Deutsche Spitzenpolitiker beklagen in schrillen Tönen, Elon Musk mische sich von außen in deutsche Politik ein. Bis vor gut 35 Jahren hatte die SED-Führung immer die „Einmischung in innere Angelegenheiten der DDR“ beklagt, wenn Kritik aus dem Westen kam.
Man kann es kaum glauben: Es ist noch gar nicht so lange her, da war Elon Musk der Liebling der Leitlinienbestimmer in Politik und Medien. Er investierte in Deutschland und baute hier eine Fabrik für politisch dringend erwünschte Batterie-Autos. Das war deutschen Politikern einmal viele Fördermittel und ausgerollte rote Teppiche wert.
Nun scheint sich Elon Musk offenbar auf ganz eigene Art für die Politik dieses Landes, in dem er eine seiner Fabriken errichtet hat, zu interessieren. So sehr, dass er sich zu dieser eine Meinung gebildet hat und die auch gern und offenherzig mitteilt. Das sorgt derzeit für große Empörung.
Hätte er doch stattdessen öffentlich die Wahl Robert Habecks zum Bundeskanzler empfohlen, weil dieser am freigiebigsten das Steuergeld in die Förderung der sogenannten Elektromobilität zu leiten bereit ist, dann gäbe es kein Skandal-Geschrei aus den Führungsetagen deutscher Alt- und Neu-Regierungsparteien und Medienhäuser.
Im Gegenteil: In gewogenen Kommentaren wäre die Nachvollziehbarkeit dieser Empfehlung erklärt worden. Die Mitbewerber hätten sich zwar geärgert, aber nicht geschimpft. Im Gegenteil. Ob Scholz oder Merz – sie wären jeweils bemüht gewesen, zu erklären, dass ihre Vorstellungen doch noch viel besser zum Herrn Musk passen würden. Wahrscheinlich wäre ein peinlicher Wettbewerb um dessen Gunst ausgebrochen.
Dürfen Ausländer die deutsche Brandmauer missachten?
Bekanntlich ist alles anders gekommen. Elon Musk hat sich aus deutscher Regierungssicht zuerst für das Reich des Bösen entschieden, als er sich für den Wahlsieg Donald Trumps engagierte und jetzt, kurz vor Trumps Amtseinführung und der deutschen Bundestagswahl erklärt er auch noch die überall ausgestoßene AfD zur letzten Hoffnung Deutschlands. Da ist die Empörung groß. Wie kann Elon Musk einfach die deutsche Brandmauer missachten? Als Ausländer? Eine solche Einmischung von außen geht gar nicht, heißt es aus fast allen Parteien. Das ZDF berichtete:
"Die Bundesregierung sieht das Werben des US-Milliardärs Elon Musk für die AfD als Versuch einer Einflussnahme auf den deutschen Wahlkampf. Seine Meinung zu äußern, stehe ihm frei, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin. Zugleich betonte sie: 'In der Tat ist es so, dass Elon Musk versucht, durch seine Einlassung Einfluss auf die Bundestagswahl zu nehmen.'"
SPD-Chef Lars Klingbeil erklärte die "Einmischung" von Musk in den Bundestagswahlkampf gleich zu einem Werk von Feinden:
"'Elon Musk versucht nichts anderes als Wladimir Putin', sagte Klingbeil den Zeitungen der 'Funke Mediengruppe': 'Beide wollen unsere Wahlen beeinflussen und unterstützen gezielt die Demokratiefeinde der AfD. Sie wollen, dass Deutschland geschwächt wird und ins Chaos stürzt.'"
Der CDU-Kanzlerkandidat und Brandmauerverteidiger Friedrich Merz protestierte:
„'Ich kann mich nicht erinnern, dass es in der Geschichte der westlichen Demokratien einen vergleichbaren Fall der Einmischung in den Wahlkampf eines befreundeten Landes gegeben hat', sagte der CDU-Chef den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Wahlaufruf sei 'übergriffig und anmaßend'“.
Immerhin spricht Merz im Unterschied zum Genossen Klingbeil noch von einem "befreundeten Land" und sortiert den Freund des baldigen US-Präsidenten nicht umstandslos ins Feindeslager an die Seite von Wladimir Putin ein. Doch eines eint die Politiker der Brandmauer-Parteien: die Angst vor der Einmischung von außen. Da endet offenbar alle Weltoffenheit.
"Entstellungen, Lügen, Hetze und Einmischung"
Ich bin kein Freund von DDR-Vergleichen, aber dennoch weckt der schrille Ton, mit dem sich die Bewohner der Führungsetagen der Bundesrepublik jegliche "Einmischung" verbitten, schon die Erinnerung an die Proteste der SED-Führung gegen die "Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR" aus dem Westen. Diese Floskel war in den DDR- Medien oft zu lesen und zu hören. Wenn westliche Staaten oder Organisationen die Einhaltung der Menschenrechte anmahnten, Vertretungen der Bundesrepublik die Tür für Flüchtlinge aus der DDR öffneten, die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter DDR-Staatsverbrechen registrierte oder die Korrespondenten westlicher Medien kritisch aus dem SED-Staat berichteten – all das beklagten die Herrscher in Ost-Berlin als unzulässige "Einmischung in innere Angelegenheiten".
