozialen Absturz im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter schützt.“ Aktuell fordert sie nicht nur „eine zusätzliche Rentenerhöhung um 120 Euro im Monat für alle als sofortigen Inflationsausgleich“, sondern auch ein Weihnachtsgeld von 500 Euro, das allein rund zehn Milliarden Euro kosten würde. Wie dies angesichts des demografischen Wandels und leerer Rentenkassen finanziert werden sollen, sagt sie nicht.

Dass diese Forderungskataloge bei den Wählern verfangen, ist zweifelhaft. Sie ähneln denen der Linkspartei, die damit zuletzt immer weniger Erfolg hatte. Den meisten Wählern dürfte klar sein, dass man nur das verteilen kann, was man vorher erwirtschaftet hat. Angesichts der globalen Konkurrenz und einer immer älter werdenden Gesellschaft wird dies jedoch zunehmend schwieriger. Vergebens sucht man im BSW-Programm nach Vorschlägen, wie die Bundesrepublik ihren Wohlstand auch in Zukunft bewahren kann. Die Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ wirkt dadurch zusehends floskelhaft, zumal sie auch von SPD, Grünen und Linken propagiert wird.

Voreingenommenheit trübt den Blick für die Wirklichkeit 

In Abgrenzung zu diesen Parteien hat Wagenknecht in den letzten Jahren den Eindruck erweckt, sie wolle den unkontrollierten Zustrom von Migranten nach Deutschland stoppen. Im Parteiprogramm des BSW ist davon allerdings nicht die Rede. Im Gegenteil: „Wer in seiner Heimat politisch verfolgt wird, hat Anspruch auf Asyl,“ heißt es dort. Auffällig viele Funktionäre haben zudem selber einen Migrationshintergrund und setzten sich in der Vergangenheit für einen unbegrenzten Zuzug ein. 

Parteichefin Mohamed Ali erklärte zum Beispiel Ende 2018, dass sie offene Grenzen befürworte und Abschiebungen ablehne. Vier Jahre später brachte sie einen Gesetzentwurf ein, demzufolge Ausländer, die zu ihren Ehegatten nach Deutschland ziehen wollen, keinen Sprachnachweis mehr erbringen müssen. Auch Geschäftsführer Leye setzte sich wiederholt für die Aufnahme von Flüchtlingen ein. 2018 verlangte er sogar, die Kommunen sollten freiwillig mehr aufnehmen als vorgeschrieben. „Gerade der Kontinent, der mit seiner Handelspolitik, Waffenexporten und Kriegsbeteiligungen die Gründe für Flucht schafft, darf die Seenotrettung nicht kriminalisieren.“ Der BSW-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko machte wiederholt gegen einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen mobil. „Die Aufrüstung der Festung Europa lehnen wir ab,“ betonte er noch 2018.

Dass ideologische Voreingenommenheit den Blick für die Wirklichkeit trübt, kann man gerade am Beispiel Wagenknecht studieren. Wohl kaum ein Politiker in Deutschland hat sich so oft geirrt wie sie. Bekannt wurde vor allem ihr Statement vom 20. Februar 2022, als sie über die damalige russische Truppenkonzentration an der Grenze zur Ukraine sagte, dass ein Einmarsch vor allem von amerikanischer Seite „geradezu herbeigeredet“ werde. Sie dagegen meine, dass Russland „faktisch kein Interesse daran“ habe, in die Ukraine einzumarschieren, „natürlich nicht.“ Denn Putin, so Wagenknecht weiter, sei kein „durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben.“ Vier Tage später rollten russische Panzer nach Kiew.

In wesentlichen Fragen fast immer geirrt

Verfolgt man Wagenknechts politischen Werdegang, gewinnt man sogar den Eindruck, dass sie sich in wesentlichen Fragen fast immer geirrt hat. So trat sie im Frühjahr 1989 in die SED ein, als deren Regime kurz vor dem Untergang stand. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schwärmte sie dann in einem Aufsatz über Josef Stalin: „Was immer man – berechtigt oder unberechtigt – gegen die Stalin-Zeit vorbringen mag, ihre Ergebnisse waren jedenfalls nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraums.“

Auch SED-Chef Walter Ulbricht lobte Wagenknecht damals überschwänglich. Anders als Michail Gorbatschow hätte der dafür gesorgt, dass die „Befreiung der Wirtschaft vom direkten Zugriff der zentralisierten Apparate“ und die „Befestigung der politisch führenden Rolle der Partei“ parallel erfolgt seien. Im Klartext: Ulbrichts Wirtschaftsreformen gingen einher mit einer Verschärfung der Diktatur. Die DDR sei unter ihm auf dem besten Wege gewesen sei, sich zu einem blühenden und über seine Grenzen hinaus anziehenden Sozialismus zu entwickeln.

