Gunter Weißgerber / 11.05.2019 / 16:30 / Foto: Adam Jones / 18 / Seite ausdrucken

Wer hätte die SED verbieten sollen?

Nun also auch Theo Waigel. In verschiedenen Interviews und Talkshows drückt er sein Bedauern darüber aus, „… dass wir die SED nicht verboten haben“. Wie das? Der konservative Bayer ist als grundgesetzfest bekannt, als Realpolitiker ebenso. Theo Waigel weiß um die zivilisatorische Errungenschaft des Parlamentarismus, die Parteienverbote durch Parlamente ausschließt. Keine Partei, kein Parteienbündnis vermag Konkurrenz zu verbieten. Über das Auf und Ab von Parteien hat das Wahlvolk das letzte Wort. Das muss auch so bleiben. Zudem ist es dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, die Verfassungswidrigkeit von Parteien festzustellen. Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung können das im speziellen Fall in Karlsruhe beantragen, entscheiden können sie es nicht. Als politischen Akteuren fehlt ihnen naturgemäß die Objektivität, die dem Bundesverfassungsgericht nach dem Grundgesetz zukommt.

In der DDR mussten Gründungen von Parteien und Vereinen beim Minister des Inneren beantragt werden. Der beschied dann so, wie es der SED politisch in den Kram passte. Initiativen aus der parteilosen Bevölkerung gebührte allergrößtes Misstrauen. Einen speziellen Rechtsweg gab es nicht.

In Erinnerung dürfte vielen Zeitgenossen noch die Anmeldung des „Neuen Forums“ am 19. September und dessen Zulassung am 8. November 1989 sein. Die diesbezügliche Forderung der Montagsdemonstranten lautete „Neues Forum zulassen!“. Wäre die DDR eine Demokratie gewesen, hätte es sich mit der Anmeldung beim Registergericht die Sache verwaltungstechnisch erledigt. Die Meinung der Konkurrenz wäre interessant, jedoch nicht mitbestimmend gewesen.

„Man hätte die SED verbieten sollen!“ … einer von den mit großer Verve vorgetragenen eigentlich Hilflosigkeit ausdrückenden Sätzen, die einen Standpunkt postulieren und tatsächlich Hilflosigkeit ausdrücken.

Nach 1945 war das einfacher. Die Alliierten setzten als Sieger neues Recht und verboten die NSDAP. 1989/90 kam keine Besatzungsmacht mit eigener Rechtsetzung. Recht leben und es setzen, dass mussten die Deutschen danach schon selbst demokratisch tun.

Nirgends die Macht zum Verbot?

Wie hätte denn wer ab 1989 die SED verbieten wollen und können? Ein Blick auf die handelnden Personen und Institutionen:

  • Erich Honecker, das Politbüro, die SED-Führung oder die DDR-Regierung? Denen wäre es nicht in den Sinn gekommen, dass ihre Partei verboten gehört.
  • Egon Krenz, das Politbüro, die SED-Führung oder die DDR-Regierung? Auch denen wäre das nicht in den Sinn gekommen.
  • Hans Modrow, Gregor Gysi, die SED-PDS-Führung und die DDR-Regierung? Eine aberwitzige Vorstellung. Denen ging es um die Rettung der Partei und ihres Vermögens – nötigenfalls unter Verzicht ihres Staates, wie Erich Loest treffend feststellte.
  • Der „Runde Tisch“? Das Gremium war mehrheitlich mit SED, Blockparteien, DfD und Kulturbund zusammengesetzt. Der „Runde Tisch“ hat so manches beschlossen, das Verbot der SED wäre nicht von ihm ausgegangen. Diesen Beschluss als kommende Aufforderung zum Handeln musste der DDR-Innenminister nicht fürchten.
  • Die am 18. März 1990 frei gewählte Volkskammer? Die baute die DDR zu einem Rechtsstaat um. In Rechtsstaaten können Parteien/Fraktionen politische Konkurrenz nicht verbieten. Nach welchem Recht hätte man sich in der Volkskammer überhaupt auf einen SED-PDS-Verbotsantrag einigen können? Nach der noch gültigen DDR-Verfassung? Nach dem in der DDR noch nicht gültigem Grundgesetz? Bei genauer Betrachtung schied das alles aus.
  • Das „Oberste Gericht der DDR“? Wie das? Die personelle Besetzung stammte aus straffen SED-Zeiten, Richterüberprüfungen auf der Grundlage eines noch nicht existenten Stasiunterlagengesetzes harrten noch der demokratischen Erfindung. An dem Problem laborieren unsere östlichen Nachbarn in Polen heute noch. Sie versäumten nach 1989 die Richterüberprüfungen analog dem deutschen Verfahren und wollen das Problem der belasteten Richter dreißig Jahre später über Regeln zur Altersgrenze lösen. Was die EU nicht einmal im Ansatz begreift bzw. zu begreifen gewillt ist.
  • Die Regierung de Maiziere? Unmöglich! Die Regierung war demokratisch gewählt. Für sie galt dasselbe wie für die freie Volkskammer. Regierungen können Parteien nicht verbieten. Regierungen sind selbst Partei.
  • Der gesamtdeutsche Bundestag per Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit nach dem 3. Oktober 1990 beim Bundesverfassungsgericht? Karlsruhe hätte dem sicher nicht stattgegeben. Kurz vorher beschied es die Anträge von Bündnis’90 und PDS auf getrennte Wahlgebiete zur Bundestagswahl positiv. Um den unterschiedlichen Entwicklungen in West- und Ostdeutschland Respekt zu zollen.