Westliche Journalisten, die man für ihre kritischen Berichte nicht einsperren konnte, wurden gelegentlich wegen ihrer Einmischung ausgewiesen. Ein bekanntes Beispiel ist der frühere ARD-Korrespondent Lothar Loewe, der zwei Tage vor Weihnachten aufgefordert wurde, die DDR bis spätestens am Heiligen Abend um 16 Uhr zu verlassen. Der Mann störte die SED-Obrigkeit schon einige Zeit ganz gewaltig. ARD und ZDF waren auch für die DDR-Bewohner damals die wichtigsten Informationsquellen. Wenn deren Korrespondenten in Ost-Berlin zu kritisch waren, nahmen ihnen das die herrschenden Genossen übel. Die Stasi urteilte beispielsweise in ihrer "Information Nr. 691/76 über gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR gerichtete Aktivitäten einer Reihe in der DDR akkreditierter BRD-Korrespondenten" vom 5. Oktober 1976:
"Die Berichterstattung Loewes über die DDR ist gekennzeichnet durch Entstellungen, Lügen, Hetze und Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR."
Der Anlass, den Mann aus der DDR hinauszuwerfen, war ein einziger von ihm in der Tagesschau vom 21. Dezember 1976 gesprochener Satz:
"Hier in der DDR weiß jedes Kind, dass die Grenztruppen den strikten Befehl haben, auf Menschen wie auf Hasen zu schießen."
Damit hatte Loewe zwar recht, dennoch wurde der Journalist tags darauf ins Außenministerium der DDR einbestellt, wo ihm wegen "grober Einmischung in innere Angelegenheiten der DDR" die Akkreditierung mit sofortiger Wirkung entzogen wurde.
Schadensanzeige für Diskurskultur
Natürlich ist die Lage heute eine völlig andere als damals in der DDR. Aber warum haben unsere Regierenden heute eine so große Angst vor der medialen Einmischung von außen? In einer Diktatur wie der im SED-Staat ist das klar: Dort wo die Herrscher die Einmischung der Menschen in ihre eigenen Angelegenheiten in allen wichtigen Fragen unterbinden wollen, weil dies ihre Machtfülle bedroht, ist eine Einmischung von außen durchaus wirkmächtig und für die Regierungen bedrohlich. Doch in einem freien und demokratischen Gemeinwesen, in dem sich der offene Diskurs frei entfalten kann, müsste eine Einmischung von außen schon sehr massiv und aggressiv sein, um Wirkung zu erzielen. Wer an dieser Stelle also wirklich Resilienz will, darf eben nicht auf Denk- und Sprechverbote setzen. Insofern zeigt der schrille Ton der Einmischungs-Warner nur wegen eines Kommentars von Musk vor allem, dass die deutsche Diskurs-Kultur in den letzten Jahren erheblichen Schaden genommen hat.
Da ist es fast nur noch eine Randerscheinung, wenn man die Einmischungs-Empfindlichkeit deutscher Politiker mit ihrem eigenen Einmischungswillen vergleicht. Nein, hier geht es nicht darum, dass die Bundesregierung tatsächlich zuweilen gegenüber manchen Diktaturen die Einhaltung der Menschenrechte anmahnt. Es geht um die Einmischung gegenüber Verbündeten, die ja Friedrich Merz so beklagt hat.
Die Geschichte aus dem September 2023, die das ZDF seinerzeit erzählte, beginnt auch wieder mit der "Einmischung" von Elon Musk in die deutsche Politik:
"Der Tesla-Gründer und Milliardär Elon Musk hat seine Internet-Plattform X (vormals Twitter) genutzt, um sich eine Woche vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen in die deutsche Politik einzumischen.
Musk teilte den Post eines migrationskritischen X-Nutzers, in dem zur Stimmabgabe für die AfD aufgerufen wird, und kritisierte die deutsche Migrationspolitik.
In dem Beitrag auf X wird kritisiert, dass derzeit acht deutsche Schiffe von Nichtregierungsorganisationen Flüchtlinge und Migranten aus dem Mittelmeer aufnehmen würden, um sie nach Italien zu bringen."
Hier spielt allerdings eine weitere "Einmischung in innere Angelegenheiten" mit hinein:
"Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisiert, dass die deutsche Regierung Organisationen, die sich in Italien um Bootsmigranten kümmern, finanziell unterstützen will.
Rom betrachte dies als Einmischung in innere Angelegenheiten. Das Auswärtige Amt hatte im Gegenzug darauf verwiesen, dass damit ein Beschluss des Bundestags umgesetzt wird."
Wann ist es eigentlich legitim, gegen "Einmischung" aus dem Ausland zu protestieren? In verschiedenen Berichten wird darauf verwiesen, dass die "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" anderer Staaten nach Völkerrecht gar nicht zulässig sei. Stimmt das? Dazu erklärte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages im Jahr 2008:
"Dem Recht auf ungehinderte Ausgestaltung der „inneren Angelegenheiten“ als Ausdruck der Souveränität eines Staates korrespondiert eine völkerrechtliche Pflicht aller anderen Staaten, diese zu achten. Sie ist im sog. Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten, auch Interventionsverbot genannt, niedergelegt. Das Interventionsverbot ist Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts, d.h. es ist nicht in rechtsverbindlicher Form schriftlich niedergelegt, sondern findet seinen Geltungsgrund in der von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung getragenen ständigen Staatenpraxis.
Eine verbotene 'Einmischung' liegt danach nur vor, wenn der Eingriff unter Androhung oder Anwendung von Zwang erfolgt."
Also "Androhung oder Anwendung von Zwang" hat man Elon Musk bislang noch nicht vorgeworfen, oder? Allerdings fragt man sich als deutscher Bürger unabhängig davon schon, wie klug es eigentlich ist, wenn sich regierungswillige deutsche Politiker im Wahlkampf vor allem in verbalen Angriffen auf das Team des bald regierenden US-Präsidenten gefallen, statt sich der Krisen anzunehmen, in die das Land gerade immer tiefer taumelt, ohne dass die derzeit aussichtsreichsten Regierungsbewerber bereit oder in der Lage sind, konkrete, machbare und glaubhafte Auswege aufzeigen.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.