1994 bezeichnete Wagenknecht die DDR in der Zeitschrift Konkret als „das friedfertigste und menschenfreundlichste Gemeinwesen, das sich die Deutschen im Gesamt ihrer Geschichte bisher geschaffen haben.“ SED-Chef Erich Honecker gebühre deshalb „unser bleibender Respekt“. Den Bau der Berliner Mauer verteidigte sie als eine Maßnahme zur Grenzbefestigung, „die dem lästigen Einwirken des feindlichen Nachbarn ein (längst überfälliges) Ende setzte.“ In einem Spiegel-Interview erklärte sie, die Wende in der DDR sei „im Kern eine Gegenrevolution“ gewesen. Damals sei ein Land zugrunde gegangen, in dem der Ansatz gegeben gewesen sei, eine Gesellschaft ohne Profitprinzip aufzubauen, während heute wieder das Kapital herrsche. „Das ist für mich ein klarer Rückschritt.“

Grußwort des früheren RAF-Terroristen Christian Klar

Man muss dabei wohl in Rechnung stellen, dass Wagenknecht damals erst 25 Jahre alt war. Doch auch mit über 30 hatte sie ihre Einstellung nicht geändert. Auf die Frage, ob die DDR demokratischer gewesen sei als die Bundesrepublik, sagte sie 2001: „Sie war jedenfalls nicht undemokratischer.“ Auch die Bundesrepublik sei „in ihrer Substanz nicht demokratisch.“ Und als die PDS im selben Jahr den Mauerbau erstmals als „Symbol des Demokratiedefizits in der DDR“ verurteilte, verweigerte sie als einziges Vorstandsmitglied ihre Zustimmung. 2008 – inzwischen war sie fast 40 – bekräftigte sie erneut, dass sie „den Begriff Diktatur für die DDR nicht für angemessen“ halte.

Wagenknechts politische Heimat war in dieser Zeit die Kommunistische Plattform (KPF), ein „offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei Die Linke“, wie er sich selber bezeichnet und der vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft wird. Bis 2010 fungierte Wagenknecht als dessen wichtigstes Sprachrohr. 2003 weigerte sich die KPF, dem neuen PDS-Parteiprogramm zuzustimmen, weil es „das Ziel einer Überwindung kapitalistischer Verhältnisse aufgegeben“ hätte. Drei Jahre später war Wagenknecht Erstunterzeichnerin eines Aufrufs „Für eine antikapitalistische Linke“, in dem die in Gründung befindliche Linkspartei vor einer Anpassung an die SPD gewarnt wurde. „Eine solche Partei wollen wir nicht und brauchen wir nicht.“

2007 bekräftigte die KPF erneut, dass der Kapitalismus „überwunden“ werden müsse. „Wir treten für einen Systemwechsel ein.“ In einer weiteren Erklärung stellte sich die Gruppe hinter ein Grußwort des früheren RAF-Terroristen Christian Klar. Dieser hatte behauptet, Europa würde jedes Land der Erde, das sich seiner „Zurichtung“ widersetze, „in einen Trümmerhaufen verwandeln“. Laut KPF entspreche dies „den grausamen Realitäten.“

Politisches Vorbild für Wagenknecht waren damals die Armutsdiktaturen in Kuba und Venezuela. 2004 gab sie über Venezuela ein Buch heraus, in dem sie schrieb, das Land gehöre „zu jenen noch sehr wenigen Ländern, die der Weltherrschaft des neoliberalen Kapitalismus Grenzen setzen und die beweisen: Es gibt Alternativen.“ Die Revolution in Venezuela sei deshalb eine „Hoffnung für alle Menschen, die überzeugt sind, dass eine andere Welt möglich ist“.

„Hände weg von Venezuela“

Als Diktator Hugo Chávez 2013 starb, würdigte Wagenknecht diesen als „großen Präsidenten“, der „mit seinem ganzen Leben für den Kampf um Gerechtigkeit und Würde stand und der die lateinamerikanische Integration wegweisend vorangetrieben“ habe. Nachdem es im Jahr darauf zu gewaltsamen Protesten gegen die Regierung kam, forderte sie „Solidarität mit Venezuela“ und verurteilte „diesen gezielten Versuch der Destabilisierung des Landes“. Auf ihrer Website findet man bis heute einen von ihr mit initiierten Aufruf „Hände weg von Venezuela“, in dem behauptet wird, die von Chávez eingeführte Verfassung gehöre „zu den demokratischsten Verfassungen der Welt“.