Alles schon vergessen? An diesem Punkt bliebe anzumerken, Union und FDP waren alles andere als unglücklich, dass der SPD-Spaltpilz SED-PDS parlamentarisch erhalten blieb. Auch Theo Waigel sollte das noch in Erinnerung haben.

  • Die gesamtdeutsche Bundesregierung ab Herbst 1990? Siehe gesamtdeutscher Bundestag.

An den eigenen Maßstäben gescheitert

Leicht zu erkennen: das SED-Verbot war mental wünschenswert, eine Chance hatte es nicht. Auch ich wäre damals beim SED-Verbot sofort dabei gewesen.

Inzwischen weiß ich mehr. Wir wären an unseren Maßstäben gescheitert. Weil wir gerade keine Umpolung von Diktatur, sondern Freiheit und Demokratie haben wollten. Zur Demokratie gehört das Aushalten anderer politischer Strömungen und Meinungen.
Auf einem anderen Blatt steht, ob diese anderen Strömungen und Meinungen Grundlage gemeinsamer Politik werden sollten. Was ich verneine.

Mit dem heutigen Abstand von dreißig Jahren wäre es sogar psychologisch kontraproduktiv gewesen, die SED und ihre Nachfolger zu verbieten. Wir sehen es aktuell am Erfolg der AfD. Je stärker die AfD als Paria durch die Medien geschleift wird, je länger sich die Bundestagsmehrheit der sachlichen Auseinandersetzung mit der AfD widersetzt und je länger sich keine noch so kleine Bundestagsmehrheit für eine/n AfD-Vizepräsidenten findet, um so massiver die kommenden AfD-Wahlergebnisse.
Wäre die SED nach 1990 verboten worden, sie wäre neugegründet viele Jahre eher in großer Fraktionsstärke im Bundestag aufgetaucht.

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Thomas Weidner / 11.05.2019

Der größte Fehler war, den Radikalenerlass abzuschaffen. Aber das geschah Mitte der 80er, also vor der Wiedervereinigung.

Peter Thomas / 11.05.2019

Welche Verblendung! Hat der Autor den Untergang der DDR nicht verwunden? Sah er sich durch die “Umarmung” des Westens um die Chance des Dritten Weges gebracht? Ein Verbot der SED hätte eine “Umpolung” der Diktatur bedeutet? Unredlicher geht nimmer. Die DDR war ein Regime des Unrechts und der Verbrecher. Wer sie kritisierte, wurde von der Stasi zersetzt und landete im Knast. Wer sie (heimlich) verlassen wollte, wurde an der Grenze erschossen. Die Verantwortung für all diese Dinge trug die SED. Natürlich hätte man 1990 die SED verbieten können, wenn man es denn GEWOLLT hätte. (Wer “man” ist? Die Judikative natürlich, auf Antrag der Volksvertreter z.B.). Es fehlte aber der politische Wille. Vielleicht fehlte der Wille ja auch deshalb, weil zu viele der Bonner Mächtigen erpreßbar waren; Stichwort Stasi/Markus Wolf. Die SED nicht zu verbieten und zu enteignen war das Grundübel der Wiedervereinigung - man ließ die Krebsgeschwulst unangetastet in der Hoffnung, sie würde von selbst absterben. Leider ist das nicht passiert. Das hat uns, unter anderem, die Raute beschert. Und natürlich die neue Einheitspartei; Claudius Pappe hat schon darauf hingewiesen. /// Nur noch erbärmlich ist jedoch die Parallele, die der Autor zwischen SED und AfD herstellt. Die SED war die Staatspartei der DDR, die Partei der Mächtigen, der Unterdrücker und der Lemminge (10 Prozent der DDR-Bürger waren in der SED). Die AfD wurde vor sechs Jahren von einigen unerschrockenen Demokraten gegründet, die die totalitäre Entwicklung in Deutschland erkannt hatten und nicht hinnehmen wollten. Sie hat heute so um die 30.000 Mitglieder, das ist weniger als ein halbes Promille des Volkes. Ein Bekenntnis zur AfD heute ist mindestens so mutig wie ein Bekenntnis zum Neuen Forum 1989. Heute wie damals drohen den Mutigen soziale Ausgrenzung, physische Gewalt und Vernichtung der Existenz. /// Die SED wäre nicht zu verbieten gewesen? Genau, und 2 Millionen Asylsuchende hätten 2015 nicht einreisen dürfen.