In ähnlicher Weise äußerte sich Wagenknecht auch zu Kuba. So erklärte die KPF 2007, die Solidarität mit Kuba sei für sie ebenso „unverbrüchlich“ wie die Sympathie für Länder wie Venezuela. Und als Diktator Fidel Castro 2016 starb, veröffentlichte Wagenknecht eine Erklärung, in der sie die „große Leistung dieses Revolutionärs“ und seine „standhafte Haltung gegenüber der mächtigen USA“ würdigte. Angeblich sei dieser „durch und durch ein Demokrat“ gewesen.

In letzter Zeit ist Wagenknecht auffällig darum bemüht, ihre linksradikalen Wurzeln zu verdecken. Als sie kürzlich in der Sendung von Caren Miosga auf ihre Tätigkeit für die „Kommunistische Plattform“ angesprochen wurde, erklärte sie empört: „Ich finde es wirklich bemerkenswert, wie, seit wir das BSW gegründet haben, plötzlich meine frühkindlichen, also 20-jährigen Äußerungen mit einem Enthusiasmus zelebriert werden.“ Es ärgere sie, „dass plötzlich uralte Äußerungen von mir, wo ich 20 war, so vorgekramt werden, als hätte ich das gestern gesagt.“ Ganz ähnlich reagierte sie im TV-Duell mit Alice Weidel, als sie auf ihre Sympathien für Venezuela angesprochen wurde. Das sei 20 Jahre her, weshalb man ihr dies heute nicht mehr vorwerfen könne. „Da habe ich Dinge aus Trotz gesagt.“

Selbstverständnis kommunistischer Funktionäre

Von „frühkindlichen“ Äußerungen kann allerdings keine Rede sein. Als Wagenknecht ihre Erklärungen formulierte, war sie eine gestandene Frau zwischen 30 und 45 Jahren. In beiden Sendungen setzte sie sich zudem in keiner Weise kritisch damit auseinander, sondern trat im für sie üblichen rechthaberischen Duktus auf. Sie erinnert damit an das Selbstverständnis kommunistischer Funktionäre, die sich stets als „Avantgarde des Proletariats“ verstanden.

Durch die geplanten Regierungsbeteiligungen in Brandenburg und Thüringen gerät Wagenknechts Verbalradikalismus allerdings vermutlich schon bald an seine Grenzen. Da das BSW in Brandenburg das Gesundheits- und Sozialministerium übernehmen soll, muss es womöglich sogar Krankenhausschließungen in ländlichen Regionen verantworten. Auch die Förderung der Integration von Migranten gehört dann zu seinen Aufgaben. Der Reiz, das BSW zu wählen, um „denen da oben“ einen Denkzettel zu verpassen, dürfte sich in Zukunft deutlich verringern.  

Dass Regierungsbeteiligungen Protestwähler vergraulen, hat schon die Linkspartei schmerzlich erfahren müssen. Dem Meinungsforschungsinstitut Forsa zufolge ist dieser Effekt inzwischen auch beim BSW eingetreten: Während die Wagenknecht-Partei bis Ende Oktober bundesweit noch bei sieben Prozent lag, kam sie seit dem 19. November nur noch auf vier Prozent. Möglicherweise scheitern bei den geplanten Bundestagswahlen im Februar beide Linksparteien an der Fünf-Prozent-Hürde, weil sie sich gegenseitig Stimmen wegnehmen. Dann würde Sahra Wagenknecht endgültig als diejenige in die Geschichte eingehen, die die Linke zu Grabe getragen hat.

 

Hubertus Knabe, geb. 1959, ist ein deutscher Historiker. Er war Direktor der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ab ihrer Gründung im Jahr 2000 bis zum September 2018. Knabes Veröffentlichungen widmen sich der Westarbeit der DDR-Staatssicherheit, den Oppositionsbewegungen im Ostblock, der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte sowie der Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Foto: Von Foto-AG Gymnasium Melle - Eigenes Werk CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Gert Köppe / 11.12.2024

@Judith Panther : Danke für Ihren ausführlichen Kommentar. Dafür zehn Daumen hoch.