Matthias Braun / 11.05.2019

” Geschichte schreiben ist eine Art, sich das Vergangene vom Halse zu schaffen.” ( Johann Wolfgang von Goethe )

Jürgen Abraham / 11.05.2019

„… treu nach dem altem sozialistischem Motto: Aus den Ruinen auferstanden…………..“ schreibt der Herr Pappe. Vermutlich gehört er zu denen, die „im freien Teil des damals noch geteilten Deutschlands aufgewachsen sind“. Sonst wüsste er, dass der Text „Auferstanden aus Ruinen ...“ so wenig „sozialistisch“ war, dass er in der DDR nicht mehr angestimmt wurde. Aber die Ostdeutschen sind immer sehr dankbar, wenn ihnen der Osten erklärt wird!

Sabine Drewes / 11.05.2019

Lieber Herr Weißgerber, einen Aspekt vermisse ich: die Verbrechen, die die SED seit ihrer Gründung bis zum Zusammenbruch der Diktatur begangen hat. Sie wurden nicht als Verbrechen einer verbrecherischen Organisation geahndet - mit dem Ergebnis, dass auch ihr Vermögen, das sie in nicht unerheblichem Umfang auf verbrecherischem Wege sich angeeignet hatte, nicht nur in dunklen Kanälen verschwinden konnte, sondern gar nicht erst ernsthaft angetastet wurde. Wie auch immer man zu einem SED-Verbot stehen mochte und mag - es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, vor allem für die Opfer der SED-Diktatur. An die denkt kaum noch jemand. Das hat auch damit zu tun, dass man die SED so leicht davonkommen ließ. Hier wiederum muss erlaubt sein, die Frage nach der Verantwortung zu stellen.——Die AfD muss man nicht mögen und kann man kritisch sehen - allerdings hat sie keine Verbrechen begangen und ist auch keine mehrfach umbenannte NSDAP. Das darf, wenn man Die Linke und die AfD zusammen erwähnt, nicht ausgeklammert werden.

Gerhard Rachor / 11.05.2019

Nachdem ich die Wiedervereinigung 1990 live miterlebt habe, sehe ich das nicht so. Es gab den Einigungsvertrag der zwischen Schäuble und Krause ausgehandelt wurde. In diesem Vertrag wurde der Beitritt geregelt. In diesem Vertrag hätte man sicher die Auflösung der SED regeln können. Zu mindest hätte man unter dem Punkt Öffentliches Vermögen das Vermögen der SED, das den Bürgern der DDR gehörte, einziehen können. Dann hätte die SED deutlich mehr Probleme gehabt zu reüssieren. Dass der Ansatz realistisch gewesen wäre, zeigt ein Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zu in die Schweiz verschobenem Geld der KPÖ,, das eigentlich von der SED stammte. Googeln sie einfach mal rote Fini.

Belo Zibé / 11.05.2019

Die SED und ihre Namenswandlungen nach 1989 sind eine Sache.Wesentlich gravierender sind ihre lange nicht wahrgenommenen und völlig unterschätzten Metastasen im Altparteiengewebe. Ihre sanfte Bemühung, die AfD mit der SED zu verknüpfen ,halte ich für ungerechtfertigt, denn bei aller berechtigter Kritik an dieser, kann man ihr keine   Stasi, IM,  Mauertoten,Diktatur ,  u.ä  vorwerfen.Der SED und vielen ihrer ehemaligen ,wieder selbstbewusst in politischen Spitzenpositionen tätigen Protagonisten, hingegen schon.

Claudius Pappe / 11.05.2019

Die SED ist doch schon seit Jahren wieder da. Mit 87 % der Stimmen aus den letzten Wahlen. Nun gut, die SED heißt jetzt SPD, CDU, CSU, Grüne, Linke und seit ein paar Tagen FPD. Die SED ist aus den Trümmern der alten Volksparteien entstanden, treu nach dem altem sozialistischem Motto: Aus den Ruinen auferstanden…………..

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