Gert Köppe / 11.12.2024

@Gerd Thiessen: Nein, mich empört das nicht. Warum auch? Ich habe 30 Jahre Sozialismus hinter mir und darum wähle ich Keine, die noch 1989 !!! in die SED eingetreten ist und offensichtlich das Sozialistische System als eine gute Alternative ansieht. Es gibt keine guten Sozialismus, denn er endet immer gleich. Es ist eine Art Staatsmonopolismus. Für die Herrschenden Absolutismus, Korruption und Selbstbereicherung und für Das Volk Planwirtschaft, Gleichschaltung, Mangel, Bevormundung, Unterdrückung, Überwachung, Unfreiheit, Armut und letzten Endes Gewalt. Ich sehe die Anzeichen jetzt schon. Das BSW ist ein Mehrheitsbeschaffer für die Kartell-Parteien und wird auch deren Politik mittragen, um an der Macht beteiligt zu werden. Linke sind gute Lügner. Sie versprechen Alles um an die Macht zu gelangen. Sind sie erst einmal dran, dann dreht sich der Wind ziemlich schnell. Die Grünen sind ein Beispiel dafür. Vom Pazifismus zur Kriegstreiberei. Wählen Sie nur guten Gewissens BSW. Ich wünsche Ihnen dann mal viel Vergnügen im kommenden Sozialismus.

B.Jacobs / 11.12.2024

Ich glaube nicht, das Wagenknecht AFD Wählern Stimmen weg nehmen kann, sie kann aber Menschen die Kriegslust Altpartei vertrottelt sind, die gar nicht verstehen, wie ernst die Lage ist einige Stimmen für Diplomatie und Frieden abgewinnen. Mit dem Bärböckchen, das jedem Land selbst China erzieherischen Ratschläge gibt, wird das nichts. Fast die ganze Welt lacht über das deutsche Trampeltier und hegt Rachegedanken.  Die AFD alleine die verteufelt wurde für die Krieg Lust der anderen,  wird die Wende in Richtung Frieden und Diplomatie nicht schaffen. Bis auf Raketen Zimmermann in Brüssel, könnte sich auch die FDP wieder an die Diplomatie von Hans Dietrich Genscher erinnert haben. Wir stecken nun mal im Sumpf fest, irgendwie müssen wir da raus kommen, wenn aus D. keime verbrannte Erde werden soll.

Hans Benzell / 11.12.2024

Und die CDU bildet mit dieser Partei eine Regierung!

Heinrich Wild / 11.12.2024

Die jüngsten Wahlergbenisse und politischen Entwicklungen im Osten zeigen leider erneut, wie (mehrheitlich) kommunistisch der Osten tatsächlich noch ist, vielleicht immer bleiben wird, da Kommunismus offenbar vererbbar ist. Von daher waren die Lobhudeleien auf den Osten schon immer fehl am Platz. Wäre die Wirtschaft im Westen so schwach wie im Osten, wäre die AfD auch hier schon deutlich stärker. Allerdings haben die Westdeutschen der sogenannten “spd” in letzter Zeit eine Wahlniederlage nach der anderen beschert, sie immer weiter runter in Richtung Fünf-Prozent-Hürde gedrückt, während sie in Brandenburg zuletzt deutlich zulegen konnte. Die einzige Erklärung, die ich dafür habe, ist die freiheitliche Prägung des Westens und die kommunistische Prägung des Ostens.

Lutz Liebezeit / 11.12.2024

Wenn sich in den letzten 10 Jahren die Zahl der Milliardäre verdoppelt hat, die Mittelschicht faktisch aufgelöst wurde ist und der Graben zwischen Armen und Reichen sich zunehmend vertieft, da sehen Sie als Rettung noch mehr Kapitalismus? Die Linkspartei ist der reaktionärste Rest der SED, das konzentrierte Böse, welche im Parteienblock die Schmutzaufgaben übernommen hat. Wenn es keine Konflikte bei den Verhandlungen mit den Altparteien gibt, das sollte uns Angst machen.

Else Schrammen / 11.12.2024

Alles richtig, Herr Knabe, aber was entgegnet man Leuten, die verkünden: Aber das hört sich doch vernünftig an, was die so sagt Nun, diese Menschen haben verlernt, hinter das schöne Gesicht zu blicken und sind einfach nur gutgläubig. Die werden mit der Zeit noch lernen, wer und was diese Frau ist. Die übrigen sind wie sie gestandene Kommunisten und werden es nie lernen Im übrigen bin ich der Meinung, so wie Cato d. Ä. jede seiner Senatsreden mit dem berühmten “ceterum censeo ...” schloss, sollte man diesen hervorragenden Artikel am Ende jeder Nachrichtensendung verlesen, wenn nötig auch in Kurzfassung. Das würde so manchen betörten Wähler aufwecken!

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